Eine starke Volksmacht schaffen - Beiträge zur Diskussion über die Macht des Volkes


anarchismus.de Kollektiv Sadi
Theorie Lateinamerika

"Ein starkes Volk braucht keine Führer"
Emiliano Zapata

Inhalt

  1. Die Strategie der sozialen Transformation
  2. Die politische Frage
  3. Die Macht des Volkes in Lateinamerika
  4. Das Konzept der Macht
  5. Die Macht des Volkes
  6. Macht des Volkes und Strategie
  7. Abschluss und Konkretisierung der Debatte
  8. Quellenangaben

1. Die Strategie der sozialen Transformation

Um die Diskussion über die Macht des Volkes zu beginnen, ist es wichtig, auf die Strategie der sozialen Transformation zurückzukommen, da unsere politische Praxis als Anarchisten das ist, was auf diese Transformation abzielen könnte. Im Programm der Federação Anarquista do Rio de Janeiro (FARJ) heißt es über die Strategie der sozialen Transformation:

 "In diesem Text versuchen wir, unsere Strategie der sozialen Transformation vorzustellen. Zunächst wird über die erste Frage [Wo stehen wir?] reflektiert und der Kapitalismus und der Staat, die dieser Gesellschaft von Herrschaft und Ausbeutung ihre Form geben, abgebildet. Dann wird über die zweite Frage [Wohin wollen wir?] nachgedacht und versucht, unsere Endziele der sozialen Revolution und des libertären Sozialismus zu formulieren. Und schließlich gibt es noch die dritte Frage [Wie können wir von dort wegkommen, wo wir sind, und dorthin gelangen, wo wir hinwollen?] in der wir eine soziale Transformation vorschlagen, die von sozialen Bewegungen ausgeht, die sich in Volksorganisationen bildet und in ständiger Wechselwirkung mit anarchistischen Organisationen steht. Bei all dem stehen die Interessen der ausgebeuteten Klasse im Vordergrund. Hinter der Konzeption all dieses theoretischen Materials steht also eine strategische Überlegung." [1]

Daher basiert die von uns konzipierte Strategie auf Volksbewegungen (Massenbewegungen), auf ihrer Organisation, der Akkumulation von Kräften und der Anwendung von Gewalt mit dem Ziel, die Revolution und den libertären Sozialismus zu erreichen. Dieser Prozess findet in Verbindung mit der especifistischen anarchistischen Organisation statt, die als Katalysator dieses Prozesses in Verbindung mit der Masse agiert und die Bedingungen für die Transformation schafft. Diese beiden Ebenen (die Volksbewegungen und die anarchistische Organisation) könnten durch eine dritte Ebene ergänzt werden: die Ebene der Tendenzgruppe, die den Volksbewegungen einen verwandten Sektor hinzufügt. Man könnte also sagen, dass der Weg zum Aufbau dieser sozialen Transformation mit unserer Vorstellung von konzentrischen Kreisen zusammenhängt:

"Das grundlegende Konzept der libertären politischen Organisation sind konzentrische Kreise. Dieses Konzept ist einfach und erfordert unterschiedliche Formen von Aktivitäten und Engagement. Die politisch-especifistische Ebene entspricht der ideologischen Ebene und betrifft die politisch organisierten Militanten [die especifistische anarchistische Organisation]. Da diese Organisation keine Massenorganisation ist, hat sie keine offene Mitgliedschaft. Es versteht sich, dass die politisch-soziale und gesellschaftliche Ebene groß und offen für alle Aktivisten sein muss. Die politisch-soziale Ordnung entspricht einem verwandten Sektor, der einen Organisationsstil teilt, aber nicht unbedingt Anhänger im ideologisch-doktrinären Sinne ist [die Tendenz]. Die gesellschaftliche Ebene im eigentlichen Sinne entspricht der Gesamtheit der unterdrückten Klasse, dem verallgemeinerbaren Begriff des Volkes als Ganzem. Sie entspricht den allgemeinen Bereichen des Klassen- und Volkskampfes, der die Organisation des sozial-produktiven Gefüges liefert, das die Säule und das Fundament der Macht des Volkes [die Volksbewegungen] ist.“ [2]

Eine Diskussion über die Macht des Volkes muss daher eine Reihe von Voraussetzungen berücksichtigen. Erstens, dass der Kapitalismus eine Klassengesellschaft ist und dass daher der Klassenkampf ein zentraler Aspekt sein muss. Zweitens, dass die Mobilisierung der ausgebeuteten Klassen und die Massenkämpfe des Volkes unverzichtbar sind, da sie sich auf Bedürfnisse, Willen und Organisation stützen und die Widersprüche dieses Klassensystems offenlegen. Schließlich muss bei der Diskussion über die Macht des Volkes der Grundgedanke berücksichtigt werden, dass die gesellschaftliche Umgestaltung auf dem Protagonismus dieser Bewegungen beruhen muss, d. h. auf dem Protagonismus des organisierten Volkes - was diesen Ansatz von anderen unterscheidet, die die Transformation als das Werk einer Avantgardepartei oder als Ergebnis der Aktion einer von der Basis isolierten Minderheit betrachten (wie im Fall des aufständischen Anarchismus - Propaganda der Tat - oder des Foquismus).

