Mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine hat sich das trügerische Gefühl des bürgerlichen Wohlstands, an dem auch die Arbeiter:innenklasse partizipieren könnte, nahezu in Luft aufgelöst. Steigende Preise für Lebensmittel, Energie und Benzin bei gleichzeitig stagnierenden Löhnen, bzw. ‚Lohnerhöhungen‘, die einen Reallohnverlust bedeuten, führen allen vor Augen, dass es keine Sicherheit im Kapitalismus gibt – die immer deutlicheren Auswirkungen der Klimakrise unterstreichen das.
Die Klasse der Ausbeuter und Herrscher versucht mit ideologischer Panikmache wie der Lohn-Preis-Spirale die Menschen ruhig zu halten, umso mehr noch wenn sie die Interessen der Arbeiter:innen gegen die der geflüchteten Ukrainer:innen ausspielt. Der Prozess der Preissteigerung und hierdurch die Verarmung der Massen vollzieht sich zwar offen und wird breit diskutiert, hat aber bisher noch nicht den Grad erreicht, dass es zu größeren Erhebungen oder Protesten gekommen wäre. Ich mag mich irren, nehme aber an, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis diese kommen werden. Die Frage, die wir uns als Bewegung – als Anarchosyndikalist:innen, als anarchistische Kommunist:innen, als klassenkämpferischer Flügel des Anarchismus – stellen müssen ist, wie wir uns darauf vorbereiten, die Kämpfe in emanzipatorische Bahnen zu lenken oder besser noch, sie selbst zu initiieren. Wir sollten uns nichts vormachen, wir sind schlecht aufgestellt und uns gegenüber steht eine Melange aus Querdenkern, Reichsbürgern und anderen Nazis, die bereits über Telegramkanäle und eigene Online-Videoportalen tausende Menschen auf einen ‚Aufstand‘ im Winter vorbereiten. Nun muss man sich angesichts der Trägheit der deutschen Massen und der Repressionsorgane (auch wenn sie nur widerwillig gegen andere als Linke vorgehen) wohl keine ernsten Sorgen um eine Konterrevolution machen. Dennoch: Haben sich reaktionäre Kräfte erst einmal an die Spitze einer aufkommenden ‚Hunger‘- und ‚Kälte‘-Bewegung gestellt, werden diese in der Öffentlichkeit als rechts gelabelt sein und es wird schwierig bis unmöglich einen fortschrittlichen Kurs dort hineinzubringen.
Eine einfache Antwort scheint es nicht zu geben. Ich möchte hier nur Schlaglichter aufzeigen, aus denen sich noch mehr Fragen ergeben.
Ich denke, der Kampf kann/wird sich auf mehreren Ebenen vollziehen, jede bedarf einer eigenen Antwort auf die Frage, wie er geführt werden kann.
Hier scheint noch relativ klar zu sein, wie die konkreten Vorbereitungen aussehen können. Je nach Arbeit und Betrieb ist es mehr oder weniger leicht mit den Kolleg:innen ins Gespräch zu kommen. Es lässt sich direkt über steigende Preise diskutieren und darüber, warum es richtig ist, dass wir für höhere Löhne einstehen. Wir begegnen Menschen, die wir kennen, die uns im besten Fall vertrauen, uns und unsere Meinung schätzen. Ein erster Schritt nach dem Austausch kann sein, kollektiv die Forderungen nach Kompensationszahlungen zu erheben. Hierbei ist es egal, ob wir im Einzelhandel, dem Gesundheits- und Sozialsystem, einer Fabrik oder der Uni tätig sind. Es ist auch egal, ob es einen Betriebsrat gibt. Scheuen die Kolleg:innen Repressionen, wenn sie die Forderungen vortragen, ist es Sache der Revolutionär:innen dies zu tun – auch wenn Hannes Wader sagte, zu den SprecherInnen werden immer die Naivsten oder die Dümmsten, sollten wir die Gefahren bewusst in Kauf nehmen. Schutz und besondere Hilfestellung können hierbei insbesondere die FAU, die IWW aber auch Vereine wie Aktion Arbeitsunrecht bieten. Haben wir eine kollektive Forderung aufgestellt und wurde sie ignoriert oder wird sie bekämpft, ergeben sich hieraus automatisch weitere Möglichkeiten kollektive direkte Aktionen durchzuführen. Vom Streik einmal abgesehen, sind eine Vielzahl von Aktionen denkbar. Sabotage der eigenen Arbeit, Bummelstreiks, Transpiaktionen im Betrieb etc. Ich würde hier insbesondere die FAU in der Pflicht sehen, von ihrer derzeitig vorherrschenden Taktik abzusehen, dass jedes Syndikat zwar eine ‚gewerkschaftliche Beratung‘ anbietet, sich die Mitglieder aber im eigenen Betrieb nicht rühren. Selten waren die Chancen für breit angelegte Arbeitskämpfe besser. Anarchosyndikalist:innen müssen sie aktiv führen! Fragen ergeben sich für mich vor allem im Punkt der Vermittelbarkeit. Wie erklären wir leicht verständlich, dass es uns zusteht, aufgrund der steigenden Preise höhere Gehälter zu verlangen, wie legen wir dar, dass die Bosse nicht genauso wie wir unter den Preissteigerungen leiden und dass wir nicht alle ‚in einem Boot‘ sitzen? Wie erklären wir am besten, dass der Arbeitsplatz der richtige Kampfplatz ist?
