Am 25.11.2024 wurde in einem “Zukunftskonzept” der thyssenkrupp steel AG bekannt, dass diese ihr Werk in Kreuztal-Eichen schließen würden. Ungefähr 600 Mitarbeiter:innen sind von der Schließung betroffen. Das kleinere Werk in Kreuztal-Ferndorf bleibt bestehen. Dies ist zur Zeit für uns in Siegen die konkreteste Fortführung der Umstrukturierung der Produktion auf Kosten der Arbeitenden und reiht sich nahtlos in die Politik der weiteren drohenden Schließungen, den Arbeitsplatzabbau und der Lohnkürzungen bei der deutschen Industrieproduktion ein.
Da Kreuztal die Nachbarstadt von Siegen ist und dieses Thema bei uns große Wellen geschlagen hat, haben wir uns dazu entschieden uns als Initiative genauer mit dem Thema zu beschäftigen und dazu zu arbeiten. Wir haben mit Genoss:innen und Freunden in der Metallbranche geredet, die Mahnwache und Demo besucht, uns in der FAU, in der ver.di und am Arbeitsplatz für Solidarität eingesetzt und viel darüber diskutiert. Letztendlich wird die Werksschließung trotzdem eintreten, die Arbeitenden sind zur Zeit in Kurzarbeit und es scheint keine Hoffnung zu geben. Außer unserem geringen Engagement hatten wir aber schlussendlich auch eine Analyse in 29 Thesen vor uns liegen, in der wir uns ein Verständnis davon erarbeitet haben, was um uns herum geschieht. Diese Analyse wollen wir gerne teilen, um wenigstens etwas gewinnen zu können: den Austausch und die gegenseitige Information.
Solidarität mit den Arbeitenden bei TKS! Und überall auf der Welt!
01. Die Werksschließung in Kreuztal-Eichen kann nicht alleine betrachtet werden, sondern muss im Kontext des erneuten Trends zum Niedergang der deutschen Industrieproduktion gesehen werden.
02. Dieser Trend lässt sich gut anhand des Strategiekurs der "thyssenkrupp steel AG" feststellen. Aber auch die angekündigten VW-Werksschließungen, die Streichung von 12.000 Stellen bei Bosch, die Spar- und Entlassungspläne bei Ford in Köln oder die mauen Auftragslage, lokal zB. bei den DEW, leisten ihren Beitrag zur erneuten Sorge, um den Zusammenbruch der deutschen Industrie.
03. Die Werksschließung soll ihren Beitrag zum Plan des Unternehmens thyssenkrupp steel, zu einem “Gesundschrumpfen”, leisten, um dieses aus der Krise zu retten.
04. Als Grund für das Schrumpfen gibt die “thyssenkrupp steel AG” die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit an. Der Weg dorthin wird in einem “Zukunftskonzept” festgehalten, welches am 25.11. vorgestellt wurde.
05. Ursache der Schließung ist also nicht der Bankrott des Konzerns. Sie ist Folge einer willentlichen Politik, um den Profit zu erhalten bzw. zu vermehren. mDiese Politik betrifft die Gesamtheit der deutschen Industrie.
06. Die “Eckpunkte” des Zukunftskonzepts sehen vor:
a) Die Verringerung der Produktionskapazität von 11 auf 9 Millionen Tonnen.
b) Das Senken der Personalkosten um 10%.
07. Die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens kann anscheinend nicht durch eine Verbesserung der Produktionsmittel (also der Maschinen, Infrastruktur etc.) von der Unternehmensführung ausgeglichen werden, auch nicht durch neue “innovative” Methoden, wie die Produktion von zukunftsfähigem “grünen” Stahl.
08. Daher soll es eine Neustrukturierung des Konzerns geben. Diese umfasst:
a) der Verkauf/die Schließung von Werken (zB. die Hüttenwerke Krupp Mannesmann in Duisburg oder das Weiterverarbeitungswerk in Eichen)
b) der “Abbau” von bis zu 11.000 Arbeitsplätzen (Ausgliederung/Outsourcing, Verkauf oder Streichung), jeden Zehnten Arbeitsplatz.
09. Das ist ein Ausdruck der Verdichtung der Produktion: Durch weniger Kosten, Fixkosten oder Personalkosten, soll die gleiche Produktivität erhalten bleiben, um den Profit zu steigern. Diese Umstrukturierung funktioniert nur wenn das Geld im Verhältnis beim Personal eingespart wird, denn Maschinen werden für die Produktivität gebraucht und können nicht effizient weggespart werden, ohne Personalkosten zu erhöhen.
