"Es gibt zwar genügend spontane Kraft im Volk;
sie ist unvergleichlich größer als die Kraft der
Regierung, einschließlich der der Klassen; aber
mangels Organisation ist die spontane Kraft keine
wirkliche Kraft. Sie ist nicht in der Lage, einen
langen Kampf gegen viel schwächere, aber gut
organisierte Kräfte zu führen. Auf dieser
unbestreitbaren Überlegenheit der organisierten
Gewalt über die elementare Kraft des
Volkes ruht die gesamte Macht des Staates."
Michail Bakunin, 1870
Ziel dieses Textes ist es, eine theoretische Reflexion über die Macht vorzunehmen. Dieser Text stellt die Problematik des Themas und drei grundlegende Konzepte vor, die darauf abzielen, die verschiedenen Konzepte von Macht zu erfassen und davon ausgehend die Positionen von Michael Foucault und Tomás Ibáñez zu vertiefen, die Macht als Asymmetrie der Kräfteverhältnisse begreifen. Es wird in diesem Text ein theoretisches Modell und eine Analysemethode vorgeschlagen, die Herrschaft und Selbstverwaltung als Idealtypen und Extreme einer Achse der Beteiligung betrachten, die es uns ermöglichen, die Beziehungen und Modelle von Macht zu analysieren und zu typisieren. Anhand des vorgeschlagenen Modells analysiere ich den Kapitalismus und charakterisiere ihn als ein Herrschaftssystem, das ein Herrschaftsmodell der Macht impliziert, auch wenn es einige Räume der Beteiligung besitzt. In dieser Analyse gehe ich auf die sozialen Klassen, den Klassenkampf und das Wesen des Staates ein. Auf dieser Grundlage zeige ich mögliche Strategien für einen sozialen Wandeln und für eine Transformation auf und gehe auf Fragen ein, die soziale Bewegungen betreffen.
Die Debatte über Macht impliziert notwendigerweise die Überwindung des semantischen Problems, das in der gesamten umfangreichen Literatur, die sich historisch mit dem Thema befasst, besteht. Auf der Suche nach einigen Definitionen finden wir: Macht ist "jede Wahrscheinlichkeit, den eigenen Willen in einer sozialen Beziehung auch gegen Widerstand durchzusetzen, unabhängig von der Grundlage dieser Wahrscheinlichkeit"[1]; "in seiner allgemeinsten Bedeutung bezeichnet das Wort Macht die Fähigkeit oder die Möglichkeit, etwas zu tun, Auswirkungen zu erzeugen"[2]; "Macht ist (...) vor allem ein Kräfteverhältnis"[3]; "wir bezeichnen mit Macht die Fähigkeit einer sozialen Klasse, ihre spezifischen objektiven Interessen zu verwirklichen"[4]; "Macht kann als die Herstellung beabsichtigter Ergebnisse definiert werden"[5] - viele weitere Definitionen könnten hier noch angeführt werden.
Für eine Begriffsbildung von Macht ist es daher nicht nur erforderlich, die eine oder andere Bedeutung zu übernehmen, sondern auch historisch und soziologisch zu verstehen, wie der Begriff der Macht von den verschiedenen Autoren ausgearbeitet wurde und welche Aspekte und grundlegenden Elemente angesprochen wurden. Diese Analyse erfordert gleichzeitig, dass man sich vor Augen hält, dass mit ein und demselben Begriff unterschiedliche Fragestellungen erörtert werden können und dass dieselben Fragestellungen mit anderen Begriffen erörtert werden können - wie in dem speziellen Fall von Autorität und Herrschaft. Es geht also darum, den betreffenden Sachverhalt und seine verschiedenen Ansätze unter Berücksichtigung der oben genannten methodischen Vorsichtsmaßnahmen umfassend zu verstehen.
Tomás Ibáñez, ein Forscher zu diesem Thema [6], weist auf Teile des Problems in seinen Studien zur Macht hin. "Die Tatsache, dass Forscher, die sich mit Machtverhältnissen befassen, nach so vielen Jahren immer noch einen beträchtlichen Teil ihrer Bemühungen darauf verwenden, den Inhalt des Machtbegriffs zu klären und zu verfeinern; dass es keine minimal allgemeine Einigung über die Bedeutung dieses Begriffs gibt, und dass sich Kontroversen eher auf Unterschiede in der Begriffsbildung beziehen als auf Verfahren und Ergebnisse, die auf der Grundlage dieser Begriffsbildung erzielt werden - all dies deutet eindeutig darauf hin, dass die Theoriebildung über Macht an einem bestimmten Punkt auf ein erkenntnistheoretisches Hindernis stößt, das sie nicht weiterkommen lässt"[7].
Dieses Hindernis zu überwinden, bedeutet für Ibañez, den Inhalt der betreffenden Diskussionen zu verstehen und diese weiterzuentwickeln. Darauf weist er hin, wenn er von einer "Analytik der Macht" spricht. Unter den zahllosen Definitionen von Macht lassen sich nach Ansicht des Autors drei Hauptauslegungen finden: 1) Macht als Fähigkeit, 2) Macht als Asymmetrie in den Beziehungen zwischen den Kräfteverhältnissen, und 3) Macht als Strukturen und Mechanismen der Regulierung und Kontrolle.
