Anmerkung vom anarchismus.de Kollektiv: Ein paar Worte vorweg zu dem LIDL Konzern und anarchistischen Organisation Rouvíkonas von uns. LIDL ist von den Filialen her der größte Discounter-Konzern der Welt. Auch unabhängig von der Schweinerei, auf die Rouvíkonas reagiert hat, ist dieser Konzern Teil der Ausbeutung und Verelendung unserer Klasse im Bereich der Lebensmittelversorgung. Rouvíkonas ist eine militante anarchistische Organisation, die in Griechenland immer wieder mit spektakulären Aktionen aufsehen erregt. Unser Autor Ralf Dreis hat in der Vergangenheit mehrere Artikel von Rouvíkonas übersetzt und auch über die Organisation selbst geschrieben. Hier könnt ihr zwei dieser Artikel nachlesen: http://www.schattenblick.de/infopool/medien/altern/gras1839.html und https://www.fau.org/artikel/art_170203-170550
Vor wenigen Stunden betrat eine alte Frau eine Supermarktfiliale des bekannten multinationalen Konzerns Lidl und nahm sich Nahrungsmittel, die sie nicht bezahlen konnte. Dies wurde von Angestellten bemerkt, welche die Frau festhielten und die Polizei verständigten. Sowohl die übrigen Kund:innen im Supermarkt und sogar die hinzugerufenen Bullen forderten den Filialleiter von Lidl wiederholt auf, keine Anzeige zu erstatten. Der jedoch berief sich auf die geltenden Anweisungen und die zu befolgende Politik des Lidl-Konzerns in solchen Fällen, und erstattete trotz aller Proteste Anzeige. Die alte Frau wurde festgenommen.
Ganz abgesehen von der Wut und Empörung, die diese Tatsache an sich hervorruft, wollen wir einige Anmerkungen dazu an die Bevölkerung richten: Die Frau, die sich die Nahrungsmittel nahm, tat das, was augenscheinlich in Zukunft eine Menge Leute unserer Klasse werden tun müssen. Trotz aller Anstrengungen und trotz lebenslanger Arbeit sind sie an ihrem Lebensabend nicht in der Lage mit Würde zu Überleben. Es macht an diesem Punkt keinerlei Sinn auf das menschliche Antlitz des Staatsapparrates zu hoffen. Denn das gehört nicht zu seinen Aufgaben. Noch weniger Sinn macht es, von einem multinationalen Konzern Mitgefühl zu erwarten. Mitgefühl bringt kein Geld, erwirtschaftet keinen Profit. Wir sagen, dass wir uns von einem System befreien müssen, das Menschen im Alter dazu zwingt, für ein Stück Brot zu Dieben und Diebinnen zu werden. Es klingt abgedroschen, ist es aber leider nicht. Sogar in einem westlichen Land im Jahr 2022 bleibt der wichtigste Kampf derjenige, eine Gesellschaft zu erschaffen, in der kein Mensch gezwungen ist zu stehlen, um zu essen.
Letztendlich wurde die Anzeige von Lidl nach Intervention des bekannten Regierungsclowns Ádonis Georgiádis zurückgezogen. Erst die „persönliche Einmischung“ des „Herrschers“ brachte den Konzern dazu, das offensichtliche zu akzeptieren. Es handelt sich hier um den gleichen kommunikativen Trick, den Regierungschef Mitsotákis vor zwei Wochen anwendete, als er den vom Schnee in ihren Autos auf der Athener Stadtautobahn Eingeschlossenen Entschädigungen versprach. Es ist die Politik so genannter Erretter und „Beschützer der Schwachen“ durch die Privilegierten und „Prinzen“ und zwar immer nur dann, wenn viele beginnen sich zu empören. Überzeugt wird durch die kommunikative Verarschung niemand mehr, wer sich ihrer und warum bedient ist sonnenklar. Denn auch wenn die Tatsache erfreulich ist, dass die arme alte Frau um eine Gerichtsverhandlung und eine Verurteilung wegen des Diebstahls von Lebensmitteln im Wert weniger Euro herumkam, bleibt das eigentliche Problem bestehen. Was wird die Frau morgen essen? Wie werden zehntausende, wenn nicht hunderttausende „alte müde Ackergäule“ unserer Klasse überleben?
Was die elenden Gestalten von Lidl betrifft, die Inhaber und leitenden Angestellten, so möchten wir die daran erinnern, dass sie zwar gegenüber Lebensmittel stehlenden Großmüttern unerbittlich sein können; dass es jedoch auch andere Menschen hier draußen gibt, gefährlichere als arme alte Omas, und dass es deren Politik ist, mit direkten Aktionen und ganz praktisch auf jede Klassenschweinerei zu reagieren.
Rouvíkonas 18.02.2022 Übersetzung: Ralf Dreis