10. In der Produktion gibt es nur zwei Möglichkeiten Personalkosten einzusparen:
a) Das Senken der Löhne, so dass die jetzige Betriebsstruktur, mit ihren Werken, Maschinen und Arbeiter:innen erhalten werden kann. Während Personalkosten sinken, bleibt die Produktivität gleich (gleiche Arbeit für weniger Lohn), sodass aus dem “weniger Lohn” ein “Mehrprofit” wird.
b) Die Entlassung von Beschäftigten und Schließung der Werke, um die übrige Produktion zu verdichten und den Konzern profitabel zu gestalten.
11. Thyssenkrupp nutzt hierbei die beiden Möglichkeiten zum Einsparen. Unser Fokus liegt auf den Entlassungen und Werksschließungen: Die verbliebenen Arbeitenden in den verbliebenen Werken behalten vielleicht ihren Lohn, aber vor allem ihre Arbeit. Die Produktionsprozesse beanspruchen insgesamt weniger Geld (Fixkosten und Personalkosten werden global gekürzt). Dazu wird die Produktion auf besonders gut ausgerüstete Werke beschränkt, mit gut ausgebildetem Personal und guten Maschinen. Die Produktivität kann daher in den verbliebenen Werken gesteigert werden. Da hier mehr/besser gearbeitet wird, für den gleichen Lohn. Hier kann auch ein “Mehrprofit” entstehen.
12. Diese desaströse Umstrukturierungswelle liegt leider nicht am “bösen Management” das einfach ausgetauscht werden kann. Sondern an der inneren Logik kapitalistischer Produktion.
13. Die kapitalistische Produktion funktioniert nach folgendem Schema:
a) Um im Wettbewerb bestehen zu können, muss mehr Profit gemacht werden.
b) Um mehr Profit zu machen, muss (im Verhältnis) das Gleiche produziert werden, was die Konkurrenz produziert, aber zu geringeren Kosten.
c) Die Kosten können nicht effizient an Maschinen, Werkstoffen, Werkzeugen etc.. gespart werden, da sonst nichts qualitativ Gleichwertiges produziert wird, was sich negativ im Konkurrenzverhältnis auswirkt.
d) Die geringeren Kosten entstehen ergo dadurch, dass weniger an die eigentlichen Produzenten, die Beschäftigten, an Lohn bezahlt wird.
14. Daraus folgt:
a) Wer schlechter zahlt, das Gleiche herstellen lässt und zum gleichen Preis verkauft, wird also mehr Profit machen.
b) Wer mehr in der gleichen Zeit herstellen lässt, den gleichen Lohn zahlt und zum gleichen Preis verkauft wird auch mehr Profit machen.
15. Letztendlich müssen die Arbeitenden zusehen, wie der Lohn sinkt, sie entlassen werden oder mehr arbeiten müssen, während der Profit im Verhältnis dazu steigt.
16. Zusätzlich ist die Struktur der thyssenkrupp steel AG in verschiedene Werke fragmentiert. Beim Prozess der Verdichtung wird nicht nur die "Wettbewerbsfähigkeit" gestärkt. Hierdurch wird auch die Belegschaft in verschiedene Standorte und Berufsgruppen gespalten, was ein gemeinsames Handeln erschwert und somit das Schicksal der Arbeitenden zu besiegeln scheint.
17. In unserer heutigen Gesellschaft kann es also, um nichts Anderes als Profit gehen. Unsere gesamte Wirtschaft ist genau darauf orientiert. Das Wohl der Menschen steht also nicht im Mittelpunkt. Nicht mal die Qualität der Produktion spielt eine Rolle. Zum Beispiel durch Ausgliederung der Produktion nach China wird von vielem Konzernen mit schlechteren Produktionsmitteln und schlechter ausgebildetem Personal hergestellt, was aber billiger ist.
18. Die kapitalistische Produktion versucht das gesamte Leben der Menschen zu vereinnahmen, um ohne Sinn den größtmöglichen Profit rauszuschlagen. Der Mensch muss also die schlechtesten möglichen (also billigsten) Produktionsbedingungen ertragen: fehlender Arbeitsschutz, längere Arbeitszeiten, geringere Löhne etc. Die vergleichsweise guten Arbeitsbedingungen und Löhne wurden uns also nicht geschenkt, sondern durch das gemeinsame Handeln der Arbeitenden, durch gemeinsame Kämpfe und Streiks, dem Kapital abgewonnen.
