Interview zur „Geschichte der syndikalistisch-anarchistischen Jugend“ von Radio „Rabotz“ mit Helge Döhring, gesendet, im „Radio Blau“, Leipzig 2013
„So, jetzt gehts auch schon los mit unserem Interview. Und zwar mit Helge Döhring, Historiker aus Bremen, hallo. Du hast unter anderem ein Buch geschrieben über die anarcho-syndikalistische Jugend in Deutschland. Also der Titel ist ‚Kein Befehlen, kein Gehorchen! Die Geschichte der syndikalistisch-anarchistischen Jugend in Deutschland seit 1918‘. [...] Hatte die denn schon irgendwelche Vorläufer oder ging das erst mit 1918 los?
Es gab schon in der Kaiserzeit eine ‚Freie sozialistische Jugend‘. Die war SPD-nah, wie fast alle Vereine der Arbeiterbewegung. Die durfte sich aber politisch nicht betätigen, sondern erst im Zuge der Novemberrevolution nach dem Ersten Weltkrieg. Ab 1918 wurden die Gesetze etwas liberalisiert. Und so schaffte auch die ‚Freie sozialistische Jugend’ einen Aufstieg mit reichsweit bis zu mehreren Tausend Mitgliedern. Sie erlebte eine politische Ausdifferenzierung in kommunistisch, anarchistisch und auch syndikalistisch orientierte Jugendliche, die sich dann ab 1921/22, den Namen gaben Syndikalistisch-Anarchistische Jugend Deutschlands (SAJD) gaben.
Und diese syndikalistisch-anarchistische Jugend war die dann verbunden mit der FAUD [Freie Arbeiter-Union Deutschlands], mit der anarchistischen Gewerkschaft?
Offiziell war sie eigenständig. Auch von den Strukturen und von den Organen her war die SAJD eigenständig. Sie hatte aber gute Verbindungen zur FAUD, was sich auch darin äußerte, dass sie ihr erstes Reichsorgan ‚Die junge Menschheit‘ ab 1922 im ‚Syndikalist‘, dem Hauptorgan der FAUD publizieren konnte. Ab 1923 hatte sie dann eine eigene Zeitung mit dem Titel ‚Junge Anarchisten‘.
Dieser Jugendverband, war der dann reichsweit [konstituiert] und wieviele Mitglieder gab es da?
Ja, es war reichsweit organisiert. Bis auf das Saarland und Mecklenburg-Vorpommern gab es überall Ortsgruppen. Das waren im Jahr 1924 etwa 3.000 Mitglieder in 120 Orten. Schwerpunkte hatten sie in den industriellen Ballungszentren, übrigens auch dort, wo die FAUD ihre Schwerpunkte hatte. Das war vornehmlich an Rhein und Ruhr, im Rhein-Main-Gebiet, in Sachsen, Thüringen und im Großraum Berlin.
Und die inhaltliche Ausrichtung? War das ziemlich einheitlich oder war das Syndikalismus oder gab es da verschiedene Formen von Anarchismus?
Die Jugendbewegung war sehr gemischt. Sie hatte allerdings einen klaren Klassenstandpunkt, war klassenkämpferisch orientiert und an den Idealen des kommunistischen Anarchismus Peter Kropotkins orientiert. Sie hatte weitere anarchistische Leitbilder, unter anderen in Michael Bakunin oder den libertären Pädagogen Francisco Ferrer aus Spanien. Sie waren syndikalistisch-anarchistisch, wobei sie beide Bestandteile etwa gleichermaßen betonten. Und die SAJD hatte in ihrem eigenen Programm und nach ihrem Selbstverständnis Vorbilder in den Prinzipien sowohl der FAUD als auch der FKAD, der Föderation kommunistischer Anarchisten Deutschlands. Die waren eher anarchistisch orientiert. Die SAJD versuchte, beide Strömungen gleichermaßen unter einen Hut zu bringen und entsprechend auch Mitglieder aufzunehmen und sich zu orientieren.
