Abel Paz in Deutschland


Helge Doehring
Geschichte Person

15 Jahre nach seinem Tod unvergessen

Abel Paz (Im Pass: Diego Camacho) wurde am 12. August 1921 im spanischen Almeria geboren. Er wuchs in einer anarchistischen Familie auf und hatte seit Kindesbeinen Verbindung mit der anarcho-syndikalistischen Bewegung. In seiner Jugend gründete er zusammen mit Genossen die Gruppe „Los Quijottes del Ideal“ und nahm am sozialen Aufbau während der spanischen Revolution teil. Die spätere Teilnahme an der Guerilla 1942 in Spanien brachte ihm eine Haftstrafe von elf Jahren ein, die er mit gesundheitlichen Schäden, aber geistig ungebrochen überstand. Er prägte den Spruch:

„Denn je stärker das Selbstwertgefühl des Volkes ist, desto schwächer wird die Macht des Staates.“

Abel Paz war nicht immer ein leichter Mensch, was ihm selber jedoch nichts ausmachte. Er starb am 13. April 2009 und wurde der deutschsprachigen Öffentlichkeit vor allem durch seinen biographischen Wälzer über Buenaventura Durruti bekannt, einem der bekanntesten Revolutionäre der anarchistischen Geschichte. An Durruti orientierte sich die Spanische Revolution von 1936. Er faszinierte die ganze Welt und kam Ende 1936 im Kampf gegen die faschistischen Truppen Spaniens durch ungeklärte Umstände ums Leben. Der deutsche Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger setzte ihm in seinem Bestseller „Der kurze Sommer der Anarchie“ ein Denkmal – geklaut bei Abel Paz! Dazu sein Verleger Andreas W. Hohmann: „Abel Paz wurde im Laufe der Zeit einer der wichtigsten Biographen der spanischen Revolution. Sein wichtigstes Werk ist unangefochten das Standardwerk „Durruti – Leben und Tode des spanischen Anarchisten“. Zehn Jahre hat Abel an diesem Buch geschrieben, nur um dann von Hans Magnus Enzensberger für dessen Buch „Der kurze Sommer der Anarchie“ bestohlen zu werden. Abel stellte Enzensberger sein Material zur Verfügung, aber mit der Bitte, es nicht zu verwenden. Doch Enzensberger tat dies und verhinderte so fast die Herausgabe des Durruti-Bands. Ich bin sicher, wenn Enzensberger einmal unter die Erde muss, wird jede Zeitung einen Nachruf bringen und diese Geschichte verschweigen.“ (1)

Den „Durruti“ von Abel Paz legte die „Edition Nautilus“ 1993 in deutscher Sprache auf, über 700 Seiten im Großformat. Es wurde kein Bestseller, aber ein Klassiker zur Geschichte und Vorgeschichte der Spanischen Revolution. Darin geht es nicht nur um die Biographie Durrutis, der in Spanien und in Südamerika für Furore sorgte. Lehrreich für heute erläutert Paz auch das Wesen der gesamten anarcho-syndikalistischen Bewegung in Spanien sowie deren typische Konfliktlinien. Dies macht er in einer detaillierten und gleichermaßen verständlichen Art, so daß kommende Generationen eine ganze Menge Lehren daraus ziehen mögen. Wie verlaufen vorrevolutionäre Prozesse, welche Rolle spielen Interessensgegensätze, unterschiedliche Strategien und die entsprechenden Organisationen darin? All dies erläutert Abel Paz von Mensch zu Mensch. Wir sind nicht seine Adressaten für universitär-soziologische Weisheiten. „Durruti“ wurde 2021 neu übersetzt und aufgelegt im Verlag Edition AV.

Im Folgenden gebe ich Episoden aus den Aufenthalten von Abel Paz in Deutschland wieder, und zwar im Wechsel mit Besprechungen von mir über die vier Bände seiner Lebenserinnerungen, die von 2007 bis 2010 auch Dank guter und fleißiger Übersetzungsarbeit im Verlag Edition AV erschienen sind.

Abel Paz in Bremen und Leipzig

Es war 2003, als Abel Paz im Zuge einer Rundreise in Bremen sprach. Ich hatte von den veranstaltenden Gruppen die Aufgabe übernommen, ihn bei der Ankunft in Empfang zu nehmen. Es war für mich wirklich nicht leicht, trotz meiner freundlichen und offenen Begrüßung von ihm gleich mürrisch ignoriert zu werden. Ohne Gruß oder gar Lächeln ging er an mir vorüber. Das war noch harmlos und für seine Verhältnisse sehr freundlich.

Paz konnte nur Spanisch und diejenigen, die seine Äußerungen auf Veranstaltungen übersetzen mußten, weigerten sich an manchen Stellen und schwiegen pietätvoll. Die Veranstaltung lief nämlich so ab: Eingenebelt vom eigenen Zigarrenqualm und auf einem Sessel gemütlich zurückgelehnt, ließ dieser kleine, gebrechlich erscheinende über 80-jährige Mann kaum eine Gelegenheit aus, auf Fragen zur revolutionären Geschichte Spaniens mal lakonisch, mal barsch zu reagieren. Manchmal wirkte er geradezu griesgrämig. Er wußte es und spielte mit dem Publikum, ließ es auflaufen, besonders wenn er revolutionäre Aufgesetztheit bei Jungintellektuellen witterte. Die Spanische Revolution sei Vergangenheit, unwichtig für heute. Auch bei Fragen zur Gegenwart gab er sich eher verschlossen. In Diskussionen pflegte er kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Seine haarsträubend ehrliche Ausdrucksweise brachte dabei seine "political correctness" gewohnten Zuhörer allzuhäufig zum Verzweifeln. Ein Zuhörer hielt ihm vor, dass in einer anarchistischen Gesellschaft vielleicht der Nahverkehr nicht funktionieren könnte. Als die Ergänzung folgte, dass er, der Zuhörer, dann wohl auch zu solch einer Veranstaltung zu spät kommen könnte, erwiderte Abel Paz lapidar: „Meinst du, dich würde jemand vermissen?“

