Und wieder mal sitzen die anarchistische und die konservative Person in der Mittagspause im Stadtpark und führen ein Alltagsgespräch. Diesmal geht es um das Thema der sogenannten "Drogen". In diesem Gespräch wird wieder aus anarchistischer Sicht versucht, der konservativen Person komplexe Dinge in einfachsten Worten zu erklären, ohne die großen Gesellschaftsanalysen rauszuhauen.
Hast du schon gehört? Jetzt wollen die auch noch Drogen legalisieren. Die spinnen doch!
Die wollen keine sogenannten Drogen legalisieren, die wollen nur eine Substanz legalisieren: Cannabis.
Das war ja klar, dass du das wieder verharmlosen musst. Willst du jetzt etwa, dass jeder Drogen nimmt?
Das Wort „Drogen“ ist nur ein politisches Wort und ein soziales Konstrukt, um Substanzen in Gesetzeskomform und illegal zu unterteilen. Neutraler wäre es, den Begriff psychotrope Substanzen zu verwenden. Denn das beschreibt einfach, dass eine Substanz auf die Psyche wirkt; dabei ist es egal, ob ein Medikament, Alkohol oder LSD gemeint ist. Und nein, ich möchte nicht, dass alle Menschen psychotrope Substanzen, bzw. Drogen wie du sie nennst, nehmen. Überhaupt kenne ich niemanden, der keine Substanzen zu sich nimmt, die auf die Psyche wirken. Seien es Substanzen wie Alkohol, Nikotin, Koffein, bestimmte Medikamente oder illegalisierte Substanzen.
Du kannst doch jetzt nicht Alkohol, Koffein oder Medikamente mit Drogen vergleichen!
Nein? Warum nicht?
Na eben, weil Drogen gefährlich und verboten sind.
Da hast du nicht ganz unrecht. Aber weniger die illegalisierten Substanzen an sich sind gefährlich, sondern das Verbot & die Folgen bezüglich Qualität, Risikokommunikation & Strafverfolgung. Diese machen sie erst so richtig gefährlich. Denn Moleküle sind weder böse noch gut, sie sind einfach nur Moleküle mit spezifischen Eigenschaften, die positive und negative Effekte haben können. Ein unaufgeklärter Umgang, der das Ergebnis des Verbotes ist, und überhaupt das Verbot an sich machen diese Substanzen erst gefährlich.
Ach komm jetzt... Was kommt als nächstes?: „Lass uns Mord legalisieren, damit diese Gefahr nicht mehr besteht??“
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Ich spreche vom Konsum, was zu Eigengefährdung führen kann, und du sprichst von Fremdschädigung. Niemand möchte Mord legalisieren! Eigengefährdung vs. Fremdschädigung, verstehst du?
OK, guter Punkt. Aber wieso zum Teufel soll erst das Verbot Drogen gefährlich machen? Das ist doch Quatsch.
Dieser sogenannte "Krieg gegen Drogen“ hat bisher nur das Gegenteil von dem erreicht, was damit erreicht werden sollte. Das Ganze hat nur zu einem Schwarzmarkt ohne Regeln, Kriminalisierung von Menschen, Masseninhaftierungen, Korruption und tausend anderen Dingen geführt.
Ein Beispiel: Die USA stellt nur 5 % der Weltbevölkerung, hat aber 25 % aller Gefängnisinsassen weltweit. Über die Hälfte dieser Gefängnisinsassen sitzen entweder direkt oder indirekt wegen Drogendelikten im Knast. Dass hauptsächlich Menschen aus armen Verhältnissen von der Polizei kontrolliert werden und Weiße aus der Mittelschicht sowie Wohlhabende kaum, verzerrt noch zusätzlich die Statistiken, mit denen konservative Regierungen und Rechte so gerne Politik machen. Außer Leid und Tod hat dieser „Krieg“ zu nichts geführt; wenn dieses Bekämpfen überhaupt zu irgendetwas geführt hat, dann dass illegalisierte Substanzen noch potenter geworden sind, dass sich findige Geschäftsleute eine goldene Nase verdienen und dass es mehr Konsumenten gibt als vor diesem lächerlichen Krieg gegen die Drogen. Kurz gesagt: Durch Verbote und Bestrafungen entstehen die ganzen Probleme!
Willst du mir jetzt etwa wieder mit deiner utopischen Idee vom Anarchismus ankommen?
Dass ich Verbote, Repression und überhaupt die Unterdrückung von Menschen ablehne, ist ja auch mehr als berechtigt. Verbote und Repression verhindern keinen Konsum. Staatliche Behörden greifen zu allen erdenklichen Mitteln, um die Bevölkerung zu „korrigieren“ und sie zur „richtigen Denkweise“ zu erziehen.
