Über Louise Michel - Vorkämpferin der Freiheit


Helge Doehring Der Frauen-Bund
Geschichte Anarchafeminismus

Anmerkung des anarchismus.de Kollektivs: Der vorliegende Text, der uns von Helge Döhring zusammen mit einer Einordnung des syndikalistischen Frauenbundes im Rahmen unser Call for Feminist Papers zugesendet wurde, bedarf auch einer kurzen Anmerkung von uns. Wir bitten euch, den Text im Kontext der damaligen Zeit zu lesen und haben auch auf das Gendern verzichtet, da wir das historische Original nicht verfälschen wollen. Speziell der Anfang des Schriftstücks lässt viele sicherlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. So Aussagen, wie dass es ja schon immer mehr Männer als Frauen in den revolutionären Reihen gegeben hätte, sind ja nicht nur falsch sondern auch problematisch zu sehen. Aber auch das finden wir wichtig darzustellen, der syndikalistische Frauenbund von damals war nun einmal inhaltlich ganz anders aufgestellt, als es die feministische Bewegung heutzutage ist. Bitte behaltet das im Gedächtnis beim Lesen, nun aber viel Spaß dabei!

Louise Michel

Man spricht sehr viel von großen Männern. Auch innerhalb der Arbeiterbewegung sind die Männer bisher viel mehr gefeiert worden, wie die Frauen. Wenn es auch wahr ist, dass es unter den Männern eine größere Anzahl Freiheitskämpfer gab, als unter den Frauen, so hat man doch keinen Grund, über die Frauen stillschweigend hinwegzusehen. Wie oft haben Heroen, gerade durch eine Heroine, die ihnen treu zur Seite stand, ihre Mission erfüllen können. Während er gepriesen wird, blieb sie ein Veilchen, das im Verborgenen blühte.

Es gibt eine Anzahl Frauen, die selbständig eine Größe erklommen, wie es nur wenigen Männern vergönnt war zu erreichen. Eine von diesen Frauen war Louise Michel. Von den Revolutionären die Rote Jungfrau genannt, machte sie diesem Namen alle Ehre. Sie kämpfte auf den Barrikaden, als die Pariser Arbeiter 1871, nach der Niederlage des Krieges, in Paris die Freie Kommune ausriefen, die dann von den reaktionären Generalen bekämpft und schließlich mit Hilfe der preußischen Soldaten niedergeschlagen und im Blute der Arbeiterschaft ertränkt wurde. Louise kämpfte bis zum letzten Augenblick und fiel unter dem dröhnenden Kanonendonner, umhüllt von Rauch und Pulverdampf in die Hände der reaktionären Versailler Soldaten. Glücklichen Umständen war es zu verdanken, dass sie am Leben blieb, denn die meisten ihrer mitkämpfenden Kameraden sind in diesem Kampfe gefallen.

Später wurde sie zu lebenslänglicher Deportation verurteilt. Sie wurde nach Neukaledonien transportiert, wo sie ihr ganzes Leben in Verbannung zubringen sollte. Hier in Verbannung zeigte sie ein Herz, um das sie viele ihrer Schwestern beneiden konnten. Als sie schließlich nach zehnjähriger Verbannung begnadigt wurde und nach Frankreich zurückkehren durfte, fand sich eine mehrtausendköpfige Menge der Eingeborenen ein, um ihr weinend Lebewohl zu sagen.

Im Gefängnis rang sich Louise zur anarchistischen Weltanschauung durch. Die Ideen des kommunistischen Anarchismus, die auch der Syndikalismus anerkennt, brechen sich in ihr Bahn. Die Greuel, die sie während des Kampfes und vor allem während der Gefangenschaft erlebt, brachten sie zur Überzeugung, dass die Macht es ist, die die Menschen vergiftet und zu schlechten Charakteren macht. Louise ist Idealistin, sie ist von der im Menschen innewohnenden Güte überzeugt. Da es in der Regel die Machthaber sind, von denen die größten Gemeinheiten und Greueltaten ausgehen, so ist es die Macht, die den Menschen verdirbt.

“C’est quele pouvoir est maudit, et c’est pour celá que je suis anarchiste”

“Die Macht ist ein Fluch und deshalb bin ich Anarchist.” Das ist die neue Weltanschauung Louisens. Sie ist gegen alle Macht und gegen alle Herrschaft. Sie glaubt nicht mehr an die schöpferische Macht der Regierung, sie glaubt nur noch an das Volk ohne Regierungen. Eine neue Welt soll erstehen und der Mensch dazu erzogen werden, er wird sich dann zu einem höheren Wesen entwickeln, als er heute ist.