In einer seiner Bedeutungen, wahrscheinlich der allgemeinsten und diachron ersten, fungiert der Begriff "Macht" als Gegenstück zum Ausdruck "Fähigkeit zu", d. h. als Synonym für die Gesamtheit der Wirkungen, deren direkte oder indirekte Ursache ein bestimmtes Subjekt, lebendig oder nicht, sein kann. Interessanterweise definiert sich Macht von vornherein in relationalen Begriffen, denn damit ein Element eine Wirkung erzeugen oder verhindern kann, ist es notwendig, dass eine Wechselwirkung hergestellt wird. [...] In einer zweiten Bedeutung bezieht sich der Begriff "Macht" auf eine bestimmte Art von Beziehung zwischen sozialen Akteuren und wird heute allgemein als eine asymmetrische oder ungleiche Fähigkeit charakterisiert, die Akteure besitzen, um Auswirkungen auf die Gegenseite einer bestimmter Art von Beziehung zu verursachen. [...] In einer dritten Bedeutung bezieht sich der Begriff "Macht" auf makrosoziale Strukturen und makrosoziale Mechanismen der Regulierung oder der sozialen Kontrolle. Man spricht in diesem Sinne von "Instrumenten" oder "Dispositiven" der Macht, von "Zentren" oder "Strukturen" der Macht, usw."[8]
Diese drei Konzepte von Macht führen uns in den Bereich der sozialen Beziehungen – und in Anbetracht der Tatsache, dass Machtbeziehungen immer zwischen in der Gesellschaft lebenden Menschen stattfinden, werden oft die Beziehungen zwischen Menschen und Dingen/Tieren ausgeklammert, weil diese Arten der Beziehungen ohne Subjekte konstituiert werden können.
Macht als Fähigkeit zu betrachten, bedeutet, "die Macht zu haben, etwas zu tun" oder "Macht für etwas zu haben"; in diesem Sinne wird Macht auf der Grundlage einer Realisierungsfähigkeit oder einer potenziellen Kraft definiert, die in einer bestimmten sozialen Beziehung angewendet werden könnte. Im zweiten Fall, Macht als Asymmetrie der Machtverhältnisse, geht es um ein Konzept, das begrifflich gesehen zwar in der Fähigkeit, die in der ersten Bedeutung erläutert wurde, verankert ist, sich aber nicht auf diese reduzieren lässt.
In diesem Fall liegt der Schwerpunkt der Definition auf den Asymmetrien der verschiedenen sozialen Kräfte einer bestimmten sozialen Beziehung; wenn diese Kräfte mit unterschiedlichen Fähigkeiten, sich gegenseitig beeinflussen, in Interaktion gebracht werden, erzeugen sie Auswirkungen auf einen oder mehrere Punkte in dieser Beziehung. Macht als Strukturen und Mechanismen der Regulierung und Kontrolle zu begreifen, bedeutet, sie auf der Grundlage eines Regelwerks einer bestimmten Gesellschaft zu definieren. Dies umfasst sowohl eine Entscheidungsfindung für Etablierung und Definition, als auch die tatsächliche Anwendung dieser Kontrolle (d.h. einer sozialen Strukturierung, die beratende und ausführende Instanzen erfordert).
Das Werk von Michel Foucault, einer der theoretischen Säulen von Ibáñez, schlägt eine Konzeptualisierung von Macht vor, die zwar im Sinne eines Gewaltverhältnisses definiert wird, aber mit der Fähigkeit zur Regulierung und Kontrolle verknüpft ist, so dass ein breiter Ansatz möglich ist, der die Elemente der drei vorangegangenen Definitionen miteinbezieht. Für Foucault "beruhen die Machtverhältnisse in den heutigen Gesellschaften im Wesentlichen auf einem Kräfteverhältnis, das zu einem historisch bestimmbaren Zeitpunkt entstanden ist"[9]; er bezieht sich hier auf Kräfte, die im Wettstreit, im ständigen Kampf, in Wechselbeziehung und in einem kontinuierlichen und dynamischen Spiel stehen. Wenn sich in einem bestimmten Kräfteverhältnis eine Kraft gegenüber den anderen durchsetzt, liegt ein Machtverhältnis vor. "Machtbeziehungen sind ein ungleiches und relativ stabil im Kräfteverhältnis".[10] So werden Macht und Machtverhältnis zu Synonymen. Ibáñez definiert in Anlehnung an Foucault das, was er das "strategische Paradigma der Macht" nennt:
"Macht ist eine Beziehung, ein Vorgang. Macht ist etwas, das ausgeübt wird. Macht ist in der gesamten sozialen Struktur diffus präsent, sie wird im sozialen Ganzem produziert. Sie ist allgegenwärtig, nicht weil sie überall hinreicht, sondern weil sie überall entspringt [...] Macht nimmt die Form der physikalischen Modelle an, sie ist mit dem Sozialen wesensgleich, es gibt keine Bereiche ohne Macht oder die sich ihrer Kontrolle entziehen. Macht ist den Bereichen, in denen sie sich manifestiert, innewohnend, die Wirtschaft wird durch die für sie eigenen Machtverhältnisse geformt. Die Macht ist aufsteigend, die lokalen Mächte begrenzen die Auswirkungen des Ganzen, die die allgemeineren Ebenen prägen: Durch die Veränderung der lokalen Kräfteverhältnisse werden die Auswirkungen des Gesamten verändert. [...] Macht ist in erster Linie eine produktive Instanz. Macht produziert Wissen, bringt Verfahren und Gegenstände des Wissens hervor. Wer eine Machtposition innehat, produziert Wissen. Macht ist das Ergebnis eines Sieges; sie hat einen Krieg als Ursprung. Die Mechanismen der Macht sind die der Kontrolle und Regulierung, der Verwaltung und Überwachung. [...] Die Macht funktioniert nicht auf der Grundlage des Souveräns, sondern auf der Grundlage der Untertanen. Das Leben ist das Symbol der Macht, ihr Ziel ist es, das Leben zu regieren und zu verwalten".[11]
In Anlehnung an Foucault und Ibáñez kann Macht als konkretes und dynamisches soziales Verhältnis zwischen verschiedenen asymmetrischen Kräften definiert werden, bei dem eine Kraft oder mehrere im Verhältnis zu einer oder mehreren anderen überwiegt. Macht ist auf allen Ebenen und in allen Bereichen der Gesellschaft anzutreffen und bildet die Grundlage für die Festlegung von Regulierungen, Kontrollen, Inhalten, Normen und Systemen, die direkt mit der Entscheidungsfindung verbunden sind.