Dabei ist klar, dass dieses „zur richtigen Denkweise erziehen" durch Gewalt, Inhaftierungen, Überwachung, polizeiliche Kontrollen und sonstige repressive Mittel den Konsum weder verhindern noch mindern. Dieser "Menschen-durch-Bestrafung-korrigieren-Gedanke" ist Anarchisten zutiefst zuwider. Anarchisten wollen nicht in einer Gesellschaft leben, in der Menschen mit einer Abhängigkeit kriminalisiert werden, sie in die Kriminalität getrieben werden und dann für Jahre inhaftiert werden.
Und wie willst du Menschen ohne Verbote und Strafen vor den Gefahren der Drogen schützen?
Ganz einfach: Mit ehrlicher Aufklärung. Ohne verteufeln oder glorifizieren. Eine ehrliche Aufklärung, bei der Menschen einen verantwortungsvollen Umgang lernen, würde tausendmal mehr schützen als Strafen und Verbote. Und natürlich die Legalisierung aller psychotropen Substanzen.
Drehst du jetzt völlig durch?? Willst du jetzt etwa auch Heroin legalisieren?
Natürlich. Warum auch nicht? Die Abgabe müsste natürlich reguliert werden; das ist keine Substanz, die sich jeder in einem Fachgeschäft, wie es bei Cannabis Sinn macht, erwerben können sollte. Aber unter ärztlicher Begleitung oder bei Indikation auf Rezept würden viele Probleme mit dieser Substanz verschwinden. Das sauge ich mir auch nicht aus den Fingern, es gibt etliche klinische Studien mit Heroinabhängigen aus der Schweiz, Portugal, Deutschland und Kanada, in denen bei Originalstoffvergabe eine signifikante gesundheitliche und soziale Verbesserung der Patienten bewiesen werden konnte. Überhaupt, solltest du mal im Urlaub in Großbritannien einen Unfall haben, ist die Wahrscheinlichkeit größer als du denkst, dass du mit dem Schmerzmittel Diamorphin, also Heroin, behandelt wirst. In Großbritannien ist Diamorphin ein zugelassenes Schmerzmittel.
Also ich würde nie Heroin nehmen.
Ich auch nicht. Aber darum geht's auch gar nicht. Es ist einfach eine Tatsache, dass es Menschen gibt, die es konsumieren. Also sollte dafür gesorgt werden, dass diese Menschen es nicht vom Schwarzmarkt beziehen müssen. Denn der Schwarzmarkt schert sich um Qualitätskontrolle einen Scheiß; und so wissen Käufer nie, wie potent das Erworbene ist, das sie da in dunklen Gassen erhalten haben; was im Übrigen die häufigste Ursache für Überdosierungen ist. Da ist mir eine ärztliche Abgabe deutlich lieber.
OK, diese ärztliche Abgabesache hört sich wirklich vernünftiger an als der Straßenkauf. Aber ich werde mir später mal deine angeblichen klinischen Studien dazu ansehen, bevor ich dir da komplett zustimmen kann.
Aber zurück zum Cannabis. Was mir am meisten Angst macht, sind die Kinder und Jugendlichen. Sobald legalisiert wird, fangen die doch alle an zu kiffen.
Dir ist schon klar, dass erst das Verbot zu einem Schwarzmarkt führt, oder? Ein Schwarzmarkt, der von niemanden die Volljährigkeit überprüft.
Ich möchte dich was fragen: Was ist aktuell einfacher für Jugendliche, sich an einem Dienstag um 1:30 Uhr in der Nacht ein Buch zu kaufen oder sich mit Cannabis, Kokain, Speed und was sonst noch der Dealer im Angebot hat einzudecken?
Ja gut, aber wenn's legal ist, können 18-Jährige ihren 15-jährigen Kumpels was aus diesen Cannabisshops mitbringen.
Natürlich wird das passieren. Über Umwege werden auch Jugendliche noch an Cannabis kommen. Das ist aber immer noch ein Fortschritt zu jetzt. Denn diese Jugendlichen können sich sicher sein, kein mit synthetischen Cannabinoiden gestrecktes Gras zu konsumieren und sie kommen nicht mehr mit dem Schwarzmarkt in Kontakt.
Einen Schwarzmarkt wird es immer geben. Das wird mit der Legalisierung nicht aufhören.
Da hast du vollkommen recht. Solange alle anderen Substanzen verboten bleiben, wird es weiterhin einen Schwarzmarkt geben. Sicher ist nur, dass der Schwarzmarkt für Cannabis mit der Zeit unbedeutend werden wird. Denn, wie viele Kaffeedealer kennst du? Oder wie viele Alkoholdealer kennst du? Verbote oder auch zu hohe Preise können zu einem Schwarzmarkt führen bzw. ihn stärken.
Willst du mir jetzt etwa sagen, dass du keine Gefahren bei der Legalisierung von Drogen siehst?
