Heute finden in Spanien Parlamentswahlen statt. Wenn man den Wahlprognosen glauben schenken kann, dann stehen die Chancen nicht schlecht, dass sie nach Polen, Ungarn und Italien die nächste extrem rechte europäische Regierung ins Amt spülen werden. Diesen düsteren Aussichten sind sich auch die Anarchist:innen vor Ort bewusst. Wir haben die Erklärung der katalanischen anarchistischen Organisation Embat zur Wahl übersetzt, welche am 19. Juli veröffentlicht wurde.
Wir befinden uns mitten in einem neuen Wahlkampf, in dessen Verlauf erneut über die Regierung des spanischen Staates abgestimmt wird. Die Besonderheit dieser Wahl besteht darin, dass es nicht unwahrscheinlich ist, dass am Ende daraus eine gemeinsame Regierung der Partido Popular (Anmerkung der Übersetzung: konservative, christdemokratische "Volkspartei") und der VOX (Anmerkung: 2013 gegründete, extrem rechte Partei) hervorgehen wird, die Menschen mit linken Überzeugungen Angst macht. Trotz der Bildung von SUMAR als Wahlbündnis politischer Kräfte links von der PSOE (Anmerkung: dem Namen nach sozialistische, aber in Wahrheit sozialdemokratische Partei) ist Pedro Sánchez (Anmerkung: aktueller spanischer Ministerpräsident der PSOE) die Schlüsselfigur.
Seine Wahl des Wahltermins (Anmerkung: Der Termin wurde von der Regierung aufgrund schlechter Ergebnisse bei zurückliegenden Regional- und Kommunalwahlen vorgezogen.) verdrängte den politischen Raum der parlamentarischen Linken, die schnell ein Bündnis schmieden musste, das aufgrund der enormen toxischen Personalismen nach außen hin das Gefühl vermittelt, unnatürlich und zu internen Kämpfen verurteilt zu sein.
Der Grund für diesen Artikel ist jedenfalls der Aufstieg des Faschismus zur Macht. Wer soziale Netzwerke und die Kommuniqués libertärer Organisationen verfolgt, wird keine allzu große Besorgnis erkennen. Schließlich wird die Politik, die der Faschismus verfolgt, wenn er an die Macht kommt, sogar von PSOE-Regierungen in die Tat umgesetzt. Es ist nicht so, dass wir uns keine Sorgen darüber machen, dass jemand, der an die Macht kommt, unsere eigene Existenz bedroht, das tun wir. Was passiert, ist, dass wir keinen Grund haben, uns auf die Seite ihrer Gegner:innen zu stellen: Unser politischer Vorschlag besteht darin, die Menschen zur Selbstorganisation zu befähigen und die parlamentarische Linke bremst diese notwendige Selbstorganisation von unten.
Und noch mehr zu diesen Zeiten: Wir müssen uns daran erinnern, wer den Faschismus gestoppt hat, als er am 18. und 19. Juli 1936 wirklich vor der Tür stand: die Massenorganisationen mit den Anarchist:innen vorneweg. Dieser „Wolf“, den sie zum Schulterschluss mit ihrer gewohnten sozialliberalen Politik nutzen wollen, wird uns nicht in die Falle tappen lassen.
Die Regionalwahlen vom 28. März waren ein Schock in Katalonien. Regierung von Partido Popular und VOX in der Region Valencia, 150.000 Stimmen für VOX, Einzug der Front Nacional de Catalunya (Anmerkung: rechtsradikale, nationalistische katalanische Organisation) in einige Stadträte und die Bürgermeisterschaft von Sílvia Orriols (Anmerkung: Politikerin der extrem rechten "Aliança Catalana") in Ripoll.
Es versteht sich, dass dieser neue Aufstieg der rechtsextremen Politik Teil eines globalen Prozesses oder vielmehr des Westens ist. Es ist niemandem entgangen, dass ein Teil der Wirtschaftseliten undderjenigen, denen bestimmte Zweige des Staatsapparats (z.B. die Justiz oder die Polizei) unterstehen, kein Interesse an Demokratie hatten. Sie waren Demokrat:innen, solange sie davon profitierten.
Doch die Krise von 2008 zerstörte den Konsens zwischen der parlamentarischen Rechten und der Linken. Für diesen Teil der kapitalistischen Elite ergab die Demokratie keinen Sinn mehr. Daher entschieden sie sich für andere Wege. Hier trat die populistische Rechte durch die große Tür in Erscheinung, eine Art modernere extreme Rechte, da sie Aspekte anwendet, die für die alte Ultrarechte nicht typisch waren.