Die Partizipation wird auf der Grundlage von Machtverhältnissen festgelegt. Alfredo Errandonea definiert Partizipation als "die Fähigkeit, Entscheidungen, die uns persönlich, als Gruppe oder kollektiv betreffen, zu beeinflussen und selbst die Initiative zu ergreifen. Alle Arten von Entscheidungen: im weitesten Sinne".[12] In diesem Sinne würden Entscheidungen, die sich auf die gesellschaftlichen Bereiche (Wirtschaft, Politik, Recht, Militär, Kultur, Ideologie) beziehen, auf verschiedenen Ebenen der Partizipation getroffen, die "die unterschiedlichsten Zugänge zur eigenen Tätigkeit, ob kollektiv eingebunden oder nicht, umfassen".[13] Wenn sich, wie wir gesehen haben, Regulierung, Kontrolle, Normen usw. auf der Grundlage von Machtverhältnissen gründen, so bilden diese auch die Grundlagen der Partizipation.
Eine theoretische Betrachtung der Partizipation unter dem Aspekt der Machtverhältnisse bedeutet daher, sie als ein erweitertes politisches Feld zu begreifen, das über den Bereich des Staates hinausgeht und verschiedene gesellschaftliche Sphären einschließt.
Man kann sagen, dass es bei der Partizipation zwei Extreme gibt, die als idealtypische Formen der Macht fungieren: Herrschaft und Selbstverwaltung. Herrschaft ist eine hierarchische soziale Beziehung, die in allen Bereichen der Gesellschaft vorkommen und institutionalisiert werden kann, wobei wenige entscheiden, was alle betrifft. Herrschaft beschreibt strukturelle Ungleichheiten und umfasst u. a. das Verhältnis von Befehlsgewalt und Gehorsam zwischen Herrscher und Beherrschten sowie die Entfremdung dieser Verhältnisse von der Regierten. Sie ist die Grundlage der Beziehungen zwischen den Klassen, auch wenn Herrschaft nicht auf die Herrschaft der Klasse reduziert werden kann.[14] Selbstverwaltung ist das Gegenteil von Beherrschung und impliziert die Beteiligung an Planungs- und Entscheidungsprozessen, und zwar umso mehr, wenn man persönlich, in Gruppen oder kollektiv in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft von ihnen betroffen ist. Seine breite Anwendung impliziert die Ablösung eines Herrschaftssystems durch eine egalitäre/libertäre Gesellschaft.[15]
"Die maximale generelle Partizipation [hier Selbstverwaltung genannt], der es gelingt, die Herrschaft vollständig zu ersetzen, sie auf ihre Nichtexistenz zu reduzieren, würde nach dieser Vorstellung eine egalitäre und freiheitliche Gesellschaft bedeuten. Im entgegengesetzten Extrem, ebenfalls an der Grenze der Logik, könnte man sagen, dass eine auf Null reduzierte Partizipation, also ihre völlige Nichtexistenz, die vollständig durch Herrschaft ersetzt wird, würde eine Gesellschaft der absoluten Sklaverei bedeuten, wenn dies überhaupt möglich ist. Im Gegensatz zur anderen Grenze, die man sich ohne weiteres vorstellen kann - ob sie nun wirklich möglich ist oder nicht -, scheint dieses Extrem, das die absolute Robotisierung des menschlichen Verhaltens darstellt, zwar logisch denkbar, aber nie existiert zu haben und auch nicht als reale Möglichkeit denkbar zu sein. Die Situation eines Menschen, der nicht einmal mehr ein Mindestmaß an Eigeninitiative besitzt, scheint undenkbar zu sein; das wäre eine Ebene der Herrschaft, die für den Beherrschten selbst nutzlos wäre."[16]
Die Extreme, die durch Herrschaft und Selbstverwaltung konstituiert werden, markieren theoretisch die logischen Möglichkeiten der Grenzen in den Prozessen der Partizipation. Unabhängig davon, ob es tatsächlich möglich ist, einen der Idealtypen zu erreichen oder nicht, kommt es darauf an, sie als logisches theoretisches Modell für das Verständnis der verschiedenen Machtverhältnisse, der Arten von Beziehungen und der verschiedenen Formen der Beteiligung, die sich daraus ergeben, zu begreifen. Dieses theoretische Schema reicht von Alltagssituationen, die das Ergebnis von Mikromächten sind, bis hin zu umfassenderen und strukturelleren Situationen, die von Makromächten gebildet werden. Die Betrachtung der Machtverhältnisse zwischen diesen beiden Extremen, ausgehend von der Achse der Partizipation, stellt somit eine Analysemethode auf verschiedenen Ebenen dar.
