Unterschiede Nicht-Aushalten


kaesi
Debattenbeitrag Kritik

Ich habe mich entliebt.

Dieser Text soll nicht vorgeben, für irgendeine Gruppe, Organisation oder Strömung zu sprechen. Meine Gedanken und Haltungen sind nur meine eigenen.

Ich bin Anarchist. Schon seit Jahren trage ich die Zeichen meiner Überzeugung unter der Haut, als kleine Erinnerung an mein Zukünftiges Ich, sich nicht auf faule Kompromisse einzulassen und an der eigenen Utopie festzuhalten. Wenn man mich vor ein paar Jahren gefragt hätte, hätte ich immer gesagt, dass meine linken Positionen komplett untrennbar mit meiner Persönlichkeit verbunden sind. Für diese Positionen musste ich in ostdeutschen Kleinstädten bluten und hatte die zweifelhafte Ehre, es wegen ihnen auf eine Nazi-Todesliste zu schaffen. Ich kann nicht mehr zählen, wie viele Tage ich meines Lebens ich auf Plena verbracht habe oder in linke Projekte gesteckt habe. Ich habe in linken Räumen getrunken, gefeiert, mich gebildet und trainiert. Ich habe demonstriert, agitiert, plakatiert, beraten und diskutiert. Ich bin durch ganz Deutschland und darüber hinaus gereist und habe so viele wunderbare Gefährt:innen getroffen. Trotz all dieser schönen Erinnerungen ist mein Verhältnis zur deutschen Linken erkaltet. In Diskussionen mit meinen Liebsten sprechen wir immer schmunzelnd von DER DEUTSCHEN LINKEN™, weil es diese geeinte Linke sowieso seit Jahrzehnten nicht mehr gibt, obwohl sich verschiedenste Gruppierungen als Teil davon verorten würden.

Meine Entfremdung hat irgendwann während der Corona-Pandemie begonnen und hat viel mit der gegenwärtigen Selbstverortung DER DEUTSCHEN LINKEN™ gegenüber der Gesellschaft zu tun. Mindestens seit Corona, wenn nicht sogar schon weit davor, scheint diese tendenziell als rechtsoffen, reaktionär, antisemitisch oder anschlussfähig für Verschwörungserzählungen. Ich will dem nicht widersprechen – jede Familienfeier und jeder Tag auf der Arbeit bringen mich in Kontakt mit einem Potpourri an genau eben jenen Statements, bei denen es allen guten Linken die Zehennägel hochrollen muss. Mein Problem liegt nicht in dieser Analyse – nach über 30 Jahren neoliberaler Dauerbeschallung kann man nicht erwarten, dass in diesem Land Aufstand und Klassenkampf in irgendeiner Form massentauglich wären. Auch das „subjektive Befreiungsinteresse“, das Marxist:innen Lohnabhängigen seit Jahrzehnten attestieren äußert sich nicht in explodierender Gewerkschaftszugehörigkeit oder starken sozialistischen Parteien. Stattdessen haben wir eine rechtsextreme Partei im Bundestag und teilweise als stärkste Kraft in den Landesparlamenten. Die politische „Brandmauer“ nach rechts ist ein Witz und niemand, erwartet, dass die konservativen Parteien nicht in Zukunft offen mit der AfD zusammenarbeiten werden.

