Plattformismus

Übersicht

  1. Plattformistische Organisationen teilen folgende Werte: Einheit der Ideologie (anarchokommunistisch), einheitliche Taktik und kollektives Handeln, kollektive Verantwortung, Föderalismus und haben ein hohes Maß an formeller Grundlage in der Organisierung
  2. Der Plattformismus ist der Versuch einer Lehre aus den historischen Niederlagen der Bewegung (speziell der russischen Revolution) - der Plattformismus geht davon aus, dass ein wichtiger Grund dafür die fehlende Organisation war.
  3. Der Plattformismus stellt die Disziplin der Aktiven in den Vordergrund, sich an Vereinbarungen zu halten und diese zuverlässig zu erfüllen.
  4. Der Plattformismus war und ist stark an den Klassenkämpfen orientiert und legt damit häufig einen Schwerpunkt auf Gewerkschaftsarbeit.
  5. Formuliert eine klare Absage an individualistische Tendenzen im Anarchismus und grenzte sich bewusst von dem Bolschewismus ab.

Geschichte

  • Als ideeller wenn auch nicht faktischer Vorläufer des Plattformismus, der große Ähnlichkeiten aufweist, ist der revolutionäre Katechismus nach Michail Alexandrowitsch Bakunin zu nennen, die einen großen Einfluss in der ersten Internationale hatte.

  • Begriff geht auf den Titel eines Texts der "Gruppe russischer Anarchisten im Ausland" (die die anarchistische Zeitschrift "Dielo Truda", "Sache der Arbeiter" ab 1925 in ihrem Pariser Exil herausgab) zurück. Die „Organisationsplattform der Allgemeinen Anarchistischen Union (Entwurf)" wurde 1926 veröffentlicht.

  • Die Gruppe setzte sich aus Anarchist:innen zusammen, die sich an den revolutionären Kämpfen in Russland und der Ukraine beteiligt hatten, welche sich nach dem Sturz der Zarenherrschaft im Jahr 1917 entfalteten. Unter anderem Nestor Machno, Gregori Maximoff, Ida Mett, Pjotr Arschinoff. Sie waren vor der politischen Verfolgung der Bolschewiki, teilweise über Umwege, nach Frankreich geflüchtet. Dem Anarchismus war es nicht gelungen, eine einheitliche, schlagkräftige Linie des eigenes Agierens zu finden und seine freiheitlichen Ideale in den revolutionären Kämpfen gegen den Bolschewismus zu verteidigen. So konnte er erst von den Bolschewiki verraten, ausgebootet und schließlich (nahezu) zerschlagen werden.

  • Die russischen Anarchisten im Ausland veröffentlichten den Text 1926, um mit dieser Niederlage abzurechnen, aber auch um das "Skelett" einer neuen anarchistischen Organisation (der Allgemeinen Anarchistischen Union) zu skizzieren, die den „kläglichen Zustand der anarchistischen Bewegung“ überwinden könnte.

  • Insbesondere die organisatorischen Prinzipien waren zu dieser Zeit einfach neu und stellten eine klare Abgrenzung vom Synthetischen Anarchismus dar. Die Organisationen, die sich selbst der plattformistischen Strömung im Anarchismus zurechnen, haben gemeinsam, dass sie sich selbst (unter anderem) auf diese vier (Einheit der Ideologie, Einheit der Taktik, Kollektive Verantwortung, Föderalismus) organisatorischen Prinzipien berufen. Damit legte der Text den Grundstein für die plattformistische Strömung, wie sie sich in den nächsten Jahrzehnten entwickelte.

  • Der Text wurde in der anarchistischen Bewegung damals sehr breit diskutiert und erst einmal mehrheitlich abgelehnt. (Kritik von Berkman, Malatesta, Faure) Dabei sorgte eine fehlerhafte Übersetzung des Dokuments auf französisch durch Volin für viele Missverständnisse, von denen viele im Verlauf ausgeräumt werden konnten.

  • Neben dem Text von 1926 der Dielo Truda sind hier noch die »Los Amigos de Durruti« (Die Freunde Durrutis) zu nennen, welche im Kontext der spanischen Revolution von 1936 den reformistischen Kurs von Teilen der anarchistischen Bewegung kritisierten und für einen Konsequenten Kampf in einem plattformistischem Sinne plädierten.

  • Speziell ab den 1980 Jahren entwickelten sich organisatorische Ansätze des Plattformismus, die teils bis heute Bestand haben, wie Zabalaza Anarchist Communist Federation in Südafrika, Alternative libertaire - jetzt Union Communist Libertaire (Frankreich) oder Federazione dei Comunisti Anarchici (Italien).

  • 2005 wurde mit anarkismo.net eine internationale plattformistische Webseite ins Leben gerufen, aus der heraus sich ein weltweites Netzwerk mit zu Hochzeiten 20 nationalen Organisationen und lokalen Gruppen in 14 Ländern auf vier Kontinenten, entwickelte.

Die wichtigsten Eckpunkte

Einheit in den Grundsätzen des Inhalts, der Strategie und der Praxis

Der Plattformismus geht davon aus, dass nur mit einer gemeinsamen theoretischen Grundlage aller beteiligten Personen und Zusammenschlüsse sich inhaltliche Beliebigkeit/Profillosigkeit sowie organisationsinterne Widersprüche vermeiden lassen.

