Interview mit der Libertären Aktion Bern


die plattform - anarchakommunistische Foederation
Interview Bern Libertäre Aktion

Während in Deutschland Plattformismus und Especifismo als anarchistische Strömungen erst in den letzten Jahren bekannter geworden sind, gibt es in anderen europäischen Ländern plattformistische beziehungsweise especifistische Organisationen mit längeren Traditionen. Um die Auseinandersetzung mit der Praxis und den Perspektiven zu intensivieren, haben wir begonnen, Interviews mit unseren europäischen Schwesterorganisationen zu führen. Dadurch wollen wir selber einen Einblick in die Arbeit und Organisierung dieser Gruppen gewinnen, diese aber auch zur weiteren Auseinandersetzung mit anarchistischer Organisierung teilen. Hier präsentieren wir euch das erste Interview mit der Libertären Aktion Bern aus der Schweiz. Viel Spaß damit!

Die Plattform (DP): Wie sieht die Geschichte des Plattformismus in eurer Region aus und wie hat sich eure Organisation daraus entwickelt?

Libertäre Aktion (LA): In Bern gibt es keine Tradition des Plattformismus/Especifismo. Die einzigen uns bekannten Organisationen in der Schweiz, die sich darauf beziehen, sind die Libertäre Aktion Winterthur (LAW) und die Organisation Socialiste Libertaire (OSL) in Biel/Bienne und Lausanne. Letztere können die Tradition des Especifismo in der französischen Schweiz für sich beanspruchen, die Organisation existiert seit 1983. Zudem existiert aber seit zwei Jahren auch ein Ableger der Union Communiste Libertaire (UCL) aus Frankreich in der Westschweiz, der sich im Aufbau befindet.

DP: Wo seid ihr in eurer Region vertreten?

LA: Wir sind keine Föderation und sind nur in Bern und Umgebung aktiv.

DP: Wie ist die interne Struktur eurer Organisation? Wie werden Entscheidungen getroffen, wie sind die Aufgaben verteilt?

LA: Wir haben eine Generalversammlung und feste imperative Mandate sowie Untergruppen. Die meiste Arbeit wird in Arbeitsgruppen erledigt. Strategien sozialer Fronten (wie Gewerkschaft oder Klima) werden in diesen Arbeitsgruppen erarbeitet. Unsere monatlichen Sitzungen sind schlank gehalten, um mehr Raum für inhaltliche Diskussionen zu schaffen. Veranstaltungen werden nicht gemeinsam in Sitzungen organisiert, sondern ein Mitglied erhält ein Mandat und die Verantwortung für die Durchführung dieser.

DP: Welche Mechanismen gibt es in der Organisation, um patriarchales oder andere reaktionäre Verhaltensweisen und Dynamiken zu bekämpfen?

LA: Wir haben ein mandatiertes Komitee als Mediationsorgan und Konzepte zur kollektiven Selbstreflexion, die jedoch bisher nicht in die Praxis umgesetzt wurden.

DP: Gibt es derzeit wichtige Debatten in eurer Organisation und wie werden sie geführt?

LA: Wir stehen kurz vor der formellen Gründung. Am Gründungskongress wird es Änderungsanträge zum Grundsatzpapier geben. Aber wenn wir inhaltliche Diskussionen führen, die den Rahmen einer Sitzung sprengen, werden nicht-entscheidungsberechtigte Spezialsitzungen einberufen, welche Entscheidungsvorschläge in die Sitzung bringen.

DP: Wie ist die aktuelle politische Situation in eurer Region? Welche Ereignisse oder Dynamiken prägen die Situation?

LA: Das parlamentarische System und der Mediendiskurs werden von nationalistischen und konservativen, aber wirtschaftlich liberalen Haltungen dominiert. Es gibt Ausnahmen, wie die überraschend hohe Unterstützung für LGBTQ-Rechte. In Bern gibt es keine faschistische Präsenz auf den Straßen und wir können uns offen als Anarchist:innen zeigen. Wir beobachten auch ein Wachstum linker Gruppen (jeglicher Orientierung) in unserer Umgebung.

DP: In welchen gesellschaftlichen Bereichen seid ihr aktiv und was sind eure Prioritäten?

