Mit der Gründung im Jahr 2007 waren wir im deutschsprachigen Raum das erste anarcho-syndikalistische Forschungsinstitut. Selbst in den bewegungsstärksten Zeiten der 1920er Jahre gab es ein solches in Deutschland nicht. Analytische Beiträge zur Geschichte und Zukunft der Bewegung kamen damals von brillanten einzelnen Autoren in eigenen Verlagen und durch eine organisationseigene (FAUD) Vertriebsstruktur samt Büchergilden. Aber diese Forschungen erfuhren keine Bündelung. Die 1977 neu entstandene Freie Arbeiter Union, später Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter Union (FAU) gebahr zwar vereinzelt intellektuelles Potenzial, vermochte dies aber nur in wenigen Fällen zu halten und weiterhin für die eigenen Zwecke nutzbar zu machen. Aktivistische Jungakademiker versuchten, ihr Engagement in der FAU mit ihren Abschlußarbeiten an der Uni zu koppeln und schrieben ihre Diplom- oder Magisterarbeit zur Geschichte des Anarcho-Syndikalismus. Als sie merkten, dass ihre akademische Laufbahn nicht weiter mit ihrem Engagement in der FAU übereinstimmte, orientierten sie sich beruflich an den ihnen angebotenen Posten in akademischen Anstalten. Dies beeinflußte zunehmend ihre politische Orientierung und ließ sie in sozialdemokratisches Fahrwasser abdriften. Andere wandten sich postautonomen Strukturen zu, mit denen sie zwar weiterhin, aber außerhalb der FAU sozialpolitisch aktiv blieben. Gemein ist diesen Autoren, dass ihre Forschungen heute anderen politischen Richtungen dienen und nicht mehr dem Anarcho-Syndikalismus. Um einen Teil derer ist es nicht schade, weil sie entweder Karrieristen in spe waren oder weil sie generell einen destruktiven Einfluß auf die Bewegung ausübten und später woanders herumnervten. Aber desöfteren gibt es Buchneuerscheinungen bei denen klar wird: Diese Autoren hätte die FAU halten müssen. Da war der organisierte Anarcho-Syndikalismus selbst schuld, zu schwach oder einfach zu träge.
Ein weiterer wesentlicher Grund für die Gründung lag darin, den akademischen Rahmen zu sprengen. Aktive Menschen mit dem Willen zu einer grundlegenden Gesellschaftsveränderung sind in unseren Augen motivierter darin, Dinge umfangreich zu ergründen und zu erfassen. Ihnen ist es ein innerer Antrieb. Dabei spielt ein bürgerlicher hoher Schulabschluss oder ein Studium keine Rolle. Wissenschaftliche Arbeit kann jeder Mensch auch außerhalb staatlicher und bürgerlicher Institutionen lernen. Im besten Fall ist Geschichtsanalyse und Vermittlung immer Praxisbezogen und stellt konkrete Arbeit und Erfahrungen in den Mittelpunkt. Das beinhaltet z.B. Forschungen und Analysen betrieblicher/gewerkschaftlicher Arbeit, die sich mit wirtschaftlichen, politischen und psychologischen Konstellationen befassen. Konkret also mit allem, was wir beachten müssen, wenn wir eine nachhaltige revolutionäre Bewegung werden wollen. Wer sind unsere Gegner, welchen (Vor)-Urteilen begegnen wir? Wie gewinnen wir an Einfluß? Hierbei gibt es einige Ebenen zu beachten: Die betriebliche, die kommunale, die generelle politische staatliche, die internationale. Die Welt und der soziale, anarchistische und syndikalistische Widerstand zeigen vielfältige Formen und sind von Region zu Region unterschiedlich. Studien können und sollen hier Erfahrungen und Wissen weitergeben.
Wir haben den Anspruch, Erfahrungen und Geschichte in möglichst einfacher Sprache nachvollziehbar zu vermitteln. Unsere Zielgruppe sind dabei diejenigen Menschen, die an einer grundsätzlichen Veränderung interessiert sind, sowohl aufgrund ihrer sozialen Realität als auch aufgrund politischer Überzeugung.
