"Los 6 de la Suiza" verurteilt - Ein Angriff auf die spanische Arbeiter:innenbewegung


Elias
Aktuelles Spanien CNT Suiza Anarchosyndikalismus

Es kam wie es eigentlich voraus zu sehen war. Der spanische Oberste Gerichtshof hat am 24. Juni das Urteil des asturianischen Landgerichts von dreieinhalb Jahren Gefängnis und 125.000 € Geldstrafe für 6 Gewerkschafter:innen der CNT bestätigt. Der Kampf gegen dieses skandalöse Urteil ist verloren und ein Präzedenzfall geschaffen, um gewerkschaftliche Arbeit zu kriminalisieren auch wenn diese keine illegalen Aktionsformen beinhaltet.

Der Fall der 6 de la Suiza

Es begann alles im Jahr 2016, als sich eine Arbeiterin der Konditorei "La Suiza" an die anarchosyndikalistische Gewerkschaft CNT wandte. Sie war in ihrer Schwangerschaft von ihrem Arbeitgeber gekündigt worden. Ihr wurden Urlaubstage und geleistete Überstunden nicht ausgezahlt und sie warf ihrem Chef sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz vor. Da sich der Arbeitgeber nicht auf Verhandlungen mit der Gewerkschaft einlassen wollte, schritt diese zum Mittel der direkten Aktion. Es wurden Kundgebungen vor dem Geschäft abgehalten und die Nachbarschaft dadurch über den Fall informiert. Der Inhaber des Geschäfts begann daraufhin Personen aus der Kundgebung wahllos anzuzeigen. Im Verlauf dieser Auseinandersetzung meldete er dann die Insolvenz seines Geschäfts an. Aufgrund der Anzeigen begann ein Verfahren, an dessen Ende die Angeklagten nun wegen "fortgesetzter schwerer Nötigung und eines Verstoßes gegen die Rechtspflege wegen Belästigung des Geschäftsinhabers" verurteilt wurden. Schwere Nötigung ist in Spanien als eine Art Erpressung von Geld definiert. Die Anarchist:innen wurden verurteilt, weil sie laut des Gerichts versuchten durch ihre Kundgebungen den Inhaber zu erpressen, auf dass dieser ihnen ihre Forderungen bezahle. Da sie keine Anzeige gestellt hätten, hätten sie nicht den Konflikt lösen wollen sondern sich selbst bereichern wollen. Anzeigen bei Arbeitskonflikten können nur in bestimmten Fristen gestellt werden und bis die Kläger Recht bekommen kann es Jahre dauern. Daher entscheiden sich viele Menschen in Sektoren wie der Gastronomie dazu das Mittel der direkten Aktion zu wählen und mit Kundgebungen und öffentlichkeitswirksamen Aktionen den Chef dazu zu bringen ausstehende Löhne auszuzahlen. Das Urteil ist also als direkter Angriff auf das vor allem von Anarchosyndikalisten verwendete Mittel der direkten Aktion zu verstehen.

Feminismus und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

Eine Teilargumentation des Urteils muss als besonderer Angriff auf die feministischen Strukturen verstanden werden. Nicht ohne Zufall sind fünf der sechs verurteilten Personen Frauen. Unterstellt wurde ihnen, sich zusammen gefunden zu haben und strategisch den Plan gefasst zu haben, das Unternehmen durch ihre Aktionsformen zu zerstören. Aus gegenseitiger Hilfe feministischer Strukturen wird hier eine Rachefeldzug gegen den Chef konstruiert. Dabei zeigt die spanische Justiz sehr eindrucksvoll, dass der Kampf gegen Sexismus am Arbeitsplatz über Gerichte nicht zu gewinnen ist. Die Anzeige wegen sexueller Belästigung wurde wegen Mangel an Beweisen eingestellt.