Deshalb ist die extreme Rechte in unserem Land eher populistisch (ultrakonservativ, mit katholischen Wurzeln, neoliberal, antifeministisch, traditionalistisch, nationalistisch usw.) als faschistisch. Faschismus hat eine Konnotation von Militarismus, die diese extreme Rechte nicht so sehr zeigt, obwohl sie eine starke Basis innerhalb solcher Strukturen hat. Vielleicht, weil die extreme Rechte das jetzt nicht braucht, weil sie danach strebt, den Staat mit legalen Mitteln zu übernehmen.
Das bedeutet nicht, dass es keine echten Faschist:innen gibt. Wie die Nachrichten zeigen, wird hin und wieder irgendwo in Europa oder Amerika eine Terrorzelle mit einem beträchtlichen Waffenarsenal verhaftet. Auf ihre Weise bereiten sie ihre Revolution vor, es sind die ungeduldigsten Zweige der extremen Rechten.
Der Rechtspopulismus teilt mit dem Faschismus das Bedürfnis nach einer mobilisierten sozialen Basis. Sie tun dies mit Hasskampagnen, mit nationalistischen Kampagnen oder direkt mit verschwörungsideologischen Reden. Hasskampagnen konzentrieren sich darauf, verschiedene Menschen anzugreifen: Einwanderer:innen, LGBTI-Personen, ethnische und nationale Minderheiten, politische und soziale Bewegungen, die sich ihnen widersetzen: Feminist:innen, Unabhängigkeitsbefürworter:innen (Anmerkung: Damit sind die Anhänger:innen regionaler Unabhängigkeitsbewegungen im spanischen Staat gemeint.), Anarchist:innen, Kommunist:innen, Antifaschist:innen und sogar Sozialdemokrat:innen. Die demagogische Förderung von Angst- und Hassgefühlen dient dem Aufbau dieses kollektiven "Feinds des Vaterlands", der einer vielköpfigen Hydra gleicht. Der Feind sind wir, ein Sündenbock, der die gesamte Bevölkerung diszipliniert.
Wenn wir das verstehen, wird uns klarer, warum die parlamentarische Ultrarechte Botschaften aussendet, die aus einer Höhle zu kommen scheinen. Sie heben Gesetze auf, die Rechte garantieren, um Entmutigung zu säen und den Widerstandswillen zu zerstören. Sie wollen uns die Tür zeigen: Innerhalb Spaniens gibt es nichts zu tun, wer anders leben möchte, soll ein Flugzeug nehmen.
Dies wird eine Regierungsform sein, die wir in den kommenden Jahren in einigen Staaten sehen werden (und wir haben Beispiele dessen in Ländern wie Polen oder Brasilien gesehen), die auf der Beschneidung der Rechte der Arbeiter:innenklasse und dem Schutz der Privilegien der Elite und ihrer Unterstützer:innen basiert. Es sind diese Menschen, die den ökosozialen Übergang der kommenden Jahrzehnte diktieren und mit Knappheit und der Klimakrise konfrontiert sein werden. Ehrlich gesagt sieht es nicht gut aus.
Aber wir wollen nicht das Gefühl hinterlassen, dass es nichts zu tun gibt. Im Gegenteil. Wir wissen bereits, dass der Kapitalismus eine Welt in Trümmern hinterlassen und sogar das Überleben des Planeten gefährden wird. Wir verstehen, dass die Alternative eine soziale Revolution und der Aufbau einer Gesellschaft ist, die die Herrschaftsstrukturen beseitigt hat, die eine kollektivierte Wirtschaft aufgebaut hat, die im Konföderalismus und der freien Vereinigung lebt, die in der Lage ist, sich zu verteidigen und die eine kulturelle Hegemonie im Einklang mit unserem libertären Kommunismus hat.
Utopie ist der Glaube, dass der Kapitalismus die Welt nicht zerstören wird. Aber der Aufbau eines libertären Kommunismus erfordert ein Engagement für das Leben und die Zukunft. Es gibt kein Dazwischen.
Dieses Engagement für den Aufbau einer libertären sozialistischen Utopie erfordert notwendigerweise die Stärkung aller Strukturen von unten, die dazu dienen, eine politische Kultur des Engagements und der Autonomie für dieses gesellschaftliche Projekt zu manifestieren. Das ist das grundlegende Mittel, nicht nur um den Faschismus zu stoppen, sondern auch um den Kapitalismus zu zerstören, bevor er uns eine Welt zurücklässt, in der wir nicht mehr leben können. Um dies zu artikulieren, halten wir es für notwendig, die Organisationen zu stärken, die mit ihren Strategien, Taktiken und Programmen auf diese libertäre sozialistische Utopie hinweisen, die notwendiger denn je ist.
Hoch mit denen, die kämpfen!
Lasst uns kämpfen, um zu gewinnen!
Es lebe der Kampf der Menschen von unten!
Es lebe der libertäre Kommunismus!
Embat, Libertäre Organisation Kataloniens, Juli 2023