So weit, so furchtbar. Ein Blick in die Nachrichten oder die sozialen Medien erfüllt mich jedes Mal mit Grauen ob der Dimension unserer Krise. Noch schlimmer als die Aussicht auf Krieg, Krise und Klimakatastrophe ist für mich jedoch das Irrlichtern DER DEUTSCHEN LINKEN™. Auf der einen Seite des Spektrums sind dort jene, die jedes Potenzial für radikale Veränderung sofort Einhegen wollen in parlamentarische Bahnen und „demokratischen Diskurs“ (Grüße an die Grünen und ihre Fans und Vorfeldorganisationen an dieser Stelle), auf der anderen die hunderten von Gruppen, Initiativen und Organisationen, die für verschiedenste Zwecke werben, agitieren und demonstrieren und deren Personenpotenzial sich meist aus einem sehr ähnlichen Milieu rekrutiert: oft mit akademischem Hintergrund, häufig urban und in der Regel Deutsch. Ab einem bestimmten Alter sind die Aktionsformen jedoch nicht mehr geeignet, der Zeitaufwand kann nicht mehr bewältigt werden oder die Repression schlägt zu. Seien wir doch ehrlich, wie hoch ist der Anteil derer in diesen Strukturen, die über 30 sind? Über 40? Aktivismus ist für dieses Milieu häufig etwas, das neben Lohnarbeit, Bildungsweg oder ähnlichem in der Freizeit gemacht wird. In diesen Strukturen könnten wir vermutlich Strichlisten führen, wie oft diskutiert wird „wie wir Menschen außerhalb der eigenen Bubble erreichen“.

Wenn sich jedoch außerhalb dieses Milieus Unmut formiert, dann macht sich in der Regel erstmal Skepsis breit in DER DEUTSCHEN LINKEN™ und zumindest inhaltlich kann ich es nicht verübeln. Weder diese seltsame Melange aus Verschwörung, Demokratieskepsis und bürgerlicher Existenzangst während Corona, noch den gegenwärtigen Appell um Frieden an die angreifende Kriegspartei enthält irgendwie linke Positionen, an denen ich inhaltlich anknüpfen möchte. Die Anwesenheit rechter Akteur:innen reicht dann in der Regel aus, um direkt rote Linien zu ziehen und die Einteilung in Freund und Feind vorzunehmen. Wenn ich mir anschaue, was auf solchen Veranstaltungen gesagt und gefordert wird, wundert mich dieser Reflex nicht.

Für mich beginnen die Fragezeichen jedoch in der Ratlosigkeit, wie eine sinnvolle Alternative aussehen kann. Den oft geforderten „linken Antworten“ auf die Probleme unserer Zeit fehlte es oft an Zugkraft und es gelang meist nur punktuell, Menschen einzuladen, die nicht sowieso schon mindestens in irgendeiner Weise links anpolitisiert sind. Dies als Problem zu benennen, hat meiner Beobachtung nach auch weitgehend geklappt, daraus Lehren zu ziehen jedoch nicht. Für mich ist das Problem, dass DIE DEUTSCHE LINKE™, aus ihrem Anspruch auf moralisch einwandfreies Handeln heraus, verlernt hat mit Menschen zu reden, die nicht Teil des eigenen Milieus sind. Aus einem unbeabsichtigten Paternalismus heraus nimmt man sich das Recht, FÜR Menschen zu sprechen, ohne MIT ihnen zu sprechen. Hand aufs Herz: wie viele von uns, die gern darüber sprechen, wie sich die lohnabhängige Klasse am besten emanzipieren soll, haben schonmal mit prekär Beschäftigten ein Bier getrunken, ohne Agitation im Hinterkopf? Wie viele haben mit Jugendlichen geredet, die Polizeischikane oft lange vor uns erleben? Wer von uns traut sich, dem Stammtischgerede unserer Familienmitglieder zu stellen? Wer kennt seine Nachbar:innen?

Ich selbst habe in den vergangenen Jahren hauptsächlich Nachbarschafts-, Gewerkschafts- und Vereinsarbeit gemacht. Ich kann nicht zählen, wie oft ich über problematische Aussagen insgeheim den Kopf schütteln musste. Wie oft mich Sexismus, Chauvinismus und Männerbündelei angeekelt haben und wie oft ich mich darüber geärgert habe, dass Menschen lieber nach unten treten als sich zusammenzutun und ihre eigenen Lebensbedingungen zu verbessern. Das ist oft sehr anstrengend und psychisch belastend, aber ich glaube noch immer, dass Menschen lernfähig sind und sich Gesellschaften zum besseren verändern können. Ich glaube nicht, dass dies erreicht werden kann, indem wir uns als DEUTSCHE LINKE™ nur noch aus dieser Gesellschaft zurückziehen in unsere eigenen Räume und Strukturen und uns diesen Ansichten nicht mehr stellen. Das heißt nicht, dass wir jeden Quatsch, den man in diesen Diskussionen hört, teilen oder zustimmen muss. Das heißt auch nicht, dass wir eigene Positionen aufgeben und verwässern sollen, um anschlussfähig zu sein. Sich aus diesen Räumen, Nachbarschaften, Vereinen und Debatten zurückzuziehen, heißt aber auch, diese anderen zu überlassen und das halte ich für sehr gefährlich und einen großen Fehler.

