Die folgenden Säulen habe ich anlässlich des Anarchosyndikalistischen Jugendkongress in Berlin, welcher vom 28.03.-30.03.2024 stattfand, geschrieben. Das Autonome Schüler:innen Syndikat Berlin (ASS) lud die vorhandenen Strukturen, welche über die letzten Jahre entstanden sind ein, um den Aufbau einer neuen Jugendbewegung mehr Form zu geben. Ich wurde für ein Input angefragt und entschied mich dieses anhand von Thesen zusammen mit den Jugendlichen zu diskutieren. Aus der bereichernden Diskussion heraus habe ich nun die Säulen einer Bearbeitung unterzogen, um sie der breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Auf dass sie die stattfindenden Organisierungsprozesse unterstützen mögen! Es versteht sich von selbst, dass die vorliegenden Säulen nur eine Diskussionsgrundlage sind und kein abgeschlossenes Konzept darstellen. Wer sich für meine Zeit und Lehren aus der anarchosyndikalistischen Jugend interessiert, die nun auch in die Säulen eingeflossen sind, kann sich gerne meinen Text zur Geschichte der Anarchosyndikalistischen Jugend Köln einverleiben.
Was sich erst einmal banal anhört, ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Jugendorganisationen neigen dazu sehr aktionistisch betont zu sein und sich wenig Gedanken um politische Grundsätze zu machen. Ich würde es zwar für falsch halten, dass Jugendorganisationen zu Theoriezirkeln verkommen, aber zumindest ein grundsätzliches Verständnis des Anarchismus und vor allem Syndikalismus sollte vorherrschen. Dies ist für die Außenwirkung und den inneren Zusammenhalt, sowie für die Klarheit des Ziels und wie die Gruppe vorgehen möchte wichtig. Der Syndikalismus ist deswegen hervorzuheben, da es bei vergangenen Ansätzen der Anarchosyndikalistischen Jugend dazu kam, dass entsprechende Gruppen keinerlei Bezug zum Syndikalismus hatten, bis auf dass dieser im Namen vorkam. Oftmals waren ASJ Gruppen primär allgemeine anarchistische Banden von Jugendlichen. Der Syndikalismus muss sich aber in der Arbeit der jeweiligen Gruppen widerspiegeln, sonst kann man ihn auch ganz herauslassen, so wie es viele vergangene ASJ Gruppen nach einer Zeit auch taten. Dabei ist es vor allem wichtig, dass die Syndikalistische Jugend ein Eigenverständnis als Jugendgewerkschaft entwickelt. Ansätze können hier z.B. sein eine konkrete Basisarbeit an Schulen, Ausbildungsstätten, Minijobs oder Universitäten zu entwickeln. Diese muss sich an den konkreten materiellen Interessen der Jugend orientieren. Dies bedeutet auch die Jugendgewerkschaft als Gewerkschaft mit entsprechend geringen Beitrittshürden auszurichten. Eine eigene Definition des Anarchismus halte ich unterdessen für wichtig, um eine Abgrenzung zu individualistischen Tendenzen vorzunehmen und sich klar in der sozialistischen Tradition zu verorten.
Die Linke hat ein großes Problem damit neuen Gesichtern offen zu begegnen. Viele von uns haben dies kennengelernt. Die abschätzigen Blicke, wenn man das erste Mal einen linken Ort betritt, die gehobene Sprache bei der Menschen ohne universitären Hintergrund den Überblick verlieren, die Klamotten-Ordnung aus der man herausfällt. Für uns Anarchist:innen und Syndikalist:innen ist es wichtig, aus dieser Kultur der Skepsis gegenüber neuen Menschen auszubrechen. Wir wollen möglichst viele Arbeiter und Arbeiterinnen unabhängig von ihrem Hintergrund her einladen mit uns zu kämpfen. Grade auch die vorherrschende Form des Zusammenschlusses innerhalb der Linken: die autonomen Kleingruppen, sind nicht einladend für neue Menschen. Um Teil von diesen zu werden, muss man entweder die richtigen Leute kennen oder ein großes Durchhaltevermögen haben, bis man sich bewiesen hat. Unsere formell ausgerichteten, in der Öffentlichkeit stehenden Organisationen sollten ein klares Gegengewicht zu dieser falschen Form des Zusammenschlusses der Kleingruppen haben. Dies bedeutet auch die als normal geltenden Szenenormen was Sicherheitskultur, Black Block auftreten auf Demonstrationen, Verpixelung von Bildern/Videos angeht für die eigenen Strukturen offensiv zu hinterfragen und nach Bedarf neu auszurichten.
Die Kultur des Anarchismus & Syndikalismus in Deutschland ist geprägt von der Kultur der linken Szene, in der wir fast alle in irgendeiner Form sozialisiert werden und wurden. Diese Kultur hat sicherlich auch einige schöne Seiten, die man nicht verteufeln muss. Primär aber ist sie eine Subkultur (geworden), welche oftmals im Gegensatz zu einer proletarischen Kultur steht, da es der linken Szene-Kultur um eine Abgrenzung zur Gesellschaft geht.
