125 Jahre Anarchosyndikalismus


Helge Doehring
Anarchosyndikalismus Geschichte

Von Anfang an dabei!

125 Jahre organisierter (Anarcho-)Syndikalismus in Deutschland

Im Mai 1897 konstituierte sich die erste Dachorganisation für die föderalistisch-sozialistische Gewerkschaftsbewegung, die „Vertrauensmänner-Zentralisation Deutschlands“. Das war vor 125 Jahren. Die ihr angeschlossenen lokalen Verbände waren jedoch älter. Sie wurzelten in den Anfängen der Arbeiter:innenbewegung und entstanden mit dem Aufkommen der industriellen Arbeiterschaft. Bevor sich Arbeiter:innenvertretungen etablierten, professionalisierten, institutionalisierten und damit zentralisierten, erfolgte die Organisierung der Schlagkraft auf Grundlagen, die den anarcho-syndikalistischen Prinzipien sehr nahe kamen: spontane Solidarität, innige Verbundenheit mit gegenseitiger Hilfe, direkte Aktionen, Streik als natürliches Kampfmittel, Klassenkampf als alltägliche Lebenserfahrung, Klassenbewußtsein als Selbstverständlichkeit. Es gab keine gesetzlichen Betriebsräte, kein Tarifvertragswesen, keine zentrale Schlichtungsordnung. Die Arbeiter:innen und ihre lokalen Vereinigungen mußten sich um ihre Geschicke selber kümmern. Statt Verantwortung wegzudelegieren, übernahmen sie diese selbst: Sie betrieben Selbstorganisation als Kern anarcho-syndikalistischer Methodik.

Durch die Jahrzehnte

Und diese war nie totzukriegen. Eine Verbundenheit innerhalb der Arbeiterschaft gab es immer, ob im Großen oder nur im Kleinen organisiert. Inwieweit es möglich war, dem Anarcho-Syndikalismus auch eine politische Dimension zu geben, ist historisch aufgearbeitet worden. An dieser Stelle möchte ich nur betonen, dass der (Anarcho-)Syndikalismus seit Anbeginn der Industriellen Revolution in der Arbeiterschaft verankert war.

Er gehörte stets zu ihrer klassenkämpferischen Avantgarde, standhaft während der „Sozialistengesetze“ (1878-1890), während der politischen Zentralisierungen innerhalb der Arbeiter:innenbewegung (bis 1908), während des 1. Weltkrieges (1914-1918), während der Etablierung der Sozialpartnerschaftlichkeit (seit 1919) und im Faschismus (Widerstandsaktivitäten sind bis 1941 überliefert).

Nach 1945 führten Aktivist:innen spannende resümierende Diskussionen und solche darüber, wie der Anarcho-Syndikalismus den stark veränderten Verhältnissen angepasst werden könnte. Eine Anbindung an junge Generationen gelang ihnen hingegen nicht. Diese formierte sich seit 1977 organisatorisch neu und besteht bis heute.

Organisationen:

Vorwaerts

Kongress der FVdG im "Vorwärts"

Die wenigsten Mitglieder aller oben aufgeführten Organisationen hatte die FAU in ihren Anfangsjahrzehnten, teilweise nur zweistellig. Die FFS zählte wenige hundert, die FVdG hatte bis zu 20.000 und die FAUD Anfang der 1920er Jahre bis zu 150.000 Mitglieder. Der heutigen (2022) FAU gehören wieder über 1.800 Mitglieder an (Alle Angaben reichs- bzw. bundesweit).

Zu ihren stärksten Zeiten umfaßte sie reichsweit vor allem die Industriebereiche: Bau, Metall, Holz, Bergbau und Textil mit eigenständigen Industrieföderationen, aber auch das Verkehrswesen, chemische Industrie, Häfen, (Binnen-) Schiffahrt zählten zu ihren Einflußbereichen. Geographisch entfaltete sich die Bewegung in Industrieregionen, stets mit dem Zentrum Berlin, gefolgt von Rheinland und Ruhrgebiet. Sie gelangte aber auch ins tiefste Bayern, nach Ostpreußen oder Schlesien.