An der Grenze der Beherrschung haben die sozialen Akteure keine Möglichkeit, auf die sie betreffenden Entscheidungen Einfluss zu nehmen oder sie zu bestimmen; an der Grenze der Selbstverwaltung haben sie den größtmöglichen Einfluss und die größtmögliche Selbstbestimmung und nehmen umfassend an den Entscheidungsprozessen teil. Diese Extreme dienen jedoch nur als theoretische Grenzen für das Nachdenken über reale und konkrete Situationen, die sich in den allermeisten Fällen nicht an den Extremen, sondern in Zwischenpositionen befinden. Dennoch ermöglichen es die Extreme, die betreffenden Machtverhältnisse und die durch sie geschaffenen Prozesse der Partizipation methodisch zu bewerten. Anhand ob die Partizipation an der Entscheidungsfindung zunimmt oder abnimmt, lässt sich beurteilen, in welche Richtung sich die Machtverhältnisse entwickeln und ob sie sich dem einen oder anderen Extrem annähern.
Auf der Grundlage dieses theoretischen Modells ist es einfacher, die grundlegendsten Situationen unter dem Gesichtspunkt der Mikromächte zu bewerten als über die Makromächte nachzudenken, die sich aus einer Unzahl von Beziehungen ergeben. In beiden Fällen ist es schwierig, wenn nicht gar unmöglich, mit einer binären Kategorisierung - Herrschaft oder Selbstverwaltung - zu arbeiten. Da die Legitimation die wichtigste Grundlage der Machtbeziehungen ist [17], treten darüber hinaus weitere Faktoren auf, die diese Analyse erschweren: Eine begrenzte Partizipation kann dazu dienen, Herrschaft zu legitimieren; Partizipation kann zwar wahrgenommen, aber nicht tatsächlich realisiert werden usw. Es geht also darum, die Realität theoretisch zu erfassen, ausgehend von den verschiedenen Kräften, die im Spiel sind, und den Machtverhältnissen, die zwischen ihnen bestehen, und unabhängig von der Wahrnehmung der verschiedenen sozialen Akteure zu versuchen, sie diesen Idealtypen anzunähern.
Man kann zum Beispiel sagen, dass in einer kleinen selbstverwalteten Genossenschaft mehr Selbstverwaltung als Herrschaft vorliegt, und dass in einer militärischen Gruppierung mehr Herrschaft als Selbstverwaltung vorliegt. Im ersten Fall ist die Partizipation bedeutsamer als im zweiten und ist das Ergebnis sozialer Beziehungen, die sich aus verschiedenen Arten von Macht ergeben; in der Genossenschaft kann man sagen, dass die Macht eher selbstverwaltet ist als beim Militär, dessen Macht eher herrschend ist.[18]
Die Beurteilung der heutigen Gesellschaft im Hinblick auf die sozialen Beziehungen, die von zahllosen Kräften in verschiedenen Bereichen ausgeübt werden, ist hingegen eine komplexere Aufgabe. Wäre es also möglich, sie im Hinblick auf die Makromachtverhältnisse den oben genannten Machttypen anzunähern?
Jede Gesellschaft ist ein System, und "ihre Teile sind so miteinander verbunden, dass das, was in einem von ihnen geschieht, eine gewisse Auswirkung auf die übrigen Teile hat, natürlich in unterschiedlichem Ausmaß".[19] In einem System sind die Teile, aus denen es besteht, wechselseitig als seine eigenen Elemente angeordnet, und in dieser Hinsicht konstituiert sich jedes System auf der Grundlage einer Struktur, die durch eine Konfiguration der Menge der bestehenden Machtbeziehungen gekennzeichnet ist.
Die Gesellschaft ist also ein System mit einer bestimmten Struktur. Es sind die sozialen Kräfte - Gruppenzusammenschlüsse mit kollektiven Interessen (im Allgemeinen eine gemeinsame Klassensituation), mit einem gewissen Grad an Handlungsfähigkeit und Willen bei der Verfolgung dieser Interessen, die effektiv und bewusst bei der Verfolgung ihrer Interessen handeln, was ihnen den Status eines Faktors im sozialen Prozess zu einem bestimmten Zeitpunkt verleiht [20] -, die in Korrelation zueinander die Machtverhältnisse konstituieren und die Strukturelemente und die Beziehung zwischen diesen Elementen bestimmen, die die Struktur eines bestimmten Systems ausmachen.
Ausgehend von dieser Charakterisierung argumentiert Errandonea, dass Systeme, die durch Herrschaft auf verschiedenen Ebenen gekennzeichnet sind, als "Herrschaftssysteme" bezeichnet werden sollten. Diese Systeme sind durch verschiedene Arten von Herrschaft gekennzeichnet, wie z. B. Ausbeutung, also die Aneignung des Produkts der geleisteten Arbeit (Mehrwert), physischer Zwang, also das Gewaltmonopol, und politisch-bürokratischer Zwang, also das Monopol auf Entscheidungen, die die Gesellschaft im Allgemeinen betreffen. [21] In Herrschaftssystemen sind soziale Strukturen Klassenstrukturen - soziale Klassen und ihre strukturelle Rolle sind die Hauptmerkmale dieser im Wesentlichen klassistischen sozialen Struktur. Ein Herrschaftssystem stellt somit ein Modell der herrschenden Macht dar, das auf der Grundlage der makrosozialen Beziehungen analysiert wird.
