WEF (World Economic Forum) – Wo sich die Mächtigen die Hand schütteln


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Aktuelles

1. Zur Geschichte des WEF

1971 gründete Klaus Schwab das European Management Forum (EMF). Schwabs Absicht war es, mit dem Forum die damals neuen Managementmethoden aus den Vereinigten Staaten zu analysieren und sie europäischen Manager*innen zu vermitteln. Zwei Jahre später verschob sich der Fokus des Forums aber verstärkt hin zu Wirtschaft und Politik. Auslöser für diese Umorientierung waren der vierte arabisch-israelische Krieg und die Veränderungen in der internationalen Währungsordnung mit der Aufgabe des Bretton-Woods-Abkommen. Vor diesem Hintergrund wurden 1974 vom Forum erstmals Politiker eingeladen. Seit 1979 werden die jährlichen Berichte zur weltweiten Wettbewerbsfähigkeit (Global Competitiveness Report) erstellt. Im Zuge dieser Entwicklung löst sich die Aufmerksamkeit von Europa und die globale Wirtschaft wurde zum zentralen Thema. Deshalb nannte sich das EMF ab 1987 World Economic Forum (WEF).

2. Was ist das WEF?

Das WEF ist eine gemeinnützige Stiftung mit Sitz im Kanton Genf. Was normalerweise als WEF bezeichnet wird, ist das jeweils im Januar stattfindende Jahrestreffen (World Economic Forum Annual Meeting) in Davos. Neben diesem globalen Treffen finden über das Jahr verteilt auch regionale Veranstaltungen in diversen Ländern statt. Das WEF sieht sich als Plattform für den Austausch zwischen Unternehmer*innen, Politiker*innen und Wissenschaftler*innen. Deshalb publiziert das WEF auch Berichte, wie den erwähnten Global Competitiveness Report, den Travel & Tourism Competitiveness Report oder auch Einzelberichte zu globalen Themen, die wirtschaftlich relevant sind.

Das WEF beschäftigt ungefähr 700 Angestellte. Diese arbeiten grösstenteils am Hauptsitz in Cologny GE. Dazu kommen Zweigniederlassungen in New York, San Francisco, Beijing und Tokio. Die Finanzierung erfolgt laut eigener Darstellung über seine rund 1000 Mitgliedsunternehmen. Das typische Mitgliedsunternehmen ist ein globales Unternehmen mit einem Umsatz von über 5 Mrd. US-Dollar, wobei dies je nach Branche und Region variieren kann. Seit 2005 bezahlt jedes Mitgliedsunternehmen eine Basis-Jahresmitgliedsgebühr von 42'500 Schweizer Franken. Für weitere Gebühren lässt das WEF die Unternehmen auch verstärkt an der Arbeit des Forums teilhaben. So ermöglichen 18'000 CHF die Teilnahme am Jahrestreffen in Davos, während mit 500'000 CHF die verstärkte Mitwirkung an den Initiativen des WEF möglich wird.

Als Institution ist das WEF klar wirtschaftsliberal orientiert. Allerdings ist es nicht den neoliberalen Hardlinern zuzuordnen. Die Theorie, die dem WEF zugrunde liegt, ist die Stakeholder Theory (1), die eine freie Marktwirtschaft mit sozialer Verantwortung und Wirtschaftsethik verbindet. Diese Theorie geht davon aus, dass nicht nur Management und Besitzer*innen eines Unternehmens berücksichtigt werden müssen, sondern auch externe Akteur*innen, wie die Kund*innen, die Zulieferer*innen und auch die Gesellschaft als Ganzes. Deshalb sollten laut dieser Theorie Entscheidungen einerseits auf einer marktorientierten Ebene und andererseits auf einer ressourcenorientierten Ebene getroffen werden. Zusammengefasst vertritt das WEF eine sozial-marktliberale Position. Zur Unterstützung dieser Ideologie hat Klaus Schwab auch eine Stiftung für soziales Unternehmer*innentum (2) gegründet.

3. Das WEF und die Schweiz

Die Schweiz ist für das WEF als Hauptsitz und Gastgeber des jährlichen Treffens von Bedeutung. Die Sicherheitsausgaben für das Treffen in Davos sind enorm: 2019 kostete allein die Sicherung des Kongresszentrums durch die Polizei elf Millionen Schweizer Franken. (3) Diese Kosten teilen sich die Gemeinde Davos, der Kanton Graubünden und der Bund. Zusätzlich zur Polizei ist während dem Treffen die Armee im Einsatz. Sie errichtet Sperren, schützt Objekte und Infrastruktur und kontrolliert den Luftraum. Die Kosten für den Armeeeinsatz trägt der Bund. (4) 2019 belief sich dies für rund 5000 Soldat*innen und Offizier*innen auf 32 Millionen Schweizer Franken.

