Basisorganisierung gegen Völkermord: Palästina und verwurzelte soziale Bewegungen


Peter Brandt
Aktuelles Organizing Palästina Nahost BRRN Übersetzung

Basisorganisierung gegen Völkermord: Palästina und verwurzelte soziale Bewegungen

Vorwort

Dort, wo wir uns als Anarchist:innen an gesellschaftlichen Kämpfen beteiligen, stehen wir (neben vielen anderen) immer wieder vor zwei elementaren Fragen:

1.) In welchem Verhältnis soll unsere Beteiligung an punktuell auftretenden, vor allem symbolischen Mobilisierungen zu unserer dauerhaft angelegten Basisarbeit mit dem Ziel des Aufbaus tatsächlicher Macht von unten stehen? Welcher Arbeit weisen wir eine höhere Priorität zu und wie kann es gelingen, trotz einer etwaigen Priorisierung beide Stränge unserer Arbeit sinnvoll zu verbinden?

2.) Wie kann die Macht, die wir lokal mit unseren Kolleg:innen, Nachbar:innen, Mitschüler:innen und Mitstudierenden aufbauen, im Kontext internationaler Solidarität mit emanzipatorischen Kämpfen anderswo auf der Welt genutzt werden?

Den folgenden Artikel der US-amerikanischen Black Rose Anarchist Federation habe ich übersetzt, weil er versucht, diese beiden Fragen anhand mehrerer konkreter Beispiele aus der Bewegung gegen den Genozid in Palästina in Grundzügen zu beantworten und uns damit Denkanstöße für allgemeine Antworten auf die aufgeworfenen Fragen sowie konkrete Inspirationen für internationale Solidarität in Deutschland geben kann. Auch wenn der Artikel bereits im Januar dieses Jahres veröffentlicht wurde, halte ich ihn weiterhin für sehr lesenswert. Bei der deutschen Übersetzung habe ich mich eng am ursprünglichen Wortlaut orientiert und diese lediglich mit Fußnoten zum besseren Verständnis ergänzt.

Übersetzung

In diesem Artikel stellen mehrere Mitglieder von Black Rose/Rosa Negra Überlegungen zu ihren Bemühungen an, den Kampf für die Befreiung Palästinas in ihre langfristigen Organisierungsbemühungen einzubeziehen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Unterscheidung zwischen temporärer Mobilisierung und der Orientierung auf nachhaltige Organisierung an Orten des täglichen Lebens - an Arbeitsplätzen, Schulen und in Nachbarschaften.

Einleitung

Mehr als 100 Tage nach Israels völkermörderischem Angriff auf das palästinensische Volk und der stärksten Anti-Kriegs-Mobilisierung seit über einem Jahrzehnt haben sich viele von uns, die auf der Straße waren, gefragt: Was wird nötig sein, um die US-Kriegsmaschinerie tatsächlich zu stoppen?

Wenn wir an die Proteste gegen die Invasion des Irak im Jahr 2003 zurückdenken, wird klar, dass es mehr braucht, als von A nach B zu laufen - und sogar mehr als vereinzelte direkte Aktionen wie die Übernahme von Autobahnen, die Besetzung von Politiker:innenbüros oder kleineren Vandalismus. Auf die Straße zu gehen, unsere Energie in Aktionen zu stecken, zu eskalieren, Verhaftungen zu riskieren, den Tagesablauf zu stören und sich dann erschöpft und besiegt zu fühlen, ist ein häufiger Kreislauf in der Antikriegsbewegung und in jedem Kampf.

Viele von uns in Black Rose/Rosa Negra (BRRN) kamen zuerst zu der Organisation, weil wir die zyklische Natur des Aktivismus satt hatten. Wir reagierten auf Krisen, nur um am Ende wieder dort zu landen, wo wir angefangen hatten, nur mit erschöpfter Moral und weniger Ressourcen. Wir wollten Wege finden, um eine Dynamik zu entwickeln und aufrechtzuerhalten, das historische Gedächtnis zu bewahren, uns um die Bedürfnisse der Bewegungsteilnehmer:innen zu kümmern und eine Hebelwirkung aufzubauen, um Kämpfe im Hier und Jetzt zu gewinnen - alles mit dem Ziel, einen revolutionären Bruch herbeizuführen. Dies ist einer der Gründe, warum BRRN den Aufbau von Bewegungen dort bevorzugt, wo wir leben, arbeiten und studieren, und somit versucht, sich von der Konzentration auf Kampagnen zu einem einzigen Thema und auf aktivistische Subkulturen zu entfernen.

