Die (radikale) Linke und der Rechtsruck. Wie geht's weiter?


Haui
Aktuelles Wahlen Ostdeutschland Rechtsruck

Nach den Erfolgen der AfD bei den Landtagswahlen üben sich viele Linke, ganz nach altbewährter Manier, in Abgrenzung und Nichtachtung gegenüber ‚dem Osten‘. Etwaige Echos auf die Wahlergebnisse sind, wie auch schon nach der Europawahl, nicht selten geprägt von Fassungslosigkeit und Unverständnis; von Arroganz und Verirrungen. Doch ist weder der Rechtsruck urplötzlich aufgetaucht, noch der Osten voller Nazis, wie manche nun meinen. Und sich die Mauer zurückzuwünschen, ist auch nach den Wahlen nicht minder abstoßend als Nichtwähler:innen eine Mitschuld an den AfD-Erfolgen zu geben..

Die vielfältigen, aber doch immer gleichen Reaktionen von Links können durchaus als Ausdruck der großen Verunsicherung und Planlosigkeit gesehen werden, von der die linke Bewegung in Deutschland befallen ist. Über die Jahre ist nahezu jede Nähe zur Allgemeinbevölkerung flöten gegangen. In vielen ostdeutschen Gegenden werden Linke von den Menschen teilweise gar geradezu als ‚Handlanger‘ des Systems empfunden, weil sie sich jahrelang, beispielsweise während der Corona-Proteste, eher auf die Seite des Staates und seiner Institutionen gestellt haben anstatt sich in eine wahrnehmbare Totalopposition zu diesen zu begeben. Bestärkt wird dieses Bild einer staatstragenden Linken, die kein wirkliches Interesse mehr an der Realität der Menschen hat, auch von einem teils blindem Glauben an den Parlamentarismus und überheblichen Aussagen gegenüber Nichtwähler:innen. Denn die hätten ja einfach wählen gehen und damit auch die Ergebnisse der AfD schmälern können. Andererseits machten sie sich halt mitschuldig am rechten Wahlerfolg. Derartiges Gebaren resultiert wohl vor allem aus dem Scheitern der linken Bewegung sowie einer nur schwachen Auseinandersetzung mit den Mechanismen des Wählens innerhalb des kapitalistischen Systems. Ignoriert wird hierbei auch etwa, dass vor allem ärmere Menschen seltener zur Wahl gehen und viele andere gleichzeitig regelrecht an die Wahlurne ‚gedrängt' werden müssen. Sich als Linke mit diesen Punkten und ihren Gründen stärker zu beschäftigen, halte ich deshalb für wesentlich, um nicht länger das Bild des Handlangers abzugeben.

Daran anschließend ein paar Worte zu der Art und Weise, wie linksradikale Politik überhaupt gemacht wird und wie noch immer viele Linke mit Menschen von außerhalb der Szene umgehen. Seit dem Beginn der Strategiedebatten innerhalb der radikalen Linken 2016/17 sind inzwischen acht Jahre vergangen. Doch vor allem im Bezug auf Anschlussfähigkeit und revolutionäre Basisarbeit stellt sich ein übergreifendes Umdenken weiterhin nur langsam ein. Linke scheuen sich einerseits meist davor, Gespräche mit den Menschen im Viertel, auf der Straße, auf der Arbeit einzugehen und andererseits, Fokus und Kern der eigenen politischen Arbeit zu verändern. Für einige mag es schwer sein, sich von den (in der Szene) jahrelang antrainierten Methoden und Verhaltensweisen des autonomen Antifaschismus zu lösen, die sich ja eher in Abgrenzung widerspiegeln und ohne die es nicht mehr zu gehen scheint. Für andere wiederum sind aber auch die Wähler:innen von AfD, CDU & Co. schlicht die Diskussion/ das Gespräch „nicht Wert“. Wohl aber werden auch Faktoren wie eine noch ausbaufähige Theoriefestigkeit oder fehlende Rhetorik-Kenntnisse (‚Kunst der Rede‘) eine Rolle spielen, warum Linke oft lieber unter sich bleiben und direkten Gesprächskontakt mit nicht-Linken eher meiden. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, da diese Form der Kommunikation und des Umgangs ein existenzieller Teil revolutionärer Arbeit im Viertel usw. ist. Schaffen wir es nicht, uns verständlich zu machen und unsere Überzeugungen in Gesprächen gut zu vermitteln, bleiben wir auf der Stelle treten. Klarzustellen ist hier noch, dass es selbstverständlich notwendig sein wird, auch mit Wähler:innen von AfD, BSW, CDU & Co. ins Gespräch zu gehen. Gerade mit Blick auf die Ergebnisse der Ost-Wahlen sollte klar werden, dass wir 40, 50 oder 60% der Wählenden nicht einfach aus unserer Politik ausschließen können. Und bevor es sich jetzt jemand denkt – wir sprechen nicht mit Nazis. Allerdings sind viele der Ost-Wählenden eben auch keine, so sehr sich das manche auch einreden. Rassistisches und anderweitig diskriminierendes Denken sind weit verbreitet in unserer Klasse & Gesellschaft. Das bedeutet aber noch nicht, dass diese Leute deshalb auch ideologisch eingefleischte Rassisten seien, die man mit Nazis gleichsetzen könne. Das trifft auch weiterhin auf signifikante Teile der AfD-Wähler:innenschaft zu. Unsere Aufgabe ist hier, sie davon zu überzeugen, dass unsere Positionen die bessere Alternative sind. Und das werden wir nur schaffen, wenn wir mit ihnen im Gespräch bleiben.

