Wie schaffen wir es, die ökologischen mit ökonomischen Interessen von uns Arbeitenden in Verbindung zu setzen? Die ökologische Krise hängt eng mit den Verhältnissen der Produktion zusammen. Darum beteiligen wir uns an dem Versuch, die Kämpfe gegen den Ausbau der Tesla-Fabrik und die Ausbeutung von Wasser und Natur in Grünheide mit den Arbeitskämpfen im Tesla-Werk zusammenzudenken. Wir stehen am Anfang eines Beziehungsaufbaus. Die Gräben zu ökologischen Themen abseits von einem grünen Mythos um Elektroautos sind groß. Die Arbeitenden sind durch Rassismus, Sexismus und die neoliberale Stimmung im Betrieb gespalten. Um von einem Beispiel zu lernen, in dem es gelingt, die Spaltung unserer Klasse zu überwinden, führten wir im September dieses Interview.
Ein sonniger Nachmittag in Florenz, die Sonne glitzert auf dem heißen Asphalt der endlos versiegelten Fläche des Industriegebietes. Gegenüber der GKN Fabrik strömen Menschen in eine Mall, die mit den selben Geschäften wie jede andere Mall die Leute erwartet. Dieses Setting wäre maximal austauschbar, wäre da nicht diese GKN Fabrik, die seit dem 9. Juni 2021 still steht. In dieser „Nicht-Besetzten Fabrik“ halten die Arbeiter:innen eine legale permanente Betriebsversammlung ab und verhindern so, dass der Besitzer die Maschinen oder das Gelände verkaufen kann. Und mehr noch, sie wollen sich nicht zufrieden geben mit der Schließung der Firma. Ihre Vision ist so simpel wie überzeugend: Statt einer privaten Firma soll diese in öffentlichen Besitz übergehen. Und statt weiterhin Zulieferer für die Automobilproduktion zu sein, wollen sie Solarpanele und Lastenräder herstellen. Und das organisiert als Kollektiv, als COLLETTIVO DI FABBRICA GKN. Snupo empfängt mich mit einem Lächeln in der Bar Collo, welche sich direkt am Werkstor in einem Baucontainer befindet. Diese ist die Anlaufstelle für Gäste und der pulsierende Ort des Widerstands. Die Wände hängen voll mit Plakaten und solidarischen Grußkarten, hier wurde schon so manche Idee geboren. Bei einem Espresso komme ich mit Snupo und Luca ins Gespräch:
Wie gehts euch gerade in eurem Kampf?
Wir sind sehr zuversichtlich, gerade haben wir mit unserer Crowdfundingkampagne 1,3 Millionen Euro eingesammelt. Das ist ein starkes Zeichen. Wir hoffen sehr, dass wir bald mit der Produktion loslegen können.
Was steht euch da noch im Weg?
Eigentlich nicht viel und doch ein großes Problem. Stell dir vor, wir haben einen perfekten Plan, wir haben alles getestet, wir haben die Leute und jetzt auch das Startkapital. Und das Wichtigste, wir wissen, wie wir die Produktion und uns organisieren wollen. Uns fehlt im Prinzip nur, dass uns das Firmengelände dafür zur Verfügung gestellt wird. Das zu kaufen übersteigt unsere Möglichkeiten, da sind wir darauf angewiesen, dass uns die Regierung das dem aktuellen Eigentümer abkauft und uns zur Verfügung stellt.
Lasst uns erst etwas zurück blicken? Wie kam es zu der Gründung des Kollektivs?
Ich [Snupo] habe das Kollektiv mitgegründet. Wir starteten lange vor der Schließung, weil es früher schon mal das Gerücht gab, dass ein Finanzinvestor die Fabrik kaufen will. Aufgrund dessen haben wir viele Diskussionen geführt und schließlich das Kollektiv gegründet. Denn wir wussten um die Gefahr, die in solch Entwicklungen stecken könnte. Wir hatten viele Treffen und haben viele Überlegungen angestellt. Dadurch waren wir bereit, als die Schließung dann wirklich Jahre später kam. Auch hier brauchte es einen konkreten Anlass, ohne diesen hätten wir uns gegebenenfalls nicht in diesem Maße organisiert. In der Zeit bis zur Schließung der Fabrik haben wir vor allem versucht, Kämpfe in der Region zu unterstützen. Das war eine gute Basis, um bei der Schließung darauf aufzubauen.