Zugegeben, da wir uns noch in der Anfangsphase des Aufbaus von kämpferischen sozialen Bewegungen befinden, kann dies die Mobilisierung für Notfälle wie den Völkermord in Palästina verlangsamen. Das liegt zum Teil daran, dass wir mit heterogenen Gruppen von Menschen organisieren und zum Beispiel versuchen, unsere Kolleg:innen zu Aktionen zu bringen, anstatt andere Radikale oder Aktivist:innen zu mobilisieren. Wir glauben, dass dieser Ansatz letztlich effektiver sein wird, weil wir an verwurzelten Orten des täglichen Kampfes eine dauerhafte Organisation aufbauen, die auch auf zukünftige Kämpfe schnell reagieren kann. Wir wollen die Organisationsarbeit leisten, um neue Menschen in soziale Bewegungen zu bringen, und die politische Arbeit, um sie an den organisierten Anarchismus heranzuführen, damit es später mehr vorbereitete Kämpfer:innen gibt. Wir wissen, dass ein organisierter politischer Kampf weitaus effektiver ist, wenn es darum geht, den Imperialismus in Krisenzeiten herauszufordern, als ein Kampf, der nur auf Mobilisierungen beruht.

Unser Ansatz bleibt oft unbemerkt. Zum einen legt er den Schwerpunkt darauf, in breiteren sozialen Bewegungsräumen als gleichberechtigte Teilnehmer:innen zu agieren, anstatt darauf zu achten, dass unsere Marke als politische Organisation auf jedem Mobilisierungsaufruf oder Protestschild sichtbar ist. Wir organisieren zwar auch große Demonstrationen und andere Aktionen und nehmen daran teil, weil wir glauben, dass sie ein notwendiger Bestandteil jedes Kampfes einer sozialen Bewegung sind, aber sie sind nicht der Kern dessen, worauf wir uns konzentrieren. Aufgrund der oben erwähnten mangelnden Sichtbarkeit und der Tatsache, dass wir dieses Organisationsmodell für den Aufbau von Macht für wichtig halten, möchten wir einige der weniger sichtbaren Aktivitäten unserer Mitglieder im Bereich der Palästina-Solidarität hervorheben.

Dabei geht es nicht darum, zu zeigen, wie man die Dinge „richtig“ macht, sondern darum, zu zeigen, wie wir alle in einer Vielzahl von unterschiedlichen Kontexten die grundlegende - und oft sehr bescheidene, aber notwendige - Arbeit leisten können, um die Grundlagen von Bewegungen aufzubauen, so dass wir am Ende mehr Genoss:innen, Macht und Solidarität haben, als wir zu Beginn hatten. Am Ende vieler Palästina-Solidaritätsdemonstrationen rufen die Redner:innen dazu auf, hinauszugehen und sich weiter zu organisieren, weil Demonstrationen allein Israels völkermörderischen Angriff nicht stoppen können - das ist objektiv wahr, aber es ist oft unklar, wie das aussehen kann, insbesondere für militante Basisgruppen außerhalb der professionalisierten NGO- und Gewerkschaftsbürokratiesysteme. Wie könnten also diese nächsten Schritte aussehen? Hier sind einige Beispiele dafür, womit Mitglieder von Black Rose/Rosa Negra Erfolg hatten.

Organisierung in der Nachbarschaft in Boston

Untitled-16-700x362.jpg
Mitglieder der East Boston Nachbarschaftsgruppe posieren für ein Foto nach einem Filmabend und einer Diskussion.

Tony lebt seit 20 Jahren in der Nachbarschaft von East Boston, während Roxana seit sechs Jahren dort lebt und arbeitet - beide sind Mitglieder von BRRN. Durch ihre langjährige Organisationstätigkeit in der Nachbarschaft haben sie viele Verbindungen und Vertrauensbeziehungen aufgebaut. Als der Krieg gegen den Gazastreifen begann, konnten sie sich auf diese langjährigen Beziehungen stützen, um ihre Reichweite zu vergrößern und viele ihrer Nachbar:innen zusammenzubringen, damit sie als Gruppe an einer Pro-Palästina-Demonstration teilnehmen konnten. Nachdem die Gruppe diese erste Aktion mit einigen Teilnehmer:innen besprochen hatte, beschloss sie, ihre Bemühungen zu formalisieren und gründete die Nachbarschaftsorganisation East Boston for Palestine. Seitdem hat die Gruppe Diskussionen und Filmvorführungen in der Nachbarschaft veranstaltet, bei denen Einwandererfamilien mit unterschiedlichem Hintergrund zusammenkamen, um die Zusammenhänge zwischen ihren Kämpfen gegen den Imperialismus kennenzulernen und zu diskutieren. Diese Organisation hat dazu beigetragen, eine unterstützende antiimperialistische Community in der Nachbarschaft zu schaffen und die Grundlage für die Organisierung zu anderen Themen in dem Ort, den sie ihr Zuhause nennen, zu legen.