Für die lokale Bevölkerung bedeutet das Treffen einerseits Unruhe durch Proteste und ein erschwerter Alltag wegen dem zusätzlichen und umgeleiteten Verkehr sowie den Kontrollen von Polizei und Armee. Andererseits ist das Jahrestreffen ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für Davos (Hotellerie, Gastronomie, Souvenirs und Ausstattung). Die Universität St. Gallen errechnete in einer Studie, dass die zusätzlichen Steuereinnahmen aufgrund des Jahrestreffens zwischen 9,3 und 10,5 Millionen Franken betragen. Weil die Stiftung als Veranstalterin wegen ihrer Gemeinnützigkeit Steuervorteile genießt und von den Umsätzen mehr als die Hälfte auf sie entfällt, erzielt die Schweiz nur einen Teil der potenziell möglichen Steuereinnahmen. Das wiederum heisst auch, dass die Gemeinde Davos von mehr als der Hälfte der genannten Summe nicht profitieren kann, da diese Steuern im Kanton Genf anfallen.

4. Zur Kritik am WEF

Vor diesen Hintergründen präsentiert sich das WEF als exklusiven Klub für reiche Unternehmer*innen. In ihrem Zusammenschluss können sie die eigenen Interessen ausdiskutieren und öffentlichkeitswirksam präsentieren. Am Jahrestreffen zelebrieren sie gemeinsam mit den politischen Eliten aus aller Welt ihre Macht und ihren Einfluss auf das Weltgeschehen. Dass das WEF nicht die Interessen der ganzen Gesellschaft vertritt, zeigt sich hier auch besonders deutlich. Denn zugunsten des Jahrestreffens werden demokratische Grundrechte in der Region Davos/Klosters ausser Kraft gesetzt: Die Bewegungsfreiheit wird beschränkt, Rayonverbote (Aufenthaltsverbote auf Zeit) und Wegweisungen werden verhängt, das Versammlungsrecht wird eingeschränkt und die Pressefreiheit ist nicht gegeben durch die Wegweisung von unliebsamen Journalist*\innen.

Zusätzlich werden demokratische Entscheidungsprozesse ausgehebelt. Auf die Forderung, dass sich das WEF an den Sicherheitskosten beteiligen soll, antwortete Schwab stets mit der Drohung eines Wegzugs des WEF aus der Schweiz. Gleichzeitig wird aber bei Demonstrationen das Verursacherprinzip gemäss den neuen schweizerischen Polizeigesetzen bereits angewandt. Organisator*innen müssen in diesen Fällen teilweise für Sicherheitskosten aufkommen.

Doch nicht nur hier geniesst das WEF eine Spezialbehandlung. Wie oben bereits angesprochen, wird das WEF als gemeinnützige Stiftung geringer besteuert. Dies steht in einem gewaltigen Missverhältnis zu den Ressourcen des WEF und den immensen Kosten, welche das private Jahrestreffen der Allgemeinheit überträgt.

Ursprünglich diente das Forum der Entwicklung und Vermittlung neuer Ansätze für Probleme der Marktwirtschaft (bspw. der oben angesprochenen Stakeholder Theory). Soziale Faktoren in Wirtschaftsentscheidungen zu berücksichtigen ist der klar formulierte Anspruch des WEF. Die Ansätze des Forums sind aber aussichtslos, weil sie stets von oben nach unten entwickelt werden. Mit anderen Worten: Ein Austausch mächtiger Personen wird keine Antwort auf die realen Bedürfnisse und Probleme der Machtlosen bringen. Die Theorieentwicklung des WEF steht damit in fundamentalem Gegensatz zu unseren libertären Vorstellungen gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse.

Das Konzept des sozialen Unternehmer*innentums ist in unseren Augen kein Weg, um die soziale Frage zu lösen. Damit werden bloss gewisse Symptome des kapitalistischen Wirtschaftssystems adressiert, während gleichzeitig Gewinne gesichert oder gar neue generiert werden. Auch ein soziales Unternehmen zielt nicht auf die Befriedigung der Bedürfnisse aller, sondern nur auf diejenigen der Menschen, von denen es sich auch einen Profit entspricht. Von einem normalen Unternehmen unterscheidet es sich schlussendlich vor allem durch die angestrebte Gewinnmarge. Deswegen werden die Ansätze des WEF auch nicht die Klimakatastrophe bekämpfen können, denn eine profitorientierte Marktwirtschaft wird weder konkreten Klimaschutz noch wirkliche Klimagerechtigkeit herbeiführen.