Nach der Veranstaltung ging ich das Risiko ein, ihn für zwei Bücher um „Autogramme“ zu bitten. Er tat so, als verstünde er entweder mich, oder den Übersetzer nicht, schaute mich sehr kritisch an, zögerte, ließ übersetzen: „Was soll das!?“ Da ich in meiner Freundlichkeit nicht nachließ, signierte er schließlich seine beiden Durruti-Bücher und Rockers „Nationalismus und Kultur“. Ich begründete dies nämlich mit meinem Plan, Rockers Buch im Laufe vieler weiterer Jahre von weiteren bedeutenden anarchistischen Persönlichkeiten der Geschichte signieren zu lassen, um diese Menschen symbolisch auf eine Seite zu bekommen. Und, wie er dem noch leeren Buchblatt ansehen konnte, war er der erste Unterzeichner. Anscheinend hatte ich ihn – der Personenkult verabscheute – überzeugt, indem ich ihm reinen Herzens signalisierte, das es viel mehr für mich bedeute als ein „Autogramm“.

Auch in Leipzig machte er Station, und zwar am 20. Juni 2003 im FAU-nahen und vollbesetzten Veranstaltungszentrum „Libelle“: „Die Gesprächsrunde […] war durch das taffe Auftreten des Achtzigjährigen geprägt, in dessen wachen Augen sich der glühende Verfechter sozialer und anarchistischer Ideen widerspiegelte. Es war eine Begegnung der vielen Fragen und einiger Antworten, ein Gespräch zwischen Jugend und Alter, eine gegenseitige Erfahrung. Am nächsten Tag gab er dem libertären Monatsheft „Feierabend“ ein Interview. Bevor die Fragenden aus ihm jedoch inhaltliches entlocken konnten, gab sich Abel Paz, der unnötig abstrakte, akademisch aufgeladene Fragen hasste, eher abweisend. „Wenn die Leute von dir hören, was denkst du, interessiert sie am meisten? Die Bedingungen während des spanischen Bürgerkrieges oder anarchistische Ideen? Wie schätzt du das ein? Abel Paz: Ich hab keine genaue Vorstellung davon, was die Leute denken, weil sie keine persönlichen Fragen stellen.“ Die Veranstalter aus Leipzig erkannten den hohen Wert des verbalen Umgangs mit Abel Paz und betonten ferner: „Besonderer Dank gilt Elena als Tapferste des tapferen fünfköpfigen Übersetzungsteams der Veranstaltung.“ (2)

Abel Paz hatte nicht nur als Biograph Durrutis sehr viel zu erzählen, sondern faßte auch seine eigenen Lebenserfahrungen in erkenntnisreichen Sätzen zusammen. Hier bietet sich ein Zugang zu ihm, der sich wirklich lohnt, nämlich nicht über abgehobene Wissenschaft und vorgegebene Denkstrukturen, sondern über das Leben als Mensch in seiner Gesamtheit. Wer ihn auf einer Veranstaltung genau betrachtete, konnte dies auch erkennen. Er war ein Historiker, der sich nicht von unsinnigen bürgerlichen Konventionen hat bestimmen lassen. An deren Stelle setzte er den klaren Menschenverstand und das freie Denken, was er jederzeit um wissenschaftliche Genauigkeit und Sorgfalt zu ergänzen in der Lage war. Als aktiver Anarcho-Syndikalist blieb er zugleich beweglich im Kopf und selbstbewusst. So konnte er als Mensch Dinge erklären, die dem reinen Wissenschaftler fremd sind. Geschichte war für ihn kein Selbstzweck. (3)

Der Verlag Edition AV erläuterte: „Ende der 80er Jahre begann er mit der Niederschrift seiner eigenen Biographie, die am Ende vier Bände lang werden sollte. Und weil sich kein spanischer Verlag für die Bände interessierte, verlegte Abel die Bände mit Hilfe der spanischen CNT selbst.“ (4)

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Band 1: 1921-1936 Jugend

Abel Paz verbringt seine Kindheit im andalusischen Almeria. Kopf der in ärmlichen Verhältnissen lebenden Familie ist seine Mutter. Paz lernt auf eigene Faust lesen und schreiben, macht in sehr jungen Jahren seine ersten sexuellen Erfahrungen, und wirkt in jeder Phase wissensdurstig – gut für ein spannendes Leben, an dem er uns hintergründig dargeboten bis zum Ausbruch der Spanischen Revolution im Jahre 1936 teilhaben lässt. Er geht nach Barcelona zu seinem Onkel, besucht dort eine der modernen weltlichen Schulen, die nach den Prinzipien des libertären Pädagogen Francisco Ferrer aufgebaut wurden, und findet Anschluß an die anarcho-syndikalistische Jugendorganisation. Am Vorabend der Revolution beschreibt er die Stimmung in der Stadt, die politischen Hintergründe und die unmittelbare Wechselwirkung auf sich und sein Lebensumfeld. Er gibt uns Einblick in die Arbeiterkultur und schließlich in die konkreten Vorbereitungen, sich den Faschisten entgegenzustellen. Paz selber ist zu diesem Zeitpunkt 15 Jahre alt und hat in der Arbeitswelt bereits Erfahrungen in einer Textilfabrik und als Verkäufer in einem Kiosk gemacht. In letzterer Eigenschaft bekommt er die Stimmung der Bevölkerung Barcelonas hautnah mit, die letzten Tage vor der Revolution lässt er uns in einem Zeitticker miterleben. Abel Paz erläutert die Grundsteine seines Lebens, die ihn schließlich dazu befähigen sollten, über die Spanische Revolution hinaus im Untergrund gegen den Franco-Faschismus Widerstand zu leisten, für viele Jahre inhaftiert zu werden und ins Exil zu gehen, um erst nach Francos Tod nach Spanien zurückzukehren. (5)

Abel Paz in Bochum

Hierüber berichtete die FAU-Düsseldorf: „Zuerst das, was einem sofort ins Auge stach: Diego war den ‚Freuden des Lebens‘ nicht abgeneigt, er rauchte wie ein Schlot zu den Hochzeiten der Industrialisierung im Ruhrgebiet und auch einem guten Glas Wein (oder auch zwei, drei Gläsern mehr) war er nicht abgeneigt.