Auf der Grundlage dieses Konzepts des Herrschaftssystems werden Herrschaft und soziale Klassen nicht nur durch die wirtschaftliche Sphäre definiert. Die Ausbeutung beispielsweise, ein im Kern wirtschaftliches soziales Verhältnis im Bereich der Arbeit, stellt eine Form der Herrschaft dar. Sie ermöglicht es, die Gesellschaft in Ausbeuter, also Kapitalisten, die sich die Arbeitskraft der Arbeitnehmer aneignen, und Ausgebeutete, also Arbeitnehmer, deren Arbeitskraft von den Kapitalisten angeeignet wird, zu unterteilen. Errandonea vertritt hingegen die Auffassung, dass das Herrschaftssystem auch durch andere Formen der Beherrschung wie physischen Zwang oder politisch-bürokratische Herrschaft gekennzeichnet ist. Diese Formen der Herrschaft ermöglichen eine Aufteilung der Gesellschaft in diejenigen, die das Gewalt- und Entscheidungsmonopol besitzen, und diejenigen, die es nicht haben. In diesem Sinne ist der Staat, der die Regierung, die Justiz und das Militär umfasst, ein zentrales Element des Herrschaftssystems.
Nach Errandonea [22] können soziale Klassen also auf der Grundlage von Herrschaft definiert werden, indem man von Definitionen ausgeht, die auf Ausbeutung beruhen und daher im Wesentlichen wirtschaftlicher Natur sind - beispielsweise ausschließlich auf der Grundlage des Eigentums an den Produktionsmitteln definiert.
Der gegenwärtige Kapitalismus kann in diesem Sinne als ein "Herrschaftssystem" charakterisiert werden. Mit Hilfe der von Foucault vertretenen Machtdynamik - die die Vorstellungen des Fortschritts und der Entwicklung der Gesellschaft [23] und des wirtschaftlichen Determinismus[ 24] ablehnt und eine Konstitution des Sozialen auf der Grundlage verschiedener Machtbeziehungen aufzeigt, die sich in allen strukturierten Sphären der Gesellschaft herausbilden, die sich gegenseitig beeinflussen und voneinander abhängen - lässt sich feststellen, dass das gegenwärtige Herrschaftssystem in Wirklichkeit nicht einfach ein Spiegelbild der Beziehungen in der wirtschaftlichen Sphäre ist. Das (derzeitige Herrschaftssystem) besteht aus der Verflechtung der wirtschaftlichen, politisch-juristischen-militärischen und kulturell-ideologischen Sphären, die sich gegenseitig beeinflussen. [25] Unter diesen Voraussetzungen ist der Staat also nicht einfach eine politische Struktur, die die gesellschaftlichen Klassenverhältnisse in der ökonomischen Sphäre reproduziert; er konstituiert sich vielmehr als Folge von Herrschaftsverhältnissen in anderen Sphären und auch als Ursache dieser Herrschaftsverhältnisse.
Die Frage nach dem Wesen des Staates steht an der Wurzel der wichtigsten historischen Debatten zwischen Marxisten und Anarchisten: "Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Bakunin und Marx beruhen auf einem grundlegenden Gegensatz über das Wesen des Staates". [26] Für Berthier "stützt Bakunin seine Theorie des modernen Staates in Staatlichkeit und Anarchie auf die Analyse der Entwicklung des Kapitalismus". [27] Für Bakunin gibt es historisch gesehen eine Verflechtung von wirtschaftlichen und politischen Tatsachen; auch wenn der Staat mit einer relativen Autonomie ausgestattet ist, war er aufgrund der Zentralisierung und der Unterwerfung des Volkes, das die Illusion hatte, in ihm vertreten zu sein, von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung des Kapitalismus. Wenn der Staat einerseits die Interessen der kapitalistischen Eigentümer vertritt, stellt er andererseits eine politische Struktur dar, die für die Entwicklung des Kapitalismus notwendig ist; selbst wenn die Produktionsverhältnisse geändert würden, würde der Staat, wenn er weiter besteht, den Kapitalismus wiederherstellen - eine Hypothese, die durch die jüngste Geschichte der Sowjetunion bestätigt wurde.
Der Staat ist also nicht deshalb ein reaktionäres Organ, weil die Bourgeoisie ihn lenkt, sondern weil er so beschaffen ist: Der Staat ist die Klassenorganisation der Bourgeoisie".[28] Eine gesellschaftliche Umgestaltung des Kapitalismus, wie sie Bakunin, der für den Sozialismus eintrat, befürwortete, konnte nur außerhalb des Staates verwirklicht werden, da der Staat im Wesentlichen der Aufrechterhaltung des kapitalistischen Herrschaftssystems dienen würde. Es würde sich um eine Organisation der beherrschten Klassen in ihrer Gesamtheit handeln, die auf der Grundlage ihrer eigenen wirtschaftlichen und politischen Organisationen - Gewerkschaften, soziale Bewegungen usw. - sowohl den Kampf für die Umgestaltung als auch den Aufbau einer neuen Gesellschaft führen müssten, die nicht auf einer herrschenden Macht, sondern auf einer sich selbst verwaltenden Macht beruht, die der Herrschaft allgemein ein Ende setzt. Selbst wenn kurzfristige Siege sowohl im wirtschaftlichen Bereich (bessere Löhne, kürzere Arbeitszeiten) als auch im politischen Bereich (größere Freiheiten und Bürgerrechte) errungen werden könnten, sollten sie nur ein Mittel für einen umfassenderen Transformationsprozess sein, der in der Lage ist, eine selbstverwaltete Macht zu schmieden, die den Kapitalismus und den Staat abschafft, indem sie eine neue Machtstruktur schafft, die die Arbeit und den Wohnraum vor Ort einbezieht.
