Anmerkung vom anarchismus.de Kollektiv: Mit diesem Interview starten wir in eine ganze Reihe von Gesprächen, die wir mit vielen der Projekten, welche wir auf unserer Strukturseite aufgelistet haben, aktuell führen. Wir wollen mit diesem Interview-Format den Strukturen des klassenkämpferischen Anarchismus eine noch stärkere Bühne bieten. Anarchismus.de ist ein Projekt von der Bewegung für die Bewegung und in diesem Sinne erwarten euch jetzt Woche für Woche spannende Gespräche, mit der breiten Basis des organisierten Anarchismus im deutschsprachigen Raum. Den Beginn machen die Genoss:innen vom Wiener ArbeiterInnen Syndikat, einfach weil sie am schnellsten auf unsere Anfrage reagiert haben.
Das WAS ist eine revolutionäre Gewerkschaft. Gewerkschaft deshalb, weil unsere Analyse die ist, dass dauerhafte Gesellschaftsveränderung nur über die ökonomischen Abhängigkeitsverhältnisse geschehen kann. Sprich; die Demokratisierung der Produktion und Verteilung, sowie der Konsumption. Wir sind also eine anarchosyndikalistische Organisation. Das bedeutet, dass wir herrschaftsfreie Sozialist:innen sind.
Als WAS kennt man uns seit 2011. Die Vorläuferorganisationen gab es in Österreich seit 2002. Wir waren jetzt 8 Jahre oder so "Freund:innen der IAA" und sind 2021 der Internationalen Arbeiter:innen-Assoziation als Vollmitglied beigetreten. Wir sind also jetzt die IAA-Sektion in Österreich, und direkt mit der CNT, SolFed, ZSP usw. föderiert. Besonders spannend sind die neuen Genoss:innen in Asien, wie die BASF mit ihren fast 4000 Mitgliedern in Bangladesh oder die Pakistanischen Genoss:innen, die ja mit der Unterstützung der Afghanischen Anarchist:innen im Spätsommer Extremes auf die Beine gestellt haben.
Die IAA wurde ja als Neugründung der 1. Internationalen dann zum Jahreswechsel 1922/23 offiziell ins Leben gerufen. Und dort sehen wir uns auch. Im Revolutionären Syndikalismus. Also weiterhin keine bezahlten Funktionär:innen, keine Betriebsratswahlen als WAS, kein Vertretertum, sondern aktive Arbeiter:innen, die sich mit anderen Arbeiter:innen zusammenschließen.
Ja, der Konflikt ist echt nicht schön. Gerade in Spanien dürfte es da Manchen wirklich um Vernichtung gehen. So hat die CNT-CIT 19 Syndikate unserer CNT-IAA auf insgesamt 950.000 Euro geklagt. Die 3 Sektionen wurden übrigens ausgeschlossen und sind nicht ausgetreten. Uns als WAS hält das nicht davon ab, mit einzelnen Syndikaten solidarisch zu sein, so haben wir die FAU-München tatkräftig beim Arbeitskampf gegen Walther König unterstützt. Die IAA entwickelt sich unserer Meinung nach in die richtige Richtung. Es gibt ein gesundes Wachstum, wir sind jetzt in 21 Ländern aktiv. Gerade die neuen Genoss:innen in Asien sind eine Bereicherung und teilweise echte Massenorganisationen. Es wäre gut, wenn es auch in Deutschland demnächst wieder eine IAA-Sektion gibt. Entwicklungspotential und Platz genug wäre ja für mehrere Organisationen (lacht). Die IAA feiert übrigens dieses Jahr ihr 100-jähriges Bestehen. Sie wird sicher auch ihr 200-Jähriges als aktive Föderation feiern.
Puh, was haben wir gerade alles, ...
Zuerst mal ein jüngst gewonnener Kampf, zwei Genoss:innen aus Griechenland haben für einen Unternehmer in einer Waldviertler Kleinstadt geputzt, und wurden nicht korrekt bezahlt. Das ganze Geld von September und Oktober ist jetzt im Februar endlich überwiesen worden - wir veröffentlichen bald was zu dem Fall. Dann bereiten wir uns auf einen Fall vor, wo ein Kollege vom Chef angeklagt wird, weil er im Dienst ein Auto beschädigt hat. Das Dienstnehmerhaftpflichtgesetz schließt aber Haftungen aus, so lange nichts fahrlässig passiert ist. Der Chef klagt halt jetzt und wir müssen zum Arbeitsgericht.
Dann haben wir ein paar "Kleinigkeiten" am Laufen, einen "linken Club" der einem Mitglied von uns seine paar Hunderter Gage vorenthält - obwohl die Bude gerammelt voll war -, weil der Bassverstärker eingegangen ist. Dann die Müllabfuhr, wo wir weiterhin die Kolleg:innen informieren werden, was in ihrer Bude alles ungesetzlich läuft, obwohl unser Mitglied dort schon nicht mehr arbeitet. Dann haben wir noch zwei Corona-Verwaltungsanzeigen wegen dem 1. Mai, wo die Kiwara ja, nachdem sie alle 2-3000 Menschen durch den Votivpark geprügelt und gepfeffert haben, alle 450 Verbliebenen mit erfundenen Corona-Maßnahmenübertretungen bestraft haben. Mal sehen, ob die Magistratischen Bezirksämter unseren Einsprüchen stattgeben, oder ob wir Beschwerden beim Landesverwaltungsgericht einlegen müssen.