19. Die IG Metall hat sich in den letzten Tagen für die Interessen der betroffenen Belegschaft stark gemacht und scheint gemeinsam mit dieser im intensiven Diskurs zu stehen, was im Prinzip gut ist. Dennoch muss die Zwiespältigkeit der IG Metall betrachtet werden.
20. Durch die wirtschaftliche Umstrukturierung im Namen des Neoliberalismus (ab den 1980ern bis heute) kam es zu immer mehr Outsourcing, Standortverlegungen, Werksschließungen, zum Sinken der Reallöhne, während die lohnabhängigen Klassen und ihre Vertreter, der IG Metall und die weiteren Gewerkschaften, zuguckten und den Prozess zur Verschlechterung der Lebensbedingungen der lohnabhängigen Klasse geschehen ließen, wenn nicht sogar unterstützten.
21. In der letzten Tarifrunde Metall- und Elektroindustrie wurden nur kleine Verbesserungen errungen (2 bis 3% mehr Lohn), während die großen Konzerne Schließungen, Stellenabbau oder gar bei VW eine Lohnkürzung von 10% forderten. Was auch aus einer historischen Schwäche der Gewerkschaften erklärt werden kann.
22. Diese Entwicklungen gehen aus der vorausgehenden Bürokratisierung und Hierarchisierung der Gewerkschaften hervor. Durch diese waren und sind die Interessen der Gewerkschaftsführung und der Arbeitenden nicht die Gleichen.
23. Die Gewerkschaftsführung versucht, zwar im Namen der Belegschaft, eine Einigung zu finden. Hat hierbei weniger die Belegschaft, sondern mehr die Gewerkschaftskassen und die Position der Gewerkschaft im gesellschaftlichen Machtgefüge im Auge. Im Namen der „Sache” wurden und werden die Arbeitenden alleine gelassen, ihre Belange abgetan, sie beschwichtigt und ihnen versichert, das sie und ihre Interessen vertreten werden. Schnelle Einigung und Kompromisse mit den Chefs sind für Gewerkschaften und ihre Führung machterhaltend, verbessern aber primär nicht die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeitenden in einer sinnvollen Weise. Ähnliches gilt auch für Parteien und andere Verbände und Organisationen.
24. Zugleich kam es immer mehr zum Verlust einer Klassenidentität der Arbeitenden.Durch steigenden Wohlstand und Sicherheit, durch Sozialstaat und Konsumgesellschaft, durch Differenzierung der Arbeiten und die verstärkte Spaltung in Planende und Ausführende verschwand auch immer mehr das Empfinden sich als Kolleg:innen für gemeinsame Anliegen und Interessen stark machen zu müssen. Hierdurch wurden auch in der Mehrheit der Bevölkerung und der Lohnabhängigen, die herrschenden Verhältnisse: die neoliberale Wende, das Schrumpfen der Industrieproduktion und die Umstrukturierung des Sozialstaats, hingenommen und keine andere Perspektive erkannt.
25. Dieser Verlust eines Klassenbewusstseins ist auch die Quelle der konstanten Hierarchisierung, Bürokratisierung und Integrierung der Gewerkschaften in den gesellschaftlichen Machtapparat und begründet die Hegemonie des kapitalistischen Bewusstseins.
26. Durch das langsame Stagnieren und Verschlechtern der Lebensbedingungen entsteht heute aber wieder starke Frustration und eine Perspektivlosigkeit für große Teile der Bevölkerung und auch der arbeitenden Klasse. Diese Empfindungen werden zur Zeit aber gesamtgesellschaftlich nicht durch solidarisches Handeln und gemeinsames Kämpfen produktiv genutzt, sondern äußern sich konkret in Apathie oder Projektion auf Scheinprobleme und Scheinlösungen, die die Arbeitenden noch mehr spalten und die Problematiken verschärfen.
