Achtung, kleine Spoiler Warnung
Die Gilet-Jaunes sind Anfang 2018 damit bekannt geworden überall im Land die Kreisverkehre zu besetzen, aus Protest gegen die gestiegenen Benzinpreise, dabei trugen sie die Namensgebenden gelben Warnwesten. Doch aus den Protesten gegen die zu hohen Benzinpreise wurde schnell mehr.
Der Dokumentarfilm begleitet eine lokale Gruppe „Gilet-Jaunes“, die Gelbwesten, der Stadt Chartres. Chartres ist die Präfekturhauptstadt des Départements Eure-et-Loir in Frankreich. Die Stadt liegt 90 Kilometer südwestlich von Paris in einer Ebene an der Eure, einem Nebenfluss der Seine. Die 38.534 Einwohner nennen sich „Chartrains“.
Es beginnt mit Kamerafahrten durch die Stadt. Wir gewinnen sofort einen Eindruck wie die Stadt gebaut ist, welche Geschäfte und Industrie es gibt, es ist eine Stadt in der vorwiegend Arbeiter:innen und Mittleres Bürger:innentum lebt. Wir sehen wie die lokale Gruppe sich auf einem großen Kreisverkehr versammelt, sich bespricht und Abstimmungen trifft. Die Kamera beobachtet hier nur still wie Hände gehoben werden, Listen erstellt werden, alle die möchten zu Wort kommen und weiteres Vorgehen besprochen wird. Im weiteren Verlauf werden wir als Zuschauende zu allen Aktionen die die Gruppe aus Chartres macht mitgenommen. Bei den Besetzungen von Mautstationen, beim abendlichen zusammensitzen und diskutieren über das Selbstbild. Wir sind auch dabei wenn die Anspannung aber auch Euphorie steigt als die kleine Gruppe zur Großdemo nach Paris fährt. Einige erleben dort zum ersten mal in ihrem Leben Polizeigewalt. (Die Proteste wurden dort massiv von der Polizei angegriffen und es gab über die Monate des Protests viele Schwerverletzte, besonders sei zu erwähnen, dass viele Demonstrierende ein oder sogar beide Augen verloren, da die Polizei massiv Gummigeschosse auf Augenhöhe einsetzte A.d.R)
Nach und nach werden einzelne Personen der Gruppe mehr in den Fokus gerückt und einzeln Interviewt, wobei diese Interviews ebenfalls still geführt werden. Es reden nur die AktivistInnen. Sie erzählen davon wie sie zu Gilet-Jaunes gestoßen sind. Manche waren schon davor politisch aktiv, zum Beispiel in Gewerkschaften, für andere ist es das erste mal sich zu engagieren, zu organisieren. Sie sprechen auch über ihre Beweggründe, ihr Sorgen und Ängste, besonders die Sorge vor Armut im Alter und der tägliche Kampf ums (über)Leben. Was sie eint ist eine klare Haltung und Forderung der Regierung gegenüber; Emmanuel Macron (Präsident) muss zurücktreten! Und die meisten von Ihnen sind grundsätzlich unzufrieden mit dem System, „...denn so kann es nicht weitergehen“.
Der Film zeigt in ruhigen Bildern ein ehrliches Bild von einfachen Menschen. Die einen sind um Klimaschutz bemüht, die anderen sorgt ihre Rente und wieder andere wissen nicht wie sie mit zwei Kindern und 1200€ im Monat überleben sollen. Die Stärke des Films ist zugleich seine Schwäche. Die Stärke liegt in den authentischen, ehrlichen und nahen Portraits der Menschen die gezeigt werden. Ein sehr intimer Einblick in eine Gruppe die versucht die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und dabei niemanden zurück zu lassen. Die Schwäche ist aber auch das; Gilet-Jaunes war eine echte Volksbewegung in ganz Frankreich. Die Menschen vertraten die verschiedensten (Welt-) Anschauungen, Meinungen und politischen Lager, trotzdem gingen sie gemeinsam zu Hunderttausenden auf die Straße. Die Forderungen, bis auf den Rücktritt der Regierung, gingen ebenfalls weit auseinander. Eine Dokumentation nur über die Gruppe in Chartres gibt uns keine Übersicht über die tatsächlichen Ausmaße und (durchaus auch kritischen) Hintergründe der gesamten Bewegung, und doch sind die Menschen aus Chartres beispielhaft für die Gilet-Jaunes. So erinnern sie sich gegenseitig immer wieder daran, dass ihre persönlichen Handlungen wiederum auf alle anderen Gelbwesten abfärben und fordern sich gegenseitig zu Reflexion auf.
