Unser größtes Hindernis ist, dass wir unsere eigene Stärke nicht kennen. CrimetInc.
Die Distanz zur Straße wird euch irgendwann einholen. Unsichtbares Komitee
Die heiße Phase hat begonnen. Überall steigen die Preise. Die vom Staat organisierten Entlastungen zielen auf alle ab und meinen letztlich nur wenige. Erst kürzlich wurde es offen ausgesprochen: Unternehmen sollen nicht vor der Insolvenz geschützt werden, sie sollen Gewinne erwirtschaften können. Profitmaximierung als Naturgesetz. Die Kosten dafür tragen weite Teile der Bevölkerung, die zunehmend schauen müssen, wie sie im Monat über die Runden kommen. Und dabei ist die Gasumlage noch nicht einmal in Kraft getreten. Der tatsächliche soziale Kahlschlag steht noch bevor.
Und wieder einmal wird der Einzelne in Lebensstilfragen beraten und die hohe Kunst des kalten Duschens gelehrt. Alternativ muss auch der Waschlappen reichen. Die Hohepriester der Moral sorgen für den Überbau und wähnen die Gesten als notwendige Solidaritätsadresse im Krieg. Doch hört man von diesen Aufrechten wenig zur kleinkarierten Rechnerei bei sinnvollen Entlastungen, wie Erhaltung oder Modifizierung des 9-Euro-Ticket, Übergewinnsteuer, Abschaffung von Dienstwagenprivilegien oder eben gezielte Hilfe. Es betrifft sie nicht, daher das Schweigen. Schweigen auch über all die Privilegien im Leben eines Spitzenpolitikers. Panik und Angst werden als Gratismentalität diagnostiziert. Und das heilige Auto genießt weiterhin Sonderstatus in Deutschland. Es ist so perfide, doch überrascht es nicht.
Seit einigen Monaten wird vom Verfassungsschutz und aus der Politik vor Unruhen, gar Volksaufständen, gewarnt. Natürlich ist von derweil Prognosen in ihrer Schärfe wenig zu halten. Von „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“ ist in Deutschland schnell die Rede, wenn auch nur eine Mülltonne kurz einen anderen Gebrauchswert aufweist als die bloße Entsorgung. Woanders spricht man hingegen von einem „friedlichen Verlauf“. Schwieriger gestaltet sich die vorschnelle Etikettierung der möglichen Massenproteste als politisch rechts, was bereits erste Spuren hinterlässt. So verweist ein linksliberales Milieu auf den Hauptfeind in Russland, weswegen jede Art Protest gegen Energiepreiserhöhungen gegen die deutsche Regierung ein Sieg für Putin seien. Eine weniger zugespitzte Variante hält Proteste prinzipiell für wichtig, aber ist vielmehr mit Abgrenzung beschäftigt und orientiert sich eher am Geschehen der Rechten. Andere halten sich an Detailfragen auf, wie der Bezug auf Montagsdemos. Alle Analysen sind falsch und gilt es zu hinterfragen, wenn wir nicht schon wieder ohnmächtig der Krise hinterher laufen wollen.
Gerade der Startschuss einer Krise muss die Weichen stellen für die zukünftige Debatte und realen Auswirkungen. Im Laufe von Protesten wird es zunehmend schwerer eigene Standpunkte zu vermitteln, wenn andere Aspekte bereits dominierend sind und in eine vollkommen falsche Richtung gehen. Die fehlende Relevanz eigener Positionen gegenüber autoritären Maßnahmen während der Corona-Maßnahmen gibt Zeugnis davon ab. Es blieb beim wirren Schaulaufen mit Grundgesetz oder Klangschale in der Hand. Schlimmer noch: die Fokussierung auf Gegenprotest führte unmittelbar zur Verteidigung der Staates, fern aller Grautöne. Das gilt es in der gegenwärtigen Krise zu vermeiden.Und der erste Aufschlag läuft bereits ganz gut. Wirtschaftsideologe Lindner verstrickt sich in plumpen Anschuldigen gegen „linkes Framing“, wenn öffentliche Auftritte sabotiert und vor FDP- Zentralen demonstriert werden. Das Bremer Bündnis gegen Preiserhöhungen erhält ein ungewöhnlich breites mediales Echo im Fernsehen und Radio. Gleichzeitig steigt die Anzahl der Teilnehmenden an den Kundgebungen. Und auch in anderen Städte werden erste Aktionen verkündet.
