Seit dem 30. November ist der Film "Un Hombre De Acción", auf deutsch "Ein Mann der Tat" auf Netflix zu sehen. Der im Titel angelegte Verweis auf die Propaganda der Tat ist dabei natürlich kein Zufall. Der Film basiert auf dem Leben von Lucio Urtubia. Urtubia war ein spanischer Anarchist der Nachkriegsgeneration, der aus dem Exil in Paris Banküberfälle beging und Falschgeld presste, um die Bewegung zu unterstützen. Dabei wird die Motivation Lucios im Film vor allem auf seinen ständigen Kampf gegen die Banken beschränkt. Es wird die spektakuläre Geschichte eines einzelnen Menschen erzählt, der es schaffte auf spektakuläre Weise eine der wichtigsten US-amerikanischen Banken in die Knie zu zwingen. Doch was ist dran an diesem Film und wer war Lucio Urtubia?
Im Jahr 2007 wird die Dokumentation "Lucio" gedreht und später auch im spanischen Fernsehen ausgestrahlt. Mit dieser bricht Lucio Urtubia sein langes Schweigen und erzählt selbst über seine Motivation und Geschichte. In der Dokumentation sagt Lucio zu Beginn den Satz, der heute die Fassade eines bestzten Hauses im Stadtteil Errekaleor der Stadt Vitoria im Baskenland ziert. "Mi suerte fue nacer pobre, porque no tuve que hacer ningun esfuerzo para perder el respeto a todo lo establecido. La iglesia, la propiedad privada y el estado." (Ich hatte das Glück sehr arm geboren worden zu sein, denn so hatte ich es nicht schwer den Respekt vor der etablierten Gesellschaft zu verlieren. Der Kirche, dem Privateigentum und dem Staat.)
Geboren wurde Lucio 1931 als eines von sechs Geschwistern in einer sozialistischen Familie in Cascante in Navarra. Als der Vater in seinen Jugendjahren die Diagnose Krebs erhält, zeigt sich die Brutalität des franquistischen Regimes. Die Zeit der großen franquistischen "Säuberungen" ist zwar vorbei, aber als bekannte Sozialist:innen hilft ihnen nicht mal die eigene Familie. Während der Vater mit schrecklichen Schmerzen im Bett liegt, fordert er Lucio auf, wenn dieser den Mut dazu habe, ihn zu töten. Lucio kann seinen Vater nicht töten und geht stattdessen mit einem Messer zur Bank mit dem Plan die Angestellte zu töten und mit dem Geld seinen Vater behandeln zu können. Doch auch dies bringt er nicht übers Herz. Als der Vater stirbt ist Lucio 19 Jahre alt.
Im folgenden Wehrdienst wird er sich Fertigkeiten aneignen, die sein Leben bestimmen werden. Er beteiligt sich an Schmuggler-Geschäften und hat dabei die geniale Idee das Gut versteckt in den Mülleimern der Cafeteria aus der Kaserne zu schmuggeln. Mit diesen Sachen und dem Geld unterstützt er seine Familie und die Leute aus seiner Region. Als er auffliegt ist er gerade verreist. Ihm droht die Todesstrafe und er setzt sich ins Exil nach Paris ab.
Bis zu diesem Zeitpunkt hat Lucio keine feste politische Ideologie. Als er seine Arbeit als Maurer beginnt antwortet er beim Mittagessen auf die Frage nach dieser, er sei Kommunist. Die Kollegen beginnen zu lachen und sagen, in keiner Welt sei er Kommunist. Er sei Anarchist und daraufhin nahmen sie ihn mit zur Zentrale der CNT in Paris, in der auch viele exilierte spanische Anarchist:innen organisiert waren. Die dem Anarchismus zugrunde liegende Idee, bestimmte Dinge zerstören zu müssen und nicht allein die Machthaber in den Strukturen auszutauschen prägte fortan seine Handlungen. In der Dokumentation sagt er über den Anarchismus: "Un anarquista es una persona buenisima en principio. El anarquista es un hombre que es responsable, que es responsable porque tiene una educación, tiene un corazón, tiene un cariño. La ideología anarquista es una ideología, para mi es la mejor. No se puede hacer mejor. Ahora es que somos capaz vivirla. Eso es otra cosa" (Ein:e Anarchist:in ist ein von Grund auf gute Person. Eine Person die Verantwortung übernimmt, die Verantwortung übernimmt, weil sie eine Bildung hat, weil sie ein Herz hat, weil sie eine Zärtlichkeit besitzt. Die anarchistische Ideologie ist meiner Meinung nach die beste. Es geht nicht besser. Ob wir aber in der Lage sind diese zu leben, das ist eine andere Sache).