Gegenwärtig gibt es eine große Welle der Unterstützung für den palästinensischen Kampf. Für einige ist es ein politisches Thema, das sie durch Aktivismus kennenlernen. Für andere hat die Verbindung zu Palästina ihre Wurzeln in der Zugehörigkeit zu muslimischen oder arabischen Communities oder darin, dass sie die Gewalt von Kolonialismus und Imperialismus direkt erlebt und sich dagegen gewehrt haben. Um der imperialistischen Maschinerie den Garaus zu machen, müssen wir Wege finden, scheinbar sehr unterschiedliche Gruppen von Menschen zusammenzubringen, dauerhafte Organisationen zu schaffen und strategischere Formen des Widerstands zu entwickeln.

Durch ihre Beteiligung an der Gründung einer unabhängigen pro-palästinensischen Organisation konnten die BRRN-Mitglieder in Boston viele der politischen Beschränkungen vermeiden, die den Kämpfen von gemeinnützigen Organisationen, Gewerkschaften von oben oder der Demokratischen Partei auferlegt werden. Indem wir uns auf ein bestimmtes Gebiet wie einen Stadtteil konzentrieren, sind wir in der Lage, Beziehungen zu entwickeln, die in einem Ort des täglichen Lebens verwurzelt sind, anstatt zu versuchen, isolierte Aktivist:innencliquen zu bilden, die um wenig mehr als eine Ideologie oder ein bestimmtes Thema vereint sind. Dies gibt uns die Möglichkeit, dem aktuellen Moment und seinen historischen Wurzeln gemeinsam einen Sinn zu geben. Wir knüpfen Verbindungen der politischen und gesellschaftlichen Solidarität in einem Prozess, der eine gemeinsame Weltsicht aufbaut. Es schafft auch ein zugängliches Ventil für Aktionen für so viele Menschen, die den Drang verspüren, solidarisch zu sein, aber vielleicht neu in der Bewegung sind oder sich vom „professionellen Aktivismus“ ausgegrenzt fühlen.

East Boston for Palestine findest Du auf Instagram unter @ebxpal.

Organisierung von Beschäftigten im Gesundheitswesen in Oakland

11
SEIU 1021 Mitglieder bei der Labor for Palestine-Demo in Oakland.

Morgan ist Krankenschwester in Oakland und begann ursprünglich sich mit BRRN zu organisieren, als sie an der Planung einer Demonstration von „Healthcare Workers for Black Lives“ im Jahr 2020 teilnahm. Drei Jahre später sind die damals geknüpften Verbindungen zu einem zentralen Element der aktuellen Organisierungsbemühungen geworden, bei denen Beschäftigte im Gesundheitswesen zur Unterstützung Palästinas auf die Straße gehen. Die Beschäftigten aller größeren Gesundheitseinrichtungen in der Bay Area haben sich mobilisiert und begonnen, durch eine Kombination aus bereits bestehenden politischen Verbindungen, einer nationalen Petition, die die Unterzeichner:innen miteinander verband, Sichtbarkeit bei Demonstrationen, Mund-zu-Mund-Propaganda und ständig wachsenden Signal- und WhatsApp-Gruppenchats umfassendere Verbindungen untereinander zu knüpfen.

In diesem Kontext versuchte Morgan, die Organisation rund um die Palästinafrage in ihr Krankenhaus zu bringen. Zunächst traf sich die Gruppe mit einem kleinen Kern gleichgesinnter Kolleg:innen ihres Krankenhauses und fasste den Plan, täglich einen Tisch im Innenhof des Krankenhauses abzuhalten, um mit den Kolleg:innen in Kontakt zu treten und sie über die palästinensische Befreiung aufzuklären. Durch die Gewinnung weiterer Teilnehmer:innen konnte sie ein Online-Teach-In über die palästinensische Erfahrung und Hirntraumata mit einem lokalen palästinensischen Arzt veranstalten, eine interne Versammlung von etwa 50 Kolleg:innen mitorganisieren und später eine öffentliche Kundgebung für Palästina vor dem Krankenhaus abhalten.