Abseits dessen halte ich es für erforderlich, noch einen weiteren Punkt anzusprechen - den Umgang der Linken mit den (sozialen) Medien. Wie zu Beginn schon kurz angeschnitten, ist der harte gesellschaftliche Rechtskurs keineswegs einfach vom Himmel gefallen. Eher noch sitzt er schon eine ganze Weile nahezu wöchentlich in den Talkshows und Medienformaten der Öffentlich-Rechtlichen. Mit der Besonderheit, dass er dort stets unterschiedlichste Parteiabzeichen trägt und manchmal auch selbst die Fragen stellt. Das soll hier auch gleich nochmal in aller Deutlichkeit gesagt werden. Rechtsruck ist nicht nur die AfD. Rechtsruck ist, wenn bei Maybritt Illner gänzlich ungeniert um Abschiebungszahlen geschachert oder zur besten Sendezeit die Frage gestellt wird, wer denn letztlich eigentlich besser abschiebt. Rechtsruck ist, wenn Politiker:innen die Grenzen des Sagbaren stetig verschieben und ihre zunehmend tendenziösen Aussagen von Journalist:innen immer wieder unkritisch stehen gelassen werden, wie es bei der gnadenlos geführten Scheindebatte rund um das Bürgergeld immer wieder zu sehen ist. Hier kann man es sich als Politiker:in durchaus auch einfach mal leisten, in einer Talkshow bloße Behauptungen in den Raum werfen, die jeglicher Faktenlage entbehren. Obgleich diese Aussagen später (nach den Sendungen) von engagierten Aktivist:innen zumeist widerlegt werden (müssen), haben sie ihr Ziel der Spaltung und Überlagerung eigentlicher Probleme doch bereits erreicht. Damit nicht genug, besitzen jene Medienformate auch noch die Dreistigkeit, im Anschluss an solche ‚Debatten‘ die Frage zu stellen, woher denn nun eigentlich die negative Stimmung zu Themen wie Migration und Bürgergeld im Land stamme.

Hier versäumt es die Linke bisher leider immer wieder, zu intervenieren; eine radikale Medienkritik zu formulieren und diese diversen (Talkshow)-Formate konsequent als das zu benennen, was sie aktuell sind – mediale Steigbügelhalter für AfD und Konsorten.

Was uns zum anderen großen Versäumnis bringt: Die kaum wahrnehmbare Präsenz linker Kräfte in den sozialen Medien, allen voran auf TikTok, Instagram oder auch in diversen Kommentarspalten. Diese Plattformen sind Teil des sogenannten „vorpolitischen Raums“, also jener Orte, an denen nicht explizit Politik gemacht wird, wo aber dennoch auch meist beiläufig politische Werte transportiert oder verhandelt werden können (ähnlich wie bsp. in Kneipen). Rechte nutzen vorpolitische Räume im Internet äußerst geschickt und widmen ihnen eine enorme Menge an Aufmerksamkeit. Laut Umfragen informieren sich junge Menschen zuerst auf Instagram & Co. über politische Themen. Gleichzeitig wählen wieder viel mehr der jungen Altersgruppen rechte Parteien. Wir brauchen also dringend Auseinandersetzungen über Möglichkeiten und Ideen, unsere Inhalte und Positionen auf social media mundgerecht zu präsentieren – denn auch die tausendste Meme-Seite oder das millionste klassische Banner-Drop-Video wird an den ungleichen Kräfteverhältnissen nichts ändern.

Ganz generell lässt sich wohl festhalten, dass sich an der Notwendigkeit des weiteren Umdenkens nichts geändert hat. Als linke Bewegung, besonders als revolutionäre Linke, müssen wir es schaffen, uns wieder als antikapitalistische, antistaatliche Alternative anzubieten. Es braucht die (revolutionäre) Bereitschaft, Dinge anders zu machen als manchen vielleicht lieb ist. So wird es wichtig sein, uns Kenntnisse in Theorie und Gesprächsführung anzueignen, um in Diskussionen zu bestehen. Aber genauso auch ein offenes Ohr zu beweisen, fühlbar zu sein. Wir müssen in die vorherrschende autoritäre und rechte Alltagskultur, die speziell im Osten existiert, hineinwirken; dürfen uns nicht mehr verdrängen lassen. Dabei kann uns helfen, konkrete Strukturen als praktische Beispiele mit greifbaren Zukunftsvisionen und eigener revolutionärer Kultur zu etablieren. Vor allem aber wird es notwendig, in der Fläche präsent zu sein. Auch, weil viele Linke stets in die Städte abgewandert sind. Anarchistische Gefährt:innen auf dem sächsischen Land beispielsweise rufen bereits dazu auf, zu ihnen zu ziehen. Nur so können neue Strukturen vor Ort geschaffen werden, mit denen der revolutionäre Aufbau auch auf dem Land fokussiert werden kann.

In diesem Sinne – Arbeit liegt vor uns Voran!

Zur weiteren Auseinandersetzung mit Parlamentarismus sei Folge 33 vom Übertage-Podcast empfohlen: zu Parlamentarismus und Bundestagswahl.

Zur Auseinandersetzung mit linker Medienkritik seien diverse Folgen vom Studio-Kindler-Podcast empfohlen.

Haui

Ich komme aus Sachsen und bin seit Jahren in antifaschistischen und anarchistischen Zusammenhängen aktiv. Früher eher dem anarcho-individualistischen Spektrum nahe, würde ich mich heute als Anarchokommunisten bezeichnen. Vorwiegend setze ich mich mit feministischen und internationalistischen Themen auseinander. Derzeit bin ich außerdem in der FAU organisiert und versuche, anarchistische Basisarbeit voranzubringen.

Vorheriger Beitrag