Im Leben braucht es manchmal einen bestimmten Moment, eine bestimmte Begegnung, die dein Leben für immer Verändern können. Mit diesem Satz spricht Lucio seine Zeit mit Francesc Sabaté "Quico" genannt an. Dieser koordinierte von Frankreich aus den bewaffneten Widerstand gegen das Franco Regime und galt als Meistgesuchter Anarchist in Spanien. Als er wieder mal in Frankreich untertauchte, wurde er bei Lucio untergebracht und zwischen den beiden entwickelte sich eine tiefe Freundschaft. Als Quico in Frankreich eine dreimonatige Haftstrafe antreten musste übergab er Lucio sein Waffenarsenal, um ihn zu befreien sollte Frankreich ihn ausliefern sollen. Mit diesen Waffen führte Lucio in verschiedenen Regionen Europas zahlreiche Banküberfälle durch. Bis er dies schließlich beendete, da er Angst hatte irgendwann vor der Entscheidung zu stehen eine:n Angestellte:n erschießen zu müssen. Während Quico 1960 beim Überqueren der Grenze von der Guardia Civil erst verletzt und später erschossen wurde, führte Lucio sein Vermächtnis weiter.
Mit den Banküberfällen hatten seine konspirativen Tätigkeiten erst begonnen. Er baute ein weltweites Netzwerk auf, das er mit Falschgeld, gefälschten Dokumenten und gefälschten Schecks versorgte. Davon profitierten Menschen auf der Flucht und die weltweite Stadtguerillabewegung, sowie natürlich am meisten der Widerstand gegen Franco im Untergrund. Als in Spanien im Jahr 1974 der junge Anarchist Salvador Puig Antich hingerichtet wird, entführt zwei Monate später eine anarchistische Gruppe den Chef der Bank von Bilbao in Paris und fordert das Ende der Hinrichtungen in Spanien. Lucio und seine Frau werden als Verdächtige festgenommen. Auch nach dem Tod Francos in der Übergangsphase wurden die beiden mit Aktionen der ETA gegen Franquisten in Verbindung gebracht. Sie wurden jeweils freigesprochen und haben sich nie dazu geäußert.
Die meisten der Menschen, die von Falschgeld und Pässen profitierten hat Lucio nie zu Gesicht bekommen. Auch wenn er laut eigener Aussage sicherlich auch Gruppen unterstützte die er politisch ablehnte, brauchte er das Netzwerk um seinen größten Erfolg zu erreichen. Er brachte gefälschte Schecks der amerikanischen Citybank massenhaft in Umlauf, die Weltweit eingelöst wurden und der Bank viele Millionen Schaden verursachten. Als Lucio 1980 in Paris mit einem vollen Koffer Schecks festgenommen wurde, arbeitete das Netzwerk einfach weiter und er erreichte seine Freilassung plus eine bis heute unbekannte, jedoch laut des Anwalts für die damalige Zeit sehr hohe Summe der Bank, gegen die Herausgabe der Druckplatten. Die Bank war am Ende dazu gezwungen nur noch Schecks im Wert von 10 Dollar einzulösen, was ihr riesige Verluste bescherte und somit dazu brachte zu verhandeln. Nach diesem Coup war eine weitere konspirative Tätigkeit nicht mehr umzusetzen. Insgesamt haben allein die Schecks mindestens einen Schaden von 15 Millionen Dollar bei der Bank angerichtet.
Eine Person sagt in der Dokumentation, dass es kaum zu glauben war, dass ein Mensch ohne Studium, der kaum die Schule besucht hat, die beste Fälschung von Schecks einer der wichtigsten Banken der Welt hergestellt hat. Auch die französischen Behörden hatten Lucio schon vorher mehrfach im Verdacht, aber dass ein Maurer, der jeden Tag pünktlich zu seiner Arbeit erschien nebenbei diese riesigen konspirativen Tätigkeiten durchführen konnte, hielten die Ermittler lange für unwahrscheinlich. Neben dem nötigen Glück in bestimmten Situationen war auch sein gesamter Lebensentwurf mit Arbeit und Familie immer wieder ein Grund, warum er von den Ermittler:innen unterschätzt wurde. Außerdem halfen ihm seine Fähigkeiten als Maurer Beweise zu verstecken.
Lucio betonte, dass obwohl so gut wie alle seine Freund:innen Mitglieder der CNT waren, er selbst nie Mitglied wurde. Er hielt große Organisationen des Anarchismus nicht für zielführend und erklärte, dass es jeder Organisation zu eigen sei, immer kontrollieren zu wollen. Diese Haltung teilt er mit Quico, der im Exil ständig mit der CNT aneinander geriet. Diese warf ihm vor, dass aufgrund seiner Aktivitäten CNT Mitglieder in Spanien reihenweise Festgenommen wurden, während er der CNT vorwarf, untätig zu sein und den bewaffneten Widerstand nicht zu unterstützen. Während seiner Aktivitäten wurde Lucio jedoch ständig von Teilen der CNT in Paris unterstützt und hat dies sicher auch zurückgegeben.
Nach dem großen Coup arbeitete Lucio weiter als Maurer. Er gründete später eine Handwerkskooperative und 1966 das anarchistische Kulturzentrum Louis Michelle in Paris. Bis zu seinem Tod 2020 war er auf Vorträgen und Diskussionen vor allem in der anarchistischen Bewegung Frankreichs und Spaniens Gast und prägte so kennen Genoss:innen aus der Bewegung Lucio persönlich und haben ihn meistens sehr geschätzt.