Bündnispolitik in der kalten Jahreszeit


Caro
Aktuelles Protest

Bündnispolitik in der kalten Jahreszeit In der BRD finden die ersten „Sozialproteste“ statt. Es gibt verschiedene Initiativen und Bewegungen wie zum Beispiel „Genug ist genug“, „Wer hat, der gibt“ oder „Entlastung jetzt“ und einige mehr, so wie lokale Gruppen und Bündnisse. Aber wo sollen Anarchist:innen sich in diesen Kämpfen anschließen? Mit wem wollen, sollen oder müssen wir gar in diesem „heißen Herbst“ auf die Straße gehen?

Eins sollte klar sein: Mit der AfD, Neo-Nazis, Neurechten und Querdenkern brauchen wir kein Bündnis einzugehen. Gegen diese und ähnlich rechtsoffene Strukturen müssen wir uns sogar deutlich abgrenzen. Wir wollen ein besseres Leben für alle – nicht nur für eine Nation, eine ethnische oder anders definierte konstruierte Gruppe. An der Seite von Leuten, die nicht die Würde und das Leben aller Menschen als gleichwertig ansehen, können wir nicht für die Befreiung vom wirtschaftlichen Zwang und gegen die Herrschaft über Mensch und Natur kämpfen, oder?

Ansonsten gilt es aber, so viele und breite Bündnisse zu schließen, wie möglich. Innerlinke Grüppchenbildung ist fehl am Platz, wenn es darum geht, eine große Bewegung aufzubauen. Aber wie verschieden ist zu verschieden? Kann ich mit den Beschäftigten einer Schlachterei auf die Straße gehen? Mit CSU-Wählerinnen? Mit jemandem, der schon mal auf einer Querdenker-Demo war? Diese Fragen müssen wir uns stellen. Ich persönlich sage: Ja, das wäre in diesem Fall richtig.

Wie können wir über unsere eigene ideologische Bubble hinausgehen und uns mit Andersdenkenden solidarisieren, ohne unsere Ideale wie Herrschaftsfreiheit, Antikapitalismus und Internationalismus zu verraten? Das ist eine der großen Herausforderungen in diesem Herbst. Wahrscheinlich müssen wir Kompromisse eingehen, zum Beispiel was Forderungskataloge, Parolen oder Aktionslevel angeht - doch die Arbeitsteilung mit bürgerlichen Akteur:innen hat auch Vorteile:

Lasst die Parteien und Gewerkschaften den Protest in die Parlamente tragen, lasst die Kirchen ihre Glocken läuten, die Bürgerinitiativen ihre Petitionen einreichen und am Besten sollen sie auch gleich unsere Flyer drucken und über ihre Verteiler zu unseren Demos einladen. Lasst uns die Synergien nutzen – aber lasst uns auf der Straße sein. Lasst uns nächtliche Kleingruppenaktionen planen oder im Schatten einer bürgerlichen Demo unsere eigenen Protestformen einleiten. Vor allem: Lasst euch nicht spalten! Oder besser: Lasst uns nicht gespalten sein!

„Divide et impera“ - „teile und herrsche“, ist immer noch ein aktuelles Herrschaftsprinzip. Spaltung in sozialen Bewegungen ist politisch gewollt, unsere ideologischen und personellen Grabenkämpfe kommen immer den Mächtigen zugute. Wenn jetzt die Klimabewegung gegen jene ausgespielt werden sollen, die bezahlbare Energie fordern, freut das die Energiekonzerne, die Ölscheichs und Gas-Monopolisten und die Bundesregierung, die mit ihnen Geschäfte macht, gleichermaßen. Wir müssen uns in diesem „Widerspruch“, der keiner ist, nicht für eine Seite entscheiden, sondern können aufzeigen, dass es sich um zwei Seiten des gleichen Kampfs handelt und mit beiden Strömungen im Dialog bleiben.

Wir können unsere herrschaftsfreie Einstellung und unsere Kritik am Staatsprinzip in die bürgerlichen Bewegungen hineintragen und sogar unpolitische Gruppen politisieren. Wenn in unserem Bündnis über etwas abgestimmt werden soll, können wir zum Beispiel dazu auffordern, stattdessen einen Konsens zu finden. Wenn Sprecher:innen bestimmt werden sollen, können wir darauf hinweisen, dass diese in den Medien oft als Führungspersonen wahrgenommen werden und eine Bewegung angreifbar machen können. Die Chance dazu haben wir nur, wenn wir den Kontakt nicht scheuen, wenn wir Augen und Ohren offen halten und bei den sich bietenden Gelegenheiten unsere Hilfe anbieten und unsere Perspektiven einbringen.

Wem also sollen wir uns anschließen, wen unterstützen in diesem Herbst und Winter? Am besten allen, am besten alle.

Anmerkung anarchismus.de Kollektiv: Einige Punkte der Stoßrichtung, sowie Formulierungen des Textes teilen wir nicht. Wir finden die grundsätzliche Fragestellung und den Diskurs um diese aber so wichtig, dass wir uns entschieden haben, den Text zu veröffentlichen.

Carolin Schiml

Caro beschäftigt sich seit 10 Jahren mit (post-)anarchistischen Ideen, Tauschlogikfreiheit und der mehr-als-menschlichen Mitwelt. Außerdem ist sie Übersetzerin, Musikerin, Mutter, Seelsorgerin, Künstlerin und lebt in Bayern.

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