2. Die politische Frage

Politik muss über den Staat hinaus verstanden werden. Während viele Bereiche Politik strikt mit dem Staat in Verbindung bringen, gehen wir davon aus, dass Politik auf eine andere Art und Weise viel mehr als das ist, da sie die Machtverhältnisse in der Gesellschaft - was sie direkt mit Machtfragen verbindet - und die Verwaltung der sozialen Angelegenheiten - was die Frage von Entscheidungen und damit der Politik einschließt - berücksichtigt. In diesem Fall würden die politischen Beziehungen der Gesellschaft all diejenigen verschiedenen Kräfte umfassen, die eine Rolle in der Gesellschaft spielen. Für eine Analyse der heutigen Gesellschaft ist es zudem notwendig, die Kraft zu verstehen, die die größte Rolle spielt: den Klassenkampf, in dem die ausgebeutete Klasse (städtische Arbeiter, Landarbeiter, Bauern, prekäre Sektoren usw.) in ständigem Konflikt mit der unterdrückenden Klasse (städtische und ländliche Eigentümer, Verwalter usw.) steht, die im Staat einen ihrer Verbündeten hat.

Um auf unsere Strategie in Bezug auf diesen Kampf zurückzukommen, beabsichtigen wir, die soziale Macht der ausgebeuteten Klasse zu erhöhen und sie zu organisieren, um ihre Kraft in den Kampf einzubringen, d.h. um die Macht des Volkes aufzubauen.

Im Gegensatz zu dem, was die autoritären Sektoren betonen, haben die Massenbewegungen für uns nicht nur die Fähigkeit zu einem kurzfristigen wirtschaftlichen Kampf. Wir gehen vielmehr davon aus, dass es möglich ist, in der wirtschaftlichen Organisation um Bedürfnisse einen Kampf zu entwickeln, der politische Elemente enthält, um zu erreichen, dass diese Bewegungen Protagonisten beim Aufbau einer neuen Gesellschaft werden.

3. Die Macht des Volkes in Lateinamerika

Aus den Informationen, die wir einholen konnten, geht hervor, dass das Konzept der Macht des Volkes relativ neu ist, auch wenn es sich etwa in Klassikern von Proudhon oder Bakunin wiederfinden lässt, die auf dieser Analyse von sozialer Macht im Konflikt basieren.

In Lateinamerika gibt es zwei Hauptquellen, die den Ausdruck der Macht des Volkes seit den 1960er Jahren verwendet haben. Erstens die Federación Anarquista Uruguaya (FAU), die seit den 1960er Jahren die Notwendigkeit ein starkes Volk zu erschaffen forderte und um 1970 in "La Organización Política es lo Decisivo" (Politische Organisation ist das Entscheidende) Folgendes feststellte:

“Das Machtproblem, das für eine tiefgreifende soziale Veränderung entscheidend ist, kann nur auf der politischen Ebene, durch politischen Kampf, gelöst werden. Dies erfordert eine spezifische Form der Organisation: die revolutionäre politische Organisation. Nur durch ihr in den Massen verwurzeltes Handeln kann die Zerstörung des bürgerlichen Staatsapparats und das Ersetzen desselben durch Mechanismen der Macht des Volkes erreicht werden. Formen der Macht, der Staat, befinden sich auf einer bestimmten Ebene der gegenwärtigen Gesellschaftsstruktur. Obwohl sie natürlich in einer wechselseitigen Beziehung zu den anderen Ebenen der sozialen Wirklichkeit (Wirtschaft, Ideologie usw.) stehen, können sie nicht einfach auf diese reduziert werden. Konkret bedeutet dies, dass die politische Tätigkeit nicht auf wirtschaftlichen Kampf, auf gewerkschaftliche Praxis reduziert werden darf [...]." [3]

Der Movimiento de Izquierda Revolucionaria (MIR) in Chile erklärte in den 1970er Jahren Folgendes:

"Wir begreifen die Macht des Volkes als eine von der aktuellen Regierung unabhängige Macht [...], als eine autonome Macht, die alle sozialen Sektoren (Arbeiter, Studenten, Bauern, Angestellte, Kleingewerbetreibende) einer bestimmten Kommune vereint, wobei wir dies als die organisatorische Zelle der gesamten Stadt oder Region betrachten. [...] Die Aufgabe der Arbeiterklasse ist es, den kapitalistischen Staat zu zerstören, und dazu muss sie die Macht des Volkes entwickeln, die sich progressiv der Macht der Bosse entgegenstellen muss [...] Die Macht des Volkes wird nicht einfach so erschaffen. Sie wird in der Hitze des Kampfes geboren und gestärkt. [...] [Das] Problem der Kumulierung von Kräften muss berücksichtigt werden. Eine vorrevolutionäre Periode impliziert eine besondere Form der Sammlung von Kräften durch den Zusammenschluss aller Schichten des Volkes [...] in Organisationen der Macht des Volkes. Diese werden im Laufe der sozialen Auseinandersetzungen ein solides Klassenbündnis schmieden und aus diesem heraus zu einer revolutionären Situation heranreifen, die es der Arbeiterklasse ermöglicht, die Macht zu ergreifen." [4]

Doch damals wie heute verstanden die Akteure, die die Macht des Volkes für sich beanspruchten, unterschiedliche Dinge unter diesem Begriff, wie wir im Folgenden sehen:

"Wir glauben, dass die Idee der Macht des Volkes, die in den 1960er und frühen 1970er Jahren so in Mode war, das Fortbestehen einer libertären Tradition im Untergrund innerhalb der Linken widerspiegelt. Es sei jedoch daran erinnert, dass der Begriff "Macht des Volkes" unterschiedlich interpretiert wurde: Während für die konservativeren Anhänger der Unidad Popular die Macht des Volkes nur Unterstützung der Regierung bedeutete, da sie sich keinen Weg außerhalb der Regierung oder gegen den Staat vorstellen konnten (vielleicht weil sie sich keine Bewegung vorstellen konnten, die über bloße Reformen hinausging), bedeutete die Macht des Volkes für die Arbeiter- und Volksbasis und für die Mirista-Kultur die direkte Organisation des Volkes in Opposition zum Staat und zur bürgerlichen Macht. Welche Bedeutung ihr gegeben wurde, ob taktisch oder strategisch, ist ein anderes Thema. Viele Sektoren, die die Macht des Volkes auf diese Weise verstanden, wiesen ihr nur eine Rolle im Kampf gegen den Staat zu, glaubten aber, dass sie eine untergeordnete Position einnehmen sollte, wenn die revolutionäre Partei die Macht erobert hatte. Für die Sektoren der Basis des Mirismo und in Verbindung mit den Erfahrungen mit dem Volksaufbau in den Comandos Comunales und den Cordones Industriales sollten dies die Grundlagen der zukünftigen Gesellschaft sein". [5]