Bei meiner letzten Begegnung mit ihm (Bahnhof Langendreer in Bochum), schien er mir in einem gewissen Sinne müde, ohne dabei seine Energie verloren zu haben. Nach einem kurzen Film und ein paar Worten von ihm zur spanischen Revolution waren die Menschen eingeladen mit ihm zu diskutieren. Auf die interessierte Frage eines jungen Mannes, wie denn damals die Anarchisten die Wirtschaft organisiert hätten, antwortete er lapidar: ‚Die Menschen heute sind sehr faul. Sie stellen keine guten Fragen und sie lesen nicht mehr. Geh, kauf dir ein Buch und ließ. Es ist alles aufgeschrieben‘.

Ich für meinen Teil kann seine Haltung gut verstehen, auch wenn ich seinen Tonfall zu rüde fand. Noch ein paar Jahre vorher wirkte er in solchen Situationen gelassener. Ich erinnere mich daran, das er im BiBaBuZe war. In der ersten Reihe saß Hans Schmitz [ehemals FAUD und Schwarze Scharen] und lauschte den Schilderungen von Diego. Später fragte Hans nach. Er selbst sei Schlosser, ob er mit seinem Werkzeug durch Barcelona hätte laufen müssen und jemanden finden, der das was er kann zum Beispiel gegen Tomaten tauschen würde. Wir hatten die beiden vorher nicht miteinander bekannt gemacht und ich weiß nicht ob diese alten Anarchisten ein geheimes Signal hatten mit dem sie sich gegenseitig erkennen konnten, aber: Diego nahm die Frage zum Anlass in aller kürze und sehr anschaulich zu erklären, wie Anarchie in der Praxis aussehen kann. Ich glaube beide waren mit der Frage und der Antwort sehr zufrieden.

Bemerkenswert auch seine Antwort auf die Frage eines jungen Antifaschisten. Stellvertretend für viele Antifas wollte er wissen, ob sich Diego nach seiner Flucht aus Spanien in Frankreich dem antifaschistischem Widerstand angeschlossen hätte. So mitfühlend er gerade noch die Frage vom Hans beantwortet hatte, so schroff wurde er nun: Der antifaschistische Widerstand sei nur ein Widerstand gegen den Faschismus gewesen und hätte nur auf die „Befreiung Frankreichs vom Faschismus“ gezielt. Er hätte jedoch für (!) die Revolution gekämpft, seine FreundInnen und KameradInnen (Genossen sagen die Kommunisten) wäre gestorben für die Anarchie. Er hätte es vorgezogen weiterhin für den libertären Kommunismus zu kämpfen.“ **(6)**

Band 2: 1936-1939 „Innenansichten aus der Spanischen Revolution“

Zu Beginn der Revolution im Juli 1936 ist Abel Paz 15 Jahre alt und Mitglied der libertären Jugend. Während der Kämpfe streift er durch die Straßen um die Barrikaden herum, nimmt als Delegierter an Treffen der anarcho-syndikalistischen Organisationen teil, beobachtet dabei kritisch Persönlichkeiten wie Federica Montseny, Diego Abad de Santillan oder Garcia Oliver („sprach in arrogantem Ton“). Am genauesten und beeindruckendsten beschreibt er das allmähliche Zurückdrängen revolutionärer Errungenschaften in Barcelona seitens der Regierung und der kommunistischen Organisationen; eine lange Agonie der Freiheit. Er nimmt sich alle Zeit dafür, da die einzelnen Schritte und Zäsuren sehr lehrreich sind. Wer dabei nur an die oft geschilderten „Maiereignisse“ denkt, wo kommunistische Kräfte die von der CNT gehaltene Telefonzentrale militärisch stürmten, wird bei Paz darüber hinaus in vielen Details und anderweitig fündig. Auch der Frage, was diese verzwickte Situation für die allgemeine Stimmung in der Stadt und im einzelnen für die betroffenen Arbeiter und Libertären bedeutete, geht er anschaulich und analytisch nach. Dabei folgt er seinen persönlichen Erlebnissen und der zeitgenössischen Berichterstattung. Nähe und Distanz zu den Geschehnissen vereinen sich bei Paz zu einem facettenreichen Gesamtwerk.

„Niemals standen sich in unserem Krieg zwei Heere gegenüber, sondern stets zwei Klassen: das Proletariat und die Bourgeoisie“

Immer wieder stellt er heraus, dass die CNT-FAI-Führungsebene sich gegenüber der Mitgliederbasis verselbständigte. Die Opposition gegenüber der offiziellen anarcho-syndikalistischen Politik fiel schwach aus, ihre Aktivitäten wurden verboten und bestraft. Das Zentralorgan der CNT, die „Solidaridad Obrera“ stand ganz im Dienste der CNT-Führung und arbeitete dabei mit unlauteren Mitteln, wie sie sonst nur von der bürgerlichen und kommunistischen Presse bekannt sind. Propagandistisch deckelte und rechtfertigte sie die repressiven Maßnahmen der Regierung und wieder eingesetzte Polizei. Eine Rede Durrutis wurde entscheidend verfälscht. Auch „drehte“ sie an den ersten Kämpfen zwischen Anarcho-Syndikalisten und Kommunisten im März 1937 und den ersten Feuergefechten zwischen ihnen einen Monat später. Der 1. Mai des Jahres wurde in Barcelona nicht offiziell gefeiert, um den trügerischen inneren Frieden aufrecht zu erhalten!