Und was für Aktionen hat die [SAJD] gemacht?
Als Jugendbewegung haben sie ihren Schwerpunkt vor allem in Kulturbereich und im Bildungsbereich gehabt, weil für den betrieblichen Bereich ja mehr die Gewerkschaften zuständig waren. Sie hatten versucht, Jugendliche im syndikalistisch-anarchistischem Sinne zu sozialisieren und zu politisieren und haben dementsprechend Veranstaltungen organisiert, Kundgebungen gemacht, Demonstrationen organisiert und ihren Inhalten nach waren sie immer klar antimilitaristisch. Die Jugend war stark auch an der Freidenkerbewegung orientiert. Sie machten zum Beispiel Feiern zur Sommersonnenwende, zur Wintersonnenwende, im Gegensatz zu den Christen, die Weihnachten und Ostern feierten. Sie haben Reichsferienlager veranstaltet, sich an Arbeitersängervereinigungen beteiligt, Laientheater gespielt, Lesungen organisiert und haben viele Ausflüge und Wanderungen gemacht. Im Gegensatz zum Beispiel zur Konfirmation oder zur Kommunion veranstalteten sie Schulentlassungsfeiern. Sie orientierten sich stark traditionell und gedachten ihren historischen Vorbildern, wie ich schon sagte, Peter Kropotkin zum Beispiel oder Francisco Ferrer. Zu Beginn der 1930er Jahre war im Reich angedacht, einen ‚freiwilligen‘ Arbeitsdienst einzuführen. Daraus machten die Nazis später den Reichsarbeitsdienst. Dagegen fuhr die SAJD starke Kampagnen und machte Aufklärungsarbeit. In ihrer Propaganda traten sie für den 6-Stunden-Tag ein, für den Generalstreik, generell für die soziale Revolution. In Sömmerda gab es Anfang der 1930er Jahre auch eine anarcho-syndikalistische Lehrlingszeitung. Den Inhalt habe ich leider nicht parat. […]
Ja, Sömmerda ist in Thüringen. Wie war denn das Verhältnis zu den kommunistischen oder auch sozialdemokratischen Jugendverbänden?
Es gab grundsätzliche Unterschiede, weil die Anarcho-Syndikalisten generell nicht nur eine klassenlose Gesellschaft wollten, sondern auch eine herrschaftsfreie Gesellschaft und jede Form von Zentralismus und auch jede Form von Militarismus ablehnten. Und sowohl in der kommunistischen als auch in der sozialdemokratischen ‚Sozialistischen Arbeiter-Jugend‘ sah das etwas anders aus. Diese Jugendverbände waren stark an der jeweiligen Partei, an der KPD und SPD orientiert. Das Verhältnis war dementsprechend natürlich kein gutes. Es war ein Konkurrenzverhältnis, so dass die SAJD örtlich immer versuchte, den anderen Organisationen die Mitglieder abzuwerben bzw. um neue Mitglieder zu konkurrieren. Auf Veranstaltungen flogen dann auch schon mal die Fetzen. Es kam zu handfesten Auseinandersetzungen, Prügeleien beim Flugblattverteilen zum Beispiel. […] An einigen Orten gab es später auch Zusammenarbeit gegen die aufkommende Nazibewegung und gegen die HJ.
Und es gab doch bestimmt auch irgendwelche Streiks, wo auch beide sich mal zusammengetan haben, oder war das immer ein Konkurrenzverhältnis?
Streiks eher weniger, weil die Jugendorganisation ja weniger betrieblich orientiert war. Wenn es Zusammenarbeit gab, dann lief das immer über die persönliche Schiene und nur Ortsgebunden, über Familien, über Nachbarschaft usw. Offizielle Kontakte gab es nicht, weder reichsweit, noch regional zwischen diesen Jugendorganisationen. Das war klar abgesteckt und das war ein Distanzverhältnis.
