Über den Kampf unserer Landwirt:innen


Fachwerkhuette
Aktuelles Landwirtschaft Solidarität

Die Sonne steht über der Berliner Innenstadt am 26. November 2019 und die Straßen sind voll. Sehr voll. Doch damals sind es noch nicht die Aktivist:innen der Letzten Generation, die sie blockieren, um auf ihre aussichtslose Lage in dieser Welt aufmerksam zu machen. Es sind achttausend Traktoren, die wie eine Horde Elefanten durch die Straßen trotten, geführt von Landwirt:innen aus Städten mit achttausend Einwohner:innen, die - auf ihre aussichtslose Lage in dieser Welt aufmerksam machen. Sie demonstrieren.

Wir wissen nicht, wie es den zukünftigen Aktivist:innen der Letzten Generation bei diesem Anblick geht. Vermutlich sind sie überrascht und wissen nicht, was es mit dem Schauspiel der brummenden Metallbestien auf sich hat. Selbst von den politisch Interessierten wissen nur wenige in der Stadt, was für ein Konflikt hier zum Vorschein kommt. Es ist, zumindest bei uns im ländlichen Nordhessen, einer der wichtigsten andauernden politischen Konflikte überhaupt.

Vermutlich sind unter den Aktivist:innen aber auch solche, die auf dem Land aufgewachsen sind, und wie viele Jugendliche links von der SPD bei nächster Gelegenheit in die Hauptstadt geflohen sind. Dann wäre es in gewisser Weise ihre Vergangenheit, die sie einholt. Sie haben das Land hinter sich gelassen, sind vor den konservativen Landwirt:innen geflohen und machen nun ihren Aktivismus in der Stadt, wo sie die Leute um sich herum nicht mehr überzeugen müssen. Das ging dann auch eine Weile gut so. Bis der Tag kam, an dem die Landwirt:innen wieder direkt vor der Tür standen, um mit ihnen über Politik zu reden. Am 26. November 2019 war es soweit.

Doch zu diesem Gespräch kam es fast gar nicht. Die Traktoren sind wieder gefahren, bevor das Thema in unseren linken Kreisen richtig angekommen ist, das heißt, entsprechend seines riesigen Ausmaßes und von mehr als einer Seite behandelt wurde. Für genau solche Themen haben wir das Fachwerkhütte-Kollektiv gebildet, das sowohl die ländliche, als auch die anarchistische Seite kennt und von beiden berichten kann. Es folgt also unsere eigene Einschätzung, was es mit den Protesten auf sich hat, warum sie ihr größtes Ausmaß noch nicht erreicht haben könnten, und was unsere Rolle als Anarchist:innen bei all dem sein sollte.

Fassen wir es zunächst ganz kurz zusammen: der immer noch anhaltende Konflikt liegt zwischen unseren Landwirt:innen und der Grünen Partei. Auf der einen Seite stehen traditionelle Familienunternehmen und ihre Verwandten, Nachbar:innen, Bekannten und Sympathisant:innen. Auf der anderen Seite steht der aktuelle politische Kurs zur Ökologie, der eher auf Verbote als Anreize setzt und auf EU-, Bundes- und Landesebene vor allem von der Grünen Partei durchgesetzt wird. So wird der Konflikt jedenfalls dargestellt.

Es geht, ganz kurz zusammen gefasst, darum, dass Die Grünen unsere Landwirt:innen durch Gesetze und Auflagen zu Gunsten des Klimaschutzes einschränken, und diese das eben nicht wollen. Es geht um Düngemittel, Pestizide, Schlachtung, Kastrierung, Insekten, Antibiotika, Wölfe, grünes Band, Produktkennzeichnung. Alle paar Monate werden den Landwirt:innen hier neue Vorgaben gemacht, die ihre Arbeit aufwendiger und vor allem teurer machen.

Wir kennen den Konflikt hier in Hessen schon lange, wo die Grünen seit 2014 Teil der Landesregierung sind. Viele Gesetze kommen nun aber auch auf EU-Ebene, und seit 2021 sind die Grünen auch noch Teil der Bundesregierung

Man könnte denken, es handelt sich hier um gewöhnliche Klimapolitik, die eben notwendig ist, bei der aber nicht alle mitmachen wollen. Es gibt genug andere Beispiele für Berufs- und Bevölkerungsgruppen, die ihren Teil zum Klimaschutz nicht beitragen wollen. Aber es geht hier - anders als beispielsweise beim Tempolimit - nicht darum, dass die Bauern (1) schlichtweg keine Lust darauf haben. Zugegeben, es geht hier mal wieder ums Geld. Aber eben nicht um das von Großkonzernen: Unsere Landwirt:innen haben mittlerweile zurecht Angst darum, ihren Hof zu verlieren. Viele sind davon nämlich nicht mehr weit entfernt oder mussten sich bereits einen neuen Beruf suchen.