Paz betont ausdrücklich: „Eigentlich waren die Straßen fest in den Händen der CNT und der FAI […] Man musste nur noch einen Generalangriff [auf die Stalinisten und katalanischen Nationalisten] organisierten, es wäre problemlos machbar gewesen. Aber da zogen die CNT-FAI Komitees die Bremse, da sie glaubten, es seien noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden, um eine bewaffnete Auseinandersetzung zu vermeiden […] denn eines war uns allen klar: hätten wir mit ihnen ‚aufräumen’ wollen, wir hätten sie innerhalb von 24 Stunden erledigen können“. Derweil steckten die Stalinisten und ihre ausführenden Organe immer mehr Arbeiter in die Gefängnisse. Später wurde gefoltert und gemordet, u.a. die italienischen Anarchisten Camilo Berneri und Francesco Barbieri.

Da der Autor auch die Landkollektive besuchte, schildert er uns von dort seine Eindrücke und lässt uns teilhaben an der Kunst und der Arbeit selbstorganisierter Landwirtschaft. Auch hier kommen Hintergründe und Analysen nicht zu kurz. Für die Stadt beschreibt Paz anschaulich die konkrete Organisation des alltäglichen Lebens, der Produktion und der Komitees, der Arbeitermilizen, ihre Aufgaben und ihre Zusammenkünfte. Und das im Großen, wie auch im Detail. Desweiteren behandelt er die starke und reaktionäre Partei der katalanischen Separatisten, von deren Einfluß in anderen Büchern nicht oft die Rede ist. Mit dem Protokoll des „Nationalen Plenums der libertären Bewegung“ aus dem Jahr 1938 legt Paz zudem ein wichtiges Dokument offen, welches authentisch tiefe Einblicke gewährt:

„Was macht das soziale Leben in einem kleinen oder großen Ort aus? Es ist das soziale Wohlbefinden: wenn die Bedürfnisse nach Nahrung, gesundheitlicher Versorgung und Kultur gleichermaßen gedeckt sind. Aber wenn man der Erfüllung dieser Bedürfnisse noch die kollektive Partizipation in administrativen und politischen Belangen hinzufügt, ohne dass ein parasitärer bürokratischer Organismus den im Kollektiv erwirtschafteten Mehrwert absorbiert (wie es bei den in der Sowjetunion durchgesetzten totalitären Regimen der Fall war), kann man sagen, dass ein solches System eine hohe Stufe im sozialen Streben nach einer klassenlosen Gesellschaft erreicht hat, dem Streben des utopischen Sozialismus. Das war bei uns der Fall. […] Ich glaube, dass die Befreiung des Menschen in seiner vollständigen Selbstbeherrschung liegen muss, was seine ständige Verantwortung in allen die Gesellschaft betreffenden Angelegenheiten impliziert.“ (7)

Abel Paz im hessischen Lich

Sein Verleger in Deutschland hatte mehr als nur eine flüchtige Begegnung durchzustehen, denn Abel Paz übernachtete dort. Andreas W. Hohmann erläuterte auf einer Lesung aus Werken von Abel Paz vor anarchistischem Buchmessenpublikum 2010:

„Ich weiß nicht: Kennt ihr Abel Paz. Habt ihr ihn schonmal live erlebt? Also Abel Paz ist der, der ja eher so [Hohmann macht rauhstimmige Motzlaute] geredet hat. Wenn man meine Tochter fragt, wer Abel Paz ist, dann sagt sie ‚Das ist der alte Mann, der in Dieters [WG-Genosse] Bett liegt und rumpupst.‘ [schallendes Gelächter im Publikum] Wir wohnen ja alle in einer Kommune. Und immer, wenn Abel da war, hat er in Dieters Zimmer geschlafen und die Tür auch nicht zugemacht und war da im Bett [Hohmann macht lautes Furzgeräusch]. Wenn man meine Frau fragt, wer Abel Paz ist, dann sagt sie: ‚Das ist dieser widerliche Drecksack, der überall, wo er geht und steht, raucht!‘ Und bei uns, muß man sagen, ist wegen der Kinder überall Rauchverbot. Im Verlag darf man rauchen, draußen darf man rauchen, aber im ganzen Haus ist Rauchverbot. Und Abel Paz ist ja wirklich einer, also ich habe das immer für einen Fake gehalten, aber das war so, der hat wirklich einen Wecker gestellt, ist dann nachts um zwei aufgestanden, hat zwei Gauloises geraucht, eine halbe Flasche Wein getrunken und hat sich wieder hingelegt.“

Diese Opfer sollten sich lohnen, so Hohmann weiter:

„Wir sind uns mit Abel Paz ziemlich schnell handelseinig geworden. Er hat auf alle Rechte verzichtet. Und was ein Kuriosum ist: Er hat uns sozusagen seine Rechte übertragen, aber nicht nur die Rechte für den deutschen Markt, sondern er hat uns die Weltrechte gegeben.“

Allerdings, so der Wehrmutstropfen:

„Es gibt auch einen Band 5. Der ist aber nie erschienen, auch nicht auf Spanisch. Seine Frau hat da die Rechte drauf, und sie möchte nicht, dass das veröffentlicht wird.“ (8)

Band 3: 1939-1942 „Vertreibung und Flucht“

Anfang 1939 müssen die Kämpfer ihre Sachen packen und vor den vorrückenden Faschisten weichen, wollen sie nicht gleich in den Untergrund gehen oder sich ihnen ausliefern. So strömen hunderttausende Spanier an die französische Grenze. Dort erwartet sie zumeist die Internierung in Lager unter menschenunwürdigen Bedingungen: Nahrungsmangel, desolaten hygienischen Verhältnissen und mangelnden Perspektiven. Kaum jemand hat ein Interesse an ihnen, den einzigen, die gegen den Faschismus in Europa wirklich aufgestanden waren und gekämpft hatten! Abel Paz landet nicht sofort in einem Internierungslager, sondern versucht, sich zusammen mit Freunden in Frankreich anderweitig von Ort zu Ort durchzuschlagen. Die Aufenthalte sind kurz. Dann geht es weiter zum nächsten Unterschlupf. Vor der französischen Polizei wird er nur kurz gefangengehalten, dann gelingt ihm die Flucht.