LA: Unsere soziale Einfügung erfolgt hauptsächlich in zwei Bereichen: Arbeiter:innenbewegung und Klimabewegung. Die Hauptpriorität ist der Wiederaufbau einer kämpfenden Arbeiter:innenbewegung. Wir starteten unsere soziale Einfügung in der Freien Arbeiter:innen Union vor vier Jahren und die Gewerkschaft hat sich in dieser Zeit stark entwickelt. Zudem versuchen wir, eine klare Trennung der politischen Organisation und der Gewerkschaft deutlich zu machen. Die Gewerkschaft soll nicht in erster Linie anarchistisch durchideologisiert sein und auch keinesfalls so auftreten. Wir versuchen, sie so offen wie möglich zu halten, für eine größtmögliche Attraktivität für alle möglichen Leute aus unserer Klasse. Dies ist teils schwierig, da wir noch damit zu kämpfen haben, dass Leute in die FAU eintreten, um anarchistische Politik zu machen, statt Arbeitskämpfe zu führen und aufgeschlossen auf die Gesellschaft zuzugehen. Im Klimastreik Schweiz sind wir seit drei Jahren aktiv. In dieser Zeit konnten wir die basisdemokratischen Strukturen stärken und das Bewusstsein für die Perspektive der Arbeiter:innen auf die Klimakrise fördern. Dazu haben wir konkrete Projekte lanciert und die Zusammenarbeit mit der Arbeiter:innenbewegung gesucht.

DP: Wie arbeitet ihr in diesen Kämpfen?

LA: Wir versuchen, die especifistischen Ideen auf unsere aktuelle Situation anzupassen, indem wir als verlässliche und aktive Teile in diesen Bewegungen arbeiten.

DP: Wie ist euer Verhältnis zu Gewerkschaften? In welchen seid ihr aktiv?

LA: Das Verhältnis zu Gewerkschaften ist gut, wobei man zwischen Zentralgewerkschaften und Basisgewerkschaften unterscheiden muss. Wir sind in den letzteren aktiv und haben gute Beziehungen zu ihnen, sehen aber keine Möglichkeit, den korporatistischen Kurs der großen Zentralgewerkschaften zu ändern. Sie haben eine lange Tradition politischer Säuberungen und sind meist fest in der Hand ehemaliger trotzkistischer Netzwerke.

DP: Wie steht es um die anarchistische Bewegung in eurer Region als Ganzes? Wie ist euer Verhältnis zu anderen anarchistischen Organisationen?

LA: Die anarchistische Bewegung im Sinne des sozialen Anarchismus und organisierter Strukturen ist fast nicht existent, mit Ausnahme der syndikalistischen Gewerkschaften und einiger kleinerer Organisationen wie unserer. Wir grenzen uns klar von den autonomen Strukturen - die zurzeit auch eine Krise erleben - ab. Wir arbeiten nicht mit ihnen zusammen und erhoffen uns von ihnen nichts, da sie auch nicht unsere Zielgruppe sind. Unser Kontakt zu Insurrektionalist:innen ist nicht existent, teils gibt es offene (verbale) Anfeindungen. Die anarchistische Bewegung in Bern befindet sich zurzeit in einem Wandel und es kann nicht gesagt werden, wie sie sich genau verändert.

DP: Wie wollt ihr eure Organisation und eure Praxis in den kommenden Jahren weiterentwickeln? Welche Ziele strebt ihr an?

LA: Im Herbst steht die formelle Gründung an. Danach werden wir versuchen, unsere Ideen weiter zu verbreiten und natürlich auch offener auftreten. Besonders was soziale Medien angeht, ist vieles geplant. Ebenfalls steht zur Diskussion, Tendenzgruppen in den sozialen Einfügungen zu gründen. Was das Wachstum unserer Organisation angeht, wollen wir langsam fortschreiten. Uns ist es wichtig, dass ideelle Einigkeit aufrechterhalten wird. Ein guter Aufnahmeprozess, mit dem gezielten Aufbau des Verständnisses der Theorien unserer Strömung sowie unseres Grundsatzpapiers bei den Neumitgliedern, ist dafür elementar. Zehn geschulte und effiziente Kader sind effektiver als 20 Leute, die nicht an einem Strang ziehen.

DP: Danke, dass ihr euch die Zeit genommen habt, um die Fragen zu beantworten. Wir wünschen euch viel Erfolg bei eurem weiteren Aufbau.

die plattform - anarchakommunistische Föderation

“die plattform”, ist eine anarchakommunistische Föderation für den deutschsprachigen Raum. Unser Ziel ist die Überwindung aller Formen der Unterdrückung und Herrschaft und der Aufbau einer herrschafts-, klassen- und staatenlosen Gesellschaft auf Grundlage des anarchistischen Kommunismus.

Vorheriger Beitrag