Ein weiteres Problem des Aushandelns von Lösungen unter strukturell Mächtigen ist logischerweise, dass die strukturell Machtlosen an den Verhandlungen mehrheitlich nicht teilnehmen. Deswegen sind zum Beispiel sowohl der globale Süden als auch FINTAs (Frauen, inter, non-binäre, trans und agender Menschen) kaum am WEF vertreten.

Das WEF darf bei aller berechtigter Kritik aber auch nicht überbewertet werden. Am WEF werden kaum Entscheidungen getroffen, es ist eine Plattform zum Austausch von Führungspersonen aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft. Es ist kein strategisches Treffen für die Durchsetzung einer neoliberalen Agenda. Studien, Meinungen und Slogans vom Forum selbst werden vor dem Treffen bekannt gegeben. Vorträge und Statements am Jahrestreffen beeinflussen, wenn überhaupt, die Inhalte der nächsten Jahre. Das Treffen beurteilen wir als problematisch, weil es die Beziehungen zwischen den Mächtigen stärkt und neue Netzwerke ermöglicht. Es führt also dazu, dass sich bestehende Machtverhältnisse verfestigen und deswegen besser halten können. Deshalb ist das WEF aber nicht als Treffen zu betrachten, auf dem die weitere Ausbeutung des weltweiten Proletariats geplant und verabschiedet wird.

5. Widerstand gegen das WEF

Nach dem Protest gegen den G8-Gipfel in Seattle 1999, entstand im globalen Norden eine Bewegung, die sich zum Ziel gesetzt hatte, alle Gipfel der Mächtigen zu blockieren oder zumindest zu stören. Neben den G8 und G20, waren auch die NATO- und EU-Gipfel ihre Ziele.

Die ersten Versuche dieser Blockaden waren durchaus erfolgreich, weil sie eine neue Form des Widerstands darstellten. Doch die repressive Antwort der Gipfelstandorte liess nicht lange auf sich warten: Die Präsenz der Polizei und teilweise des Militärs wurde kontinuierlich ausgebaut und ihre Einheiten aufgerüstet. Eine Blockade wie 1999 in Seattle war in derselben Form kein zweites Mal möglich. Bereits 2001 beim EU-Gipfel in Göteborg und den begleitenden Krawallen schoss die völlig überforderte Polizei in die Menge, drei Protestierende wurden verletzt. 2003 beim G8-Gipfel in Genua, hatten sich die Repressionsorgane auf die neue Situation eingestellt. Es kam zu illegalen Internierungen, zu Folter und zum Tod von Carlo Giuliani, einem jungen Protestierenden. Die Ereignisse von Genua hatten einen starken Effekt auf die Antiglobalisierungsbewegung: Viele Aktivist*innen verliessen traumatisiert die Bewegung und wendeten sich teilweise ganz von der radikalen Linken ab.

Das Jahrestreffen des WEF wurde insbesondere wegen der Teilnahme von Führungspersonen aus der ganzen Welt und der daraus resultierenden globalen Aufmerksamkeit zu einem Bezugspunkt für die Antiglobalisierungsbewegung. Sie stilisierte das WEF zu einem Symbol für den Neoliberalismus hoch. Die Reaktion der Mächtigen auf die Proteste, die komplette Abschottung des Kongresszentrums, hat natürlich dazu beigetragen, dieses Feindbild zu stärken. Es ist verständlich, dass für den Neoliberalismus als ein nicht greifbares, daher auch nicht angreifbares und somit abstraktes Konzept ein Symbol gesucht wurde. Das bedeutet aber nicht, dass Widerstand gegen das WEF schlecht oder wirkungslos ist: Im Bewusstsein, dass das WEF ein Symbol ist, kann aus strategischer Überlegung dagegen gekämpft werden. So können in diesem Zusammenhang etwa eigene Inhalte in den bürgerlichen Medien präsentiert werden. Zusätzlich hat der Kampf gegen ein Symbol stets auch reale Aspekte, die ihn rechtfertigen. Dazu zählt beispielsweise der Widerstand gegen die militärische Besetzung von Davos zum Schutz eines elitären Treffens.