Gegenwärtig hat die Kampagne eine längerfristige Perspektive, wobei Morgan und ihre Mitarbeiter darauf drängen, dass das Krankenhaus sich von militaristischen und von der Boykott-, Desinvestitions- und Sanktionskampagne (BDS) ins Visier genommenen Unternehmen trennt, eine Krankenhauspartnerschaft mit einem palästinensischen Krankenhaus eingeht und das Personal vor Vergeltungsmaßnahmen schützt, wenn es sich zu Palästina äußert. Diese Organisierungsarbeit wurde durch Morgans Geschichte als Gewerkschaftsaktivistin im Krankenhaus stark gefördert und hat dazu beigetragen, ihre politischen Beziehungen im Krankenhaus über ihre Gewerkschaft hinaus und über verschiedene Abteilungen und Berufe hinweg zu erweitern. Morgan ist der Meinung, dass die Beziehungen, die sie im Laufe dieses Prozesses aufgebaut hat - die meisten davon in dem Krankenhaus, in dem sie für den Rest ihrer Laufbahn zu arbeiten gedenkt - eine Grundlage bilden, auf der künftige Kämpfe geführt werden können.

Morgan und andere SEIU-Mitglieder bauen Beziehungen auf, die diese Organisierung über Resolutionen auf Papier hinausführen können, in der Hoffnung, dass diese Aktionen zu dauerhaften branchenübergreifenden Organisierungsstrukturen führen werden. Auf nationaler Ebene hat sich Morgan an der Kampagne „Purple Up for Palestine“ beteiligt, um die SEIU als Ganzes aufzufordern, einen Waffenstillstand zu fordern. Die Kampagne hat erfolgreich Druck auf den SEIU-Gewerkschaftspräsidenten ausgeübt, eine Erklärung zu veröffentlichen, in der ein Waffenstillstand gefordert wird. Auch diese Bemühungen boten eine weitere Gelegenheit, direkt mit anderen Arbeitnehmern außerhalb der formalen und oft bürokratisierten Gewerkschaftsstrukturen in Kontakt zu treten.

Weitere Organisierung von Beschäftigten im Gesundheitswesen in der Bay Area

Untitled-18-700x424
Gesundheitsarbeiter:innen aus verschiedenen Krankenhäusern posieren für ein Foto nach einer Demonstration in San Francisco.

Auf der anderen Seite der Bay - von Morgan aus gesehen - wohnt Grant, ein langjähriges BRRN-Mitglied, das seit kurzem in einem akademischen medizinischen Zentrum arbeitet. Im Gegensatz zu Morgan ist Grants Krankenhaus größtenteils nicht gewerkschaftlich organisiert. Da es so gut wie keine Strukturen gibt, die die Arbeiter:innen miteinander verbinden, und es keine Geschichte des Aktivismus im Krankenhaus gibt, mussten die pro-palästinensischen Kolleg:innen bei Null anfangen. Glücklicherweise gelang es einigen wenigen Personen, über eine nationale Petition der Beschäftigten im Gesundheitswesen für Palästina Kontakte zu knüpfen. Aus diesen ersten Kontakten konnten Grant und andere Krankenhausarbeiter:innen ein loses Netzwerk von mehreren Dutzend Unterstützer:innen aufbauen, das sich in einigen Krankenhausabteilungen und der angeschlossenen medizinischen Fakultät organisierte. Es gelang ihnen, ihre Unterstützerbasis zu erweitern, indem sie zwei Demonstrationen im Krankenhaus organisierten, an denen mehr als hundert ihrer Kolleg:innen teilnahmen.

In einem zuvor unorganisierten und scheinbar unpolitischen Umfeld hat die Organisierung der Palästina-Solidarität, die Grant maßgeblich vorangetrieben hat, dauerhafte Verbindungen zwischen den Organisator:innen der Beschäftigten im gesamten Krankenhaus geschaffen. Ohne diese systemweiten Bemühungen wären viele dieser Kolleg:innen einander nicht begegnet, geschweige denn hätten sie gemeinsam am Arbeitsplatz gehandelt. Diese Bemühungen haben den Beschäftigten gezeigt, dass ihr Arbeitsplatz ein Ort des politischen Kampfes ist, haben neue Aktivist:innen inspiriert und waren ein Mittel zur Unterstützung der palästinensischen Beschäftigten im Krankenhaus, die inmitten des anhaltenden Völkermords am meisten leiden.