Wie sah denn das in Leipzig und in Sachsen aus?
Die anarcho-syndikalistische Bewegung war in Sachsen so stark und in Leipzig noch mal ganz speziell stark. Dort existierte natürlich auch eine Jugendbewegung, daneben noch eine anarcho-syndikalistische Büchergilde, ein syndikalistischer Frauenbund, eine Freidenkerbewegung, […] natürlich auch die FAUD mit ein paar Hundert Mitgliedern und eine Kindergruppe mit 50 Mitgliedern. Das alles sogar noch im Jahr 1933. […] Eine regionale Studie würde sich auf jeden Fall lohnen. So machte ich anhand von Todesanzeigen einen spektakulären Vorfall ausfindig. Und zwar veranstaltete die SPD im Juni 1923 im Zuge der aufkommenden Inflation eine Demonstration in Leipzig, bei der irgendwann die Sicherheitspolizei in die Menge schoss und das Ergebnis waren über 100 verletzte Arbeiter, darunter sechs Tote und zwei Mitglieder der Leipziger SAJD. Einer war Willi Domprobst, der andere hieß Arno Feist, und der war gerade mal 16 Jahre alt. Für die beiden gab es Todesanzeigen sowohl in anarchistischen als auch in syndikalistischen Publikationen und auch ein kleiner Bericht dazu, wie diese Demonstration abgelaufen ist. Die Schüsse fielen am Augustusplatz in Leipzig.
Die anarchistische Bewegung in Deutschland hatte ja Anfang der 1920er Jahre ihren Höhepunkt. Wie hat sich das denn entwickelt bei der SAJD?
Vor 1933 löste sich sowohl die FAUD als auch die SAJD vorauseilend auf, um einem Verbot zuvorzukommen. Das hatte taktische Gründe, damit nämlich die Polizeibehörden keine Mitglieder verhaften und keine Bestände beschlagnahmen können. [Einige] konnten noch rechtzeitig verteilt werden und fielen nicht dem Staat in die Hände. Die SAJD hat nach 1933 nicht illegal weiterbestanden im Gegensatz zur FAUD. Diese gründete sich illegal neu. Die Mitglieder der SAJD sind entweder in die Erwachsenenorganisation personell hineingewachsen und haben in der FAUD schon sehr hohe Funktionen übernommen gehabt. [Ehemalige Mitglieder der] SAJD beteiligten sich zum Beispiel an Rhein und Ruhr an Aktionen der Edelweißpiraten gegen die Nazis, haben Widerstand geleistet. Spätestens mit Beginn des Krieges wurden viele dieser jungen Erwachsenen zur Wehrmacht eingezogen. Ab da ist [kollektiver] Widerstand erloschen.
Wie sah denn das nach dem Krieg aus. Gab es da wieder so ein Aufkommen der anarchistischen Bewegung?
Zum einen war es so, dass der Anarcho-Syndikalismus bereits vor 1933 am Boden lag. Das hatte andere Gründe als staatlichen Terror. Da spielten Konkurrenzverhältnisse zu den Zentralgewerkschaften eine große Rolle und auch zur SPD. Und die ganzen Diskussionen um die Beteiligung an Betriebsratswahlen. Die FAUD hatte im Jahr 1933 nur noch etwa 4.000 Mitglieder. Das war nicht viel. Dann kamen die Nazis und haben die Reststrukturen zerschlagen und auch im Jahr 1936/37 den kompletten anarcho-syndikalistischen Widerstand aufgerollt. Nach Konzentrationslagern und Krieg war von der Bewegung nicht mehr viel übrig. Das waren dann im Jahr 1947, als sich eine Nachfolgeorganisation konstituierte, etwa 300 Leute. Die organisierten sich dann in der ‚Föderation freiheitlicher Sozialisten‘. Die hatten ganz konkret das Problem, dass sie keine Jugend mehr ansprechen konnten. Das waren so Leute um die 50/60 Jahre. Die kamen an die Jugend nicht mehr ran. Dennoch wurde eine Jugendorganisation gegründet und zwar die ‚Föderation freiheitlicher Jungsozialisten‘. Die bestand vor allem in Köln von 1949 bis 1952.