Snupo auf dem Fabriksgelände
Wie habt ihr von der Schließung erfahren?
Die kam sehr überraschend und nur per E-Mail. Die meisten haben es erst morgens am Werkstor mitbekommen. Das kam für uns völlig aus dem nichts.
Wie seid ihr nach der Schließung zurück in die Fabrik gekommen?
Die Fabrik wurde von ein paar Sicherheitsleuten bewacht. Aber wir waren halt viel mehr und es war nicht schwer in die Fabrik zu kommen.
Wie ging es dann weiter?
In erster Linie wollten wir uns nicht damit zufrieden geben, einfach so vor die Tür gesetzt zu werden. Alles ist noch da aber wir haben keine Materialien mehr und keine Aufträge. Es machte also keinen Sinn, weiter zu produzieren. Also starteten wir eine permanente Betriebsversammlung. So bewachen wir quasi die Fabrik, dass die nicht komplett leer geräumt und dann verkauft wird.
Wie seid ihr darauf gekommen etwas anderes zu produzieren?
Im ersten Moment wollten wir einfach Autoteile weiter produzieren. Aber das ging nicht ohne die Verbindungen der Firma. Also haben wir überlegt, was wir anderes produzieren könnten, vor allem was wir sinnvolles produzieren könnten. Mithilfe der Universität Pisa haben wir einen Reindustrialisierungsplan entwickelt und sind dabei auf die Ideen gekommen, Solarpaneele und Lastenräder zu produzieren.
Das bedeutet ihr könntet die alten Maschinen auch dafür verwenden?
Nein, leider nicht. Wir müssen quasi von Null anfangen. Die Maschinen wurden über die letzten Jahre auch nicht gewartet sondern sind über Nacht abgeschaltet worden. Außerdem gehören sie offiziell ja noch dem Eigentümer der Firma.
Wie kümmert sich der Eigentümer um die Fabrik?
Nach der Schließung wurde natürlich gesagt, dass nach neuen Investoren gesucht werden würde. Tatsächlich ist da aber nichts passiert. Vielmehr wird versucht, die Fabrik als Spekulationsobjekt zu nutzen.
Aber wir wollen nicht Teil von kapitalistischer Spekulation sein sondern hilfreiche Dinge produzieren. Und in Italien ist es so, dass ein Plan vorgelegt werden muss, was aus der Fabrik wird, wenn wer die schließen will. Das ist hier nicht passiert. Deshalb können wir diese permanente Betriebsversammlung machen und haben uns mit Kurzarbeitergeld und gegenseitiger Hilfe über Wasser gehalten.
Seit Anfang diesen Jahres bekommen wir auch nichts mehr von ihm gezahlt und müssen von unseren Ersparnissen leben. Das geht natürlich nicht auf Dauer. Und wir wollen ja eh, dass sich da was ändert und endlich Solarpaneele und Lastenräder herstellen.
In welcher Verbindung damit war der Hungerstreik im Juni 2024?
Drei Personen des Kollektivs sind für 13 Tage in den Hungerstreik getreten, um Aufmerksamkeit zu erzeugen und politischen Druck aufzubauen.
Hat das gewirkt?
Auf der größeren politischen Ebene sind die Kräfte gegen uns und das ist bei der rechten Politik von Meloni und Co. ja keine Überraschung.
Auf lokaler politischer Ebene sieht es etwas anders aus. Hier gibt es eine eher linke Regierung, die damit, dass sie uns unterstützt, die Rechten ärgern will. Hier wollte die Lokalpolitik im Juli ein Gesetz durchbringen, um auf dieser Basis das Firmengelände von dem Eigentümer zu kaufen. Bis jetzt sind das aber nur Versprechungen.
Was erwartet ihr von der lokalen Politik?
Sie soll dem Eigentümer das Gelände wegnehmen und uns übergeben. Nur so kann gewährleistet werden, dass hier wieder sinnvolle Dinge produziert werden und das Gelände nicht für Spekulationen genutzt wird.
Vor der Sommerpause gab es von der Regierung dann nochmal eine Einmalzahlung von 3000 Euro für jeden von uns. Das hilft natürlich, da wir seit Anfang 2024 kein Geld mehr bekommen. Langfristig brauchen wir aber die Fabrik, um selbstverwaltet produzieren zu können.