Als BRRN-Aktivist:innen und Beschäftigte des Gesundheitswesens in der Bay Area haben Grant und Morgan auch gemeinsam an der regionalen Organisierung von Hunderten von Aktivist:innen im Gesundheitswesen teilgenommen. Kürzlich gipfelte dies in einer von Beschäftigten des Gesundheitswesens angeführten Aktion, die die Büros von L3Harris, einem Unternehmen der Waffenindustrie, dessen Bomben auf Krankenhäuser in Gaza abgeworfen wurden, lahmlegte. Gemeinsam mit den Mitgliedern dieses wachsenden Netzwerks schlagen Grant und Morgan Wurzeln in den Krankenhäusern und Kliniken in der gesamten Bay Area, wo die Beschäftigten des Gesundheitswesens bereit sind, sich in einer noch nie dagewesenen Weise zusammenzuschließen.

Studentische Organisierung in der Bay Area

Als Studentin im ersten Jahr an der Universität und Mitglied der BRRN hat sich Dioretsa für die Befreiung der Palästinenser:innen auf ihrem Campus organisiert. Im Gegensatz zu den anderen Beispielen in diesem Artikel gab es an Dioretsas Universität eine bestehende Struktur für den Palästina-Aktivismus, einschließlich einer aktiven Ortsgruppe von Students for Justice in Palestine und verschiedener linksgerichteter Studentengruppen. Diese Gruppen waren in der Lage, schnell zu reagieren und eine Reihe von Großkundgebungen, Teach-Ins und einen andauernden Sitzstreikprotest zu initiieren, der zu einem sichtbaren Zentrum der Palästina-Solidarität wurde. Da sich die gegenwärtige Situation für viele als eine radikalisierende Erfahrung erweist, war es wichtig, leicht zugängliche Räume wie das Sit-In zu schaffen, wo neue Leute kommen, Kontakte knüpfen und lernen können. Das Sit-In als Zentrum für Organisierungsaktivitäten hat auch einen Kern von studentischen Aktivist:innen zusammengebracht, der wahrscheinlich im Zentrum zukünftiger linker Organisierung stehen wird.

Zu Beginn des Winterquartals starteten die Studierenden eine Divestment-Kampagne, die sich gegen die Beziehungen der Universität zu Hewlett-Packard (HP) richtet. HP wird wegen seiner Geschäftsverträge, die IT-Dienstleistungen für das israelische Apartheidregime bereitstellen, und seiner engen Verbindungen zur Universität ins Visier genommen. Die studentischen Organisator:innen versuchen mit dieser Kampagne auch, ein Massenbündnis auf dem Campus zu schmieden und aufrechtzuerhalten, das über das Thema Palästina hinausgeht. Dioretsas Rolle als Koalitionskoordinatorin für die Divestment-Kampagne macht sie zu einem Bindeglied zwischen verschiedenen studentischen Organisationen sowie Gruppen der Bay Area und der landesweiten Palästina-Solidarität.

Um Gruppen wie die Campus Students and Workers Solidarity Group (in der Dioretsa ebenfalls Mitglied ist) in die Koalition der Divestment-Kampagne einzubinden, ist viel politische Arbeit nötig, um diesen Gruppen zu zeigen, dass der Kampf gegen den US-Imperialismus und den Siedlerkolonialismus auch sie betrifft. Anstatt sich nur darauf zu konzentrieren, die bereits engagierten Palästina-Aktivist:innen zusammenzubringen, um für die palästinensische Befreiung zu kämpfen, erkennen Dioretsa und ihre Mitorganisator:innen, dass die Kampagne nur dann erfolgreich sein wird, wenn sie über das Aktionsmodell des „aktiven Clubs“ hinausgeht, indem sie eine Basis in allen verschiedenen Bereichen der Universität aufbaut. Dazu gehören die verschiedenen Studierendengruppen, aber auch Jurastudierende, Dozierende, Mitarbeiter:innen des Campusdienstes, Medizinstudierende, Angestellte im Gesundheitswesen, Laborant:innen. Mit einem Wort: alle.