So geht es, dank vielfacher gelebter Solidarität von Genossen und anderen Menschen, einige Monate, bis er schließlich doch in mehrere Internierungslager gesteckt wird: „Glücklicherweise war die Solidarität kein Mythos, sondern greifbare Wirklichkeit. […] Wir lebten alle noch mit den Werten, die wir im Schützengraben und auf den Barrikaden verteidigt hatten, als wir für eine bessere Welt kämpften.“ Nicht außer Acht lässt Paz dabei die Arbeitseinsätze, die Ausbeutung der spanischen Flüchtlinge durch Kapitalinteressen und das schlechte Betragen der französischen Staatsorgane. Zu jeder Zeit setzen sich die Gefangenen zur Wehr, denn Widerstand fängt im Kleinen an und ist immer möglich, angefangen bei gegenseitiger Hilfe. Hierauf liegt die Hauptbetonung des Buches, bewiesen gerade in solchen besonders schweren Zeiten. Die Lager seien nämlich, horrenden Bedingungen zum Trotz, auch Zentren des solidarischen „menschlichen Zusammenlebens, des Lernens, der Erfahrung, des sozialen Zusammenlebens ohne Autorität und ohne Strafgesetze [gewesen]. Die Gemeinschaftserfahrung der französischen Konzentrationslager liefert den Anthropologen Fakten zur Untersuchung von Gesellschaften ohne Autorität und Staat“, so empfindet es der Autor. In seinen Schilderungen lässt er nie die politischen Dimensionen außer acht. So beschreibt er auch die politischen Kräfteverhältnisse, beispielsweise in den Internierungslagern Argelés-sur-Mer und Barcarés. Die Anarcho-Syndikalisten versuchen, Exilorganisationen aus der einstigen CNT aufzubauen, sich unter den widrigen Bedingungen und illegal zu reorganisieren. Mit den moskauhörigen kommunistischen Organisationen haben sie „noch eine Rechnung offen“. Warum, das beschreibt Paz auch in diesem dritten Band seiner Biographie anschaulich.

1940 marschieren deutsche Soldaten in Frankreich ein, im Schlepptau die Nazibehörden, die versuchen, anarchistische Spanienkämpfer aufzuspüren, um sie an Franco auszuliefern. Die Kommunisten dagegen hoffen, wegen des Hitler-Stalin-Paktes, heile aus der Sache herauszukommen und machen bei den Nazis lieb Kind – ein Trugschluß, wie sich herausstellt. Die Nordhälfte Frankreichs wird besetzt, und so flüchtet auch Abel Paz gen Süden von Station zu Station. Mitstreiter werden verhaftet und ermordet, andere Bekannte trifft er in diesen Wirren erst wieder. Er selber solle schon nach Spanien ausgewiesen werden, als ihm noch die Flucht gelingt. Abel Paz ist wie viele andere nicht gewillt, den ganzen Dreck einfach zu schlucken: „Entweder wir ergaben uns den Deutschen, oder wir kämpften in einer Guerilla gegen sie, oder wir gingen in Windeseile nach Spanien zurück. Uns erwartete auf alle Fälle der Kampf.“

So sammeln sich im Jahre 1942 einige junge Genossen, um wieder nach Spanien zurückzugehen und den Kampf gegen die Franco-Faschisten erneut aufzunehmen. Sein feuriges Herz hat Abel Paz nie verloren, außer als internierter Zwangsarbeiter – an eine junge Dame, ein Zusammensein, das indes nicht lange halten sollte. (9)

Abel Paz in Berlin und Hamburg

Abel Paz ist auch heute noch beliebtes Thema in geselligen Runden. Denn seine Auftritte sind vielen Zuhörern in guter Erinnerung geblieben. Beispielsweise, dass er auf einer Veranstaltung in Berlin einer im Gesicht alternativ-modisch gepiercten Zuhörerin vorgehalten haben soll, warum sie sich als Frau derart verschandeln würde.

Abel Paz mag der gepiercten Frau und manchen anderen Unrecht getan haben. Gegenüber dem „Libertären Monatsheft Feierabend“ aus Leipzig beklagte er 2003 eine heutige „Kultur light“. Es fehle eine tiefe und ergreifende soziale Kultur, es handele sich nicht mehr „um einen wirklichen Kampf“, sondern eher um „Folklore“: „Was man heutzutage unter Kultur versteht, ist keine Kultur. […] Wer von euch hungert? […]“ (10)

Die sozialen und mentalen Realitäten seiner eigenen Entwicklung vermutete Abel Paz als grundsätzlich verschieden von denen seines Publikums in Deutschland 70 Jahre später:

„Wir mussten schon mit 12 Jahren arbeiten und waren voll dabei in den sozialen Kämpfen. Ich sage immer: Wir wurden Erwachsene, ohne Kinder gewesen zu sein. Als der Krieg begann, war ich gerade 15 Jahre alt geworden. Ich habe meine Kindheit nicht vollendet, als ich erwachsen war und es gab Hunderttausende, die aufgrund ihrer Biographie dastanden wie ich. […] Wir waren [im Jahr 1941] jung, 20 Jahre alt. Das ist das schönste Alter, da überlegt man nicht lange. Man ist der Auffassung, dass es richtig ist und dann geht man [in den Widerstand gegen Franco]. Ich bin nun 83 Jahre alt und ich fühle mich wie 20. Ich glaube, das kommt daher, dass ich in meinem ganzen Leben so viele Gegenschläge erfahren habe, die ich ertragen habe, ohne gebrochen zu werden. Sie haben es nicht geschafft, mich zum Reformisten zu machen. […] Anarchistisch sind die menschlichen Gedanken und in Richtung Anarchismus wird die Geschichte gehen. Gustav Landauer hat geschrieben, dass der Anarchismus ein historischer Prozess ist. Die Betonung liegt hierbei auf Prozess mit zwei Maximen: Das Leben für den Kampf und der Kampf für das Leben. Das beschreibt den Sinn des Anarchismus. Da ist nichts Statisches und Theoretisches, es geht um den wiederkehrenden Kampf um Veränderung und die Entfaltung menschlicher Bedürfnisse. Anarchismus ist ein Bestandteil menschlichen Lebens.“ (11)

Anderes Beispiel: Ein als streitbar berüchtigter Genosse aus Hamburg kommentierte seine eigene Begegnung mit Abel Paz mir gegenüber kopfschüttelnd so: „Ich brauche ja wenigstens noch irgend einen Grund zum motzen...“ (12)

Band 4: 1942-1954 „Widerstand und Gefängnis“

Der Band umfasst etwa 500 Seiten und beschreibt hauptsächlich die Geschichte aus den spanischen Gefängnissen, denn lange bleibt Abel Paz nicht in Freiheit. Nur zögerlich beschafft er sich nach dem Grenzübertritt aus Frankreich mit einem Mitkämpfer in Barcelona eine Schusswaffe. Ohne je eine Aktion zu machen, allein mit der Überlebenssicherung als Illegale beschäftigt, kommt ihnen die Polizei auf die Spur. Nach einem mehrjährigen Gefängnisaufenthalt wegen bloßem Verdachts auf Widerstandstätigkeiten kommt er als Funktionär (Verbindungsmann und Beauftragter für das Pressewesen) der anarcho-syndikalistischen Jugendorganisation in Madrid zum „Einsatz“. Es geht hauptsächlich darum, die illegale Organisation aufrechtzuerhalten. An Guerillaaktivitäten ist Paz nicht beteiligt, kommt dennoch abermals für einige Jahre in verschiedene Gefängnisse. Als sich ihm durch einen Zufall die Möglichkeiten bietet, Franco auf offener Straße zu erschießen, trägt er seine Waffe nicht bei sich.

„Mindestens fünf Minuten lang hatte ich Franco etwa dreißig Meter vor mir. Ich war völlig verblüfft. Dort, direkt vor mir, stand der Tyrann, und ich konnte nichts tun, um das leidende Volk von ihm zu befreien. Hätte ich eine Pistole dabei gehabt, so bin ich sicher, dass Franco unter meinen Kugeln gestorben wäre.“

Er schildert sehr anschaulich die Widerstandsmöglichkeiten und Schwierigkeiten während der Diktatur, die Aufbauversuche der anarcho-syndikalistischen Bewegung, die im Jahre 1946 allein in Barcelona über 30.000 Mitglieder in der „Confederacion nacional del Trabajo“ (CNT) verfügt. Es gibt lokale Streiks und Aufstände (Bilbao), sowie in den Bergen aktive Guerillaeinheiten von Kommunisten und Anarcho-Syndikalisten. Mit Ende des Zweiten Weltkrieges erwachen auch in Spanien Hoffnungen auf einen Abtritt Francos. Doch ist die anarcho-syndikalistische Bewegung auf sich alleine gestellt. Nach seiner Entlassung wird Paz als Delegierter der „Inlands-CNT“ zum in Paris stattfindenden Kongress der „Internationalen Arbeiter-Assoziation“ (IAA) entsandt, bleibt in Frankreich und kehrt kurze Zeit später nur noch einmal kurz zurück. Allein die Beschreibung dieses IAA-Kongresses stellt ein wichtiges Zeitdokument dar. Die Gefängnisse Spaniens sind gefüllt mit einem großen Anteil politischer Gefangener, davon die meisten aus der CNT, der „Federacion Anarquista Iberica“ (FAI) und der anarcho-syndikalistischen Jugendbewegung. Paz beschreibt vor dem Hintergrund der nationalen und weltpolitischen Lage nicht nur die dortigen Zustände sehr genau, sondern auch die Möglichkeiten der Gefangenenorganisation, ihre Kontakte untereinander und die Möglichkeiten und Risiken des Widerstandes. Es mangelt trotz Schilderungen staatlicher Brutalitäten nicht an humoristischen Szenen, beispielsweise darüber, wie die Entlassungsgespräche zwischen den gefangenen revolutionären Arbeitern mit den Gefängnispfarrern verlaufen. Letztere müssen zu vorzeitigen Entlassungen ihre Zustimmung geben, nicht ohne vorher die Bibelfestigkeit dieser Atheisten zu prüfen.

In einer anderen Szene will ein bildungsarmer Gefängnispfarrer wissen, wer ein bestimmtes Buch ins Gefängnis geschmuggelt habe und blamiert sich dabei vor allen Häftlingen. Denn auf seine Frage, „von wem das Buch“ sei, hat er von einem schadenfrohen Häftling den Buchautoren statt den Namen des buchbesitzenden Häftlings genannt bekommen. Zornerfüllt und sehr erregt ließ er daraufhin zur Bestrafung einen gewissen „Miguel de Cervantes“ ausrufen. (13)

Abel Paz in München, Europa und bei uns

Doch wie ging es weiter mit Hans Magnus Enzensberger? „[...]Als er in München war, […] kam [Abel Paz] auf die Idee und sagte: ‚Jou, wir wollen jetzt unbedingt zu Hans Magnus Enzensberger und ihm aufs Maul hauen.‘ Er ließ sich davon auch nicht abbringen. Wir sind dann zu seiner Wohnung gefahren – wir hatten auch jemanden, der die Adresse hatte – der hat ihn dann auch so ein bißchen aufgestachelt. Gut, dann fahren wir da jetzt hin. Er war aber nicht zuhause“, so Andreas W. Hohmann. (14)

Bei allen Geschichten, die sich um Abel Paz ranken, eine besondere Frage: Wer eigentlich fuhr Abel Paz durch halb Europa?