Ihr produziert schon Solarpanele und Lastenräder?
Ja aber nur in sehr kleinem Umfang und zum Testen.
Wie wollt ihr euch organisieren, wenn ihr loslegen könnt?
Als Kooperative und in Selbstorganisation, natürlich ohne einen Boss.
Wir stehen in den Startlöchern. Wir haben ein Konzept für die Produktion und dafür brauchen wir die 130 Leute, die in unserem Kollektiv sind. Dieser Plan ist auch nicht von uns, sondern entwickelt von Ingenieuren und Fachleuten, die uns von Anfang an unterstützt haben.
Das ist spannend, kam diese Unterstützung durch eure lokale Vernetzung?
Ja wir sind sehr gut lokal vernetzt. Das hat uns auch geholfen, solchen speziellen Support zu bekommen. Zuletzt mussten wir vor allem Geld für die Produktion sammeln, was wir mit 1,3 Millionen Euro Startkapital geschafft haben. Das meiste Geld kommt hier aus der Region.
Das Kollektiv hatte sich ja 7 Jahre vor der Schließung gegründet und in der Zeit hat sich das Kollektiv in lokalen Kämpfen engagiert: Arbeitskämpfe, Mietkämpfe, feministische Kämpfe und so weiter. Das hat zu dieser guten Verankerung geführt, von der wir heute profitieren.
Wie ist euer Verhältnis zur FIOM Gewerkschaft [itelienisches Equivalent zur IG Metall]?
Das Kollektiv ist nur zwischen uns hier in der Fabrik. Viele von uns sind auch Teil der Gewerkschaft. Jedoch ist es schwer, sich auf die Gewerkschaft zu verlassen oder zu wissen, was nur Worte sind und wo auch Taten dahinter stecken. Was wir hier machen ist unser Projekt und am Ende wissen wir nicht ob die Gewerkschaft uns auch mit Taten unterstützen wird. Sie sagen, sie sind für uns, aber die verstehen unseren Kampf nicht mit ihrer Denkweise. Aktuell können die nicht gegen uns sein aber sie unterstützen uns nicht wirklich. Am Anfang haben die auch neue Investoren gesucht, damit alles so weiter geht. Die wollen, das alles privat bleibt.
Könnte euer Kampf und eure Vision auch auf andere Fabriken übertragen werden?
Ja hoffentlich. Das Spezielle hier ist, dass die Veränderung von den Arbeiter:innen kommt und nicht von außen durch zum Beispiel Aktivist:innen.
Es braucht eine Person aus der Fabrik, die ein Kollektiv startet. Leute mit einer Vision, die sich nicht damit zufrieden geben, einfach nur Tag ein, Tag aus für den Chef zu buckeln, um dann irgendwann vor die Tür gesetzt zu werden. Es braucht die Organisierung und dann auch die richtigen Umstände damit daraus was entstehen kann.
Was war eure Vision, als ihr das Kollektiv gestartet habt?
Wir hatten verschiedene Ideen bei der Gründung. In erster Linie wollten wir eine Organisierung von unten, und nicht top-down wie in den allermeisten Gewerkschaften. Damals haben wir ganz sicher nicht damit gerechnet, so weit zu kommen. Als die Krise da war, konnten wir halt auf unsere Erfahrungen und Organisation zurückgreifen. Das hat es möglich gemacht, dass wir an diesen Punkt gekommen sind, wo wir heute stehen.
Ja das ist leider selten. Oft sehen Leute, dass es eine Organisierung braucht, wenn es brennt. Und dann ist es meistens zu spät. Was erhofft ihr euch, wenn woanders etwas vergleichbares passiert wie zum Beispiel einer Werksschließung?
Wenn eine vergleichbare Situation an anderen Orten passiert, werden wir sehen, wie die Arbeiter:innen sich verhalten. In Deutschland haben sie vielleicht mehr Unterstützung durch die Regierung und finanzielle Absicherung. Das kann manchmal dazu führen, dass sie nicht so kämpferisch sind. Oder es ist einfach, einen anderen Job zu finden, bei einer anderen Firma. Dann zeigt sich, ob sie das Interesse und die Kraft haben, das System als solches in Frage zu stellen. Hier wollen wir das System nicht einfach so weiterführen. Wir wollen selbst die Kontrolle über unsere Jobs und unser Leben haben. Und wir wollen etwas gutes für die Umwelt machen und nicht Dinge produzieren, die die Umwelt zerstören und uns krank machen. Es ist ein Traum, eine Utopie. Aber wir versuchen es.