Es zeigt sich also, dass die Macht des Volkes von Anfang an ein umkämpftes Konzept war, genau wie der Sozialismus oder der Anarchismus selbst. Für die FAU sollte die Macht des Volkes in den Volksbewegungen aufgebaut und durch eine anarchistische politische Organisation stimuliert werden. Ein weiteres wichtiges Element, das auftaucht und das von der FAU Jahre später hervorgehoben wird, ist die Anfechtung des Konzepts von Infra- und Suprastruktur, wobei geleugnet wird, dass die wirtschaftliche Transformation das gesamte Problem der Macht, das auch in anderen Fällen auftritt, lösen könnte.  Für die MIR entsteht die Macht des Volkes im Kampf der ausgebeuteten Klassen, unabhängig von der Regierung, mit dem Ziel, Kräfte zu sammeln, um den Staat und das Kapital zu stürzen und dem Volk alle Macht zu geben. In beiden Positionen erkennen wir die Idee, die auch im revolutionären Syndikalismus präsent ist, dass in der gegenwärtigen Gesellschaft, inmitten von Kämpfen, der Keim der zukünftigen Gesellschaft entsteht.

4. Das Konzept der Macht

Viele Anarchisten waren in der Vergangenheit bestrebt zu sagen, dass Anarchisten gegen Macht sind, wobei sie Macht oft mit dem Staat oder Herrschaft in Verbindung brachten. Für viele Anarchisten unserer Strömung, die theoretische Ausarbeitungen in Hinblick auf Autoren vorgenommen haben, die sich einige Zeit später mit diesem Thema befasst haben, ist Macht jedoch mit der Frage nach den sozialen Kräften die im Spiel sind verbunden und kann gut oder schlecht sein - je nachdem, wie sie beurteilt wird. Betrachten wir noch einmal zwei gute Definitionen, die dem, was als Macht verstanden werden könnte, nahe kommen. In einem gemeinsamen Dokument zu diesem Thema erklären die Federación Anarquista Gaucha (FAG) und die FAU:

"Es ist klar, dass uns dies zur Bearbeitung eines anderen Begriffs führt: der Macht. Ein unverzichtbares Werkzeug. Die Studien, die am sorgfältigsten zu sein scheinen, weisen auf einige grundlegende Fragen hin, nämlich, dass Macht im gesamten sozialen Gefüge, in verschiedenen strukturierten Sphären zirkuliert. Mit anderen Worten: durch alle gesellschaftlichen Bereiche. Es gäbe also Macht im wirtschaftlichen, rechtlich-politisch-militärischen, ideologischen und kulturellen Bereich. Wir würden auf allen Ebenen der Gesellschaft Macht haben. In geringerem Maße gewinnt die Macht auch im Hinblick auf die Bildung von Keimzellen der neuen Zivilisation an Bedeutung, die in verschiedenen Formen der Selbstorganisation oder des Selbstmanagements zum Ausdruck kommen". [6]

Fabio López hat in seinem Buch "Poder y dominio: una visión anarquista" diese Frage meiner Meinung nach sehr gut erörtert, und definiert Macht folgendermaßen:

"Eine soziale Kraft hat eine bestimmte Fähigkeit zu handeln. Die Handlungsfähigkeit kann als die Möglichkeit verstanden werden, die eine bestimmte soziale Kraft hat, wenn sie von dem Akteur, der sie besitzt, in die Tat umgesetzt wird [...]. Wenn der Akteur die Fähigkeit hat, eine bestimmte Wirkung zu realisieren oder zu erzeugen, sagt man, er habe Macht. Es ist aber nichts dergleichen; der Akteur kann zwar eine Beziehung zur Macht eingehen, aber nicht alles, was der Akteur betreibt, ist Macht. [...] Unsere Arbeit beschränkt sich auf Macht als sozialee Beziehung. Wir verstehen also unter Macht nur das, was auf soziale Akteure Auswirkungen hat. Macht kann auch nicht als Synonym für Unterdrückung verstanden werden: Macht baut auf, Macht schafft, artikuliert und ist in der Lage, die gesamte Gesellschaft zu strukturieren. Immer zu Gunsten derjenigen, die sie besitzen. Dies ist jedoch nicht unbedingt gegen die Bevölkerung gerichtet. [...] Macht kann kein einfaches Synonym für soziale Gewalt sein, denn um Macht zu haben, muss man von ihrer Kraft Gebrauch machen und dies wiederum erzeugt eine Wirkung  - oder man muss zumindest in der Lage sein, diese Kraft (nach eigenem Gutdünken) einzusetzen, und dies muss ausreichen, um Wirkung zu erzielen [...] Macht ist die Durchsetzung des Willens eines Akteurs, der sich durch soziale Gewalt mobilisiert, um die Kraft zu überwinden, die von denen eingesetzt wird, die sich ihm entgegenstellen." [7]

Schauen wir uns einige Punkte der FAU, FAG und von Fabio López an. Erstens ist es ein wichtiger Punkt, dass Macht in allen sozialen Beziehungen vorkommt, sei es zwischen Klassen, zwischen Gruppen oder sogar zwischen zwei Menschen in einer Beziehung. Es geht also nicht darum, Macht abzuschaffen, denn Macht ist mit Konflikten verbunden, und Konflikte sind immerwährend, so dass Macht zwar verändert werden kann, aber niemals aufhört zu existieren. Wir sehen also, dass es kein politisches Vakuum gibt, denn wenn eine der an einem Konflikt beteiligten Parteien keine Macht hat, kann man sagen, dass die andere sie hat.