Unabhängig davon, ob wir arbeiten oder nicht, studieren oder nicht, zur Schule gehen oder nicht, können wir uns in unserer Nachbarschaft mit den uns dort umgebenden Menschen – also unseren Nachbar:innen – organisieren. Es gibt gute Beispiele aus den letzten Jahren, wie eine basisdemokratische Stadtteilarbeit aussehen kann, Bergfidel solidarisch (aus Münster) oder Wilhelmsburg solidarisch (aus Hamburg) zeigen dies. Nur uns fehl die Zeit in der aktuellen Krise wie die Genoss:innen aus Münster von Tür zu Tür zu gehen, die Problemlagen der Menschen zu erfassen, auszuwerten, Kontakte zu knüpfen und Vertrauen aufzubauen. Dafür haben wir immerhin klar, wo die künftigen Probleme liegen werden: Steigende Heizkosten, steigende Lebensmittelpreise usw. Hinzu kommt der Antagonismus zwischen Vermieter:innen und Mieter:innen. Aber wie schaffen wir es möglichst schnell eine Nachbarschaft zu organisieren, zu der wir möglicherweise vorher nur wenig bis keinen Kontakt hatten? Was ist der richtige Weg? Eine Versammlung auf einem öffentlichen Platz (sofern überhaupt vorhanden) einberufen um gemeinsam zu beraten? Flyer verteilen? Plakatieren? Und wie vermitteln wir den Menschen, dass ihr Wohnraum/Viertel/Stadtteil der Platz ist, an dem sie sich zur Wehr setzen? Wir brauchen einen klaren Fahrplan. Oder zumindest ausgearbeitete Ideen, die wir erproben können. Und was machen Menschen, die nicht im Szeneviertel leben, also eine Nachbarschaft alleine ohne Mitstreiter:innen organisieren wollen/müssen?
Ich habe keine Antworten, nicht einmal besonders viele Anregungen zu den Fragen. Festhalten lässt sich meiner Meinung nach, dass es gut wäre, wenn zumindest die bereits vorhandenen organisierten Nachbarschaften, wie die oben genannten oder auch die Kiezkommune Wedding (Berlin), das Thema Preissteigerungen auf ihre Agenda setzen würden (was sie mit Sicherheit auch tun). Abseits davon, ließe sich vielleicht noch mit den anderen Mieter:innen im Haus ins Gespräch kommen, ob nicht die kollektive Forderung nach Solarplatten am Haus erhoben werden könnte oder eine gemeinschaftliche Nutzung von Gärten einzufordern – hier ließe sich das Thema Mieten/Eigentum mit den Themen Ökologie und Klimakrise verbinden (und auch wiederum mit Preissteigerungen, da ein Garten auch bewirtschaftet werden kann – Lebensmittel werden ebenfalls teurer).