27. Die neoliberalen Neustrukturierungen, die sich in ihren Fortführungen bis in die heutige Zeit erstrecken, sind genauso wie das kollektive Handeln der Arbeitenden, Ausdruck des Klassenkampfs. Sie stellen die allmähliche Umkehrung der Errungenschaften der Arbeiter:innenbewegung im 19. und 20. Jahrhundert dar. Diese Errungenschaften sorgten für eine gesicherte Existenz, etwa durch Lohnerhöhungen, eine Krankenversicherung, eine Rente oder die Arbeitslosenversicherung, oder politischer Rechte, wie Meinungsfreiheit und die freie Vereinigung. Diese stammen aus einer Zeit, in der die wirtschaftliche Expansion, große Lohnforderungen und Errungenschaften möglich machte, und notwendig waren für das Kapital, um den gesellschaftlichen Frieden zu wahren.
28. Diese Errungenschaften werden aber teilweise und allmählich durch das profitgetriebene Wirtschaften der kapitalistischen Klassen und ihrer Produktionsplanung abgeschafft oder ausgehöhlt, angetrieben durch den fehlenden Widerstand, der desintegrierten Arbeiter:innen, und der nun ungünstigen Produktionsbedingungen. So Sinken die Reallöhne, Lebenshaltungskosten steigen, Produktionsstandorte werden aufgegeben und so ein gutes Leben für Viele unmöglich. Hierbei folgen Staat, Parteien und Gewerkschaften, der Logik des Kapitals und der ihrer Gehälter und Privilegien. Sie unterstützen diesen Wandel treiben ihn voran, versuchen ihn höchstens abzufedern.
29. Desgleichen sehen sich die Arbeitenden selbst in dieser Logik befangen. Sie sind ebenso durch ihre eigenen Interesse, ihren eigenen Erhalt, in der kapitalistischen Logik befangen. Nur durch Konzessionen an das Kapital lassen sich Lohn, Lebenshaltungskosten und Arbeit in der deutschen Industrie erhalten.
Der Kapitalismus ist kein gerechtes, ausgewogenes, menschliches System, sondern versklavt die Menschen und reißt sie, wenn nötig, in den Abgrund.
Um die Profite der Aktionäre und die Gehälter des Managements zu erhalten, muss die Belegschaft, wenn es hart auf hart kommt, ihren Arbeitsplatz verlieren. Damit sich der Betrieb für die Chefs lohnt, wird ihre jetzige Existenz riskiert. Sie sind nur eine Zahl auf der Kostenabrechnung der Führung, die sich an ihrer harten Arbeit, an ihrer Lebenszeit und Lebenskraft bereichert.
Es handelt sich um einen Klassenkampf von oben, der eben das Lebenswerte, das mühsam erkämpft wurde, wieder loswerden möchte. Um blind, leblos, wie ein Roboter Profit aus der Arbeit der Menschen zu pressen und sie zu blinden leblosen Robotern formt.
Die Arbeitenden in Eichen werden besonders hart durch die Umstrukturierung getroffen. Die Belegschaft in anderen Werken, Berufsgruppen oder Firmen weniger hart. Die Situation in der Industrieproduktion in Deutschland unterscheidet sich stark von der in anderen Regionen der Welt. Der Niedergang der Industrieproduktion in der Einen, ist Grundlage für den Aufstieg in der Anderen. Dies schränkt auch die Möglichkeiten für einen gemeinsamen Widerstand, für ein gemeinsames Handeln ein, und spielt der Unternehmensführung in die Hände.
Wenn es um Standorterhaltung und Entlassungen geht, gibt es kaum Handlungsspielräume innerhalb des kapitalistischen Systems, die die Arbeitenden ausnutzen können. Die Standortschließung ist ein Imperativ des Profits. Durch einen Appell an den Sozialstaat und Druck auf die Unternehmensführung lassen sich die Folgen der Schließung abmildern, der Standorterhalt auf Kosten des Lohns erkämpfen oder die Bedingungen für ein paar weitere Jahre sichern. Die Gefahr bleibt dennoch nicht gebannt.
Die Arbeitenden haben es erkannt: es ist kein Wandel zu erwarten, es gibt keine Lösung für dieses “Problem”.
Die einzige Möglichkeit ist das “Problem” an sich aufzuheben, in dem das gesamte System in Frage gestellt wird. Die profitorientierte Produktion, die Lohnarbeit an sich, den Sozialstaat und die eigenen Lebensbedingungen bilden den Rahmen, den es zu sprengen gilt, um dieses “Problem” aus dem Weg zu räumen.