Schauen wir uns einmal um: In vielen Regionen Deutschlands sind es eben nicht die traditionellen Familienbetriebe, die es bei uns zu hause noch gibt. Dort haben sich einzelne Konzerne durchgesetzt, die unzählige Höfe gleichzeitig betreiben, koordinierter vorgehen, profitorientierter handeln und von einer Führungsebene aus Großkapitalisten geführt werden. Im Gegensatz dazu sind die meisten Landwirt:innen bei uns in Nordhessen immer noch echte Bauern, echte Proletarier:innen, die eben nicht so analytisch und profitorientiert sind, weniger Kapital als Krisenschutz haben, und die von jedem einzelnen Verbotsgesetz, das die Regierungen verabschieden, wirklich existenzbedroht sind.

Das macht den Grünen aber nicht aus. Sie haben keine Sympathien für die Bauern, und wünschen sich sowieso eine zentralisierte, progressive und starke Wirtschaft, die ihre „Verbotspolitik“ tragen kann. Auch zugunsten des Umweltschutzes.

Es ist also nicht der Umweltschutz, der unsere Landwirte bedroht, sondern der „grüne“ Kapitalismus.

Den Landwirt:innen liegt es nicht am Herzen, die Umwelt zu belasten. Natürlich nicht. Es gibt wenige Berufsgruppen, die so sehr an Pflanzen und Tier interessiert sind, ob auf dem eigenen Hof oder anderswo. Es geht ihnen nur darum, ihren Hof und Beruf zu behalten, obwohl der Markt sie bedroht; sie zu effizienteren, moralisch fragwürdigeren oder ökologisch schädlicheren Methoden zwingt. Für alle Klassenbewussten, die sich nicht zusammen mit den Grünen der Unterdrückerklasse anschließen wollen, ergibt sich hier scheinbar folgendes Dilemma: Entweder konsequenter Umweltschutz, oder konsequenter Antikapitalismus.

Bevor wir uns diesem Dilemma stellen, möchten wir kurz mehr über die Protestbewegung selbst sagen. Die ist nämlich nicht sozialistisch, und sieht den Konflikt deshalb nicht wie wir beim Kapital, sondern bei der Politik. Der Hessische Bauernverband, das Sprachrohr vieler hessischer Landwirt:innen, widmet diesem Konflikt den größten Teil in ihrem letzten Tätigkeitsbericht:

[D]as Jahr 2022 hat unserer Gesellschaft in Zeiten von Krieg, Klimawandel und ausklingender Pandemie den hohen Stellenwert unserer Landwirtschaft neu vor Augen geführt – trotzdem sind die Anforderungen der Politik und Gesellschaft an uns nicht weniger geworden. Im Gegenteil […] Der Hessische Bauernverband hat in zahlreichen Schreiben, Stellungnahmen, Positionspapieren und Gesprächen die politisch Verantwortlichen in Bund und Land immer wieder darauf hingewiesen, dass eine Politik der Verbote und Auflagen die Zukunftsfähigkeit landwirtschaftlicher Betriebe gefährdet.

Der Frust ist immens, und die Formulierungen des Bauernverbandes sind noch gemäßigt. Schärfer formuliert es das Bündnis Land schafft Verbindung (LsV), das sich 2019 aus einer Facebook- Gruppe gründete, und noch im selben Jahr den riesigen Protest aus der Einleitung dieses Textes organisierte. Es war ihr größter Protest bisher, doch auch danach haben sie mehrmals deutsche Großstädte mit hunderten Traktoren lahmgelegt, zuletzt im August 2022 in Bonn. Ganz zu schweigen von den unzähligen mittelgroßen Aktionen in unseren Kleinstädten.

Diese Proteste werden auch nicht enden, solange es die Regierungen nicht schaffen, eine gerechte Klimawende zu organisieren. Mit jedem neuen Gesetz steigen Frust und Wut, und das wird erst recht nicht abnehmen, wenn vermehrt Landwirt:innen dann tatsächlich ihren Hof aufgeben müssen. Es bräuchte eine nachhaltige Entschädigung und Existenzabsicherung für alle Landwirt:innen Europas, um die Proteste zu beenden, aber weil keiner Partei etwas daran zu liegen scheint, werden die Proteste weiterhin intensiver werden.

