Interview mit dem Zeitungsprojekt Tsveyfl


anarchismus.de Kollektiv Tsveyfl
Interview

Wir freuen uns euch unser zweites Interview präsentieren zu können. Dieses mal keine Organisation, sondern ein Zeitungsprojekt. Wir haben mit den Genoss:innen von Tsveyfl - dissensorientierte Zeitschrift, gesprochen. Ein sehr passender Augenblick für dieses Interview, da die Genoss:innen erst vor kurzem ihre dritte Ausgabe veröffentlicht haben. Also wenn euch das was ihr in unserem Beitrag zur Tsveyfl lest zusagt, könnt ihr euch direkt mit der neuen Ausgabe eindecken.

1. Was ist das Projekt Tsveyfl?

Das Projekt Tsveyfl ist der Versuch eine kohärente anarchistische Theorie zu entwickeln, die unserer Meinung nach im deutschsprachigen Raum bisher fehlt. Medien sind die Zeitschrift selbst, aber auch unser Blog sowie Bücher, Broschüren und andere Veröffentlichungen meist im Syndikat-A Verlag.

2. Seit wann gibt es euch und wie positioniert ihr euch innerhalb der anarchistischen Bewegung?

Das Projekt haben wir 2016 gestartet, die erste Ausgabe der Zeitschrift erschien dann 2017 mit dem Schwerpunkt „Anarchismus und Menschenrechte“. Wir fühlen uns dem Anarchosyndikalismus verbunden, sind teilweise in der FAU und anderen anarchistischen Kollektivprojekten organisiert, als Redaktion sind wir aber unabhängig. Darüber hinaus sind wir von ideologiekritischen und antiautoritären Strömungen des Marxismus', z.B. der jugoslawischen Praxis-Gruppe, beeinflusst. Für ein theorielastiges Projekt haben wir uns entschieden, weil wir der Überzeugung sind, dass wir die Verhältnisse präzise beschreiben können müssen, wenn wir sie verändern wollen, und um eine Vorstellung davon entwickeln zu können, wie diese Veränderung aussehen kann. Mangelnde begriffliche Bestimmtheit ist die Ursache dafür, dass in der anarchistischen Bewegung heute viele Ansätze präsent sind, die liberal bis reaktionär sind.

3. Ihr sprecht von liberalen bis reaktionären Ansätzen die innerhalb der anarchistischen Bewegung präsent sind. Was genau meint ihr damit konkret?

Individualanarchismus, Insurrektionalismus und Primitivismus.

4. Eure dritte Ausgabe ist ja gerade erschienen, auf was für Themen dürfen wir uns hier freuen?

Der Schwerpunkt der dritten Ausgabe ist das Thema Autonomie. Diesen zentralen Aspekt des Anarchismus betrachten wir aus verschiedenen Perspektiven. So wird beleuchtet, wie die Mechanismen patriarchaler Gesellschaftskonstitution einen Zustand erzeugen, in dem Frauen wie Männern der Subjektstatus verwehrt bleibt. Neben anderen Betrachtungen untersuchen wir aber auch die Krisen liberaler Autonomiekonzepte im digitalen Umbruch und die jugoslawische Arbeiterselbstverwaltung als historischen Versuch Autonomie gegenüber dem Produktionsprozess zu gewinnen. Mehr zum Inhalt hier: https://tsveyfl.blogspot.com/p/anarchismus-und-autonomie.html

TsveyflMockup

5. Wie würdet ihr den Stand des klassenkämpferischen Anarchismus im allgemeinen grade in Deutschland und darüberhinaus werten?

Man kann in Deutschland in den letzten Jahren durchaus von einer positiven Entwicklung des klassenkämpferischen Anarchismus sprechen, allerdings befindet er sich weiterhin auf einem Stand, von dem aus es sich kaum lohnt von einer Bewegung zu sprechen. Dafür müssten erstmal (wieder) verbindliche Grundlagen etabliert werden, die nicht nur beliebige subkulturelle Erscheinungen sind. Auf dieser Basis ließen sich Strukturen entwickeln, aus denen eine Bewegung entstehen kann. An den bisherigen Versuchen lässt sich immer wieder ablesen, wie viel Beliebigkeit von vornherein in Kauf genommen werden muss, um überhaupt handlungsfähig zu sein. Strukturen, die nicht beanspruchen, mehr als lose Zusammenhänge oder strategische Allianzen zu sein, können nicht die Grundlage einer Bewegung bilden.

6. Wie hat sich euer Projekt im Kontext der Corona Situation entwickelt?

Zweifelsohne hat die Pandemie unsere Arbeit über weite Strecken gelähmt – weshalb die dritte Ausgabe auch so lange auf sich warten ließ. Haben wir noch zu Beginn des ersten Lockdowns mit dem Text „Corona, Krise, Klassenkampf“ eine treffende Prognose dessen, was uns im weiteren Verlauf der Pandemie erwartete, vorgelegt (einzig wie schnell der Staat von den Kleinbürgern rechts überholt wurde, haben wir unterschätzt), ist es uns danach kaum noch gelungen unsere redaktionelle Arbeit fortzusetzen. Angesichts unserer schwierigen Lage haben wir dennoch in anderen Projekten einiges auf die Beine stellen können..

7. Kann man bei euch mitmachen und wenn ja wie?

Wer eine ähnliche Sicht auf die gegenwärtige Lage des deutschsprachigen Anarchismus hat und sich dem klassenkämpferischen Anarchismus oder antiautoritären Marxismus verbunden fühlt, ist jederzeit eingeladen, sich mit Textvorschlägen zu melden. Ob diese dann in der Zeitschrift, auf dem Blog oder in anderer Form erscheinen, sprechen wir im Einzelnen ab.

Tsveyfl

Weil die zur Verfügung stehenden Begriffe auf vielfältige und widersprüchliche Weisen bestimmt wurden und werden, ist der Dissens ein notwendiger Schritt auf der Suche nach einer sinnvollen Bestimmung. Das bedeutet auch, die Trennung von Theorie und Praxis – bei der die Theorie immer schon zu Gunsten einer blinden Praxis suspendiert ist – zu überwinden und ein dialektisches Verständnis von Praxis zu entwickeln, das nicht Denken und Handeln als getrennt versteht, sondern als sich bedingende Kategorien die aufs engste verknüpft sind. So ließe sich die Welt dann auch verändern – wenn man sie interpretieren kann. Von dieser Überzeugung ist das Projekt Tsveyfl getragen.

Verlag und Vertrieb:

Syndikat-A

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