Wenn wir uns mit dem Klassenkampf befassen, geht es also nicht darum, darüber zu diskutieren, wie man die Machtverhältnisse beenden kann, sondern darum, einen libertären Vorschlag zu schmieden, der mit dem übereinstimmt, was wir als wesentlich erachten, sowohl für die Definition der Kämpfe - unter einem militanten Blickwinkel - als auch für die Gesellschaft, die wir aufbauen wollen.

Ein weiterer wichtiger Punkt: Es ist eine Sache, handlungsfähig zu sein, wenn jemand in der Lage ist, eine soziale Kraft zu erzeugen, eine andere Sache ist es, wenn eine soziale Kraft in einen Konflikt involviert ist, und noch eine andere, wenn diese soziale Kraft die anderen Kräfte, die im Spiel sind, überwindet, das ist es, was Macht ausmacht. Nehmen wir diese Begriffe und wenden sie umgehend auf unsere Gesellschaft an: Soziale Klassen, ja sogar alle Individuen, sind handlungsfähig. Nehmen wir das Beispiel der ausgebeuteten Klasse: Sie verfügt über diese Fähigkeit, d.h. über eine elementare und potenzielle Kraft, aber es ist notwendig, diese in die Praxis umzusetzen, um eine wirkliche soziale Kraft zu bilden. Wie Bakunin betonte:

"Es ist wahr, dass es [im Volk] eine große Urkraft gibt, eine Kraft, die zweifellos derjenigen der Regierung und derjenigen der herrschenden Klassen insgesamt überlegen ist, aber ohne Organisation ist die Urkraft keine wirkliche Kraft. Es ist dieser unbestreitbare Vorteil der organisierten Gewalt gegenüber der Urgewalt des Volkes, auf dem die Stärke des Staates beruht. Das Problem ist also nicht so sehr, ob sie [das Volk] sich auflehnen können, sondern ob sie in der Lage sind, eine Organisation aufzubauen, die ihnen die Mittel an die Hand gibt, um zu einem erfolgreichen Ende zu kommen - nicht durch einen zufälligen Sieg, sondern durch einen lang anhaltenden und endgültigen Triumph." [8]

Wenn, wie Bakunin es ausdrückt, das Volk sich selbst organisiert, indem es seine Kraft in den Klassenkampf steckt und eine Organisation aufbaut, die in der Lage ist, die Mittel zu schaffen, um die angestrebten Ziele zu garantieren - d.h. die soziale Revolution und den libertären Sozialismus -, kann es sich den Kräften der herrschenden Klasse entgegenstellen. In Anlehnung an die Konzepte von FAU, FAG und Fabio López können wir sagen, dass in dem Moment, in dem es dem Volk gelingt, seine soziale Kraft in diesen Konflikt zu investieren und eine Revolution zu erreichen, es in der Tat eine Macht konsolidiert, die man als Macht des Volkes bezeichnen könnte, weil sie von der ausgebeuteten Klasse ausgeübt wird.

Aber wenn Anarchisten nicht gegen die Macht sind, wogegen kämpfen sie dann? Hier kommt ein weiterer wichtiger Begriff ins Spiel, der sich von dem der Macht unterscheidet: Herrschaft.

" Herrschaft bedeutet, soziale Macht über andere (die Beherrschten) und folglich über deren Zeit zu haben, um die eigene Ziele (des Herrschenden) zu erreichen - die nicht die Ziele der unterworfenen Person sind. [...] Herrschaft kann nicht mit Macht gleichgesetzt werden. [...] In der Herrschaft finden wir genau dieselben Elemente, aber der Unterschied besteht darin, dass in der Machtbeziehung das vom Mächtigen kontrollierte Objekt ein anderes ist als der Unterworfene. In der Beziehung der Herrschaft ist das kontrollierte Objekt die eigene soziale Kraft des Unterworfenen. Im Herrschaftsverhältnis wird die soziale Kraft des Beherrschten nicht mehr von ihm selbst, sondern von seinem Beherrscher kontrolliert. [...]  Damit wir davon ausgehen können, dass der Beherrschte beherrscht wird, muss er seine soziale Kraft einsetzen, um die Ziele des Beherrschers zu erreichen." [9]

Im Falle der Herrschaft besteht der Unterschied darin, dass die soziale Kraft derjenigen, die in dem Konflikt unterworfen wurden, zugunsten des Beherrschers eingesetzt wird, wobei die Ziele der Beherrschten sich von denen des Beherrschers unterscheiden, auch wenn diese Herrschaft einvernehmlich sein kann oder auch nicht. Wendet man das Konzept auf den Klassenkampf im Kapitalismus an, so kann man sagen, dass die kapitalistische Gesellschaft eine Gesellschaft ist, in der Herrschaft besteht, da der Eigentümer beispielsweise durch das Eigentum an den Produktionsmitteln die Arbeiter beherrscht, indem er sie zwingt, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, die für die Ziele des Eigentümers - die Erzielung von Profit, unter anderem für die Schaffung von Mehrwert - eingesetzt wird. Herrschaft ist niemals volksverbunden und kann nicht von denjenigen verteidigt werden, die eine auf Freiheit und Gleichheit basierende Gesellschaft aufbauen wollen, daher können wir sagen, dass Anarchisten nicht gegen Macht, sondern gegen Herrschaft kämpfen.

Viele Anarchisten argumentieren, dass der Aufbau von Macht (gekennzeichnet durch die Mobilisierung der Basis von unten) und damit von einer Macht des Volkes in der Tat der Weg zur Transformation ist. Betrachten wir das Konzept der Macht des Volkes etwas genauer.