Was war der Grund, diesen Kampf und das damit verbundene Risiko auf sich zu nehmen? War es weil die Leute schwer einen neuen Job finden konnten?
Es war eine Verbindung aus vielen Dingen. Für manche war es sicher, dass sie schlechte Aussichten auf einen anderen Job hatten oder die damit verbundene Angst. Die Situation in Italien ist für Arbeiter:innen nicht besonders gut, vor allem wenn sie schon älter sind. Aber ein Grund war auch, dass wir uns gegenseitig mögen und auch weiterhin zusammen arbeiten wollen. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn jede:r sich einen neuen Job gesucht hätte.
Das Setting, in dem sich Arbeiter:innen befinden, ist oft unterschiedlich. Hingegen ist die Ausbeutung und Fremdbestimmung immer dieselbe. In der Nähe von Berlin verschmutzt der Autobauer Tesla die Umwelt und das Trinkwasser. Die Arbeitsbedingungen sind schlecht und gefährlich, zusätzlich ist Tesla bekannt für seine gewerkschaftsfeindliche Politik. Und der Konzern will die Produktion noch erweitern, wogegen sich lokaler und aktivistischer Protest richtet. Was würdest du Arbeiter:innen von Tesla empfehlen?
Das ist nicht leicht zu beantworten, weil es zum Teil eine andere Situation ist. Für die Arbeiter:innen ist der Job wichtig beziehungsweise sind sie auf diesen angewiesen. Das ist nicht einfach. Sie finden sich im Widerspruch zwischen Arbeit vs. Umwelt. In etwa so: „Willst du einen Job oder saubere Umwelt? Du musst dich entscheiden, du kannst nicht beides haben.“ Für Leute in diesem Job ist es nicht einfach, zu sagen, du musst deinen Job kündigen, um die Umwelt zu retten. Das ist für die allermeisten keine wirkliche Option.
Hier war das halt anders, weil die Fabrik geschlossen wurde. Daher mussten wir uns was neues überlegen. Wenn die die Fabrik nicht geschlossen hätten, würden wir vielleicht immer noch jeden morgen zur Arbeit gehen und uns für den Chef ausbeuten lassen und Autoteile produzieren. Sicher, wir würden in dem System für Verbesserungen kämpfen, aber uns vielleicht auch nicht auf den Weg zur Konversion, hin zu was besserem machen.
Und es ist auch da schon schwer, weil Wirtschaft und Politik oft mit dem Versprechen von mehr Jobs ankommen. Da ist es für die Leute fast unmöglich, sich gegen die Jobs zu entscheiden. In dem System brauchen die Leute nun mal einen Job. Daher ist es nicht vorgesehen, dass sie sich gegen diesen entscheiden, weil die Tätigkeit die Umwelt zerstört.
Im Süden von Italien gibt es eine große Stahlfabrik. Hier wird sehr stark die Umwelt zerstört und zusätzlich werden die Arbeiter:innen und Anwohner:innen krank und bekommen zum Beispiel Krebs. Alles ist quasi vergiftet. Und selbst die Arbeiter:innen, die dort leben und deren Kinder krank werden, sehen nicht die Möglichkeit, sich gegen diese Fabrik zu entscheiden. In dem System ist es nicht vorgesehen, dass Umwelt und Gesundheit sich mit kapitalistischer Ausbeutung vereinen lässt.
Dennoch bietet ja euer Projekt eine reale Perspektive dazu, wie Organisierung auch jenseits von einem Boss aussehen kann. Und ihr verhandelt dabei ja auch die Frage, was ihr produzieren wollt.
Ja, das ist noch ein weiter Weg und wir sind ja auch noch sehr am Anfang. Und gleichzeitig sind wir da auf die Politik angewiesen. Beispielsweise mit dem Kauf des Geländes. Wir versuchen, vieles auszuprobieren und laden alle ein, uns dabei zu unterstützen aber vor allem das nachzumachen.
Danke euch für das spannende Gespräch. Viel Kraft euch für den weiteren Kampf.