Doch auch wenn sie Gesetze für den Klimaschutz in der Landwirtschaft prinzipiell ablehnen, stellt auch LsV sehr klar, dass sie nichts generell gegen Klimaschutz haben, und bekennen sich zur sozialen Marktwirtschaft und der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Dass sie das tun mussten impliziert natürlich, dass auch sie nicht das radikalste Ende der Bewegung sind.

Dieses könnte stattdessen bei den unzähligen Neonazis liegen, die sich den Protesten angeschlossen haben. Sie sehen in ihnen den Anfang eines Bürgerkrieges, in dem sich das ‚deutsche Landvolk‘ von den Eliten das zurück holt, was ihm gehören sollte.

Ein radikales Ende von Sozialist:innen, die in den Protesten den Anfang einer Revolution sehen, in der sich die unterdrückte Klasse von der Unterdrückerklasse das zurück holt, was ihm gehören sollte, gibt es jedenfalls nicht. Liegt das daran, dass man Querfront verhindern möchte, oder ist das ein echtes Versäumnis der großteils komplett von Proletariat und Landvolk getrennten Linken? Vielleicht liegt es daran, dass so viele Jugendliche links von der SPD bei nächster Gelegenheit in die Hauptstadt fliehen.

Dabei war die Enteignung der Großgrundbesitzer:innen, um das Land von lokalen Landwirt:innen bewirten zu lassen, nicht nur ein Aspekt von vielen, sondern ein Grundpfeiler bei den Kommunist:innen in Russland und den Anarchist:innen in der Ukraine, bei den autoritären Sozialist:innen in Kuba und den libertären Sozialist:innen in Chiapas, Mexiko. Heute und in Deutschland tun die Sozialist:innen aber so, als hätten sie die Unterstützung der Bauern nicht nötig. Woran es wohl liegen könnte, dass eine sozialistische Massenbewegung heute undenkbar in Deutschland ist?

Schwer würde es einem nicht fallen, einen linken Ansatz zu finden. Diesen Januar erst rollten in Berlin die Traktoren von Wir haben es satt!, die sich zwar gegen Massentierhaltung und für mehr Umweltschutz einsetzen, aber gleichzeitig für gesundes, bezahlbares Essen und traditionelle Familienhöfe eintreten. Es waren nicht achttausend, sondern nur sechzig Traktoren, aber obwohl es ein progressives, liberales und linkes Bündnis ist, stehen unsere Landwirt:innen ihm nicht kritisch gegenüber. Es fehlen allerdings konkrete Vorschläge und Perspektiven, wie man erreichen will, dass sich ihre Forderungen nicht gegenseitig ausschließen.

Auch wir können innerhalb des aktuellen Rahmens keine Lösung für unser Dilemma finden. Vielleicht könnte man die Familienhöfe finanziell unterstützen und Preise regulieren, aber dann bezahlt wieder das Volk anstatt der Verantwortlichen, und eine echte, langfristige Lösung wäre das auch nicht, sondern nur ein Wundpflaster. Was uns übrig bleibt ist, in anarchistischer Manier weit auszuholen und eine komplett neue Gesellschaft zu prophezeien:

Nehmen wir nämlich an, wir würden heute schon in einer anarchistischen Gesellschaft leben – oder in einer Gesellschaft, die sich dieser annähert, oder aus anderen Gründen plötzlich sozial und freiheitlich wurde. Dann gäbe es die restriktiven Gesetze nicht, die Familienbetriebe würden weiter existieren und die Großkonzerne, die sie bedrohen, hätten sich nie gebildet.

Das Problem des Klimaschutzes, des Arten- und Umweltschutzes und das der Tierrechte bleibt. Um es zu lösen, würde es keine landesweiten Gesetze geben. Wir stellen uns das stattdessen so vor: Weil sie nicht international konkurrenzfähig sein und sich nicht an ausgedachten Zahlen orientieren müssen, und weil sie nur für die eigenen Leute anbauen und nicht für die Supermärkte überproduzieren müssen, würden die Landwirt:innen selbst die ersten Schritte in Richtung Umweltschutz gehen. Immerhin wissen sie ja darüber Bescheid, wie groß das Problem ist, und dass sie es sind, die es anpacken müssen, und sich kein Staat über ihre Köpfe hinweg darum kümmert.