Die Ideologie ist eine Kraft, die die Aktivität einzelner Personen und einzelner Organisationen auf einen bestimmt Weg hin zu einem bestimmten Ziel richtet. Sie muss selbstverständlich einheitlich für alle Personen und Organisationen sein, die sich an der gemeinsamen Union beteiligen. Die Aktivität der Allgemeinen Anarchistischen Union muss sowohl im Allgemeinen als auch im Detail den von ihr bekundeten ideologischen Prinzipien genau entsprechen. > > Die taktischen Methoden, die von einzelnen Mitgliedern oder Gruppen der Union angewandt werden, müssen einheitlich und genau abgestimmt sein, sowohl miteinander als auch mit der allgemeinen Ideologie und Taktik der Union. Eine einheitliche taktische Linie der Bewegung ist von entscheidender Bedeutung für das Leben der Organisation und der ganzen Bewegung: Sie rettet die > Bewegung aus dem saugenden Sumpf der zahlreichen, gegenseitig zerstörerischen Taktiken und versammelt alle Kräfte auf einer bestimmten Linie, die zu einem bestimmten Ziel führt.

(Aus „Organisationsplattform der Allgemeinen Anarchistischen Union (Entwurf)")

Kollektive Verantwortung

Der Plattformismus geht davon aus das, dass Ziel die befreite Gesellschaft aufzubauen, nur als kollektiver Prozess umsetzbar ist. Individuelle Alleingänge widersprechen diesem Prinzip. Mitglieder einer plattformistischen Organisation tragen eine gemeinsame Verantwortung für alle Aktivitäten. Dies bedeutet, dass jedes Mitglied hinter allen Tätigkeiten der Organisation steht. Und dass alle Mitglieder der Organisation Verantwortung für das Gelingen und Umsetzen der Aufgaben jedes einzelnen Mitglieds übernehmen.

Föderalismus

Zentralistische Organisationsformen lehnt der Plattformismus ab, da sie strukturelle Hierarchien, Unterwerfung sowie Fremdbestimmung produzieren, indem Entscheidungen von wenigen getroffen werden, alle anderen aber davon ohne Mitspracherecht betroffen sind. Anstelle von Zentralismus soll die anarchistische Organisation nach den Prinzipien des (anarchistischen) Föderalismus aufgebaut sein: Im Zusammenschluss kleiner, dezentraler Einheiten, welche ihr Handeln auf das Erreichen gemeinsamer Ziele ausrichten. Grundlage der gemeinsamen Zusammenarbeit der Organisation ist die freiwillige Vereinbarung. Mittels delegierter Personen der kleinen Einheiten, die mit einem imperativen Mandat ausgestattet sind, werden Entscheidungen auf übergeordneten Ebenen getroffen. So hat jedes Mitglied der Organisation, die Möglichkeit sich an Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Durch die Verbindung der Idee von Unabhängigkeit und Souveränität des Individuums mit der freiwilligen Verpflichtung auf gemeinsam geteilte Ziele hinzuarbeiten, erwächst eine Balance zwischen Autonomie und Einheitlichkeit.

Verantwortungsbewusstsein / Disziplin

Im Plattformismus geht es nicht um die Art von Disziplin wie beim Militär, als ein von oben aufgezwungenes Konstrukt, sondern als ein von unten selbst gewolltes Verfahren aller beteiligten Mitglieder. Es geht also um einen Prozess, der aus dem Inneren der Aktiven kommt, die sich dann bewusst für eine Organisierung entscheiden, die Verantwortungsbewusstsein als Grundlage hat. Es handelt sich um eine Einstellung zu unserem Kampf, in der es den Aktiven nicht als lästig erscheint, gewisse Aufgaben erledigen zu müssen, sondern sie die Notwendigkeit dazu erkennen und deshalb auch eine Dynamik dafür entwickeln.

Formelle Organisierung

Plattformistische Organisationen haben eine klare formelle Struktur. In jeder Organisation gibt es wichtige, sich oft wiederholende Aufgaben, wie das Verwalten der Finanzen, einer Webseite oder das Betreuen einer E‐Mail‐ Adresse. Für diese wiederkehrenden Aufgaben gibt es in plattformistischen Organisationen klar definierte Aufgabenbereiche und feste Zuständigkeiten. Gleichzeitig sollen alle teilnehmenden an der Organisierung anstehende Aufgaben als kollektiven Prozess der gesamten Gruppe/Organisation verstehen. So kann nicht nur verhindert werden, dass in manchen Punkten ein Spezialistentum zu einer Hierarchisierung oder Abhängigkeit der Organisation von einzelnen Aktivist:innen führt; oder dass sich einzelne überarbeiten. Es entspricht auch am ehesten der anarchistischen Vorstellung, sich selbst zu befähigen und die Selbstorganisation zu erhöhen. Es soll nicht verschleiert werden, dass es auch in anarchistischen Organisationen so etwas wie „Kader“ gibt. Anstatt einer oft still geduldeten „Autorität“ von Kadern sollen diese Aktiven bewusst benannt werden. Wer beispielsweise gut darin ist, Reden zu halten, Leute mitzureißen und Inhalte charismatisch zu vermitteln, sollte auch genau eine solche Funktion, die seinen Fähigkeiten entspricht, für alle transparent ausführen. Das bedeutet nicht, dass andere sich nicht auch schulen sollten und sich ausprobieren können. Aber es bedeutet, die Fähigkeiten der jeweiligen Aktiven anzuerkennen und einen offensiven Umgang mit informellen Hierarchien in den eigenen Reihen zu führen.

(Teile der Textfetzen sind aus: "Über die Bedingungen, unter denen wir kämpfen und den Zustand der anarchistischen Bewegung im deutschsprachigen Raum – Die Schaffung einer revolutionären plattformistischen Organisation" von die plattform - anarchakommunistische Föderation, übernommen.)

Wichtige Persönlichkeiten/Organisationen der Idee

  • Nestor Machno - zu Machno
  • Ida Mett
  • Gregori Maximoff
  • Pjotr Arschinoff
  • Wayne Price
  • Lucien Van der Walt
  • Georges Fontenis

Medienübersicht

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