Alltagsgespräch über Anarchismus


Sadi
Anarchismus Theorie

Diese Politiker veraschen uns doch alle. Es wird Zeit, dass mal eine neue Partei regiert.
Das Problem ist nicht, welche Partei in der Regierung ist. Das Problem ist, dass Parteien überhaupt regieren. Verstehst du?

Hahahaha. Willst du etwa in einer Diktatur leben, oder was?
Quatsch! Ich möchte einfach nicht von irgendwelchen Parteien regiert werden, die über die ganze Bevölkerung bestimmen.

Aber genau das ist eine Diktatur. Wenn du nicht von Parteien regiert werden möchtest, dann möchtest du von einer Person regiert werden. Und das nennt sich Diktatur.
OK, ich versuche es anders: Ich möchte von niemanden regiert werden! Weder von Parteien und noch weniger von einer einzelnen Person.

Wie soll das denn gehen? Wenn nichts und niemand für Ordnung sorgt, dann bedeutet das Chaos, Gesetzlosigkeit und Anarchie.
Was verstehst du unter dem Begriff Anarchie?

Das, was es eben bedeutet: Chaos, Gesetzlosigkeit, Verbrechen, niemand wäre mehr geschützt und solche Dinge.
Interessant. Ist das so?

Ja klar, was soll das sonst bedeuten?
Was ist, wenn ich dir sage, dass der Anarchismus die demokratischste Form des Lebens ist, die du dir vorstellen kannst?

Dass du nicht mehr alle Latten am Zaun hast.
Stark vereinfacht: In der Idee des Anarchismus geht es darum, dass niemand und nichts über jemand anderen herrschen sollte. Und diese Art des Lebens lässt sich unmöglich mit Parteien vereinbaren.

Du willst mir jetzt doch nicht etwa sagen, Parteien würden uns beherrschen?
Sie beherrschen uns natürlich nicht wie eine kommunistische Partei im autoritären Staatssozialismus, aber sie üben, wenn auch in einer abgemilderten Form, Herrschaft über uns aus. Denn in einer parlamentarischen Demokratie, die nichts anderes als eine repräsentative oder indirekte Demokratie ist, herrscht ein Herrschaftssystem, indem ein paar wenige privilegierte Menschen in Parteien über die Mehrheit der Menschen Macht ausüben.

Macht ausüben ist ein Naturgesetz. Man kann sich die Ausübung von Macht nicht wegwünschen.
Das ist sehr richtig. Anarchisten wollen nicht die Macht wegzaubern oder so. Sie wollen, dass die Macht beim Volk liegt, und nicht bei einzelnen Menschen oder Parteien. Denn in diesen Fällen entsteht eine Herrschaft von wenigen über viele. Anarchisten wollen einfach in einer Gesellschaft leben, in der alle Menschen zusammen
Entscheidungen treffen, ohne dass einzelne über viele bestimmen.

Du spinnst doch. Wie soll das denn gehen? Allein Deutschland hat schon über 80 Millionen Einwohner. Wie sollen über 80 Millionen zusammen entscheiden können, was das Beste für alle ist?
Wie das gehen soll? Ganz einfach: Gar nicht!

Wie? "Gar nicht!“? Ich versteh’ gar nichts mehr.
Da wir Herrschaft ablehnen, lehnen wir Nationalstaaten ab. Im Anarchismus gäbe es keine riesigen Nationalstaaten, sondern selbstverwaltete/föderale Kommunen. Diese Kommunen sollten selbstverständlich eine gewisse Zahl an Menschen nicht überschreiten;
denn sonst wird es schwierig, gemeinsam Entscheidungen zu treffen.

Das sind doch utopistische Spinnereien! Wie soll denn ein Nationalstaat aufhören zu existieren? Das wird der betroffene Nationalstaat genauso wenig geschehen
lassen, wie die anderen Nationalstaaten, die mit diesem Handel betreiben.

Die Antwort auf diese Frage würden verschiedene Anarchisten unterschiedlich
beantworten. Ich persönlich bin überzeugt, dass man eine klare Mehrheit der Bevölkerung überzeugen müsste, bevor das funktionieren kann. Denn mit ein paar tausend Leuten eine Revolution gegen so gut wie die gesamte Bevölkerung erzwingen zu wollen, ist natürlich unmöglich.

Und wie möchtet ihr es schaffen, dass eine klare Mehrheit von der anarchistischen
Idee überzeugt wird?

Menschen darüber aufzuklären, was das Wort Anarchismus überhaupt bedeutet, wäre auf
jeden Fall ein wichtiger Schritt. Denn ich glaube, dass viele Menschen unsere Ideen teilen und somit anarchistisch denken, aber mit Anarchismus, wie du bis eben gerade noch, nur Chaos, Gewalt und so weiter verbinden. Und parallel würden so große anarchistische Organisationen entstehen. Organisationen, die den Menschen im Hier und Jetzt mit der anarchistischen Idee helfen. Anarchistische Organisationen, die sich nicht nur mit sich selbst beschäftigen, sondern das Leben der Menschen heute schon verbessern. Sei es arbeitsrechtlich, bei alltäglichen Dingen wie Übersetzen, Nachhilfe für Schüler oder sonst was.
Das große Ziel erreicht man natürlich nicht in ein paar Jahren. Man braucht Geduld und einen langen Atem. Aber irgendwann sind so genug Menschen überzeugt, um die
Gesellschaft gerechter zu machen.

Wow. Ich hatte keine Ahnung. Ich muss das alles erst mal sacken lassen.
Ich fühle das. Noch vor wenigen Jahren dachte ich wie du vor diesem Gespräch.

Oh Mann. Was kommt als nächstes?

Sadi

Der Sadi. Arbeitet in der Kinderbetreuung.
Wundert sich über das Verhalten erwachsener Menschen.
Versteht sich als antiautoritär. Mal Optimist, mal Realist, selten Pessimist.
Mag keine Dogmen, hört auf sein Gewissen.
Und stellt sich gern in kurzen Sätzen in der dritten Person vor.

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