Und irgendwann hat sich dann die ASJ gegründet, die Anarcho-Syndikalistische Jugend. Wann war das, und wo war das? Wie steht die heute?
Neu formiert hat sich der Anarcho-Syndikalismus in den 1970 Jahren. Allerdings mit einer ganz anderen personellen Struktur; beeinflußt vor allem von der 68er Bewegung. Und von einigen exilspanischen Anarcho-Syndikalisten, die in Deutschland Arbeit und Leben gefunden hatten, wurde im Jahr 1977 die ‚Initiative Freie Arbeiter-Union‘ gegründet mit ein paar Dutzend Mitgliedern. Die brachten allerdings, weil es selber Jugendliche oder junge Erwachsene waren, keine weitere Jugendorganisation hervor. Die erste ASJ, die es wieder gab, entstand 1990 im Großraum Stuttgart. Die hatten ungefähr 40 bis 50 Mitglieder. Und deren Schwerpunkte waren gemäß der Zeit Demonstrationen gegen den 2. Golfkrieg. Ein Haus haben sie mitbesetzt in der Innenstadt. Und im Zuge der Naziwelle und der ganzen Pogrome gab es natürlich einen starken Anti-Nazi-Kampf. Den haben sie auch sehr militant und sehr offensiv geführt. Meine These ist, dass es im Großraum Stuttgart deswegen nicht zu tagelangen Pogromen gekommen ist, weil die ASJ militant gegen die Neonazis vorgegangen ist und sie systematisch verdrängt hat. Eine große Leistung dieser Gruppe. Die hat sich 1993 aufgelöst. Das waren jugendbedingte Gründe, Antipathien, Streitigkeiten, und Wegzug in andere Städte, so wie man das ja heute noch von Gruppen kennt. Die Leute werden einfach älter und suchen ihren anderen Weg. Nach 1993 gab es dann erstmal nichts. Seit 2009 gibt es wieder eine ASJ. Und nicht nur in einer Stadt diesmal, sondern gegründet vor allem in Berlin und in Bonn. Dort entstanden ein paar sehr rege Gruppen, die heute [2013] so 20/30 Mitglieder haben. Die machen auch sehr viele Aktionen. 2011 entstand auch in Leipzig eine ASJ-Gruppe. Die ist sehr rege. Aber auch in vielen anderen Städten gab es kurzzeitig Gruppen. Die sind allerdings nicht ganz so stark, zum Beispiel in Moers, in Mainz, in Göttingen, in Bielefeld. Aber so die konstanten Berlin, Bonn, Leipzig, die machen ganz gut Tamtam. Das lohnt sich, da mal hinzugucken.
Ja, dann bedanke ich mich recht herzlich bei Helge Döhring, Historiker aus Bremen
Literatur:
Helge Döhring: Kein Befehlen, kein Gehorchen! Die Geschichte der syndikalistisch-
anarchistischen Jugend in Deutschland seit 1918, A Propos Verlag, Bern 2011
Audio zur SAJD (Interview mit Helge Döhring bei Radio Blau Leipzig, 2013)
Interview des Politmagazins „Rabotz“ im „Radio Blau“ (Leipzig) mit Helge Döhring zum Buch „Schwarze Scharen“ vom 22.02.2012.
So, ich begrüße jetzt in der Leitung Helge Döhring. Hallo. Und zwar geht’s darum, dass du ein Buch geschrieben hast über die Schwarzen Scharen. Anarcho-Syndikalistische Arbeiterwehr von 1929 bis 1933. […] Als die FAUD schon im Niedergang war, also die Hochzeit weit hinter sich hatte, da haben sich dann im Jahre 1929 verschiedene Ortsgruppen der Schwarzen Scharen gegründet. Was war das genau?