Kontinuitäten der postfranquistischen Justiz

Spaniens Institutionen sind bis heute durchsetzt von Beamten aus der Franco Diktatur und deren ideologischer Nachfahren. Anders als in den meisten anderen europäischen Staaten gab es hier kaum personelle Veränderungen oder gar einen "Marsch durch die Institutionen". Durch die Generalamnestie aller während der Diktatur wirksamen Personen konnten die faschistischen Richter ihre Posten behalten und die spanische Justiz fällt regelmäßig harte Urteile gegen linke Angeklagte und jedwede klassenkämpferische Aktionen.

Auch der für das Urteil in erster Instanz verantwortliche Richter Lino Rubio Mayo war bereits durch äußert harte und umstrittene Urteile gegen asturianische Hafenarbeiter in den 2000er Jahren aufgefallen. Zu all diesen strukturellen Problemen kommen die politischen Verstrickungen der Familie des Besitzers der Konditorei. So gehörte der Sohn des Besitzers Pablo Álvarez Meana zur "Neuen Generation" der konservativen Partei ehemaliger Franquisten mit dem Namen Partido Popular. Die Partei ist bis heute Kristallisationspunkt der alten Sippschaften zwischen den Funktionären der Franco Diktatur, den Bürokraten, Militärs und Richtern des spanischen Staates und neuer faschistischer Kräfte. So gab es lange Zeit in Spanien keine extrem rechte Partei, da die Partido Popular bereits das gesamte politisch rechte Spektrum umfasste. Pablo Álvarez Meana arbeitet heute für den Innenminister von Javier Milei, den argentinischen Präsidenten, der gerade für seinen Kurs gegen die Inflation den Großteil der Bevölkerung in die Armut treibt. Dabei ist Milei eine Art Popstar neoliberaler und neuer faschistischer Kräfte im spanischsprachigen Raum. Das Urteil im Prozess feierte Álvarez Meana als Sieg über die Anarchist:innen der CNT.

Ausblick auf die Zukunft gewerkschaftlicher Kämpfe in Spanien

Während zur Milderung oder Aufhebung der Strafe nur noch der Gang für den europäischen Gerichtshof bleibt, der jedoch den Haftantritt nicht verzögern wird, steht die CNT nun vor einem Problem. Im Urteil argumentierten die Richter mit jedem Facebookpost der Gewerkschaft zum Thema La Suiza. So wurde der das Urteil auch damit begründet, dass sich die CNT darüber freute, dass das Geschäft zu machen musste. Nun muss bei jedem Einsatz der direkten Aktion abgewägt werden, wie weitere Verurteilungen in diesem Maße verhindert werden können. Gleichzeitig ist die Welle der Solidarität enorm in der spanischen Linken und den Gewerkschaften. An einer Demonstration in Gijon am 15. Juni beteiligten sich mehrere tausend Personen, darunter Mitglieder fast aller spanischen Gewerkschaften, auch solchen wie der UGT, die mit DGB Gewerkschaften vergleichbar ist. Hinzu zeigt sich die seit letztem Jahr begonnene die Annäherung der beiden in den 80er Jahren voneinander gespaltenen CNT und CGT auch auf den Straßen deutlicher. Die jahrzentelange Feindschaft wird immer weiter abgebaut.

Leider sind die 6 de la Suiza nur einer von mehreren Repressionsschlägen gegen Linke in Spanien. Vor kurzem wurden die "6 de Zaragoza" inhaftiert, nachdem auch diese jahrelang gegen ihre Inhaftierung kämpften. Die Antifaschist:innen wurden aufgrund der Teilnahme an einer Demonstration verurteilt, in deren Nachgang es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Die Liste politischer Gefangener in Spanien ist traditionell lang und die anarchistische Bewegung erfahren damit ihre Gefangenen zu betreuen. So werden auch die "6 de la Suiza" nicht allein gelassen werden und die Bewegung in ihrem Sinne den Kampf gegen gegen Seximus am Arbeitsplatz und Lohraub fortführen.

Elias

ist seit vielen Jahren in der antifaschistischen Bewegung Berlins zu Hause und aktuell wohnhaft in Madrid. Beschäftigt sich seit der Jugend mit dem Anarchismus und dessen verschiedenen Ausprägungen, vor allem in Europa.

Vorheriger Beitrag Nächster Beitrag