5. Die Macht des Volkes

Im Folgenden einige Definitionen der Macht des Volkes, um die Diskussion fortzusetzen. Gilmar Mauro, ein Aktivist des Movimiento de los Trabajadores Rurales Sin Tierra (MST), hat eine interessante Definition der Macht des Volkes, als eine neue Form der Macht:

"Die Macht des Volkes entsteht und wird mit und durch das Volk (als soziale Klasse) in einem Projekt zum Aufbau des Sozialismus verwirklicht. Sie ist die Fähigkeit, über das eigene Schicksal und das der Gemeinschaft, der Region und des Landes nachzudenken, Vorschläge zu machen und es zu gestalten, wobei die kulturellen Unterschiede und die Individualität respektiert werden. Individualität wird hier nicht im Sinne des bürgerlichen Individualismus verstanden, sondern im Sinne der körperlichen und geistigen Fähigkeiten und der Subjektivität des Einzelnen, da jeder Prozess des Aufbaus der Macht des Volkes notwendigerweise kollektiv sein muss.

Der Aufbau einer neuen Macht, d.h. die Macht des Volkes zu schaffen, bedeutet das Erschaffen von neuen Formen menschlicher Beziehungen, neuer sozialer Beziehungen, neuer politischer Beziehungen. Diese können nicht mit der "Übernahme" des Staatsapparates beginnen, sondern müssen im Prozess, auf dem Weg dorthin entstehen. [...] Wenn wir Freiheit wollen, muss unser Handeln libertär sein.

Die Macht des Volkes aufzubauen bedeutet, täglich neue Beziehungen in den Prozessen des Kampfes, in den Schulen, in den Familien, in den Beziehungen zwischen den Aktivisten, in den Organisationsstrukturen aufzubauen. In allen Bereichen müssen wir die Werte und die Kultur der Macht des Volkes formen und ausüben. Die Menschen verwirklichen sich nicht durch ein Zugeständnis, das ihnen gemacht wird, sondern durch ihren Kampf, denn durch den Kampf wird das Recht errungen und das Bewusstsein für das Recht erworben. Das Bewusstsein für die Macht des Volkes wird nicht von außen oder von oben aufgezwungen, sondern entsteht durch einen Prozess innovativer "Praxis", Kampf/Reflexion, Ausübung/Bewusstsein, Fehler/Erfolge.

Gegenwärtig, und um nicht in Idealismus zu verfallen, muss die Macht des Volkes in ihrer Form eine "Demokratie des Volkes" sein, denn wir erleben und lernen inmitten von Ungleichheiten. Wenn es Ungleichheiten gibt, muss es eine Demokratie geben, die die Meinungen und Rechte von Minderheiten (politisch gesehen) respektiert und die gleichzeitig eine ständige Übung zum Aufbau einer möglichst horizontalen Hegemonie der Arbeiterklasse durchführt. Es darf jedoch keine bürgerliche Demokratie geben, die von der falschen Idee der Gleichheit durchdrungen ist und in der Möglichkeiten nach Besitz differenziert werden. Es muss eine Übung in solidarischer Demokratie, direkter Beteiligung und dem Aufbau von Klassenbewusstsein sein." [10]

Juan C. Mechoso von der FAU steuert die folgende Definition bei:

"Die von den Arbeitern und dem Volk ausgeübte Macht des Volkes mit den von ihnen kontrollierten, weitgehend demokratischen und partizipativen Organen wird diejenige sein, die die Kontrolle übernimmt und sich die vom Staat ausgeübten Vormundschaftsfunktionen aneignet. Deshalb muss eine Strategie der Macht des Volkes als wesentliche Voraussetzung den Aufbau dieser Gremien haben, und dies ist eine politische Schlüsselaufgabe, die bereits jetzt eine führende Rolle bei der Entscheidung spielen sollte, wenn es darum geht, ob die revolutionäre Zukunft sozialistisch und libertär sein wird oder nicht. Die Überwindung der kapitalistischen und autoritären Ordnung steht also jeden Tag zusammen mit einer authentischen Macht des Volkes auf dem Prüfstand - und zwar in Bezug darauf, wie die politische und soziale Arbeit permanent ausgerichtet und konkretisiert wird." [11]

Anhand dieser Definitionen können wir versuchen, ein paar Dinge miteinander zu verbinden. Erstens bestehen wir darauf, dass die Lösung des Problems der Macht in Bezug auf die sozialen Beziehungen nicht bedeutet, ein Freund des Bosses zu sein. Wir sprechen von einer Klassengesellschaft und einem Prozess, der sich im Klassenkampf abspielt und daher immer eine Klassenperspektive haben muss. Daher ist das Vorhaben der Macht des Volkes ein Projekt, das ständig versucht, die soziale Stärke aller Unterdrückten zu erhöhen, diese Stärke in Konflikten einzusetzen, kurzfristige Kämpfe zu gewinnen und einen revolutionären und sozialistischen Horizont zu bewahren. In dem Moment, in dem es den Unterdrückten gelingt, ihre Kraft über die der herrschenden Klasse zu stellen, festigen sie ihre Überlegenheit und die Macht des Volkes. Und wir glauben, dass sich diese Macht nur in einer neuen Gesellschaft der Gleichheit und der Freiheit voll entfalten kann, d.h. in einer Gesellschaft, in der es keine Herrschaft mehr gibt, in der Vereinigungen und Organisationen freiwillig und nicht entfremdet sind und in der es keine Ausbeutung und keine Herrschaft mehr gibt; in einer Gesellschaft, in der es individuelle Freiheiten gibt, die aber in einem Rahmen kollektiver Freiheiten bestehen.