Emmelie vom Institut Syndikalismusforschung in Trier 2018
Der Anarcho-Syndikalismus braucht eine eigene Wissenschaft, genauso wie für ihre Zwecke die Wissenschaftsbereiche der Sozialdemokratie oder kommunistischer Organisationen sehr erfolgreich und politisch einflußreich waren und sind. Beispiele dafür sind die „Friedrich-Ebert-Stiftung“ (SPD), die „Rosa-Luxemburg-Stiftung“ (Linkspartei) oder die „Marxistische Abendschule“.. Wenn junge Anarcho-Syndikalisten plötzlich von der „Rosa-Luxembug-Stiftung“ gefördert werden, sollte dies kritisch gesehen werden. Es steht oftmals die Absicht dahinter, aktive Menschen mit Geld, Renommee und Karriereversprechungen abzuwerben.
Das muß sich ändern. Damit ist nicht gemeint, dass der Anarcho-Syndikalismus eine Intellektuellenbewegung werden soll. Vielmehr sollte der Wissenschaftsbegriff auf den außerakademischen Bereich ausgeweitet werden: „Alle können forschen!“ Dazu gehört auch die alte Forderung nach Aufhebung der Trennung von Hand- und Kopfarbeit. Wir Institutsmitglieder gehen alle einer Lohnarbeit nach, es gibt keine Fördergelder. Wir bleiben unabhängig. Wir sind parteiisch, aber nicht korrumpierbar, wie parteinahe Stiftungen oder staatlich(e) (geförderte) Forschungseinrichtungen. Wir stehen in regulären Arbeitsprozessen, weshalb unsere Forschung nicht von der realen kapitalistischen Lebenswelt entfremdet ist. Die MitarbeiterInnen des Instituts stammen alle aus der syndikalistischen Bewegung, waren, bzw. sind dort über viele Jahre in hohen Funktionen aktiv gewesen, wissen also, wovon wir sprechen. Wir sind kein elitärer Zirkel: Keiner von uns ist mit Abitur auf die Welt gekommen. Schulabschlüsse sind bei uns nicht relevant, sondern der Wille zur Selbstbildung, eine ausgeprägte Selbstdisziplin und der Bezug zur Praxis als Angehörige einer ausgebeuteten Klasse. Unser Zielpublikum sind diejenigen Menschen, die eine freie Gesellschaft formen wollen. Bestrebungen in solchem Sinne unterstützen wir, und es ist spannend zu sehen, in welchen gesellschaftlichen Bereichen wir bundesweit tätig werden können.
Die zentrale Aufgabe des Instituts für Syndikalismusforschung formulierten wir bei Gründung folgendermaßen:
„Das Institut für Syndikalismusforschung verfolgt die Aufgabe, die praktischen Aktivitäten der syndikalistischen Bewegung auf historisch-theoretischer Ebene zu begleiten. Dazu gehören die Tätigkeitsbereiche: Forschen, Archivieren, Publizieren, sowie die Beratung im Sinne freiheitlich-emanzipatorischen Wirkens.“
Damit betreiben wir intensive Forschung und Interaktion zur Stärkung der gesamten syndikalistischen Bewegung. Wir erhalten allerhand Anfragen von Aktivisten, die zu ihrer eigenen Geschichte forschen wollen, beispielsweise fragen, ob es bei ihnen in der Region einmal eine „Freie Arbeiter-Union Deutschlands“ (FAUD) gegeben hat, ob wir Informationen zu bestimmten historischen Personen haben oder wo welche Archivmaterialien zu bekommen sind. Außerhalb der Bewegung ergeben sich wichtige Kontakte zu Wissenschaftlern und Journalisten, sowie zu Nachfahren von Aktivisten aus der Bewegung.
Das Institut für Syndikalismusforschung ist eine Bildungseinrichtung von unten. Wir erkunden, sichern, erschließen, archivieren, leisten Quellenkritik, stellen zusammen, entwickeln Fragestellungen, recherchieren, konzipieren, erarbeiten, schreiben, korrigieren, layouten, werben, beraten, leisten Recherchehilfen, interviewen, stellen Kontakte her, arbeiten mit anderen Projekten zusammen, aktualisieren unseren Weblog, bauen unser Informationsportal aus, geben ein Jahrbuch heraus und eine Broschürenedition, entwickeln Strategien, reflektieren und hinterfragen uns.