Die Schwarzen Scharen entstanden direkt als Reaktion auf den aufkommenden Faschismus. Denn dieser war ziemlich stark vertreten, gerade in ländlichen Gebieten, auch sehr stark vor allem in den ostelbischen Gebieten. Gegründet hat sich die erste Gruppe im Oktober 1929 in Ratibor. Ratibor war eine Kleinstadt mit etwa 50.000 Einwohnern in Oberschlesien. Und die hatte etwa eine Stärke von knapp 50 Personen. Dieser Impuls, diese Initiative, Schwarze Scharen zu gründen, um eigene Veranstaltungen zu schützen, um eigene Aufmärsche zu schützen, durchzuführen und auch, um Landpropaganda, Landagitation betreiben zu können, weitete sich mit diesen Gruppen und diesen Ideen schnell aus, so dass im Jahre 1930/1931 etwa 150 Mitglieder in Oberschlesien zu verzeichnen waren. Sie haben natürlich geahnt, dass der Hitler nicht nur Reden hält, und dass nicht nur die Ortsverbände der NSDAP immer stärker werden, sondern dass man auch mal langsam was dagegen tun muß. So haben sie zum Beispiel versucht, Waffen zu sammeln, Pistolen, aber auch schwereres Gerät und sind möglichst einheitlich aufgetreten. Also ähnlich wie der Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold oder der Rotfrontkämpferbund von der KPD, haben sie auch versucht, einheitlich aufzutreten und damit abschreckende Wirkung zu erzielen. Deswegen waren sie immer ganz in Schwarz gekleidet und trugen dazu Baskenmützen. Ja, und antimilitaristische Symbole übrigens auch dazu.
Wie war denn das Verhältnis zur FAUD? Sie wurden ja nicht von einer Zentrale gegründet, sondern haben sich eher von alleine gegründet.
Ja, genau, das waren lokale Initiativen, ausgehend von Oberschlesien, dann 1930/1931 sich ausweitend auch nach Wuppertal zum Beispiel, nach Kassel, nach Aachen, auch nach Suhl, nach Berlin. Und sie hatten kein reichsweit einheitliches Statut. Sie hatten auch keine einheitlichen Reichstreffen organisiert, sondern guckten sich im Prinzip alles voneinander ab. Das lief dann eher auf informeller Ebene.
Da gab’s ja teilweise auch so ein bisschen Kritik in der FAUD, weil es ja auch eine pazifistische Strömung gab, denen das dann halt zu matriarchalisch … zu militant war.
Martialisch. (lach)
Genau, das wollt ich sagen (lach) […] Wie sahen denn da die Diskussionen innerhalb der FAUD aus? Also war das eine Option, auch militant gegen Nazis vorzugehen, oder überließ man das den Ortsgruppen oder…?
Also, es waren lokale Initiativen, und sie gingen eher von den jüngeren Mitgliedern aus, in Schlesien ganz stark von den Mitgliedern, die vorher auch mal in der KPD waren. Also von Mitgliedern, die der FAUD meist noch nicht so lange angehört hatten und damit auch die strikt gewerkschaftliche Tradition nicht ganz so stringent verfolgt haben. Die FAUD hat gesagt, wenn wir den Hitler stürzen, dann geht das nur über einen Generalstreik. Das war eine alte Tradition. Und die neuen Mitglieder sagten: Ja, aber was ist, wenn wir den Generalstreik mit unseren knapp 5.000 Mitgliedern nicht mehr schaffen bis dahin, die Zeit rennt uns weg, und außerdem müssen wir uns täglich auf der Strasse wehren, weil wir täglich angegriffen werden. Sprich, wir müssen uns jetzt hier, ganz konkret an Ort und Stelle organisieren und eben auch den Kampf auf der Strasse führen, uns auf die Machtübertragung an Hitler vorbereiten, um dann reagieren zu können, auch militärisch. Insofern gab’s natürlich eine Diskrepanz zu der alten Gewerkschaftsbewegung. Das ist ganz klar. Und sie wurden auch kritisiert, dass sie teilweise militaristisch seien, der Uniformcharakter wurde kritisiert und so weiter. Da gab’s auch die Diskussion drum, ja.