Der Antiglobalisierungsbewegung gelang es in der Schweiz bereits in den Anfängen, eine gesellschaftliche Relevanz und damit Mobilisierungspotential zu erreichen. Dies ging so weit, dass die mediale Öffentlichkeit deutlich auf Seite der Protestierenden stand. Das WEF sah sich in der Defensive und wich 2002 nach New York aus. Offiziell, um sich mit den Opfern des 11. Septembers 2001 zu solidarisieren. Inoffiziell, um Taktiken gegen die Bewegung zu prüfen. So wurde während der „Pause“ ein neues Sicherheitskonzept (Arbenz-Bericht) erarbeitet.

Anfang 2003 wurde in Umsetzung dieses Konzepts das Jahrestreffen des WEF erstmals abgeschottet. Nur ein Drittel der anreisenden Protestierenden gelangten bis Davos. Der Rest wurde bereits im Vorfeld abgefangen. Dabei wurden am Bahnhof von Landquart 7‘000 Personen eingekesselt und mit Gummischrot und Tränengas beschossen. Anschliessend wurden sie einzeln fotografiert und registriert. Die Ereignisse in Landquart hatte einen ähnlichen Effekt wie diejenigen in Genua, auch und gerade weil die beiden Ereignisse im selben Jahr stattfanden. Seit 2003 gab es kaum mehr einen nennenswerten Protest in Davos selbst, weswegen die stets kleiner werdende Bewegung zumeist in Zürich oder/und Bern demonstrierte, da sich dafür besser mobilisieren liess. Dennoch gibt es stets auch kleinere Proteste in und um Davos. 2011 wurden nach einem Scharmützel bei einer Demonstration rund 50 Menschen in der Tiefgarage unter dem Landquarter Polizeiposten festgehalten und wiederum einzeln fotografiert und registriert.

Mit diesen Gipfelprotesten, vor allem aber mit dem „Battle of Seattle“ wurde weltweit eine Taktik bekannt, die damals schon zwanzig Jahre alt war: Der Black Block. Die erfolgreiche Strategie von Seattle, mit möglichst grossen und strategisch geplanten Krawallen an verschiedenen Orten eine die Stadt lahmzulegen und so den Gipfel zu verhindern oder zu verzögern, konnte teilweise auch noch in den Jahren danach für Erfolge sorgen. Doch spätestens mit „Genua“ und „Landquart“ war die Antwort darauf gefunden. Der Überraschungseffekt war weg und die einzige Folge war eine massive physische, psychische und finanzielle Repression gegen diejenigen, die weiterhin an dieser Taktik festhielten. Oder mit anderen Worten: Seit mittlerweile 20 Jahren ist die Gipfelstürmer*innen respektive Black-Block-Taktik überholt. Es müssen neue Wege des Protests gefunden werden, wollen wir uns nicht im Kreis drehen und noch weiter in der Bedeutungslosigkeit versinken.

Weitere Informationen:

WEF-Manifest 1973: https://www.weforum.org/agenda/2019/12/davos-manifesto-1973-a-code-of-ethics-for-business-leaders/

WEF-Manifest 2020: https://www.weforum.org/agenda/2019/12/davos-manifesto-2020-the-universal-purpose-of-a-company-in-the-fourth-industrial-revolution/

Strike-WEF: https://strikewef.blackblogs.org


(1) Als ein*e Stakeholder*in wird eine Person oder Gruppe bezeichnet, die ein berechtigtes Interesse am Verlauf oder Ergebnis eines Prozesses oder Projektes hat.

(2) Unternehmerische Tätigkeit, die sich innovativ, pragmatisch und langfristig für die Lösung sozialer Probleme (oder allgemeiner: für einen wesentlichen, positiven Wandel einer Gesellschaft) einsetzen will. https://de.wikipedia.org/wiki/Social_Entrepreneurship

(3) https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/polizei-und-armee-was-das-weltwirtschaftsforum-in-davos-kostet-1.4296498

(4) Süddeutsche Zeitung (vgl. Fussnote 1)

Libertäre Aktion Bern

Die Libertäre Aktion ist ein politisches Kollektiv aus Bern, das sich an den anarchistischen Strömungen des Plattformismus und des Especifismo orientiert. Wir kämpfen für eine herrschaftsfreie Gesellschaft und sind eine Organisation mit revolutionären Zielen. Diese Ziele verfolgen wir mit der Überzeugung, dass sie erreichbar sind. Dazu müssen die unterdrückten Klassen ihr Machtpotential erkennen und einzusetzen wissen. Gemeinsam mit Menschen unserer Klassen wollen wir die anstehenden sozialen Kämpfe organisieren und diese auf eine tiefgreifende gesellschaftliche Umgestaltung ausrichten.

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