Hommage an Ursula K. Le Guin, Autorin der anarchistischen S-F Utopie „Der Planet der Habenichtse“ und warum es sich lohnt noch weitere Werke zu lesen…


Stella Anarris
Ursula K. Le Guin Utopien Hommage Literatur

"Widerstand und Veränderung beginnt oft in der Kunst, sehr oft in unserer Kunst, der Kunst der Wörter.”

Ursula K. Le Guin

Am 22.01.2018 verstarb mit Ursula K. Le Guin eine Grande Dame der fantastischen und Science-Fiction Literatur. Sie nimmt sich die Freiheit und den Mut phantastische Elemente mit Science-Fiction zu kreuzen, oder Fantasy, schreibt sozialkritische, feministische historische, realistische, magisch realistische aber auch in den Genres unbestimmte Bücher. Ihr Credo lässt sich umschreiben mit ihrem Zitat:

„Ich habe auch einige Genre Barrieren überquert, tatsächlich so viele wie ich konnte.“

Sie hat dazu beigetragen, dass Fantasy oder auch Science-Fiction zu einer Literaturgattung wurde, die später ernst genommen wurde und hat sich in einer männlich dominierten S-F Szene Respekt verschafft. Wie keine Frau vor ihr, hat sie den Hugo Award zweimal hintereinander gewonnen.

Fragt man Le Guin, ob sie gerne in ihrer Jugend S-F gelesen habe, verneint sie dieses. Die pompösen Weltraumgeschichten mit männlichen Superhelden in der die Erzählung eines technischen Fortschritts immer dominierend waren, haben sie sehr gelangweilt. Es entwickelte sich in ihr der Ehrgeiz dieser Erzählweise etwas entgegenzusetzen. Sie bezeichnet ihren Stil als eine Tragetaschentheorie des Erzählens, denn am Anfang des Lebens war der Beutel, ein Behältnis, in dem man etwas aufbewahren konnte, und nicht etwa der Speer oder die anderen spitzen Gegenstände mit denen man stechen oder töten kann. Sie denkt auch, dass diese gängigen Heldengeschichten, also Killergeschichten, zwar einen gewissen dramatischen Wert inne haben. Trotzdem liegt in dieser Erzählstruktur etwas tragisches: Der Mensch bezwingt durch Kriege die Erde, den Weltraum, die Außerirdischen, den Tod, die Zukunft etc. es wird eine dystopische apokalyptische Erzählung. Der Held bekommt eine Bühne in Funktionalität zu denjenigen, die mit einem Beutel Beeren sammeln oder kochen. Doch viele Helden sind in irgendeiner Weise auch Hanswürste. Gesteckt in einen Beutel wirken sie eher wie eine Kartoffel. Als sie Anfing S-F zu schreiben, wollte sie bewußt den Modus des Technoheroischen verlassen und dies zu etwas umwidmen, was in erster Linie eine kulturellen Tragetasche und nicht eine Waffe oder Herrschaftsinstrument ist. Aus ihrer Sicht ist Science-Fiction richtig verstanden etwas was den Versuch darstellt, zu beschreiben was passiert und wie Menschen sich fühlen, also ein realistisches Genre ist. Auch wenn die Realität sich seltsam anfühlt. Das besondere an Le Guin´s Erzählstil ist die unglaubliche Vielfalt an kulturellen Erscheinungen und Praktiken an der man staunend teilnimmt und die die eigene Welt bereichert. Es gibt eine Faszination für die Diversität des Lebens. Für sie ist es wichtig, dass es Raum gibt, Dinge in Ruhe zu betrachten: Es ist somit das Gegenteil einer Kriegserzählung, wobei auch Kriege mit ihren Folgen erwähnt werden.

Viele andere Fantasie Romane wurden von ihr inspiriert. Angelehnt an die Magie des Erdseezyklus ist Magie auch in den später veröffentlichten Eragon Büchern sprachbasiert. Dabei müssen die Magier keine großen Sprüche aufsagen, sie benötigen den Namen dessen, was sie verzaubern wollen. Alles, jeder Mensch, jedes Tier, hat zwei Namen, einen öffentlichen und einen wahren Namen. Um etwas oder jemanden zu verzaubern, benötigt der Magiewirker den wahren Namen des Gegenstands seines Zaubers. Der Einfluss muss auch nicht direkt geschehen sein, sondern über mehrere Autoren hinweg. Letztlich lässt sich vieles auf Erdsee zurückverfolgen. Dazu zeichnet sich die Welt der Magier der Erdsee durch einen vollkommen nebenbei stattfindenden Bruch mit der Norm weißer Hauptfiguren aus. Denn mit absoluter Selbstverständlichkeit sind die meisten Menschen, die die Inselgruppen der Erdsee bewohnen, people of colour. Es sind nur Nebensätze, die die Leserschaft darüber informieren, dass die Haut der meisten Figuren braun/dunkel ist, ein ziemliches Novum in der Erscheinungszeit von 1968 des ersten Buches. Die Geschichten sind maßgeblich von der Philosophie des Daoismus beeinflusst. Das Gleichgewicht der Dinge und das Prinzip des Nicht-Handelns spielen in den Romanen eine wesentliche Rolle.