Also der Schwerpunkt war Oberschlesien […] Was haben die denn da so gemacht?
Sie haben viele Ausflüge und Treffen organisiert, auch teilweise mit eigenen Lastkraftwagen. Sie haben zu Demonstrationen und eigenen Veranstaltungen regional mobilisiert. Wenn in Beuthen zum Beispiel eine Veranstaltung war, dann kamen sie mit Lastkraftwagen auch aus Ratibor oder aus Katscher, das sind alles so kleine Städte dort gewesen, oder aus Gleiwitz, das ist vielleicht noch bekannter und konnten 100 bis 150 Menschen mobilisieren dazu. Sie taten auch noch mehr: In Beuthen gab es Mitglieder, die haben sich als Theatertruppe getarnt, um der Polizei später erzählen zu können, das sie die Waffen, die sie dort versteckt haben, nur als Requisiten brauchten. Hat nicht ganz funktioniert. Dort ist ein Sprengstofflager hochgenommen worden. Das war im Mai 1932. Dort wurde ganz viel Dynamit gelagert, was die Mitglieder der Schwarzen Scharen aus den Bergwerkgruben entwendet hatten. Und damit wollten sie offenbar militärisch gegen die Faschisten vorgehen. Ja, das ist dann ausgehoben worden ziemlich schnell, und einige Mitglieder sind geflüchtet über Tschechien nach Spanien. Also wohlgemerkt vor 1933. Und so fand schließlich ein Gerichtsprozeß statt, allerdings waren dann nicht mehr alle Angeklagten im Lande. Und dort gab es ziemlich hohe Haftstrafen gegen die Leute. Was jetzt die Waffen noch anbetrifft, wurden woanders; also in Wuppertal und Kassel weiss ich, dass dort über Anarcho-Syndikalisten in Sömmerda - dort gab’s eine Waffenfabrik - Revolver entwendet und verteilt wurden.
In Sömmerda? Das war doch auch so eine Hochburg?
Ja, also Thüringen und Sachsen, da gab’s in vielen kleineren Industriestädten auch eine FAUD in den 1920er Jahren. Und in Sömmerda, einer Kleinstadt, waren von 5.000 Arbeitern Anfang der 1920er Jahre mal 2.000 in der FAUD organisiert. Dort hatte die FAUD zwar einen starken Abschwung erlitten, aber dennoch bis in die 1930er Jahre starke Betriebsgruppen, eben auch in der Rüstungsindustrie, so dass sie dann noch die Revolver verteilten konnten. Das waren nicht viele, aber teilweise kamen sie dann noch zum Einsatz. Für Wuppertal ist das überliefert.
Wie ging’s denn nach 1933, also nach der Auflösung der FAUD, weiter?
Über die Schwarzen Scharen finden sich als solche keine Quellen mehr wieder. Allerdings ist über Zeitzeugenberichte überliefert, dass führende Mitglieder der Schwarzen Scharen 1932 und auch später noch emigriert sind, vor allem nach Spanien. Und für das Rheinland ist überliefert, dass Mitglieder der Schwarzen Scharen sich später mit Edelweißpiraten zusammen getan haben. Das heißt, sie haben lokal noch weitergewirkt und agiert, aber nicht mehr unter dem Label Schwarze Scharen. […]
Literatur:
Helge Döhring: Schwarze Scharen. Anarcho-Syndikalistische Arbeiterwehr (1929-
1933), Lich 2011
Audio zu den Schwarzen Scharen (Interview mit Helge Döhring bei Radio Blau Leipzig, 2012)