Griechenland: Prozess gegen die Mörder von Zak Kostópoulos


Ralf Dreis
Griechenland Bericht

CW: brutale Gewalt, Lynchmord

Header Bild: Das Fronttransparent in Athen 2018: „Von Aléxis zu Zak - die staatliche Todespolitik setzt sich fort - Antiautoritäre Bewegung Athen“.

Urteil im Lynchmord-Prozess

Im Prozess um den Tod des LGBT-Aktivisten Zak Kostópoulos, auch bekannt als Dragqueen „Zackie Oh“, wurde am 3. Mai 2022, fast vier Jahre nach seiner Ermordung am 21. September 2018, das Urteil gefällt. Ein Geschworenengericht in Athen befand den Eigentümer des Juweliergeschäfts vor dem Kostópoulos ermordet wurde, Spýros Dimópoulos, und den Immobilienmakler, Thanásis Chortariás, der gefährlichen Körperverletzung mit Todesfolge für schuldig. Beide wurden zu zehnjährigen Haftstrafen verurteilt. Der 77-jährige Dimópoulos darf die Strafe aus Altersgründen im Hausarrest absitzen.

Obwohl drei der Geschworenen, darunter die vorsitzende Richterin Eleána Stavgianoudáki, auch die vier angeklagten Polizeibeamten für schuldig befanden, wurden diese, dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft folgend, mit knapper vier zu drei Stimmenmehrheit freigesprochen. „Es ist unglaublich, dass trotz der Aufnahmen, die zeigen wie die Polizei unnötige Gewalt anwendet um Zak zu verhaften, während er sterbend am Boden liegt, kein Beamter zur Rechenschaft gezogen wurde. Die heutige Entscheidung ist ein weiteres Beispiel dafür, dass in Griechenland die Opfer von unnötiger polizeilicher Gewaltanwendung und ihre Familien keine Gerechtigkeit erfahren“, erklärte die Vorsitzende von Amnesty International (AI) Griechenland Glykería Arápoglou. Der Fall habe nicht nur „die tiefgreifende Homophobie“ im Land, sondern auch „eine Kultur des Missbrauchs und der Straflosigkeit in der Polizei“ aufgedeckt.

Am helllichten Tag auf offener Straße gelyncht

Zak Kostópoulos war im September 2018 im Zentrum von Athen in der Gladstónosstraße bei dem Versuch getötet worden, aus einem Juweliergeschäft zu fliehen, in das er eingeschlossen war. Man geht davon aus, dass Kostópoulos in dem Laden Zuflucht gesucht hatte um sich vor Angriffen zu schützen, der Besitzer ihn jedoch als „Junkie“ ansah und dort einschloss. In der Folge gingen dieser und der ihm bekannte Makler brutal auf Zak los und traktierten ihn immer wieder mit Tritten gegen den Kopf, wie Aufnahmen von Überwachungskameras und Smartphones belegen. Zeug:innen beschrieben die Szene vor Gericht als einen Lynchmord. „Es war ein Lynchmord, anders kann man es nicht beschreiben“, so Phílippos Karagiórgis, der versucht hatte, die Angriffe zu stoppen, gegenüber der Presse. „Er war … auf allen Vieren wie ein Baby und versuchte verzweifelt, durch das geborstene Glas des Schaufensters zu kriechen. Jedes Mal, wenn er versuchte aufzustehen, traten ihm diese beiden Männer wieder und wieder gegen den Kopf.“

Die Aufnahmen der Überwachungskameras zeigen des weiteren wie ungeheuer brutal die Polizei bei der Verhaftung von Kostópoulos vorging, als dieser schon sterbend am Boden lag. Der 33-Jährige erlag seinen Verletzungen bevor er von Rettungskräften ins Krankenhaus gebracht werden konnte.

zak-kwstopoulos-708_0_0.jpg Zacharías Kostópoulos

Zak Kostópoulos ist nicht vergessen

„Zak Kostópoulos wird nicht vergessen werden“, erklärte eine AI-Sprecherin, denn er sei „ein Symbol des Kampfes für eine Gesellschaft der Freiheit und Gleichheit geworden“. Und weiter: „Wir nehmen die Unbarmherzigkeit seines sinnlosen Todes und die Ungerechtigkeit der heutigen Entscheidung persönlich. Als Reaktion werden wir unsere Anstrengungen verdoppeln, um Zaks Vision - eine Welt frei von Vorurteilen, Stigmatisierung und Rassismus - Wirklichkeit werden zu lassen.“ Während der Urteilsverkündung war es zu wütenden und empörten Protesten im Gerichtssaal gekommen. Am Abend gingen in Athen mehr als 3000 Menschen gegen Straffreiheit für die Polizei auf die Straße. Auch in anderen griechischen Städten wie Thessaloníki, Pátras und Vólos wurde demonstriert.

Schon am 6. Dezember 2018, dem zehnten Jahrestag der Ermordung des 15-jährigen Schülers Aléxandros Grigorópoulos, der in der anarchistischen Szene Athens aktiv war, hatten zehntausende Menschen in vielen griechischen Städten gegen Polizeigewalt und staatliche Unterdrückung demonstriert. Auch in der Folge hatte es ständiger Demonstrationen und vieler öffentlicher Aktionen gebraucht, bis mehr als zwei Monate nach den schrecklichen Lynchmord an Zackie Oh, endlich der offizielle Obduktionsbericht veröffentlicht worden war. Es dauerte zwei Jahre bis schließlich der Prozess gegen seine Mörder begann.