Der Mensch, mit dem Abel Paz die meiste Zeit seines restlichen Lebens verbracht haben dürfte, war nicht seine Frau, sondern sein Fahrer Dieter Gebauer [gesprochen: Geehbauer], der es verdient, besonders und dankend erwähnt zu werden. Was sie auf den Strecken besprachen, ist nicht bekannt. Valentin Tschepego hielt in einem Nachruf fest: „Dieter war die Seele dieser für viele prägenden Rundreisen. Er sorgte für das Gelingen, hielt sich aber selbst zurück.“ (15) Dieter Gebauer setzte sich besonders auch für das schriftliche Werk von Abel Paz ein. Über ihn lief der weitere Kontakt, denn Abel Paz reiste auch deshalb durch Europa, weil er sich für Schauplätze interessierte, an denen Aufstände und Revolutionen stattfanden. In Bremen war dies der Waller Friedhof, vor dessen Denkmal zur Räterevolution sich Abel Paz mit Genossinnen und Genossen ablichten ließ. Über Dieter ließen wir ihm nach seiner Veranstaltung in Bremen weitere Materialien über diese historischen Ereignisse in Bremen zukommen. Dieter Gebauer, ohne den dieser Text nicht geschrieben werden könnte, starb am 9. Dezember 2018.

Abel Paz fasziniert als Schriftsteller, Historiker und Mensch, der die komplizierten Zusammenhänge dieser (Vor-)revolutionären Epochen auf Mikro- und Makroebene flüssig zu veranschaulichen und zu analysieren wußte. Er war wirklich ein Unikum und so las und besprach ich alle vier Bände seiner Memoiren. (16) Es war für mich kaum zu fassen, wie dieser bisweilen garstige Referent derart erhellende und zärtliche Bücher schreiben konnte. Kennt ihr sein erstes Liebeserlebnis? Steht in Band 1.

Sein Wirken darüber hinaus mag in seinen folgenden Sätzen am besten zur Geltung kommen:

„Damals entstand ein Solidaritätsgefühl, das mit der Situation eines Hausbrandes in der Nachbarschaft in einer Stadt vergleichbar ist. Das erste, was man tut, ist, die Leute drinnen zu warnen, sie herauszuholen, irgendwie zu organisieren, dass da keiner zu Schaden kommt. Egal, ob man den Nachbarn mag oder nicht. Man eilt zur Hilfe. Oder wie es bei den Bauern ist, wenn Sturm aufkommt. Dann vereinen sich alle Bauern und Bäuerinnen aus einem Dorf, um zu versuchen, sich so zu organisieren, dass die Ernte nicht zu stark beschädigt wird, dass sie ihre Ernte retten können – egal, welche Streitigkeiten es zuvor gegeben hat. So ist auch die Revolution. Leute, die sich vorher nicht kannten oder sich nicht mochten, kämpften mit einem Mal gemeinsam für eine Sache. Und diese Solidarität ist das wichtige an einer Revolution. Die Differenzen unter den Leuten waren verschwunden. Menschen, die sich nicht kannten, sprachen miteinander und befragten sich gegenseitig. Das ist ein Phänomen der Revolution. Diese Dinge habe ich zweimal in meinem Leben erlebt: am 19. Juli 1936 in Barcelona und im Mai 1968 in Paris. Der Klassenunterschied verschwand. Es kam eine Freude auf, endlich das Leben in die Hand nehmen zu können. Auch wenn man weiß, dass die Macht, die einem gegenüber steht, wesentlich stärker und organisierter ist, ist man sich in diesem Moment trotzdem sicher, dass man sie besiegen kann. Man geht einfach ans Werk, weil man von sich selbst überzeugt ist.“ (17)

Doch war Abel Paz nicht nur von seinen eigenen Werken überzeugt, so Andreas W. Hohmann:

„Ich hab ihn aber auch mal bei einer Veranstaltung erlebt. Da ist er von einem sehr jungen Menschen gefragt worden, wie das da war, und dann brüllte er: ‚Dann lies doch endlich mal Landauer, dann weißt du, was Anarchie ist!‘“ (18)

Und weiter:

„Als Abel das letzte Mal bei uns war, war er schon ein gebrechlicher Mann, dem unser Essen nicht schmeckte und der uns viel zusätzliche Arbeit kostete. Aber wir erinnern uns auch an seine geistige Lebhaftigkeit und sein großes Interesse an unserer Arbeit. An seine Begeisterung für die Anarchie. […] Viele kennen Abel Paz über seine Schriften oder Veranstaltungen. Einige mochten seine ruppige Art nicht. Er erregte oft Anstoß – er provozierte gerne und er stieß manchmal diejenigen weg, die sich für ‚die besseren Menschen‘ hielten. Aber eine Teilnahme an einer Demonstration gegen den Krieg, den Rassismus oder gegen die Globalisierung macht noch keine Revolution. Um mit Abel Paz zu sprechen: ‚Die Revolution ist eine Sache, die wir jeden Tag und zu jeder Zeit leben müssen.‘ (Dazu zwei Zigaretten.) […] Gestorben ist nur der Körper von Abel.“ (19)