Dies impliziert notwendigerweise eine Analyse der Mittel und Ziele, die auch in der Diskussion über die Macht des Volkes enthalten ist. Das heißt, wenn wir eine Gesellschaft aufbauen wollen, deren Grundpfeiler Freiheit und Gleichheit sind, müssen wir einen Weg wählen, der zu diesem Ziel führt. Anarchisten werden immer diese Übereinstimmung zwischen Mitteln und Zielen einfordern und argumentieren, dass der Weg, den wir einschlagen, bestimmt, wohin wir gelangen. Wir werden nicht in Erwägung ziehen, eine Straße nach Süden zu nehmen, wenn wir in den Norden gelangen wollen. Eine Macht des Volkes, d.h. ein starkes Volk, zu erschaffen, das sowohl in seinen Kämpfe als auch in der zukünftigen Gesellschaft die Hauptrolle spielt, setzt also voraus, dass das Volk sein Schicksal selbst in die Hand nimmt. Über die Macht des Volkes nachzudenken bedeutet daher, über ein Modell der Organisation des Volkes nachzudenken, über einen militanten Weg für die Kämpfe, die die Endziele bestimmen werden. Die Form dieser Kämpfe muss die neue Welt von innen heraus aufbauen, und im Rahmen dieser Kämpfe müssen wir versuchen, eine Kultur der ausgebeuteten Klasse zu erobern und die neuen sozialen Beziehungen zu stärken, die zum Aufbau der Macht des Volkes beitragen werden. Um darüber zu sprechen, wie Kämpfe aufgebaut werden sollten, müssen wir ein wenig über die Strategie sprechen.

6. Macht des Volkes und Strategie

Die Macht des Volkes muss in zwei verschiedenen Momenten betrachtet werden. Zum einen, wenn sie in den aktuellen Kämpfen aufgebaut wird, und zum anderen, wenn sie im postrevolutionären Moment gefestigt wird.

Das Nachdenken über die Macht des Volkes heute impliziert das Nachdenken über die Kämpfe der Volksbewegungen. Daher kann der Aufbau einer Macht des Volkes heute nur zwei Dinge bedeuten: Volksbewegungen zu erschaffen oder die Integration in bestehende Bewegungen. In diesem Fall ist es eine taktische Frage, ob man das eine oder das andere tun sollte. In Situationen, in denen es möglich ist, in bestehenden Bewegungen zu agieren, ist dies die beste Alternative, aber wenn dies nicht möglich ist (aufgrund der Art und Weise, wie die Bewegung funktioniert, usw.) oder wenn es keine Volksbewegungen gibt, kann man sich für deren Gründung entscheiden - wobei wir uns daran erinnern müssen, dass die Bewegungen nach unserem Konzept, auf der Grundlage von Bedürfnissen (Beschäftigung, Land, Arbeit, Wohnung, Kampf gegen Gewalt usw.) gebildet werden sollten und für kurzfristige Vorteile (Reformen) kämpfen sollten, was letztendlich das ist, was mobilisiert. Die Art und Weise, wie diese Reformen durchgesetzt werden und wie sich der Kampf entwickeln wird, werden darüber entscheiden, ob eine Macht des Volkes entsteht oder nicht und ob sie auf eine neue Gesellschaft, wie wir sie verstehen, abzielt. Schauen wir uns an, was die Merkmale sozialer Bewegungen sind, die ein Projekt der Macht des Volkes anstreben. Nach Angaben der FARJ:

"- [Soziale Bewegungen sollen] so stark wie möglich sein, mit der größten Anzahl von Personen und einer guten Organisation, stets auf den Kampf ausgerichtet, den sie als Priorität betrachten. [...] 

  • Gesellschaftliche Bewegungen dürfen sich nicht an eine Ideologie anpassen und sich auf sie beschränken, wie auch immer diese aussehen mag, [...] genauso, wie wir über das Thema Religion denken. [...] 
  • Ein weiteres wichtiges Merkmal der sozialen Bewegungen ist die Autonomie, die vor allem gegenüber dem Staat, den politischen Parteien, den bürokratisierten Gewerkschaften, der Kirche und anderen besteht. [...] 
  • So auch ihre Kampfbereitschaft. Wenn wir sagen, dass sie kampfbereit sein müssen, meinen wir damit, dass die sozialen Bewegungen ihre sozialen Errungenschaften durch das Durchsetzen ihrer Stärke erreichen müssen und nicht von Gefälligkeiten oder guten Taten aus irgendeinem Bereich der Gesellschaft, einschließlich des Staates, abhängig sein dürfen. [...] 
  • Die Direkte Aktion als eine Form der politischen Aktion, die sich gegen die repräsentative Demokratie richtet. Die sozialen Bewegungen dürfen nicht darauf abzielen, das Vertrauen der im Staat tätigen Politiker zu gewinnen, um ihre Interessen zu vertreten. [...] Die Bewegungen werden immer außerhalb des Staates organisiert, mit dem Ziel, die politische Macht an das Volk zurückzugeben. [...] 
  • Direkte Demokratie als Methode der Entscheidungsfindung. Direkte Demokratie findet in sozialen Bewegungen statt, wenn alle Beteiligten tatsächlich am Entscheidungsprozess beteiligt sind. [...] Entscheidungen werden gleichberechtigt in einer horizontal ausgerichteten Versammlung getroffen (jeder hat die gleiche Stimme und das gleiche Stimmrecht), wo Themen diskutiert und beratschlagt werden. [...] In diesem Modell der sozialen Bewegung ist es wichtig, das militante Verhalten mit Ethik und Verantwortung auszuführen. [...] Soziale Bewegungen sind ein privilegierter Raum für die Entwicklung von Kultur und der Bildung des Volkes. [...] Alle, die sich mobilisieren, stärken ihr Lernen und die neuen Formen, Erscheinungsformen, Sprachen, Erfahrungen und Erlebnisse spiegeln Kampfgeist wider. [...] 
  • Kurzfristige Errungenschaften, so genannte Reformen, wenn sie von sozialen Bewegungen erreicht werden, dienen als Strategie, um das Leiden der Kämpfenden zu verringern und gleichzeitig die Bedeutung von Organisation und Kampf zu lehren. [...] 
  • Die langfristige revolutionäre Perspektive. In diesem Fall geht es darum, dass soziale Bewegungen über ihre spezifischen Banner (Land, Wohnen, Arbeit usw.) hinaus die Revolution und den Aufbau einer neuen Gesellschaft anstreben können. Wir sind uns bewusst, dass die kurz- und mittelfristigen Kämpfe diese langfristige Perspektive ergänzen und sich nicht gegenseitig ausschließen." [12]

