Was ist Philosophie? Diese Frage füllt heute schon meterweise Bücherregale und wenn du dir den Spaß erlauben willst, streue sie einfach einmal bei einem geselligen Abend mit mindestens zwei Philosophiestudierenden in das Gespräch ein. Neben viel sehr kompliziert klingenden Begriffen, entsteht wahrscheinlich sehr schnell eine aufgeregte Diskussion. Aber auch abseits einer intellektuellen Blase – und ich unterstelle, dass du wenn du das hier liest, auch selbst schon einmal damit in Kontakt warst – haben die meisten Menschen doch schon einmal von Philosophie gesprochen, oder sich selbst philosophische Gedanken gemacht. Aber jetzt mal wirklich: was ist denn nun Philosophie und warum sollte uns das interessieren?
Wir reden hier von einer der ältesten, wenn nicht sogar von DER ältesten Disziplin des Denkens in der Menschheitsgeschichte. Das mag auf den ersten Blick genauso abgehoben klingen, wie sich auch der ein oder andere Philosoph der Vergangenheit gegeben hat – und ich hab hier bewusst die rein männliche Form gewählt - , aber für meinen Teil macht genau diese umfangreiche Rückschau die Faszination an dem Thema aus. Mit ihren Theorien und Ideen hat die Philosophie und ihre Denker:innen stetig Einfluss auf die Entwicklungen in Wissenschaft, Politik, Ethik, Kunst und viele weitere Bereiche unseres Zusammenlebens genommen. Dabei entwickelte die Philosophie viele verschiedene Zweige. Darunter Metaphysik, Erkenntnistheorie, Ethik, Logik, politische Philosophie, Ästhetik und Philosophie des Geistes. Jeder dieser Bereiche untersucht seinen eigenen Fragenkatalog und bietet unterschiedliche Herangehensweisen und Methoden zur Untersuchung philosophischer Probleme an.
Der Kern allen Philosophierens ist immer das Denken, oder vielmehr das vernünftige, rationale und kritische Denken. Jeden einzelnen dieser Begriffe möchte ich aber an einer späteren Stelle den nötigen Raum geben. Für den Augenblick lässt es sich vielleicht vereinfacht so ausdrücken: beim philosophischen Denken gehen wir fragend der Welt auf den Grund. Dabei wird wirklich alles strukturiert hinterfragt und aus möglichst vielen Blickwinkeln betrachtet. Dabei haben sich im laufe der Jahrhunderte verschiedene Weltbilder, Ideensysteme und Theorien entwickelt; sie wurden hinterfragt, kritisiert und verworfen; in manchen Fällen sind sie sogar nach vielen Generationen wieder zu neuem Leben erwacht und weiterentwickelt worden. Ohne hier den Versuch einer vollständigen Einführung zu machen, ist es mir wichtig zu betonen, dass die Geschichte der Philosophie einen großen Schatz an Gedankenbildern und Methoden liefert.
Damit komme ich zu meinem eigentlichen Anliegen: Philosophie findet nicht nur an den Unis, in Büchern und auf Fachkonferenzen statt – Sie ist Teil einer gelebten Praxis im Zusammenleben von Menschen. Egal ob es uns bewusst ist oder nicht – jeder von uns hat ein Weltbild, also eine mehr oder weniger sortierte Vorstellung davon, wie alles um ihr:ihn zusammenhängt und wie sie:er sich in diesem Zusammenhängen zu verhalten hat. Mit dem Werkzeugkasten der Philosophie haben wir die Instrumente in der Hand, dem auf den Grund zu gehen. Hier schlummern aus meiner Sicht große Chancen und Möglichkeiten.
Wir beginnen dabei, dieses eigene Weltbild zu erkennen, es einordnen zu können und Baustein für Baustein radikal zu hinterfragen. So bekommen wir die Möglichkeit die Schwächen und Lücken unserer Argumente zu identifizieren. Diese benennen zu können ist keine Schwäche – das Gegenteil ist der Fall: denn wer sein eigene Positionen und deren Grundlagen nicht kritisiert, läuft schnell in eine Sackgasse.
Nach dieser Suche im Inneren können wir unseren Blick nach Außen richten – auf das eigene unmittelbare Umfeld, wie der Politgruppe, aber auch dem mittelbaren Ideengebern, wie die gelesenen Autor:innen und Vordenker:innen. Die großen Namen der anarchistischen Bewegung sind nicht denkbar ohne ihre Philosophie. Wir können bei der Auseinandersetzung ihres Werdegangs sehr viel lernen. Mein persönliches Lieblingsbeispiel dazu ist Bakunin: an seiner Biografie lässt sich ein philosophischer Lebenslauf skizzieren – vom Idealisten zum Materialisten; vom Bürgerlichen zum Revolutionär. Ein Leben das zeigt, dass Standpunkte nicht unumstößlich sind, sondern das Ergebnis von Auseinandersetzungen mit sich Selbst und der Welt in der wir leben Mit diesen Grundlagen gehen wir nüchterner und ergebnisoffener mit unseren Mitstreiter:innen in das Gespräch. Aber auch mit denen, deren Positionen wir nicht teilen, finden wir so eine gemeinsame Sprache – Frag Anarchist:innen, was „Freiheit“ ist und du merkst, dass das gleiche Wort nicht immer die gleiche Bedeutung hat und das ganze spitzt sich zu, wenn du mit Konservativen darüber sprichst.
Wir schauen vielleicht auf den selben Apfelbaum, aber der Blickwinkel ist entscheidend, ob wir das Astloch sehen. Es ist dann nicht hilfreich, dem Gegenüber abzusprechen, funktionierende Augen zu haben – wir sollten einen Schritt zurück gehen und uns einem Überblick verschaffen, wo wer steht. Ich möchte euch hier nicht zu viel Hoffnung machen: Philosophie gibt weniger Antworten, aber sie kann helfen, die richtigen Fragen zu stellen. Das sollte uns als Anarchist:innen besonders interessieren, da wir nicht selten selbst blind vor dem Baum stehen – im Plenum, in Gesprächen, in unseren eigenen Köpfen.