Den MacherInnen dieses Films ist somit ein intimes Portrait einer politischen Gruppe gelungen, die nicht aus klassischen linken Kreisen und/ oder linker Szene kommt. Einfache Bürgerinnen und Arbeiterinnen die die Schnauze voll haben. Die Dokumentation zeigt auch, dass die Menschen sehr wohl verstehen wie dieses System funktioniert, und dass es dazu keine Politiker:innen braucht die einem die Welt erklären. Sie haben eigene Meinungen und Vorstellungen. Gilet-Jaunes gab ihnen die Möglichkeit sich Gehör zu verschaffen, untereinander, in ihrer Stadt und im ganzen Land. Doch wir wissen auch, dass es mit der Bewegung zu Ende ging, dass die Regierung nicht zurückgetreten ist und nur wenige bis keine der anderen Forderungen erfüllt wurden. Auch das bekommen wir im Film zu sehen aus der Perspektive der Menschen aus Chartres.
Der Film zeigt uns; Es ist gar nicht so einfach sich mit anderen zu organisieren und Sachen auf die Beine zu stellen. Er zeigt uns aber auch, wenn Menschen zusammen kommen die den Willen zur Veränderung haben, dann bewegt sich auch was. Es werden hier keine Antworten oder Lösungen präsentiert, aber das muss eine Dokumentation auch nicht. Die Antworten und vielleicht auch Lösungen ergeben sich aus dem gezeigten. So können alle Zuschauer:innen ihre eigenen Schlüsse ziehen. Für Linke in Deutschland ist dieser Film Interessant, denn wir können beobachten wie die Gilet-Jaunes arbeiten: Mit direkten, basisdemokratischen Mitteln, also mit direkten Abstimmungen und Mandaten für Aufgaben. Wir können hier sowohl die Stärken der direkten Abstimmungen sehen als auch die Schwächen von (inoffiziellen) Hierarchien und einer fehlenden gemeinsamen Gesellschaftsanalyse und Utopie. So können Schlüsse auf unsere eigenen Kämpfe gezogen werden, auf die Art wie wir unsere Kampagnen organisieren und wie wir auf Menschen zugehen. Ein Schmaler Grat, denn auf der einen Seite wartet das reformerische Bürger:innentum, auf der anderen Seite versuchen Rechte und reaktionäre Kräfte das Ganze für sich zu vereinnahmen. Was zum Schluss aber heraus sticht; so unterschiedlich diese Menschen der Gilet-Jaunes sind, so sehr ist ihnen bewusst, dass Demonstrieren, sich Versammeln und sich organisieren ihr gutes und vielleicht sogar höchstes Gut und Recht ist. Ein Bewusstsein was hierzulande stark vermissen lässt und viel mehr in das Bewusstsein der Menschen gerückt werden sollte.
Für uns als Anarchist:innen bedeutet das, dass wir den sozialen, revolutionären und emanzipatorischen Charakter von sozialen Bewegungen immer stärken und forcieren sollten und dabei klare Grenzen zu den Feinden einer befreiten Gesellschaft ziehen.
Der Film wird ab 12. Januar zu sehen sein.
Spielorte:
"Eine Revolution - Aufstand der Gelbwesten"
Originaltitel "Un Peuple"
Regie: Emmanuel Gras
Website: https://dropoutcinema.org
Trailer: https://youtu.be/-5IQoEwB8fk