Und dann ist da noch die Secession, ... da sind mittlerweile viele viele Tausende Euros Gehaltsnachzahlungen geflossen - teilweise bis zu 6 Monatsgehälter pro Angestellte:r, aber die bekommen keine korrekten Abrechnungen hin. Derzeit fehlen immer noch die Sonntagszuschläge (von bis zu 5 Jahren Dienstverhältnis) und die anteiligen 13. und 14. Gehälter für Mehr- und Überstunden usw. Vier von den Betroffenen haben den Job wegen den Zuständen ja auch schon hingeschmissen. Der Secession wurde über die Medien mitgeteilt, dass die letzte Abrechnung schon wieder falsch ist, und wir müssen jetzt einmal schauen, wie wir den Arbeitskampf beenden.
Schwierig (lacht). Es gibt kaum herrschaftsfreie Organisationen. Wir haben 40 Jahre autonome Verwässerung hinter uns, die sich halt in viel Aktivismus und schräger Identitätspolitik manifestiert. Das heißt, es gibt viel universitär geprägten Aktionismus, aber wenig Bewusstsein, dass man Arbeiter:innenklasse ist, und auch wenig Bezug zum eigenen realen Leben.
Aber nur jammern wäre auch falsch. Es ist schon zu merken, dass das Klassenbewusstsein generell auch im anarchistischen Kontext langsam aber stetig steigt. Beispielsweise nennen sich jetzt sehr Viele wieder "Genoss:innen", während das in den späten 90er-Jahren noch unmöglich war und man auf Demonstrationen noch regelmäßig "Arbeiterklasse wie ich dich hasse"-Sprechchöre von Autonomen hörte.
Das ist sehr ambivalent. Einerseits sind der Großteil der Kämpfe, die wir die letzten beiden Jahre geführt haben, aufgrund der Corona-Situation entstanden. Aber wir spielen halt viel zu oft "Feuerwehr" und erreichen zu wenig dauerhafte Selbstorganisierung. Bisher haben wir jeden realen Arbeitskampf, den wir begonnen haben, auch gewonnen, aber die Passivität von Belegschaften bleibt, und ökonomische Organisierung mit Kolleg:innen passiert derzeit zu wenig.
Das heißt, wir werden zwar schon sehr breit wahrgenommen (wir haben mehrere hundert Mail- und Telefonkontakte pro Monat mit "Externen"), und auch dass wir eine Gewerkschaft sind hat uns seit zwei Jahren niemand mehr versucht abzusprechen, aber das Bewusstsein, dass wir organisiert und vorbereitet zielgerichtet gemeinsam handeln müssen, um real die Gesellschaft zu verändern, ist noch nicht wirklich verankert. Wir sind derzeit zwar nachhaltig von der Gefahr, als subkulturelle Bezugsgruppe missverstanden zu werden, befreit, und wir haben auch endlich gleich viel Frauen wie Männer als Mitglieder, dafür stehen wir jetzt - wie jede wachsende Organisation - vor dem Problem, dass uns zu viel "Service" abverlangt wird, und wir auf "Sparte - Jobprobleme" beschränkt werden.
Intern hat die Corona-Situation auch vieles verkompliziert. Es kommen teilweise sehr wenig Menschen zu Vollversammlungen. "Online" wollen wir uns intern nicht antun, das klappt überhaupt nicht. Text-Chats sind zu langwierig und führen nicht zu gemeinsamen Vorgehen, Videokonferenzen können viele gar nicht und die paar mal, die wir "Zuschaltungen" probiert haben, waren mega-anstrengend und individualisiert. Nach außen Online aufzutreten ist sowieso ein Witz und endet immer im Mitspielen im Kampf der Aufmerksamkeitsökonomie. Wenn Du so willst als Teil des "Spektaktels". Das spielt's mit uns eh nicht. Wir haben ja auch alle "Sozialen" Medien vor Jahren schon abgeschafft, weil sie keinerlei reale Auswirkungen hatten.
Zum Glück konnten wir uns immer, auch in allen Lockdowns, real treffen, wenn es auch sehr kalt war manchmal, weil wir dauergelüftet haben oder gleich draußen um die Feuerschale gesessen sind wie im Jänner wo wer Kontaktperson war (lacht).
"Mitmachen" ist vielleicht schon mal die falsche Herangehensweise. Unser Ziel ist, dass sich Menschen mit uns organisieren. Das heißt im Idealfall Betriebsgruppen mit den eigenen Kolleg:innen gründen, oder Ortsgruppen in der eigenen Wohngegend, und sich dann mit uns föderieren. Derzeit, wo wir noch so weit davon entfernt sind eine Massenorganisation zu sein, kann man natürlich auch direkt Mitglied bei uns werden. Einfach an einem Samstag beim offenen Teil unserer Vollversammlung vorbeischauen und uns kennenlernen oder uns anrufen oder ein Mail schicken.
Online-klicksi-Mitgliedschaften gibt es bei uns absichtlich nicht. Wir wollen keine Karteileichen oder inaktive Massenmitgliedschaften sondern aktive Genoss:innen, die nach ihren Möglichkeiten sich dauerhaft mit uns zusammenschließen und eine bessere Welt erschaffen.
Gerne.