Das bisher Geschriebene soll kein Plädoyer dafür sein, keine Trennlinien mehr zu ziehen. Es wird immer Unvereinbarkeiten geben und wo Menschenfeind:innen sich organisieren müssen sie zurückgedrängt werden – das geht aber nicht von der Seitenlinie. Egal, wie wir unsere politische Arbeit bezeichnen (ob Aufstand, Klassenkampf, Emanzipation, etc.), sie ist kein Fall von Schwarz oder Weiß, sondern von Grauschattierungen. Es gibt keine Auszeichnung für ideologische Reinheit oder moralische Überlegenheit. Niemand gratuliert uns dazu, immer auf der richtigen Seite gestanden zu haben, also sollten wir aufhören uns so zu verhalten als würden wir genau das erwarten. Markige Parolen gegen „Schwurbel“ und „Querfront“ eignen sich zur Selbstbestätigung – aber wer außer eine schrumpfende und gesellschaftlich immer irrelevante werdende DEUTSCHE LINKE™ gibt da Applaus? Wem nützt diese ideologische Reinheit, wenn wir eine zunehmende Umverteilung von unten nach oben haben, sich die Welt in eine technologisierte Überwachungsdystopie verwandelt und der menschgemachte Klimawandel in absehbarer Zukunft die Lebensgrundlage von Milliarden Menschen zerstören wird? Nochmal: dieser Text ist kein Plädoyer dafür, sämtliche roten Linien aufzugeben, sondern dafür, sich ins Handgemenge zu begeben – sowohl im ideologischen Sinn als auch im körperlichen Sinn, überall, wo sich Faschist:innen Raum zu nehmen. Mit letzteren meine ich in erster Linie die Menschen, deren Tätigkeiten tatsächlich Menschen realer Gefahr aussetzen und die die Öffentlichkeit aktiv zu einem Angstraum für Marginalisierte werden lassen und weniger die, deren Stammtischgerede meinem Weltbild zuwider läuft.

Ich will an dieser Stelle auch nicht unerwähnt lassen, dass der Aufruf zu diesen Auseinandersetzungen geprägt ist von meinen persönlichen Privilegien – ich bin cis-männlich, sportlich und kann gut diskutieren. Diesen Luxus genießen nicht alle meine Gefährt:innen und das ist mir bewusst. Diese Privilegien lassen sich reflektieren, aber nicht vollständig aufgeben und ich möchte sie dazu nutzen, um ein besseres Leben für mich und Andere anzustreben, ohne letztere damit zu entmündigen.

Was soll dieser Text nun sein? Kein Appell, kein Ratschlag und auch keine Forderung, nichtmal eine Kritik an einer konkreten Gruppe. Ich will kein Bewegungsmanager sein und keine Anführer, keine revolutionäre Avant-Garde und kein Funktionär. Ich bin in erster Linie ratlos im Bezug auf die Vehemenz, mit der Skeptikern wie mir im Internet abgesprochen wird, „links“ zu sein. Vielleicht bin ich es dann auch nicht mehr so, wie ich es einmal war, aber immerhin bleibe ich Anarchist.

Käsi

Käsi ist ein Anarchist aus der ostdeutschen Provinz, hat die letzten Jahre dort in einer mittelgroßen Stadt verbracht und beginnt demnächst die Arbeit in einem selbstverwalteten Betrieb in Berlin. Neben Nachbarschaftsarbeit und Gründung eines Begegnungsraumes lag sein politischer Fokus in den letzten Jahren auf Gewerkschaftsarbeit. Prinzipiell lebt er nach dem Motto "niemals nach unten treten".

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