Mit dem Roman „Winterplanet“, „The left hand of the darkness“, 1969, antizipiert sie heute gängige Queertheorien. Nach einem Experiment, um die aggressiv kriegerische Seite der Menschen einzudämmen, leben die Bewohner von Kahide zu 90 % in einem asexuellem geschlechtsneutralen Zustand und wechseln periodisch in eine Kemmerphase, wo sie nach Belieben das eine oder andere Geschlecht, biologisch einnehmen können. Die gesellschaftpolitischen Auswirkungen dieser Gattung und ihrer Kultur werden zurückhaltend aus der Sicht eines binär männlichen Botschafters eines anderen Planeten beschrieben. Dieser gilt auf dem Planeten als Perverser, der permanent paarungsbereit ist und eigentlich in der Natur nicht vorkommen sollte.

Weitere Leseempfehlungen, die es seit kurzem (2022) auch in deutscher Übersetzung gibt, wären die Novelle „Das Wort für Welt ist Wald“, „The word for world is forest“, 1976, diese inspirierte Camerons Blockbuster „Avatar“ eine Geschichte, in der Terristen einen ganzen Planeten wegen seiner Ressourcen kolonialisieren wollen. Dies veranlasst die Ureinwohner sich zur Wehr zu setzen. Stilistisch verweilt sie in einem magischen Realismus.

In der Utopie „Immer nach Hause“ „Always coming home“ ist ein Synonym für ihre Haltung, dass wir zwar auf der Reise sind aber immer bei uns selbst ankommen und dort Heimat finden können. In dieser postapokalyptischen Utopie verfolgen die Kesh die Frage einer gedeihlichen Lebensweise im Handeln und Denken. Respekt für das Miteinander von Tier und Mensch und ein sorgsamer Umgang mit der Erde, nachdem die Hinterlassenschaft einer Wirtschaftsform zu der Zerstörung der Zivilisation geführt haben.

Ähnlich konsequent und berühmt ist „The Dispossessed“ („Freie Geister“, auch „Planet der Habenichtse“ und „Die Enteigneten“). Darin geht die Autorin der Frage nach, wie eine anarchistische Gesellschaft aussehen und funktionieren könnte, aber auch, welche Gefahren sie bergen kann. Wie so oft bezieht sie auch in diesem Buch eine klare kapitalismuskritische Stellung, ohne diese den Lesern jedoch aufzudrängen. Sie zeigt einfach nur, was möglich ist.

Der Roman der „Planet der Habenichtse“, der im Heyne Verlag erschienen ist und 400 Seiten umfasst, ist spannend geschrieben, ohne dass eine spannende Handlung beschrieben wird. Formal ist die Handlung in 13 Kapiteln aufgeteilt, die jeweils auf Anarres oder Urras spielen, und mit Rückblenden versehen sind. Das sowohl erste wie auch 13. Kapitel wird symbolisch wie ein Ying und Yang Symbol dargestellt. Anarres und Urras bilden ein Doppelplanetensystem in einer Umlaufbahn von Tau Ceti. Urras ist ein fruchtbarer, recht dicht besiedelter Planet, der auch in politischer Hinsicht der Erde nicht unähnlich ist: Es gibt verschiedene Staaten mit unterschiedlichen politischen Verfassungen, die miteinander konkurrieren – allen voran A-Jo und Thu, die in einer stark an den West-Ost-Gegensatz zur Entstehungszeit des Romans Ende 69 erinnernden Spannung zueinander stehen. Patriarchaler Kapitalismus versus sozialistische Diktatur. Die Bewohner des trockeneren, kargeren Nachbarplaneten Anarres hingegen leben unter Bedingungen von Anarchie, frei von politischer Herrschaft und hierarchischer Ordnung. Sie sind die Nachkommen einer Gruppe von Idealisten und Revolutionären, die Urras gut eineinhalb Jahrhunderte vor der Romanhandlung verlassen konnten beziehungsweise mussten, um auf Anarres ihre Gesellschaftsvorstellungen zu verwirklichen.

Shevek ist ein genialer theoretischer Physiker auf Anarres, der an der Entwicklung einer allgemeinen Temporaltheorie arbeitet, die unter anderem eine Kommunikation und Reisen mit Überlichtgeschwindigkeit ermöglichen würde. Seine Arbeit wird auf Anarres allerdings gering bewertet, er fühlt sich frustriert und eingeengt, Versuche der Kommunikation mit Wissenschaftlern von Urras werden als Verrat betrachtet. Dennoch begibt er sich auf die Reise nach dem kapitalistischen Feindesplaneten Urras, um in Zusammenarbeit mit dortigen Wissenschaftlern, die Theorie der allgemeinen Temporaltheorie zu vollenden. Wenn Utopia ein Ort ist der nicht existiert, dann muß dorthin – ein Weg führen, der kein Weg ist. Auf ähnliche Weise muss die Utopie die ich hier zu beschreiben versuche, um entstehen zu können, bereits existieren.

Stella Anarris

Seit Okt 2024 produzieren wir, Ronovern und Falka, unseren Podcast. Wir haben vorher schon als libertäre Sozialistinnen Veranstaltungen konzipiert zu den Themen, anarchistische Utopien, Science - Fiction, Dystopien und das gute Leben.

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