An die Stelle einer elitären Wissenschaft (links wie rechts) setzen wir auf eine Wissenschaft zum Mitmachen, oder besser noch: zum Selbermachen.
Interventionen gelangen uns zu den Themen: Reformation, 1. Weltkrieg, Internationales, oder grundsätzlich zum Thema „Was ist Sozialismus“ beispielsweise auf einer Veranstaltung in Frankfurt als einzige mit nicht-marxistischer Position.
Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=Kg-eA49isyQ
Ausführliches über das Institut für Syndikalismusforschung erfahrt ihr in dieser Broschüre:
https://syndikalismusforschung.files.wordpress.com/2017/12/10-jahre-syfo-broschc3bcre.pdf
Syfo in Freiburg April 2018
Wir beziehen entgegen allem wissenschaftlichen Objektivitätsdünkel tatsächlich hier und dort Position. Zunächst möchten wir jedoch möglichst genau verstehen lernen. Das können wir nur, wenn wir uns andere Positionen möglichst unbefangen anhören und wenn wir generell bereit sind, eigene Vorstellungen kritisch zu hinterfragen. Je nachdem, worum es geht, verfestigen sich unsere Positionen oder sie lockern sich auf. Wir haben gelernt, dass es in der Geschichte bisweilen seltsame Positionsverschiebungen gab. Als wir dahinter schauten, kamen uns solche Entwicklungsprozesse dann immer weniger seltsam vor. Bei historischen Persönlichkeiten hat deren Glaubwürdigkeit viel mit Vertrauen in ihre Integrität zu tun. Warum ließen sich nach 1945 gestandene Anarcho-Syndikalisten für die SPD in Gemeinderäte wählen und traten den sozialdemokratischen Zentralverbänden bei? Warum positionierten sich Peter Kropotkin und andere anarchistische Persönlichkeiten im Ersten Weltkrieg zugunsten der alliierten Kriegsparteien, statt gleichermaßen gegen alle Kriegführenden? Warum jubelten in Schweden Syndikalisten unter schwarz-roten Fahnen Politikerreden zu? Warum mutieren anarcho-syndikalistische Organisationen zu Sekten und zanken sich nur noch?
Die Situation des internationalen Anarcho-Syndikalismus schwankt seit vielen Jahrzehnten in der Bedeutungslosigkeit dahin. Es wäre ehrlicher gewesen, die historische Internationale Arbeiter-Assoziation (IAA), die 1922 in Berlin gegründet wurde, in den 1960er Jahren aufzulösen. Stattdessen siecht sie unwürdig dahin. Wo ist die Substanz? Wo liegt der Nutzen einer internationalen Dachorganisation? Sicherlich im Austausch, aber wenn Kleinstorganisationen mangels Masse internationale Kampagnen nur simulieren können, sollte vielleicht erstmal mehr in Basisarbeit investiert werden, statt der Welt die eigene Schwäche vorzuführen. Auch Neugründungen wie die „International Confederation of Labour (ICL), in der die FAU jetzt Mitglied ist, haben es schwer, ihr Papiertigerdasein abzustreifen.
Wir werden deshalb so deutlich, weil sich die Frage nach einem internationalen Anarcho-Syndikalismus etwas hochtrabend anhört. Unsere Position ist eine kritische, ohne destruktiv sein zu wollen. Es ist eine Position des Lernens. Wir stehen konstant zwischen Dogmatismus und Pragmatismus, also ganz ähnlich wie die einstige FAUD, deren Diskussionen außerordentlich lehrreich sind. Bedeutend ist das Anheben des Bildungs- und Diskussionsniveaus. Wir möchten stichhaltige Argumente herausarbeiten, und die wurden bei den historischen Differenzen im Anarcho-Syndikalismus deutlich vorgetragen. Eine konstruktive Debattenkultur ist gefragt. Insofern wirken wir hoffentlich nicht nur politisch-meinungsbildend sondern auch köpfeöffnend. Natürlich schauen wir, dass sich Fehler nicht wiederholen müssen. Argumentationsräder müssen nicht neu erfunden werden, dagegen helfen klassische Texte, die wir empfehlen und die wirklich studiert werden sollten. Nur so funktionieren Positionsbestimmungen und Weiterentwicklungen in Wechselwirkung zur konkreten Praxis.