Mit dieser Auffassung vom Wesen des Staates - die Errandonea annimmt, indem er den Staat als eine der Grundlagen des Herrschaftssystems betrachtet - wird auf der Grundlage der Kategorie der Herrschaft, die, wie wir gesehen haben, die Ausbeutung einschließt, ein Begriff von Klassen und Klassenkampf geschaffen. Das bedeutet, dass die Klassenstruktur nicht einfach "ökonomisch", auf der Grundlage von Produktions- und Ausbeutungsverhältnissen, definiert werden darf; die Klassen müssen auf der Grundlage eines umfassenderen Begriffs von Herrschaft definiert werden, der sowohl das "ungerechte Eigentum an den Produktionsmitteln" als auch "das ungerechte Eigentum an den Zwangsmitteln im Sinne der Fähigkeit, Entscheidungen physisch durchzusetzen, und an den Verwaltungsmitteln im Sinne der Instrumente zur Steuerung der Gesellschaft" berücksichtigt. Heute bilden die Streitkräfte, Gerichte und Gefängnisse die Grundlage der Zwangsmittel und die staatliche Bürokratie die Grundlage der Verwaltungsmittel. [29]
In diesem engen Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Politik entsteht eine Vorstellung von einer Klassenstruktur, die sich auf die herrschenden Klassen stützt, die das Eigentum an der Herrschaft ausüben oder besitzen, und auf die beherrschten Klassen, d. h. sowohl auf diejenigen, die in das System integriert und für sein Funktionieren unerlässlich sind und sich an den Herrschaftsinstrumenten beteiligen können, als auch auf diejenigen, die nicht in das System integriert und für dieses nicht völlig unerlässlich sind. [30] Im weiten Feld der herrschenden Klassen gäbe es sowohl die Eigentümer der Produktionsmittel, die Kapitalisten und Grundbesitzer mit eingeschlossen, als auch die Verwalter des Kapitalismus, des Staates, die Technokratie und die erste Ebene des Militärs, Richter und Parlamentarier im Allgemeinen. Innerhalb der beherrschten Klassen gäbe es die Arbeiter, Bauern und die Menschen in prekären Verhältnissen und die Ausgegrenzten im Allgemeinen. [31]
So bilden das Herrschaftssystem und seine Klassenstruktur die Grundlagen eines Klassenkampfes zwischen herrschenden und beherrschten Klassen; der Staat ist Teil der Klassenstruktur und konstituiert sich als politisches Instrument des Kapitalismus, das sowohl für seine Entstehung als auch für seine Aufrechterhaltung unverzichtbar ist. Es konstituiert sich als Ergebnis von Herrschaftsverhältnissen und als Grundlage der herrschenden Macht, die im gegenwärtigen kapitalistischen System hegemonial ist.
Die aus den Werken von Ibáñez und Foucault abgeleitete Definition von Macht besagt, dass Macht die sozialen Beziehungen durchdringt und sich als eine Beziehung etabliert, die durch die Überwindung einiger Kräfte durch andere entsteht. "Die Machtverhältnisse sind mit der sozialen Wirklichkeit selbst wesensgleich, sie sind ihr innewohnend, sie durchdringen sie in dem Augenblick, in dem sie von ihr ausgehen, und schließen sie ein".[32] Die Gesellschaft kann somit nicht ohne Macht gedacht werden, unabhängig davon, ob sie in Form von Kapazitäten, asymmetrischen Machtbeziehungen oder Strukturen und Mechanismen der Regulierung und Kontrolle definiert wird. Jede Gesellschaft hat soziale Beziehungen, Akteure mit unterschiedlichen Fähigkeiten zur Verwirklichung, Streitigkeiten und Konflikte, die Anwendung individueller und kollektiver Kräfte in diesen Streitigkeiten und Konflikten und die Einrichtung von mehr oder weniger institutionalisierten oder sogar durch Gewohnheit entstandenen Regeln und Kontrollen. Macht ist und bleibt also in jeder Gesellschaft mit sozialen Beziehungen präsent und das sowohl in mikro- als auch in makrosozialer Hinsicht.
Wie wir gesehen haben, kann die Macht ebenfalls sehr stark variieren. Die vorgestellten Idealtypen, Herrschaft und Selbstverwaltung, die Extreme einer Achse der Partizipation, dienen sowohl als analytisches Paradigma als auch als Elemente für die Ausarbeitung politischer Strategien und bilden die Grundlage für die verschiedenen von López konzipierten Machtmodelle: Herrschaftsmacht und Selbstverwaltungsmacht. Wenn Errandonea den heutigen Kapitalismus als Herrschaftssystem charakterisiert, so beruht dies auf der Analyse, dass dieser zwar Elemente der Partizipation, wie etwa die Wahl der Staatsvertreter, beinhaltet, seine Beziehungen aber eher der Herrschaft als einer breiten Partizipation oder Selbstverwaltung entsprechen.