Diese Eigenschaften der Bewegungen, die durch einen besonderen Arbeitsstil, der einen militanten Prozess und ein militantes Verhalten beinhaltet, begünstigt werden, werden daher zum Aufbau der Macht des Volkes führen. Mit anderen Worten, er zielt darauf ab, im Zuge des Klassenkampfes ein starkes Volk zu schaffen, das in der Lage ist, den gesellschaftlichen Wandel anzuführen.

Nach einer sozialen Revolution müsste die Macht des Volkes, die während des Kampfes aufgebaut würde, als "Übergangsperiode" in dem von Dielo Truda in der "Plataforma" dargelegten Sinne funktionieren: Sie soll die Zerstörung des Staates und seine Ersetzung durch eine allgemeine Beteiligung des Volkes, d.h. durch Selbstverwaltung und Föderalismus im vollen Sinne, garantieren. In diesem Sinne beschäftigt sich das Kollektiv Lucha Libertaria mit diesem Thema:

"Die Macht des Volkes ist auch sozialistisch, da jeder an allen Planungs- und Entscheidungsprozessen der Gesellschaft durch den föderativen Mechanismus teilnehmen kann, der es jedem erlaubt, sich zu beteiligen, und der, wenn nötig, ein übergeordnetes Entscheidungsgremium hat. Mit anderen Worten: Die Macht wird effektiv vergesellschaftet. [...] Was die Funktionsweise der sozialistischen Macht des Volkes betrifft, so sind die Mechanismen genau dieselben, die wir für den politischen Föderalismus in der kommunistisch-anarchistischen Phase vorgesehen haben: die Beteiligung aller, kollektive Entscheidungen, die Widerrufbarkeit von Funktionen, gleicher Zugang zu Informationen und Entscheidungsbefugnissen, usw. Die Organisationsstruktur ist dieselbe: Räte mit beratenden Aufgaben und industrielle Föderationen mit ausführenden Aufgaben." [13]

In diesem Sinne wird die Macht des Volkes in den Kämpfen aufgebaut und gleichzeitig die Entwicklung und der Weg der zukünftigen Gesellschaft zur Verfestigung des libertären Sozialismus vorgegeben.

Bei dieser Strategiediskussion stellen sich eine Reihe von Fragen, die wir in diesem Artikel nicht vertiefen können, die es aber verdienen, dass wir in Zukunft darüber nachdenken. Es handelt sich dabei um Fragen, die die Diskussion über die Macht des Volkes begleiten und wirklich sehr umfangreich sind. Wir können einige davon nennen:  1) Die Frage des revolutionären Subjekts, denn in der anarchistischen Konzeption der Macht des Volkes wird keiner Sektion der Klasse der Vorzug gegeben, wie es die Sozialisten tun, die die Arbeiterklasse und die Industriesektoren sowie das Schema von Unter- und Überbau betonen. Denn die Anarchisten, obwohl sie anerkennen, dass der wirtschaftliche Kontext absolut zentral ist, sind der Ansicht, dass er nicht alle anderen Bereiche der Gesellschaft bestimmt und daher ein Konzept der Macht des Volkes neben der wirtschaftlichen Sphäre auch die rechtlich-politisch-militärische und die ideologisch-militärische Sphäre berücksichtigen muss; 2) Die Beziehung zwischen der politischen Organisation und den Volksbewegungen, denn wenn wir verstehen, dass die anarchistische Organisation als treibende Kraft der Prozesse fungiert, müssen wir genau wissen, wie sie ihre Arbeit ausführen wird, um den Bewegungen und nicht sich selbst die Hauptrolle zu geben;  3) Die Rolle der anarchistischen Organisation, die sich auf das Schaffen und die Organisation von Kämpfen oder einfach auf die Verbreitung von Propaganda konzentriert;  4) Die Unterschiede zwischen Theorie und Ideologie, da für uns die Ideologie viel mehr im Bereich der Bestrebungen und Wünsche als im Bereich der Wissenschaft liegt, und es daher notwendig ist, Lesarten mit einem konzeptionellen Ziel auszuarbeiten, das uns auf der Grundlage von Theorie und Wissenschaft - nicht Ideologie - erlaubt, die Dinge klar zu sehen;  5) Die Rolle antiimperialistischer, antikolonialistischer Kämpfe sowie der Kämpfe gegen die Unterdrückung von Geschlecht und 'Race' beim Aufbau der Macht des Volkes;  6) Schließlich taktische und strategische Bündnisse und die Notwendigkeit, Taktik und Strategie aufeinander abzustimmen. Zu diesen und anderen Fragen könnte man noch viel mehr sagen.