Unsere grundlegende Position als Institut ist also erstmal eine ganz klassische. So sind wir alle fasziniert von den Texten und vom Wirken Rudolf Rockers. Solange an ihn niemand heranreicht, orientieren wir uns gerne an seiner Geisteshaltung. Internationale Entwicklungen messen wir auch am klassischen Substrat seiner Texte. Das funktioniert über Epochegrenzen hinweg, sonst wäre Rudolf Rocker kein Klassiker.
Ausgerechnet mit Rocker läßt sich verdeutlichen, dass er niemandem das eigenständige Denken abnimmt:
„[…] Freies Denken ist Denken ohne bestimmte Vorbehalte, die in den meisten Fällen nur anerzogene Vorurteile sind. Ein Mensch, der stets bestrebt ist, allen Dingen auf den Grund zu gehen, ohne dass er sich dabei von außen her eine vorgefaßte Meinung aufdrängen lässt, und der sich aus den Ergebnissen seiner Untersuchung seine eigene Überzeugung formt, ist ein Freidenker im vollen Sinne des Wortes. Damit ist jedoch keineswegs gesagt, dass die Überzeugung, die er sich auf diese Weise erworben hat, unbedingt richtig ist und als absolute Wahrheit zu betrachten sei. Freies Denken kennt überhaupt keine absolute Wahrheit, und gerade in dieser Erkenntnis unterscheidet es sich von jeder andren Denkweise.“ (Aus: Der Syndikalist, Nr. 48/1927)
Hier zeigt sich ein barrierefreier Zugang zu Rudolf Rocker als antiautoritäre natürliche Autorität. Freies Denken rennt bei ihm offene Türen ein.
Emmelie vom Institut für Syndikalismusforschung. Stadtrundgang zu Rudolf Rocker in Mainz 2017
Als Institut intervenieren wir eher mit Worten. Die Bewegung lebt nicht durch uns im Institut, sondern nur durch ihre eigenen Kräfte. Aber wir bezogen 2010 Position gegen die dogmatischen Entwicklungen und polit-intriganten Machenschaften einiger Sektionen der IAA. Eine Broschüre aus dem Institut trägt den Titel „Warum IAA? Zu den Entwicklungen in der Internationalen Arbeiter Assoziation seit 1996. Eine zusammenfassende Darstellung der wesentlichen Entscheidungen.“ Sie trug ihren kleinen Teil dazu bei, dass die FAU heute nicht mehr IAA-Mitglied ist, sondern sich neu orientiert.
Bedeutsamer als die rudimentäre IAA finden wir beispielsweise die SAC in Schweden. Ihre Entwicklung kann für Deutschland beispielgebend sein, und ihre Geschichte zeigt in aller Deutlichkeit auf, welche Gefahren auch anarcho-syndikalistischen Prinzipien drohen, beispielsweise institutionelle Kollaboration mit dem Staat oder Bürokratisierungstendenzen. Uns zieht es dorthin, wo wir am meisten lernen können, und zwar unabhängig davon, ob uns die Inhalte und Tendenzen passen oder nicht. Die SAC ist nicht nur lehrreicher, sondern auch viel offener als alle momentanen Kleinstsektionen der IAA zusammen, die sich in ihren „Telephonzellenorganisationen“ über die Jahrzehnte hindurch geistig-ideell eingekapselt haben. Als sehr offenen Geist sollten wir auch Augustin Souchy erwähnen, dessen weiter Erkenntnishorizont sich aus Prinzipien genauso speiste wie aus seinen revolutionären Weltreisen. Souchy wie auch Rocker schluckten einige Pragmatismuskröten, standen der SAC viel näher als der reinen Lehre. Aber sie diskutierten dies offen. Auch wenn man mit einigem nicht einverstanden ist, so sind sie in allen Poren bedeutsam.