Ein Beispiel für BDS-Organisierung am Arbeitsplatz im Südwesten

Joe arbeitet von zu Hause für ein Umweltberatungsunternehmen im Südwesten. Das Unternehmen befasst sich mit Genehmigungen für Entwicklungsprojekte in den USA und im Ausland. Nach dem 7. Oktober erfuhr er, dass eines der Projekte, an denen er arbeitete, für ein israelisches Unternehmen bestimmt war, das seinen Hauptsitz etwa 30 Meilen vom Flüchtlingslager Jabalia entfernt hat. Ein anderer Auftrag war für ein transnationales Energieunternehmen, das auf der Boykottliste stand, um Offshore-Gas an der Küste des Gazastreifens zu fördern. Joe wandte sich an einige seiner engsten Kolleg:innen, um eine Diskussion über BDS zu eröffnen. Joe teilte ihnen mit, dass er sich weigern würde, an diesen beiden Projekten mitzuarbeiten, und dass er auch die Mitarbeit an künftigen Projekten ablehnen würde, an denen Unternehmen beteiligt sind, die sich am Völkermord in Palästina beteiligen.

Seine Kolleg:innen waren zwar verständnisvoll und hatten ihre eigenen Vorbehalte gegenüber einigen der Arbeiten, um die sie gebeten wurden, aber sie waren noch nicht bereit, zusammen mit ihm die Arbeit zu verweigern. Ohne eine Verpflichtung zu kollektivem Handeln reichte Joes individuelles Handeln nicht aus, um diese Projekte zu stoppen, aber er war in der Lage, Raum zu schaffen, um mit seinen Kolleg:innen darüber zu sprechen, welche Rolle ihre Arbeit bei der Förderung oder Verlangsamung von Siedlerkolonialismus, Umweltgerechtigkeit und globaler Solidarität spielen könnte. Es kann sehr schwer sein, unsere Kolleg:innen zu solchen mutigen Schritten zu bewegen, aber es ist wichtig, dass wir als mutige Vorbilder und geduldige Erklärer:innen zur Verfügung stehen. Bei konsequenter Anstrengung haben die Kolleg:innen in Sektoren wie diesem eine enorme Macht, die koloniale Wirtschaft zu stören.

Schlussfolgerung

1-700x466
Mitglieder von BRRN nehmen an einer Aktion zur Schließung des Hafens von Oakland teil.

Mit diesem Artikel wollten wir veranschaulichen, wie wir durch Gespräche und Aktionen mit den Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten, leben und studieren, eine starke Basis für den antiimperialistischen Kampf aufbauen können. Die hier angeführten Beispiele sind zwar klein, aber aufgrund der tiefen und dauerhaften organisatorischen Verbindungen, die die notwendige Grundlage für eine starke kollektive Aktion bilden, sind sie sehr wirkungsvoll. Wir versuchen, diese lokalen Bemühungen zu breiteren sozialen Bewegungen zu vereinen, in denen die arbeitenden Menschen demokratisch die Macht ausüben können, die zum Sturz des Imperiums notwendig ist.

Um diese Bemühungen in potenziell revolutionäre Richtungen voranzutreiben, glauben wir, dass es wichtig ist, weiterhin: an Orten zu organisieren, die im täglichen Leben verwurzelt sind; Mechanismen der offenen und demokratischen Entscheidungsfindung zu entwickeln, die eine Kontrolle von unten nach oben ausüben; wirksame Ziele zu analysieren und auszuwählen, die materiell mit Israels Krieg und Besatzung verbunden sind; und Kampagnen zu initiieren, die diese Ziele wirklich, direkt beeinflussen (im Unterschied zu weitgehend symbolischen Aktionen, an denen viele hoffnungsvolle Radikale frustriert teilgenommen haben).

Die Aufgabe, die vor uns liegt - die Bemühungen der USA zu stoppen, die Mittel für einen Völkermord am palästinensischen Volk zu finanzieren und bereitzustellen -, wird nicht leicht zu gewinnen sein, also müssen wir für einen langen Zeitraum dabei sein. Wenn wir unsere Bemühungen auf die Organisation von Bewegungen an der Basis konzentrieren, können wir das zyklische Ausbrennen von Aktivist:innenprotesten vermeiden, indem wir eine nachhaltige internationalistische und antiimperialistische Kraft von unten schaffen. Originaltext von BRRN

Peter Brandt

Peter kam vor einigen Jahren als Jugendlicher über die antifaschistische Bewegung zum Anarchismus. Er ist aktiv in Klimabewegung sowie in der anarchakommunistischen Plattform und lebt in Dortmund. Seine Interessensschwerpunkte sind Fragen der weltweiten anarchistischen Geschichte, Organisierung und Strategie.

Vorheriger Beitrag Nächster Beitrag