Oh doch. Man kann vieles falsch machen. Ein Verbot ist nahezu genauso gefährlich wie eine unregulierte Abgabe. Im kapitalistischen System geht es darum, Gewinne zu maximieren. Konzerne sind immer darauf aus, einen Bedarf zu generieren, wo es keinen gibt. Wenn man die machen lassen würde, würden die alles dafür tun, dass irgendwann alle kiffen. Deswegen sollte es klare Regeln geben, wie zum Beispiel absolute Werbeverbote und Verkauf nur in Fachgeschäften; was zwei Dinge sind, die man auch bei Alkohol und Zigaretten so handhaben sollte. Ich staune immer wieder darüber, dass an der Kasse im Supermarkt die Jägermeisterfläschchen neben den Schokoriegeln stehen. Oder dass Alkohol und Zigaretten in Tankstellen verkauft werden.
Ach? Ich dachte, du bist Anarchist. Jetzt bist du auf einmal doch für Verbote und strenge Gesetze?
Glaubst du etwa immer noch, dass Anarchismus Chaos bedeutet und niemand sich an irgendwas hält? In einer anarchistischen Gesellschaft gäbe es zwar keine Gesetze oder Behörden, die die Bevölkerung auf Einhaltung der Regeln kontrolliert oder verhaftet oder verurteilt, aber die Menschen würden sich trotzdem zusammen auf bestimmte Regeln einigen müssen. Oder denkst du etwa, Betriebe dürften ihre Abfälle in Flüsse entsorgen, Ärzte dürften allen alles verschreiben oder jeder dürfte mit 220 km/h durch die Stadt rasen? Man würde sich in einer realen anarchistischen Gesellschaft auf viele Regeln einigen müssen, das sollte jedem klar sein. Diese Regeln würden aber im Gegensatz zum Jetzt gemeinsam entschieden werden.
Und was ist, wenn deine sogenannte anarchistische Gesellschaft sich darauf einigt Drogen zu verbieten?
Dann gäbe es einen Schwarzmarkt und die Dealer würden zu viel Macht kommen. Eine Macht, die eine große Gefahr für eine solche Gesellschaft wäre. Deswegen ist es wohl sehr unwahrscheinlich, dass solche Verbote lange Bestand hätten. Eigentlich halte ich es sogar für ausgeschlossen, dass es solche Verbote geben könnte. Ich bin überzeugt, man würde auf Aufklärung setzen, um viele Probleme zu verhindern.
Wie sollte deiner Meinung nach so eine Aufklärung aussehen?
Wenn man ehrlich über psychotrope Substanzen aufklären möchte, sollte man nichts beschönigen und auch nichts verteufeln. Man sollte so ungefähr ab dem Alter zwischen 12 und 14 mit dieser Aufklärung anfangen. Darin sollte enthalten sein: der Wirkmechanismus, die erwünschte Wirkung, Nebenwirkungen, das wichtige Thema Mischkonsum, Harm Reduction beibringen und solche Dinge.
Das sind einfach meine Gedanken; ich habe weder Medizin, Psychologie, Soziologie oder sonst was in der Richtung studiert.
Oh Mann, du machst mich fertig mit deinen Theorien. Komm, wir müssen los. Keine Lust wegen dir wieder zu spät zu kommen.
Die fehlende Aufklärung die heute existiert, führt dazu, dass man sich viel Wissen aneignen muss. Wer konsumiert oder konsumieren möchte, sollte sich immer über verschiedene (verlässliche) Quellen über die Substanz informieren. Also welche gewünschte Wirkung hat die Substanz; welche Nebenwirkung gibt es; welche Wechselwirkungen gibt es mit anderen Substanzen (Mischkonsum); und ganz wichtig: sich über die Schadensminimierung (Harm Reduction) bei Konsum informieren.
Ehrlich über den eigenen Konsum zu reflektieren, ist mindestens genauso wichtig. Wer bei sich problematische Konsummuster erkennt, sollte nicht den Weg scheuen Hilfe oder Unterstützung zu suchen. Eine Substanzgebrauchsstörung wird gemäß ICD-10 anhand von sechs Kriterien definiert, von denen mindestens drei innerhalb des zurückliegenden Jahres erfüllt gewesen sein müssen. Diese Kriterien sind:
starker Wunsch und/oder Zwang, die Substanz zu konsumieren
verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Menge und/oder der Beendigung der Einnahme
körperliche Entzugssymptome
Toleranzentwicklung (Wirkverlust) bzw. Dosissteigerung
erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen oder sich von den Folgen des Konsums zu erholen, verbunden mit der Vernachlässigung anderer Interessen
fortgesetzter Konsum trotz Folgeschäden
Drogennotdienst (Man wird auch anonym beraten. Sitz ist in Berlin, Beratung gilt aber deutschlandweit. Im Internet finden sich viele zusätzliche kostenlose Beratungsstellen bei denen man sich anonym beraten lassen kann.)