Anmerkungen

  • (1) „Direkte Aktion“, Nr. 193 vom Mai/Juni 2009: „Mit 15 ein Kämpfer gegen Franco. Der Autor, Anarchist und Biograph der Spanischen Revolution Abel Paz (Diego Camacho) ist am 13. April in Barcelona gestorben.“ Abel Paz erklärte das Geschehen so: „1971 bekam übrigens Hans Magnus Enzensberger von einem deutschen Fernsehsender den Auftrag zu einem Film über Durruti. Nachdem er in dem „Instituut voor Sodale Geschiedenis“ in Amsterdam relativ erfolglos in der Materialrecherche gewesen ist, bekam er dort den Rat, sich an mich zu wenden, da dort bekannt war, dass ich das umfangreichste Material über Durruti hatte. Also kam er und ich unterstützte ihn mit Material und Fotos sowie Vorschlägen und Kontakte für Interviews. Dies nutzte er auch ausgiebig, gab mir jedoch das Versprechen, nichts darüber zu publizieren, da mein Buch zu jenem Zeitpunkt schon fertig war. Bekanntermaßen hat er sich nicht daran gehalten.“, aus: Lotta Nr.13, antifaschistische Zeitung aus NRW.
  • (2) Interview mit Abel Paz (2003), in: „Feierabend – Libertäres Monatsheft aus Leipzig“, Nr. 7/Juli 2003, neu gedruckt in „Syfo – Forschung & Bewegung, Nr. 1/2011, S. 100-106.
  • (3) Aus einem Nachruf des Instituts für Syndikalismusforschung: „Unser Abschied von Abel Paz (1921-2009)“
  • (4) „Direkte Aktion“, Nr. 193 vom Mai/Juni 2009
  • (5) Besprechung: „…mitten auf einem revolutionären Fest’. Biographie von Abel Paz erschienen“ zu: Abel Paz: „Feigenkakteen und Skorpione. Eine Biographie (1921-1936)“, 2009.
  • (6) FAU-Düsseldorf: Diego Camacho, genannt Abel Paz ist gestorben (* 12. August 1921 in Almería; † 13. April 2009 in Barcelona), vom 2. Januar 2016
  • (7) Erschienen in: „Gegenwind“, Nr. 241, 2008.
  • (8) Lesung von Andreas W. Hohmann am 17.12.2010 in der Anarchistischen Bibliothek Wien, Sendung im Anarchistischen Radio Wien vom 19. Dezember 2010. Auch hier
  • (9) Erschienen in: Gegenwind, Nr. 252/September 2009.
  • (10) Interview mit Abel Paz (2003), in: „Feierabend – Libertäres Monatsheft aus Leipzig“, Nr. 7/Juli 2003, neu gedruckt in „Syfo – Forschung & Bewegung, Nr. 1/2011, S. 100-106.
  • (11) Aus: Lotta Nr.13, antifaschistische Zeitung aus NRW: „Wir nannten uns ,‘Die Anarchisten mit den Idealen Don Quichottes’. Ein Gespräch mit dem Anarchisten Abel Paz“
  • (12) Diskretion, Diskretion….
  • (13) Erschienen in: „Direkte Aktion“, Nr. 201 (September/Oktober 2010).
  • (14) Lesung von Andreas W. Hohmann am 17.12.2010 in der Anarchistischen Bibliothek Wien, Sendung im Anarchistischen Radio Wien vom 19. Dezember 2010. Auch hier
  • (15) Valentin Tschepogo: Ein leiser Nachruf, in: „Syfo – Forschung & Bewegung“, Nr. 9/2019, S. 28.
  • (16) edition av
  • (17) Aus: Bernd Drücke u.a. (Hg.): Abel Paz und die Spanische Revolution.Interviews und Vorträge. Hieraus stammt auch das Eingangszitat von Abel Paz.
  • (18) Andreas W. Hohmann im Interview bei „Radio Z“ vom 22. Dezember 2007
  • (19) „Direkte Aktion“, Nr. 193 vom Mai/Juni 2009

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Literatur

  • Abel Paz: Durruti. Leben und Tode des spanischen Anarchisten. Aus dem Spanischen übersetzt von Louis Bredlow. Mit einem aktuellen Vorwort von Hanna Mittelstädt, Bodenburg 2021, ISBN 979-3-86841-256-7, 704 S., 39,90 Euro
  • Abel Paz: Feigenkakteen und Skorpione. Eine Biographie (1921-1936), ISBN 978-3-939049-97-9, 192 S., 14 Euro
  • Abel Paz: Anarchist mit Don Quichottes Idealen. Innenansichten aus der Spanischen Revolution Eine Biographie (1936-1939), ISBN 978-3-939049-97-8, 300 S., 16 Euro
  • Abel Paz: Im Nebel der Niederlage. Vertreibung und Flucht. Eine Biographie (1939-1942) ISBN 978-3-86841-16-7, 249 S., 16 Euro
  • Abel Paz: Am Fuß der Mauer. Widerstand und Gefängnis. Eine Biographie (1942-1954) ISBN978-3-86841-033-4, 493 S., 19,50 Euro

Helge Döhring

Helge Döhring, geb. 1972, Historiker und Literaturwissenschaftler, lebt in Bremen. Buchveröffentlichungen zur syndikalistischen und anarchistischen Arbeiterbewegung: „Syndikalismus in Deutschland 1914-1918“ (2013), zum „Anarcho-Syndikalismus in Deutschland 1933-1945“ (2013) und „Organisierter Anarchismus in Deutschland von 1918 bis 1933“ (drei Bände, 2018-2020), sowie zur „Syndikalistisch-Anarchistischen Jugend Deutschlands“ (2011), zu den „Schwarzen Scharen“ (2011); kommentierte Bibliographie zur syndikalistischen Presse in Deutschland (2010). Regionalstudien zum Syndikalismus für Bayern, Baden-Württemberg, Bremen, Ostpreußen, Schlesien und Schleswig-Holstein. Verfasser des Buches „Anarcho-Syndikalismus. Einführung in die Theorie und Geschichte einer internationalen sozialistischen Arbeiterbewegung“ (2017). Mitarbeiter und Mitbegründer des Instituts für Syndikalismusforschung und Mitherausgeber des Jahrbuchs „Syfo – Forschung&Bewegung“.

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