Wobei das Problem nicht nur bei ihnen alleine liegen würde. Das gesamte Kollektiv, oder der Zusammenschluss oder die Kommune oder wie man es auch nennen will, müsste sich damit auseinandersetzen, was es selbst, bei sich vor Ort, für die Umwelt tun kann. Wenn nicht aus internationaler Solidarität und Pflichtbewusstsein, dann deshalb, weil es jetzt ihr eigener Boden ist, den sie zerstören, ihr eigenes Grundwasser, das sie verunreinigen, ihre eigenen Tiere, die sie schlecht behandeln und ihr eigenes Essen, das Giftstoffe enthält. Sie würden freiwillig ihr bestes tun, und mehr könnte keine Politik von ihnen verlangen.

Natürlich kann man jetzt müde lächeln und sagen, dieses Konzept bringe uns auch nicht weiter. Wir leben eben nicht in einer anarchistischen Gesellschaft, und dass sich das ändern kann ist heute undenkbar in Deutschland. „Anarchismus ist kein Utopismus“, sagen die, die vergessen haben, dass Anarchismus mal revolutionär war. Dass er ohne solche Perspektiven nie erfolgreich, und vom Defätismus normalerweise weit entfernt war. Auch wenn es heute undenkbar erscheint. Es hat sich viel verändert, seit Sozialist:innen noch bodenständige Proletarier:innen waren, und bodenständige Proletarier:innen einfach für den Sozialismus zu begeistern waren. Wir sollten unser besten tun, diese Veränderungen wieder abzubauen. Werden Gespräche führen und Texte schreiben. Werden versuchen, unseren Landwirt:innen klar zu machen, dass es mit den Grünen nicht „Die Ökos“ oder gar „Die Linken“ sind, die sich zu ihrem Feind erklärt haben. Es ist das Kapital, das durch die Bundesregierung spricht, welches proletarische Familienbetriebe aufgrund ihrer Ineffizienz nicht duldet. Wir müssen uns dazu auch gar nicht wie die Neonazis den Bauerndemos anschließen. Die Bewegung hat sich oft genug gegen eine Politisierung von außen ausgesprochen, und das müssen wir respektieren – auch wenn wir von uns sagen würden, für eine rein „apolitische“ Revolution einzustehen.

Viel eher sollten wir den Bezug auf die lokalen Landwirt:innen in unsere bereits bestehenden Aktionen einbauen. Sollten uns öffentlich mit ihnen solidarisieren, auf ihre Kämpfe aufmerksam machen, ihnen in Rede- und Schriftbeiträgen für ihre Arbeit danken, sie konkret ansprechen. Und wir müssen das Wort „Bauern“ endlich als Kompliment, als ehrenwert und ehrlich verstehen, statt als ungebildet und einfältig. Nur auf diese Wege können wir authentisch und langfristig Verbindung und gegenseitige Akzeptanz zwischen Landwirt:innen und Anarchist:innen schaffen, die sich in ihren Kämpfen so viel besser unterstützen könnten, als beiden Seiten im Moment bewusst ist. Darum:

Solidarität mit unseren Landwirt:innen! - Krieg den Großkonzernen! - Es lebe der Anarchismus!

Fußnote:
(1) Wir haben in diesem Artikel darauf verzichtet, das Wort Bauer zu gendern, denn Versionen wie Bäuer:innen klingen nicht nur übermäßig künstlich und umständlich, sondern zerstören auch alle positiven wie negativen Assoziationen, die zu dem Wort bestehen und in diesem Kontext durchaus gewollt sind. Bei der nächsten (insg. zweiten) Verwendung dieses Wortes sollte recht klar werden, was wir meinen.

Fachwerkhütte

Alle nachhaltigen Revolutionen wurden von den ländlichen Regionen getragen. Gerade anarchistische Revolutionen wie die in der Ukraine oder Chiapas sind hierfür ein ausgezeichnetes Beispiel. Wie kommt es also, dass der heutige Aktivismus im deutschsprachigen Raum sich so wenig um alles außerhalb der Großstädte kümmert?

Fachwerkhütte ist ein kleines Textprojekt mehrerer Anarchist:innen aus dem ländlichen Nordhessen, das sich darauf spezialisiert hat, an dieser momentan noch schwierigen Beziehung vom Anarchismus zum Land zu arbeiten. Wir möchten ländliche Themen und Perspektiven vermitteln und dabei auch keine Gelegenheit auslassen, (konstruktive) Kritik an allen unseren Verbündeten im Kampf gegen die Unterdrückung zu üben.

Es lebe der Anarchismus!

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