Unser Verständnis von Kultur muss sich aber dahin orientieren, das sie unserer Klasse, unserer Jugend, einen Sinn, eine Heimat und eine lebendige Alternative zum Bestehenden bietet. Dies bedeutet eben auch nicht alles an Kultur der bestehenden Gesellschaft, aus einer identitären Ablehnung heraus, weil man anders sein möchte, abzulehnen. Die historische Arbeiter:innenkultur war eine populäre. Eine die sich sehr stark an der hegemonialen Kultur orientierte. Das heißt für die anarchistische & syndikalistische Jugend heute, Teil der Jugendkultur der Gesellschaft zu sein. Rap, TikTok, Fußball und Graffiti - aber gleichzeitig auch eine Rückbesinnung auf unsere Traditionen - Wandern, Zeltlager, Chöre. Dabei geht es nicht darum, Teil von etwas zu werden oder etwas zu bedienen, was uns selbst nicht liegt oder keine Erfüllung verschafft, nur weil es anschlussfähig sein könnte. Sondern grade darum eine eigene Kultur wiederzubeleben, die uns selbst stärkt. Die uns Lebensfreude bringt. Die uns attraktiv für Außenstehende macht, weil wir eine Alternative zu der kaputten Kultur des Kapitalismus schaffen, die unseren Kampf sinnlich erfahrbar macht und uns emotional zusammenrücken lässt. Wenn unsere Kultur eine Subkultur ist, die nur für einen kleinen Teil der Gesellschaft ansprechend ist, dann können wir noch so offen auf die Menschen zugehen, wir können noch so überzeugt und gut organisiert sein, die Menschen werden sich nicht angezogen fühlen von unserem Weg. Als Beispiel spielt die queere Kultur in der Linken Szene eine große Rolle, während sich aber in der Gesellschaft nur ein sehr kleiner Teil der Jugendlichen damit identifizieren kann. Die Aufgabe wäre hier eine proletarische Kultur zu schaffen, welche positiv zu queeren Realtitäten steht und diese mit einbezieht, anstatt queere Realitäten zur Norm der eigenen Bewegung auszurufen.
Es ist eine sehr schöne Entwicklung, dass es in Deutschland wieder einige lokale Jugendgruppen gibt. Lokal begrenzte Ansätze laufen aber immer Gefahr vom einen auf den anderen Tag zu verschwinden und mit ihnen die gemachten Erfahrungen und aufgebauten Strukturen. Das Ziel sollte es daher sein, ähnlich wie es die Freie Arbeiter:innen Jugend (FAJ) in der Schweiz bereits versucht, eine Jugendföderation für ganz Deutschland zu schaffen. Eine solche Organisation, welche wie es in der Schweiz bereits passiert und in Deutschland historisch mit der Syndikalistisch Anarchistischen Jugend Deutschlands (SAJD) existent war, sollte unter einem einheitlichen Organisationsnamen für unsere Region auftreten. Dadurch kann eine viel größere Kampfkraft erzeugt werde, als zersprengte lokale Ansätze es je könnten. Gleichzeitig ist die Schaffung eines neuen überregionalen Föderationsapparates aber auch eine bürokratische Hürde, welche Kraft von den lokalen Ansätzen nimmt. Dass es der ASJ von 2011 nie gelungen ist über eine chaotische lockere Vernetzung hinauszuwachsen, war sicherlich einer der Gründe für ihr scheitern. Daher bedarf es einiger Vorarbeit, sowie der Entwicklung weiterer lokaler Ansätze die tragfähig sind, um die Voraussetzungen für eine formalisierte Jugendföderation zu schaffen.
Sowohl in der ASJ von 2011, als auch bei den aktuellen Jugendorganisationen ist es keine Selbstverständlichkeit, obwohl es eigentlich nahezuliegen scheint: Die Freie Arbeiter:innen Union als Mutterorganisation der Anarchosyndikalistischen Jugend sollte sich stärker um den Aufbau der Jugendorganisationen kümmern und die Jugend sollte sich stärker an der FAU orientieren. Für die Jugendorganisationen würden so auf Anhieb viele Vorteile entstehen: Wenn es formell vorgesehen ist, dass bis zu einem gewissen Alter alle Jugendlichen in der FAU sich in der lokalen Jugendorganisation die schon besteht oder zu gründen ist einbringen, dann entsteht auf Anhieb ein sehr großes Potenzial für neue Genoss:innen einer kommenden Jugendföderation. Die Jugendorganisation gewinnt an Sicherheit Kontinuität da sie in der FAU Struktur verankert wäre, so das auch in schlechten Zeiten gewonnene Erfahrungen/Strukturen konserviert werden. Die Jugendorganisation kann von den Strukturen und Erfahrungen der FAU profitieren. Beide Seiten profitieren von einem steigenden Mobilisierungspotential da sowohl die älteren Genoss:innen mal bei der Jugend vorbeischauen als auch andersherum. Eine solche Verbindung würde auch endlich eine Stimme der Jugend innerhalb der FAU Institutionalisieren und Schluss machen von dem bisherigen Kurs in der FAU was die Jugend angeht: "lass die mal einfach machen". Für die FAU selbst gäbe es natürlich auch viele Vorteile. So könnten gezielt mehr Jugendliche für den Anarchosyndikalismus erreicht werden, welche dann ab einem gewissen Alter in die FAU Arbeit wechseln. Ebenfalls würde die Kampfkraft der FAU in Ausbildungsberufen, an Schulen und Universitäten steigen. Man würde über diesen Weg neue Mitglieder gewinnen können, welche oftmals sehr aktiv und Energie geladen sind. Solange die Jugendorganisation formell Autonomie in der FAU garantiert wird, sehe ich auch nur geringe Risiken, dass von FAU Seite bei der Jugend reingequatscht wird. Mein Gedanke ist konkret: Aufbau der FAJ in Deutschland, welche in der Struktur der FAU festgeschrieben wird. Innerhalb der FAJ dann der Aufbau von Sektionen für Schüler:innen (ASS), Auszubildende, Studierende. Hier sollte sich klar an den Erfahrungen der Schweizer Jugend mit der FAJ orientiert und gelernt werden.
Anarchistischosyndikalistische Jugendorganisationen im deutschsprachigen Raum Stand Juni 2024 - beitreten und weitere Gründen!