7. Abschluss und Konkretisierung der Debatte

Eine der zu behandelnden Fragen ist der Grad der Auseinandersetzung mit dem Konzept der Macht des Volkes durch diejenigen, die sie nutzen. Es besteht kein Zweifel, dass unsere derzeitigen Überlegungen und Schlussfolgerungen zu diesem Thema sehr produktiv waren. Wenn wir jedoch die Analyse dieser Debatte ein wenig ausweiten, werden wir leider feststellen, dass die Macht des Volkes als Konzept - wie auch der Sozialismus, die Demokratie, die Freiheit usw. - heute für sich genommen nicht viel aussagt. Viele andere Strömungen, die nicht dem Anarchismus, aber dem linken Lager angehören, beanspruchen die Macht des Volkes als ein Projekt, das in der Beziehung zu Staat und Bürokratie aufgebaut werden muss, während andere sie als ein Projekt des Volkes bezeichnen, das zum günstigsten Zeitpunkt durch hierarchischen Strukturen die revolutuionäre Vorhut hervorbringen soll.

Aus diesem Grund bedeutet es nicht mehr viel, wenn wir in der sozialen Arbeit inmitten von sozialen Bewegungen sagen, dass wir die Macht des Volkes verteidigen. Wir müssen immer eine Erklärung abgeben und dieses Konzept debattieren, das zwar von anderen verteidigt wird, bei dem aber oft unüberbrückbare Differenzen zutage treten. Das kann ein positiver Punkt sein, denn wenn wir eine Verbundenheit mit dem Begriff haben, gibt es Möglichkeiten, ihm die von uns gewünschte Bedeutung zu geben.

Heute zieht es die FARJ in Brasilien trotz der in dieser Debatte beschriebenen konzeptionellen Logik vor, den Begriff Macht des Volkes nicht zu verwenden, um sich von anderen Sektoren abzugrenzen. Sie ist lediglich der Ansicht, dass es sich nicht um ein Konzept handelt, das es wert ist, diskutiert zu werden. Andere especifistische Organisationen verwenden jedoch nicht nur den Begriff Macht des Volkes, sondern stellen ihn auch in den Mittelpunkt ihrer Transformationsstrategie und ihrer Propaganda. Es scheint mir an dieser Stelle wichtig zu sein, die Argumente der beiden Perspektiven in der Debatte mit ihren jeweiligen Argumenten anzuhören. Dies wird für die Zukunft entscheidend sein. Wir müssen für die Argumente offen sein und das Für und Wider dieser Behauptungen mit Augenmaß abwägen und bewerten.

Schließlich besteht weiterer Diskussions- und Erörterungsbedarf zu den wesentlichen Fragen, die ich in diesem Artikel zu umreißen versucht habe. Sicherlich wird sich ein especifistischer Anarchismus auf nationaler Ebene in dieser Frage, die ich für äußerst wichtig halte, qualifizieren müssen. Deshalb lade ich die Genossinnen und Genossen dieser oder anderer anarchistischer Strömungen oder anderer linker Sektoren ein, eine Debatte über die hier vorgestellten Fragen zu initiieren.

Abschließend wollen wir den Satz des Revolutionärs Emiliano Zapata aufgreifen, der als Motto dieses Textes dient, wenn er betont, dass "ein starkes Volk keine Führer braucht". In diesem Punkt sind wir uns völlig einig. Für ein Projekt der Macht des Volkes, wie wir es in diesem Artikel vorstellen wollen, wie auch immer man es nennen will, ist es unerlässlich, ein starkes Volk zu schaffen. Nur so wird das Volk die Protagonisten des gewünschten sozialen Wandels sein.

8. Quellen:

[1] FARJ. Anarquismo Social e Organização. São Paulo/Rio de Janeiro: Faísca/FARJ, p. 198. Leer el documento completo en: www.anarkismo.net.
[2] Bruno Lima Rocha. “A Interdependência Estrutural das Três Esferas,” 2009 (tesis de doctorado). Lo que figura entre paréntesis fue adicionado por mí.
[3] FAU. “La Organización Política es lo Decisivo.” En: Juan Carlos Mechoso. Acción Directa Anarquista: una historia de FAU. Montevideo: Recortes, s/d, p. 194. Hay partes de este documento que fueron compilados por mí en el artículo “A Organização Política Anarquista” (www.anarkismo.net).
[4] Víctor Toro, dirigente del MIR, en una entrevista publicada en la revista Punto Final en 1973. Ver la entrevista íntegra en el final del artículo de José Antonio Gutiérrez Danton “Los Libertarios y las lecciones del Golpe de Estado en Chile” (www.anarkismo.net).
[5] José Antonio Gutiérrez Danton “Los Libertarios y las lecciones del Golpe de Estado en Chile.”
[6] FAU/FAG. “Wellington Gallarza y Malvina Tavares: material de trabajo para la formación teórica conjunta.”
[7] Fabio López. Poder e Domínio: uma visão anarquista. Rio de Janeiro: Achiamé, 2001, pp. 61–62.
[8] Mikhail Bakunin. “Necessidades da Organização.” En: Conceito de Liberdade. Porto: Rés Editorial, s/d, p. 136.
[9] Fabio López. Poder e Domínio, pp. 83–87.
[10] Gilmar Mauro. “Construir o Poder Popular: o grande desafio do novo século.”
[11] Juan Carlos Mechoso. “La Estrategia del Especifismo: entrevista a Felipe Corrêa,” 2009. Aún inédito, pero muy pronto será publicado en portugués y español; social is here understood as a ongoing involvement with social movements.
[12] FARJ. Anarquismo Social e Organização, pp. 111–122.
[13] Luta Libertária. “Socialismo Libertário: um projeto em construção.” (www.treinoonline.com.br).

Originaltext: Felipe Corrêa (2009)
Übersetzung: sadi und anarchismus.de kollektiv

Sadi

Der Sadi. Arbeitet in der Kinderbetreuung.
Wundert sich über das Verhalten erwachsener Menschen.
Versteht sich als antiautoritär. Mal Optimist, mal Realist, selten Pessimist.
Mag keine Dogmen, hört auf sein Gewissen.
Und stellt sich gern in kurzen Sätzen in der dritten Person vor.

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