Nicht wenige aus unserer Bewegung studieren, aber nur wenige sehen die Universität als politischen Kampfplatz. Es gibt immer noch starke linke Strukturen an vielen Unis, linksdominierte ASten, selbstverwaltete Räume etc. Die Lage der Studierendenschaft hat sich während Corona bereits enorm verschärft, die angekündigte Bafög Erhöhung wird angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten keine Entlastung bringen. Unsere studierenden Genoss:innen könnten versuchen ein Bewusstsein in der Studierendenschaft dafür zu wecken, sich kollektiv an der Uni dagegen zur Wehr zu setzen. Viele Fragen sind dabei offen. Sollte man es mit den offiziellen Strukturen wie den ASten (sofern diese hierfür offen sind) versuchen oder ohne sie? Mit Hochschulgruppen – gerade jenen, die Parteien nahestehen – oder nicht? Welche Aktions- und Agitationsformen sind zu wählen? Wie kann vermittelt werden, dass die Uni ein Kampfplatz und kein a-politischer Ort ist? Anregungen könnte die Geschichte des Studierendenstreiks in Quebec 2012 geben. Hier begriffen sich die Studierenden dezidiert als Arbeiter:innen und Intellektuelle gleichermaßen, gründeten eine Gewerkschaft und arbeiteten auch mit der IWW zusammen.
Vereine sind eine nicht zu unterschätzende Organisationsstruktur in Deutschland. Nicht wenige von uns sind selbst Mitglied in einem Verein. Sie schaffen Orte an denen Teils sehr unterschiedliche Menschen zusammen kommen, sich auf einem gemeinsamen Nenner einigen, sich durch die gemeinsamen Aktivitäten einander annähern – nicht selten bilde sie eine wesentliche Sozialstruktur für Menschen. Diejenigen von uns die aktiv an einem Vereinsleben teilnehmen – egal ob Sport- Kultur- oder irgendein anderer Verein – sollten dieses Netzwerk nutzen. Sie sind in einem Rahmen eingebunden, in dem sie mit Menschen, die teils ganz anders als sie selbst sind, zusammenkommen und Gemeinsamkeiten finden. Das kann eine hervorragende Basis für eine politische Annäherung und Agitation bilden. Die Frage ist hier jedoch ebenfalls – wie vermittelt man, dass der Rahmen des Vereins eine politische Struktur sein kann, bzw. dass sich der Verein politisch positionieren sollte? Geben dies überhaupt alle Vereinsstrukturen her? Ist es möglicherweise nur ein Ort an dem für andere Strukturen geworben werden kann (was schon jede Menge ist!)? Klar ist jedenfalls, dass ein Verein, der über Infrastruktur verfügt und sich aus Mitgliedsbeiträgen finanziert, zumindest mittelbar die Folgen der Krise spüren wird. Die Kosten für das Vereinsheim steigen, während die Mitglieder weniger Geld haben, ggf. ihre Beiträge nicht mehr zahlen können. Hier kann sich schnell eine existenzielle Notwendigkeit ergeben, sich politisch zu positionieren. Wie könnten wir hier intervenieren, damit keine sozialdemokratischen Forderungen erhoben werden?
Ein wichtiges Mittel können Demonstrationen sein – wir können mit ihnen eine breite Öffentlichkeit erreichen, wenn wir es richtig anstellen. Wie mobilisieren wir zu Demos? Wie schaffen wir es, dass wir nicht nur mit unseren Genoss:innen auf die Straße gehen, sondern Menschen über unsere eigenen Kreise hinaus mit uns auf die Straße gehen? Zumindest thematisch sollte es einfacher sein, Menschen für eine Demonstration gegen Preissteigerungen zu interessieren, als für eine Demo für irgendwas mit Anarchismus. Ich denke, dass es sinnvoll sein könnte, bei der Mobilisierung auf altgediente Mittel zurückzugreifen. Infostände machen und Flyer verteilen. Mit Menschen ins Gespräch zu kommen und sie ggf. zu überzeugen, mit uns auf die Straße zu gehen, sollte – wie gesagt – bei dem Thema durchaus möglich sein. Aber hilft es, wenn wir einzelne, isolierte Demos veranstalten? Wahrscheinlich nicht. Wenn wir versuchen wollen, einen kontinuierlichen Protest zu schaffen, aus denen eine breite Bewegung erwachsen kann, sollten wir uns von vorneherein darauf einstellen, am besten wöchentliche Demos oder Kundgebungen zu veranstalten. Sollten wir die ersten Wochen dabei unter uns sein, gilt es, sich nicht dadurch entmutigen zu lassen, sondern zu versuchen, die Propagandatätigkeiten auszuweiten. Wir haben inzwischen bei verschiedenen dubiosen und faschistischen Protesten gesehen, dass es eine Weile brauchte, bis sie anwuchsen, nicht nur weil die faschistische Propaganda so gut gegriffen hätte, sondern auch weil sie die einzigen waren, die kontinuierlich ein Thema auf die Straße brachten. Das sollten wir bei der kommenden Krise nicht zulassen.