Wie aber soll diese freie Gesellschaft durchgeführt werden? Louise braucht gar nicht zu wissen, welche Formen sie annehmen wird. Es genügt, wenn wir das Bestreben zeigen, nach unsern Grundsätzen zu leben. „Wie soll die Raupe wissen, wie sie als Schmetterling denken und fühlen wird?“ sagte einmal Louise Michel. Damit wollte sie denen entgegnen, die den fix und fertigen Plan einer revolutionären Regierung in der Tasche tragen, nach dem sich die Revolution abspielen und das neue Leben gestalten soll. Bereiten wir uns darauf vor, frei zu handeln, und leben wir, ohne andre zu unterdrücken, dann haben wir das wichtigste getan.

Als Louise aus der Verbannung zurückkehrt, stürzt sie sich wieder in die revolutionäre Bewegung und opfert das ganze Leben der Sache. Sie veranstaltet Versammlungen, spricht zu Männern und Frauen von den Kämpfen, die wir für die freie Gesellschaft zu führen haben, nimmt an Demonstrationen teil und kommt wieder ins Gefängnis. Aber keine Kerkermauer ist dick genug, um ihr inneres geistiges Leben zu ersticken. Als sie wieder herauskam, pflanzte sie bei einer neuen Demonstration die schwarze Fahne der Anarchie auf. Es ist die Fahne des Hungers, wie sie sagt. Sie trägt diese Fahne voran und zieht durch die Straßen, um für die Streikenden zu werben. Einige Demonstranten machen vor einem Bäckerladen halt und plündern ihn aus. Louise wird dafür verantwortlich gemacht und von dem „hohen Gerichtshof“ zu sechs Jahren Gefängnis aufs neue verurteilt. Dies Urteil verursachte den Tod ihrer Mutter. Dies war der härteste Schlag, der unsre Louise traf. Ihre Mutter starb aus Gram darüber, dass ihr die Tochter nochmals entrissen wurde. Da sagte Louise: „Bisher habe ich zwei Dinge gehabt, meine Mutter und die Revolution, jetzt ist mir nur noch die Revolution geblieben.“

Dieser Revolution gab sie sich von Stund an noch mehr hin, als bisher. Nach Verbüßung der Strafe setzte sie ihre Wirksamkeit fort. Sie sprach in Versammlungen der Arbeiter und verkündete den Armen die freie neue Zeit. Die Gefängnisse und alle Machtmittel des Staates, wie Verbannung usw. konnten sie nicht unterkriegen. Das kränkte die Reaktionäre und einer von ihnen tat, was in unsren Tagen gang und gäbe ist. Bei einer Volksversammlung in Havre, wo Louise sprach, wurden nach der Rednertribüne, auf der sie stand, zwei […] Revolverschüsse abgefeuert. Die eine dieser Kugeln traf sie hinten dem Ohre und verwundete sie ernstlich. Sie wurde unter den wildesten Schmerzen operiert und ertrug alles ohne einen Klagelaut. Als man sie fragte, ob sie gegen den Attentäter Lucas nicht Anklage erheben will, sagte sie hochherzig: „Man soll ihn laufen lassen, es ist ein unglücklicher Narr.“

Hier zeigte sich Louisens Größe. Rache ist ein niedriger Instinkt, sie vertrat eine neue Weltanschauung, in der es kein Platz mehr für Staatsanwälte und Gefängnisse gab. Dies war für sie heiliger Ernst. Sie wollte niemals die bürgerlichen und staatlichen Gerichte in Anspruch nehmen. Sie wollte sich nicht „rächen“. Hierin ragt die Rote Jungfrau bergehoch über alle Politikanten und Maulhelden empor.

Aber das konnten die nicht vertragen, die da unten im Moraste wühlen. Der innere Glanz, der von ihr ausstrahlte, blendete die heutigen Kleingeister. Sie konnte nicht recht gescheit sein. Solch ein Betragen musste den Fanatikern des Eigentums und der Aug um Aug, Zahn um Zahn Theorie verdreht erscheinen. In der Tat. Louise sollte auch den Rest des Leidenskelches trinken. Man munkelte von ihr, sie sei wohl ein gutes Mädchen, aber un peu toquée, „ein wenig verrückt“. Die Bourgeoisie wollte sie auf diese Weise, nachdem nichts mehr half, aus dem Wege räumen. Sie roch den Braten und ging zum zweiten Male – diesmal freiwillig ins Exil. Als sie aber dann von den Ärzten das milde Klima Südfrankreichs für ihre, durch so viele unerhörte Leiden zerstörte Gesundheit vorgeschrieben bekam, ging sie nach ihrer Heimat zurück. Auch da gönnte sie sich keine Ruhe. Sie ging von einem Orte zum andern, hielt Vorträge und klärte die Arbeiterschaft auf. Auf einer dieser Wanderfahrten überraschte sie der Tod. Sie starb in Marseille im Jahre 1905.