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Von Beginn an bot der Anarcho-Syndikalismus eine Alternative zur zentralistischen Arbeiter:innenorganisation, lange bevor sich kommunistische oder rätekommunistische Gruppierungen und Parteien formierten. Sie verfügten mit dem Konzept der „Arbeitsbörsen“ über ein gesamtgesellschaftliches Transformationsprogramm. International bedeutende Theoretiker und Ideengeber, die aus der hiesigen Bewegung hervorgingen, waren Rudolf Rocker, Augustin Souchy, Fritz Kater und Helmut Rüdiger. Die FAUD war 1922/23 Gründungsmitglied der Internationalen Arbeiter-Assoziation (IAA)

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Zeichnung von Fritz Kater

Gesellschaftliche Bereiche, in denen sich der Anarcho-Syndikalismus außerbetrieblich engagierte, waren beispielsweise die Freidenkerbewegung, die Sexualaufklärung, die proletarische Frauenbewegung, die Jugendbewegung, Büchergilden, Erwerbslosenbewegung, Pädagogik, Esperanto und der Antifaschismus.

Folgende Zeitschriften waren von größerer Bedeutung:

Die Einigkeit (FVdG) Der Pionier (FVdG) Mitteilungsblatt der Geschäftskommission der FVdG Rundschreiben an die Vorstände und Mitglieder aller der Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften angeschlossenen Vereine (FVdG) Der Syndikalist (FVdG/FAUD) Die Internationale (FAUD) Die Internationale (FFS) Die freie Gesellschaft (FFS) Direkte Aktion (I-FAU/FAU)

Zentrale programmatische Schriften waren und sind:

Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften: Was wollen die Lokalisten? (1911) Rudolf Rocker: Die Prinzipienerklärung des Syndikalismus (1919) Franz Barwich: Die Arbeiterbörsen des Syndikalismus (1923) Freie Arbeiter-Union Deutschlands: Voran! Unser Weg (1932) Ziele und Aufgaben der Föderation freiheitlicher Sozialisten (1949) Arbeitsgrundlage Initiative Freie Arbeiter-Union (1978) Prinzipienerklärung der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter Union

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Eine Übersicht:

Syndikalismusforschung - Einführung

Konflikte und Niederlagen des Syndikalismus:

Konflikte und Niederlagen des Syndikalismus

Helge Döhring (Institut für Syndikalismusforschung), im Mai 2022

Als anarchismus.de Kollektiv haben wir den Beitrag nachträglich gegendert.

Helge Döhring

Helge Döhring, geb. 1972, Historiker und Literaturwissenschaftler, lebt in Bremen. Buchveröffentlichungen zur syndikalistischen und anarchistischen Arbeiterbewegung: „Syndikalismus in Deutschland 1914-1918“ (2013), zum „Anarcho-Syndikalismus in Deutschland 1933-1945“ (2013) und „Organisierter Anarchismus in Deutschland von 1918 bis 1933“ (drei Bände, 2018-2020), sowie zur „Syndikalistisch-Anarchistischen Jugend Deutschlands“ (2011), zu den „Schwarzen Scharen“ (2011); kommentierte Bibliographie zur syndikalistischen Presse in Deutschland (2010). Regionalstudien zum Syndikalismus für Bayern, Baden-Württemberg, Bremen, Ostpreußen, Schlesien und Schleswig-Holstein. Verfasser des Buches „Anarcho-Syndikalismus. Einführung in die Theorie und Geschichte einer internationalen sozialistischen Arbeiterbewegung“ (2017). Mitarbeiter und Mitbegründer des Instituts für Syndikalismusforschung und Mitherausgeber des Jahrbuchs „Syfo – Forschung&Bewegung“.

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