Die Grundpfeiler dieser herrschenden Macht, die durch das Herrschaftssystem gekennzeichnet ist, wären die für sie zentralen Institutionen, die in den drei oben genannten Sphären vorhanden sind. Durch die Analyse von Rocha, die die gegenseitige Abhängigkeit und Beeinflussung dieser Sphären berücksichtigt, und durch Berthiers Definition des Wesens des Staates kann bestätigt werden, dass sich diese Macht auf der Grundlage einer komplexen Beziehung zwischen verschiedenen systemischen Elementen konstituiert, einschließlich des Staates - also der zentralen politischen Institution des Kapitalismus.
Die Klassenstruktur, die das Gefüge der kapitalistischen Herrschaft ausmacht und durch ein Modell der Macht gekennzeichnet ist, das sich mehr durch Herrschaft als durch Selbstverwaltung auszeichnet, ermöglicht laut Errandonea eine Analyse der Klassen und ihrer Beziehungen. In diesem Sinne gibt es zwei große Gruppen: die herrschenden Klassen und die beherrschten Klassen; das zwischen ihnen etablierte Modell der Herrschaftsmacht impliziert unterschiedliche Interessen, die in ständigem Widerspruch zueinander stehen. Die Konflikte, die durch den Widerspruch zwischen Herrschenden und Beherrschten im Rahmen eines systemischen sozialen Verhältnisses entstehen, bilden den Klassenkampf.
Diese Analyse ermöglicht es, über verschiedene Strategien des sozialen Wandels oder der Transformation nachzudenken. Wie Clausewitz [33] feststellt, sind es bei jeder Strategie die Ziele, die die Handlungen bedingen, d.h. die strategischen Ziele implizieren eine mit ihnen kohärente Strategie, die sich in der Taktik entfaltet; die Taktik muss auf die Strategie und die Strategie auf das strategische Ziel ausgerichtet sein. Diese Feststellung ist von grundlegender Bedeutung, denn wenn das strategische Ziel darin besteht, Anpassungen innerhalb desselben Machtmodells vorzunehmen, werden einige Formen der politischen Partizipation besser funktionieren als andere; wenn das Ziel darin besteht, das Modell der Machtverhältnisse auf der makrosozialen Ebene zu verändern, werden andere Formen der politischen Partizipation besser geeignet sein.
Das derzeitige Machtmodell kann zum Nutzen der beherrschten Klassen umgestaltet werden, der Gruppe, die heute am unmittelbarsten unter den Auswirkungen des von ihm strukturierten Systems leidet. In der Zwischenzeit reichen die "Anpassungen" - von denen wir einige anerkennen müssen, die für die beherrschten Klassen von größerer Bedeutung sind -, die als Teil einer begrenzten Strategie durchgeführt werden, die auf einen sozialen Wandel im Rahmen des Kapitalismus abzielt, nicht aus, um das Herrschaftssystem und das Modell der Macht zu verändern. Diese vom Staat vorgenommenen Anpassungen stärken in der Regel seine Macht und schaffen eine Legitimität, die weitaus wirksamer ist als die einfache Anwendung von Gewalt. [34] Aktionen, die vom Staat ausgehen - wie im Fall der öffentlichen Politik - sind in diesem Sinne Taktiken, die in eine begrenzte Strategie der Arbeit im Rahmen des Staates und damit des Kapitalismus eingefügt werden. Es handelt sich also um Maßnahmen der herrschenden Klassen zur Bewältigung von Problemen an der Legitimität des Systems, das sie in eine solche Position bringt. Nachfolgend können staatliche Maßnahmen den sozialen Wandel fördern, nicht aber die soziale Transformation, die eine Veränderung des Systems und nicht des bestehenden Machtmodells voraussetzen würde. Das bedeutet nicht, dass alle kurzfristigen Maßnahmen das derzeitige Herrschaftssystem begünstigen und das herrschende Machtmodell eher stärken.
Relevante Auswirkungen der Klassengesellschaft sind soziale Bewegungen, die von Doug McAdam, Sidnei Tarrow und Charles Tilly als "anhaltende Interaktion zwischen Mächtigen und Machtlosen: eine ständige Herausforderung an die Machthaber im Namen der Bevölkerung, deren Gesprächspartner behaupten, von ihnen zu Unrecht benachteiligt oder bedroht zu werden". [35] In diesem Sinne sind soziale Bewegungen Organisationen, die von den beherrschten Klassen gebildet werden, um sich der Herrschaft zu widersetzen und die bestehenden Machtverhältnisse zu verändern. In den meisten Fällen geht es um kurzfristige Ziele: höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten (im Falle der Gewerkschaftsbewegung), Land und Rahmenbedingungen für landwirtschaftliche Familienbetriebe auf dem Land (im Falle der Landlosenbewegung), angemessene Wohnungen (Obdachlosenbewegung), Verbesserung des Wohnumfelds (Gemeinschaftsbewegung) usw. Doch einige soziale Bewegungen haben eine umfassendere soziale Transformation als strategisches Ziel.