Louise ist tot, wir aber leben noch. Nehmen wir ihr Werk auf und setzen es fort, bis Knechtschaft und Unterdrückung überwunden sind.

Téschon.

Aus: „Der Frauen-Bund“, Nr. 4/April 1922, in: „Der Syndikalist“, Nr. 14/1922.

Zusammengestellt von Helge Döhring (Institut für Syndikalismusforschung)

Helge Döhring

Helge Döhring, geb. 1972, Historiker und Literaturwissenschaftler, lebt in Bremen. Buchveröffentlichungen zur syndikalistischen und anarchistischen Arbeiterbewegung: „Syndikalismus in Deutschland 1914-1918“ (2013), zum „Anarcho-Syndikalismus in Deutschland 1933-1945“ (2013) und „Organisierter Anarchismus in Deutschland von 1918 bis 1933“ (drei Bände, 2018-2020), sowie zur „Syndikalistisch-Anarchistischen Jugend Deutschlands“ (2011), zu den „Schwarzen Scharen“ (2011); kommentierte Bibliographie zur syndikalistischen Presse in Deutschland (2010). Regionalstudien zum Syndikalismus für Bayern, Baden-Württemberg, Bremen, Ostpreußen, Schlesien und Schleswig-Holstein. Verfasser des Buches „Anarcho-Syndikalismus. Einführung in die Theorie und Geschichte einer internationalen sozialistischen Arbeiterbewegung“ (2017). Mitarbeiter und Mitbegründer des Instituts für Syndikalismusforschung und Mitherausgeber des Jahrbuchs „Syfo – Forschung&Bewegung“.

Zu „Der Frauen-Bund“

Die erste Reichskonferenz der syndikalistischen Frauen beriet und beschloß 1921 folgendes: „Es wäre angebracht, die im Syndikalist erscheinenden Mitteilungen und Artikel über die Frauenangelegenheiten in einer besonderen Beilage zusammenzufassen, dadurch würden diese Aufsätze von den Frauen mehr gelesen und gleichzeitig zur Mitarbeit angespornt. [Hertha] Barwich erklärte daher, dem Reichskongreß [der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD)] nahestehenden Antrag zu unterbreiten: Die erste Reichskonferenz der syndikalistischen Frauenbünde fordert den 13. Kongress [der FAUD] auf, die Geschäftskommission anzuweisen, dass der ‚Syndikalist’ monatlich auf zwei Seiten unter Frauen-Rundschau die Angelegenheiten der Frauen zusammenfasst.“ („Die Schöpfung“, Nr. 88/Oktober 1921)

Dieser Beschluß wurde prompt umgesetzt. Von 1921 bis 1930 erschien „Der Frauen-Bund“ als das offizielle Printorgan des „Syndikalistischen Frauenbundes“ (SFB). Als 2-seitige Beilage in „Der Syndikalist“, der Gewerkschaftszeitung der anarcho-syndikalistischen FAUD, erreichte „Der Frauen-Bund“ eine monatliche Auflage von über 78.000 Exemplaren (1921). Die Redaktion machte die Berlinerin Hertha Barwich, die unter anderem Artikel verfasste wie: „Die Frau und ihre Befreiung durch den Sozialismus“, „Die biologische Tragödie der Frau“, „Erotik und Altruismus“, „Von der Harmonie der Geschlechter“ oder, „Rüstet zum syndikalistischen Frauentag“. Auch kamen Sexualwissenschaftler, wie Felix Theilhaber oder Magnus Hirschfeld zu Wort oder die international hochgeachtete Anarchistin Emma Goldman. Als Mitbegründerin thematisierte Milly Witkop-Rocker „Die Notwendigkeit der Frauenbünde“. Auch schrieb eine große Anzahl an Männern, darunter Fritz Oerter, Max Winkler oder Gerhard F. Wehle. Berichte syndikalistischer Frauenbünde kamen u.a. aus Dresden, Düsseldorf, Eickel, Herringen, Mannheim, Mengede, Neunkirchen (Saar), Nürnberg und aus Wattenscheid.

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