Laut Obduktionsbericht starb Kostópoulos an akutem Herzversagen auf Grund seiner vielen Verletzungen und des dadurch hervorgerufenen körperlichen und psychischen Stresses. Er hatte keinerlei Drogen konsumiert. So die eindeutigen Ergebnisse der toxikologischen und histologischen Untersuchungen des Gerichtsmediziners Grigóris Léon, des Vorsitzenden der Griechischen Gerichtsmedizinischen Gesellschaft. Kostópoulos litt weder an einem Herzleiden, noch wurde in seinem Körper irgendeine „verdächtige“ Substanz nachgewiesen. Er verstarb auf Grund der vielen Verletzungen an stressbedingtem Herzversagen, eine halbe Stunde nach dem ersten auf diversen Videos festgehaltenem Lynchversuch der beiden Geschäftsinhaber in der Gladstónosstraße. Sein Herz hörte während der folgenden Misshandlungen durch die Polizeibeamten der berüchtigten DIAS-Motorradeinheit auf zu schlagen.

Der Gerichtsmediziner hatte in einer Stellungname gegenüber der linken Athener Tageszeitung Efimerída ton Syntaktón (EfSyn) vom 21. November 2018 Drogenmissbrauch von Kostópoulos explizit ausgeschlossen. Dies war insofern von Belang weil viele Massenmedien, Nazis und die beiden Geschäftsbesitzer vom „versuchten Diebstahl eines Junkies“ gesprochen hatten. Im Obduktionsbericht dagegen ist von „vielfachen Verletzungen am ganzen Körper“ die Rede, wodurch „extremer körperlicher Stress“ ausgelöst wurde, der zum Tode führte. „Der Herzmuskel bekam zu wenig Sauerstoff um weiter Blut zu pumpen und hörte auf zu arbeiten.“ Eltern, Freund:innen, Aktivist:innen der außerparlamentarischen Bewegungen und die EfSyn hatten wochenlang auf verschiedenen Ebenen Druck gemacht damit der Lynchmord aufgeklärt und die Mörder zur Rechenschaft gezogen werden könnten. In den ursprünglichen Ermittlungsakten der Polizei waren weder die Misshandlungen der Ladenbesitzer noch diejenigen der Polizeibeamten erwähnt worden. Dagegen war dort „von einem versuchten Überfall“ und „Notwehr des Geschäftsinhabers“ die Rede.

Erst durch die Veröffentlichung der Videos, die Demonstrationen in griechischen Städten, die wiederholten Plakataktionen in Athen und Thessaloníki und die regelmäßige Berichterstattung linker Medien, war die damalige Bürgerschutzministerin Olga Gerovasíli (Syriza) im November 2018 gezwungen im staatlichen Sender ERT öffentlich zu versprechen, dass „der Fall bis ins letzte Detail untersucht und aufgeklärt“ werde. Der am Lynchmord beteiligte, inzwischen 59-jährige Makler, der darüber hinaus jahrelang als Pressekoordinator der kleinen rechtsradikalen Partei Patriotikó Métopo (Patriotische Front) in Athen fungiert hatte, und über gute Kontakte zu Chrysí Avgí (Goldene Morgenröte) verfügte, war im Oktober 2018 durch schwulenfeindliche und faschistische Hetze gegen Zak und seine Familie in sozialen Netzwerken aufgefallen.

Bürgerschutzministerin Gerovasíli sah sich daraufhin im Radiosender „News24/7“ vom 21. November 2018 zu der Stellungnahme gezwungen, den „Abschluss der polizeilichen Untersuchungen in wenigen Tagen“ anzukündigen, und erklärte die Verzögerungen damit, „dass drei Mal der verantwortliche Leiter der Untersuchung ausgewechselt werden musste“.

Straffreiheit für die Polizeimörder

Ein Antrag von Kostópoulos‘ Familie, alle sechs Angeklagten wegen vorsätzlichen Mordes anzuklagen, war vom Gericht in der Vergangenheit abgelehnt worden. Das jetzige Urteil bezeichnete der Vater des Getöteten als „Witz“. Noch im Gerichtssaal führte der Freispruch der Mörder in Uniform zu wütenden Protesten von Menschenrechtsaktivist:innen und Freund:innen von Zackie Oh. „Trauer und Wut, Zackie wird uns fehlen“, war eine der gerufenen Parolen.

„Das Urteil folgt der Tradition, dass Polizeigewalt von unseren Gerichten nie geahndet wird“, so Anny Paparoúsou, die Anwältin der Familie Kostópoulos. Zaks Bruder Níkos und Magda Fýssa, die Mutter des von Nazis ermordeten antifaschistischen Rappers Pávlos Fýssas, sprachen von einem „Urteil der Schande“. „Ein weiterer Tag der Schande für die bürgerliche Justiz in Griechenland, die damit erneut die polizeiliche Willkür, Gewalt und Zügellosigkeit schürt“, so die linke Oppositionspartei Méra25. Anny Paparoúsou kündigte an weitere Rechtsmittel zu prüfen.

Ralf Dreis

Ralf Dreis, Gärtner, Neugriechisch-Übersetzer, freier Journalist und Anarchist, lebt seit den 1980er Jahren in Deutschland und Griechenland, ist Mitglied der FAU und in der anarchistischen Bewegung beider Länder aktiv.

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