Demgegenüber fristen rechte Proteste bislang ein Schattendasein. Sie werden eher diskutiert als real umgesetzt. Doch wird sich das mit großer Wahrscheinlichkeit ändern. Im Sommerinterview des MDR kündigte bereits AfD-Fascho Höcke eine Kampagne mitsamt Großdemo am 8. Oktober in Berlin an. Die Forderungen sind klar: Aufhebung der Sanktionen gegen Russland und Verlängerung der Atomkraftwerke. Von Umverteilung nichts zu hören. Soziale Gerechtigkeit bedeutet bei der AfD seit Anbeginn ein Festhalten am Status Quo. Nicht ohne Grund verbindet die Partei in Fragen des Sozialstaats und der Wirtschaftspolitik die größte Übereinstimmung mit der FDP. Es ist schon seit Beginn des italienischen Faschismus ein Irrglauben, dass über das nationalistische Ticket ohne Benennung der Klassenunterschiede eine allgemeine Gerechtigkeit vorherrschen kann. Das Gegenteil ist der Fall. Es muss vielmehr von einer Art Ständeordnung die Rede sein bei der Monsieur Kapital und Klerus weiterhin die Zügel in der Hand halten. Schicksalsgemeinschaft eben. Und es waren eben klassenbewusste Proletarisierte, die das Ende von Mussolini einleiteten. Gleiches gilt für die Verhinderung des Kapp-Putsch. Mit der Wissenschaft der Geschichte und der Benennung von neoliberaler Realpolitik bricht man einer AfD eher das Genick als mit moralischen Appellen.
Die ersten linken Aktionen waren nicht von öffentlichen inneren Debatten geprägt. Ein anderes Bild gestaltet sich für den 5. September in Leipzig, welches eine gute Zurschaustellung all der Ambivalenz zum Inhalt hat. Ein LINKE-Politiker, welcher dem Wagenknecht-Lager zugerechnet werden kann, organisiert eine Demo und will bewusst an die Montagsdemos gegen Sozialabbau von 2004 anknüpfen. Der Aufruf lässt Stellungnahmen zu Sanktionen gegen Russland raus und stellt die ungleichen Sparmaßnahmen hierzulande in den Vordergrund. Mit Gregor Gysi ist überdies ein weiterer LINKE-Politiker angekündigt, dem eine fehlende Haltung zum Krieg und auch zu Positionen des Wagenknecht-Lagers nicht unterstellt werden kann. Doch möchte ich mich nicht mit den Problemen einer Partei auseinandersetzen, wo doch die Umwälzung der Verhältnisse in anderen Händen liegt.
Früh schon gab es Kritik und Distanzierung zur Demo. Spätestens seit PEGIDA sei der Montag von rechts vereinnahmt und man fühlte sich letztlich bestätigt als das rechtsradikale Compact-Magazin und die Freien Sachsen zur Teilnahme aufriefen. Auch verbiete sich eine Teilnahme an so einer Demo aufgrund der fragwürdigen Standpunkte des Anmelders und manche hielten bereits Gegenprotest für die einzig richtige Reaktion.
Das Szenario ist bezeichnend für eine linksradikale Szene, die seit Jahren über fehlende Relevanz trauert, den Bezug zu sozialen Kämpfen weitestgehend verloren hat, aber beständig „Solidarität“ als Antwort auf alles wissen möchte. Hinzu kommt das Mantra bei antifaschistischen Aktionen nicht nur „Feuerwehrpolitik“ betreiben und selbst in die Offensive kommen zu wollen. So schön der Aufschlag ist (und ich bin gespannt und freue mich über die Initiative), aber ein Aufruf für eine Montagsdemo mit dem Titel Die Themen nicht den Nazis lassen – Lieber solidarisch als brutal arisch am 29. August lässt einiges vergessen, was zuletzt diskutiert wurde.
Zumal die Sorge um eine der vielen Szene-Demos mit den immergleichen ein paar hundert Leuten bleibt. Dabei wäre Intervention da angebracht, wo auch Druck auf Mindeststandards durch Anwesenheit und eigene Standpunkte möglich ist. Eine Querdenker-Demo mit offenen Armen für Nazis und Hools ist etwas anderes als eine von Linken organisierte Demo, wo sich widerliche Gestalten angekündigt haben. Bereits jetzt die Auseinandersetzung zu scheuen, wäre fatal. Es ist doch deutlich mehr gewonnen, wenn beide Demos eine klare Kante zeigen.
Frankreich kann hierbei inspirieren. Weniger bei Nuit Debout 2016, weitaus stärker bei den Gelbwesten 2018 war eine rechte Teilnahme präsent. Eine entschlossene Gegenwehr sorgte im weiteren Verlauf jedoch dazu, dass viele Demos eine universelle, klassenbewusste Position vertraten. Dem beliebten Slogan „Nazis boxen“ folgten Taten. Und natürlich waren die riesigen Demos auch von der Masse der reformistischen Gewerkschaften geprägt (was vereinzelt zu Auseinandersetzungen mit Ordnern führte), aber es war letztlich diese Melange die den Staat tatsächlich Schweißperlen auf die Stirn trieb. Ein Umstand, wovon viele reine, linksradikale Demos nur träumen können.
Insofern: Keine Konfrontation scheuen. Austausch und Komplizenschaft, wo es geht. Ausschluss und Feindschaft, wo es nicht geht. Die Zukunft denen, die sie erkämpfen.