Im Gegensatz zum Staat, einer Institution, die für das gegenwärtige Herrschaftssystem von zentraler Bedeutung ist und zu seinem harten Kern gehört, sind soziale Bewegungen historisch gesehen Räume, in denen sich die beherrschten Klassen artikulieren, um in ihrem eigenen Namen zu handeln. Während die kurzfristigen Maßnahmen die von Seiten des Staates ergriffen werden, dazu tendieren, seine Legitimität und damit das System, dessen wesentlicher Bestandteil er ist, zu stärken, können die kurzfristigen Errungenschaften, die sich aus dem von den sozialen Bewegungen geführten Klassenkampf ergeben, dazu dienen, ein anderes Machtprojekt zu stärken, das dem derzeitigen Modell entgegengesetzt ist.
Obwohl sie historisch gesehen den Organisationsraum der beherrschten Klassen darstellen, wissen wir, dass die sozialen Bewegungen im Laufe der Zeit unterschiedliche Beziehungen zu dem Herrschaftssystem hatten, das sie entstehen ließ. Während es Bewegungen gab, die kurzfristige Maßnahmen und Anpassungen an die bestehenden Machtverhältnisse in den Vordergrund stellten, gab es andere, die zwar weniger breit angelegte Kämpfe anstrebten, aber auf eine soziale Transformation des Machtmodells abzielten und sich selbst als revolutionäre Bewegungen bezeichneten. Unter einigen historischen Umständen wurden soziale Bewegungen vom Staat angezogen - wie im Fall der brasilianischen Gewerkschaftsbewegung mit der Arbeitsgesetzgebung von Getúlio Vargas in den 1930er Jahren [36]; es gab auch strategische Entscheidungen von Bewegungen, die freiwillig beschlossen, sich mit dem Staat zu verbinden, hauptsächlich um ihren kurzfristigen Forderungen Aufmerksamkeit zu verschaffen - wie im Fall eines bedeutenden Teils der Wohnungsbaubewegung in São Paulo zu Beginn der 2000er Jahren. [37] Es gab Auffassungen, die davon ausgingen, dass der Staat von den beherrschten Klassen erobert werden kann und unter ihrer Leitung als Instrument zur Förderung der sozialen Transformation dient. Mit diesem Ziel vor Augen wurden soziale Bewegungen ins Leben gerufen und angeregt, die zwar ihr Ziel erreichten, aber aufgrund einer Reihe von Faktoren das aktuelle Machtmodell nicht veränderten. [38] Alle diese Fragen, die sich mit den engen Beziehungen zwischen dem Staat und den sozialen Bewegungen befassen, beinhalten notwendigerweise das Phänomen der Bürokratisierung der sozialen Bewegungen. [39]
Das gesellschaftliche Machtmodell zu verändern, indem die Achse der Beteiligung bis an die Grenzen der Selbstverwaltung geführt wird, ist ein ehrgeiziges strategisches Ziel. Die Ablösung des Systems der Herrschaft durch ein System der Selbstverwaltung erfordert in Übereinstimmung mit diesem strategischen Ziel Strategien und Taktiken, die in diese Richtung weisen. Taktiken und Strategien, die die Herrschaftsverhältnisse stärken, können nicht auf Ziele der Selbstverwaltung hinführen. Soziale Bewegungen können privilegierte Räume für eine ("revolutionäre") soziale Transformation darstellen, aber ihre Strategien und Taktiken müssen an diese Ziele angepasst werden.
Umfassende gesellschaftliche Transformationen können nur auf der Grundlage von alltäglichen Strukturen stattfinden, ausgehend von den grundlegendsten Ebenen der Gesellschaft. Die selbstverwaltete Organisation sozialer Bewegungen - die gemeinsame Entscheidungen in Bezug auf Planungs- und Entscheidungsprozesse beinhaltet - wird daher zu einem grundlegenden und unverzichtbaren Mittel für den Aufbau eines Modells selbstverwalteter Macht, das auf kurzfristige Siege für die Ansammlung von Stärke der beherrschten Klassen zählen kann. Diese Siege dürfen jedoch nicht von einem strategischen Ziel ablenken, das auch langfristig die Stärkung eines Machtmodells markieren muss, das dem gegenwärtigen entgegengesetzt ist und das die Grundlagen für die Selbstverwaltung schaffen und einen Prozess der umfassenden sozialen Umgestaltung durch konkrete Errungenschaften in den verschiedenen Bereichen (Verbesserung der wirtschaftlichen Bedingungen, größere politische Partizipation usw.) und den subjektiven Aufbau fördern kann, der die Kulturen und Ideologien der beherrschten Klassen und den Willen der beteiligten Akteure stärken kann.
Dieses langfristige Projekt erfordert innerhalb der sozialen Bewegungen die Überwindung der im Wesentlichen kurzfristigen Positionen und korporativen Forderungen ihres eigenen Sektors. Daher wird die Überwindung kurzfristiger Ziele und die Förderung einer Einbindung der sozialen Bewegungen zugunsten eines umfassenderen Transformationsziels zu einem zentralen Bestandteil dieses Prozesses, der eine breitere organische Struktur erfordert, die sich in einer sektorübergreifenden Organisation der Bevölkerung oder in einer Art "Front der beherrschten Klassen" artikuliert, die den Keim der sozialen Transformation hin zu einem Modell der selbstverwalteten Macht darstellen kann.
Original: Felipe Corrêa
Übersetzung: Sadi & Ruyman Delgado