Die wenigen derzeitigen Versuche den Protest zu organisieren, zeigen auch, dass entweder der Unmut in der Bevölkerung noch nicht besonders groß ist oder die Menschen nicht von uns erreicht werden. Zu einer frühzeitig organisierten Kundgebung im Ruhrpott kamen nur Wenige, vor einigen Tagen waren es in Bremen bereits 100 Menschen. Die Twitter-Kampagne #IchBinArmutsbetroffen, könnte hier auch weiteren Auftrieb verschaffen.
Massen werden heute von rechts über Telegram mobilisiert. Wir können natürlich nicht die faschistische Propaganda übernehmen, aber wir können uns fragen: Können wir ebenfalls unsere Inhalte in Telegram-Gruppen und Kanälen so schnell verbreiten? Was müssen wir tun, um mehr Menschen in unsere Gruppen zu bekommen? Lässt sich aufgrund von Algorithmen nur faschistische Propaganda besonders gut online verbreiten oder gibt es Wege, wie wir dies bei Telegram, Twitter, Instagram usw. auch können? Sollten wir zu dem Schluss kommen, dass wir es zumindest verstärkt versuchen wollen, sollten wir uns über das „Wie“ im klaren sein. Was brauchen wir? Menschen die Inhalte erstellen, Memes machen usw.; Menschen die Gruppen gezielt bespielen, verwalten und moderieren; Inhalte müssen auf ein Mindestmaß verkürzt werden, ohne dabei ihre Bedeutung zu verlieren und bestimmt gibt es noch viel mehr. Aber das Internet ist nicht das wirkliche Leben. Wenn ein Hashtag bei Twitter trendet, ist noch nichts erreicht (auch bei dem oben erwähnten ist das nicht ausgemacht, sondern lediglich eine Hoffnung). Menschen mit runter gebrochener (damit in Social Media konsumerabler) Propaganda zu füttern ersetzt kein ernsthaftes Gespräch.
Wie immer scheint eine Antwort zu sein, dass wir vereinzelt nicht viel erreichen werden. Wie verbinden wir aber die einzelnen Bereiche, Organisationen und Kämpfe miteinander? Eine mögliche Antwort könnte sein, dass sich ein gemeinsames Label etabliert, unter welches wir all diese (möglichen) Proteste stellen. Wichtig wäre sicher, dass die größeren organisierten Strukturen – wie die FAU oder die Plattform – dieses mittragen. Es sollte nicht beliebig sein, gleichzeitig aber so offen, dass sich die bereits organisierten Nachbarschaften oder Kampagnen wie ‚Wer hat, der gibt‘ darunter ebenfalls einfinden können. Social-Media-Kanäle könnten unter dem gemeinsamen Label laufen (mit je regionalen Ablegern) und hier einen Wiedererkennungseffekt schaffen. Die Themen werden überall dieselben sein, die Frage nach der Vermittelbarkeit unserer Antworten und wie wir die Probleme aus unserer Sicht schildern, könnte sich in einem Bündnis ggf. besser lösen lassen. Wie schaffen wir es so etwas zu initiieren? Macht eine weitere Debatte über Beiträge wie diesen Sinn? Braucht es eine Konferenz oder ähnliches? Sollten wir Komitees für eine Kampagne bilden? Wie schaffen wir es uns selbst und unsere GenossInnen zu mobilisieren, wirklich aktiv zu werden – am Arbeitsplatz, im Betrieb, in der Nachbarschaft oder zu klassisch aktivistischer Tätigkeit wie Flyer verteilen und jeden (z.B.) Freitag auf dem Marktplatz zur Kundgebung kommen?
Ich möchte noch einmal die Dringlichkeit zu handeln unterstreichen. Wenn wir nicht jetzt beginnen, uns gemeinsam für die kommenden Krisenproteste vorzubereiten, zu organisieren und zu agitieren, werden diese von rechts kommen und uns gehörig um die Ohren fliegen. Wir haben keine Zeit und erst recht keine zu verlieren!