Veranstaltung in Neustadt an der Weinstraße 2019
Jüngst ist im Verlag Edition AV das Buch „Konflikte und Niederlagen des Syndikalismus in Deutschland“ erschienen. Es vertritt anhand von 5 Kapiteln die These, dass der Anarcho-Syndikalismus in Deutschland am eifrigsten durch die Sozialdemokratie, besonders in Form der Zentralgewerkschaften (heute DGB) bekämpft wurde, aber der Klappentext beschreibt es ja doch am besten:
„Der Syndikalismus in Deutschland hatte unterschiedliche Gegner, die sich teilweise die Klinke in die Hände gaben. Neben den jeweiligen Staatsgewalten, den Kirchen und dem Kapital traten vor allem die sozialdemokratischen Zentralgewerkschaften sehr effektiv auf den Plan. Sie stoppten in Eintracht mit Staat und Kapital die Entfaltung syndikalistischer Organisationen. Hinzu kamen kommunistische Anfeindungen und organisationsinterne Streitigkeiten. Dadurch hatten die Nazis leichtes Spiel, die kärglichen Reste der syndikalistischen Arbeiterbewegung zu zerschlagen. Der „Terror der Zentralgewerkschaften“ setzte dem freiheitlichen Sozialismus in Deutschland am meisten zu und schuf erst die Grundvoraussetzungen, die Arbeiterschaft dem Faschismus hilflos auszuliefern.“
Es kann als eindringlicher Hinweis an heutige Aktivisten der FAU gelesen werden, Marxismus und Sozialdemokratie nicht auf den Leim zu gehen. Wer es ignoriert, wird gefressen.
Desweiteren stellen wir unser Jahrbuch „Syfo – Forschung & Bewegung“ - das bis 2020 in zehn Ausgaben erschien - um auf kleineres Format mit dem Titel „Kampfgeister“, deren erste Ausgabe 2022 erscheinen soll. Es sind die „Mitteilungen aus dem Institut für Syndikalismusforschung“, bereichert um externe Fachbeiträge und Berichte aus Forschung und Bewegung in Kooperation mit vielen spannenden Projekten.
https://syndikalismusforschung.wordpress.com/mitteilungsblatt-syfo-forschung-bewegung/
Es wird auch weitere Broschüren der Syfo-Reihe „Edition Syfo“ geben. Darin finden Texte Platz, die zu lang sind für unser Jahrbuch und zu kurz für ein Buchprojekt. Geplant sind konkret die Themen „FAUD in Berlin“ und „Verfolgung von Syndikalisten und Anarchisten im jungen Sowjetrußland“ und „Fragmente zur Geschichte des Anarcho-Syndikalismus in der Bukowina“.
https://syndikalismusforschung.wordpress.com/1539-2/
Wir haben zudem intensive Kontakte zu anarchistischen Projekten in Rumänien.
In den 1920/30er Jahren war der Anarcho-Syndikalismus in Europa und in Südamerika dermaßen stark, dass seine Einflüsse in einigen Ländern wie Portugal, Spanien, Italien, Brasilien und Argentinien von der Kapitalistenklasse nur mit Hilfe faschistischer Systeme zerschlagen werden konnte. Diese Kraft und Dynamik erreichte er seither nicht wieder. In anderen Ländern paktierte nicht der Faschismus, sondern die Sozialdemokratie mit dem Kapital und bekam revolutionäre Kräfte unter ihre Kontrolle, so in Schweden und zunächst auch in Deutschland. In Osteuropa unterdrückten nach dem Zweiten Weltkrieg marxistisch begründete Staatssysteme anarcho-syndikalistische und anarchistische Bewegungen. Marxismus (Staatssozialismus), Sozialdemokratie und Faschismus sind Formen bürgerlich-kapitalistischer Herrschaft und allesamt auf ihre Weisen effektiv zur Eindämmung anarcho-syndikalistischer und anderer sozialrevolutionären Bewegungen.
Gemessen am gewünschten gesellschaftlichen Einfluß und gegenüber den Mitgliederzahlen in den Organisationsapparaten der DGB-Gewerkschaften spielt der Anarcho-Syndikalismus in Deutschland keine Rolle. Allerdings verzehnfachte die einzige bundesweite anarcho-syndikalistische Organisation, die Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter Union (FAU) ihre Mitgliederzahlen gegenüber den 2000er Jahren und nennt dafür einen niedrigen vierstelligen Bereich. Außer in Berlin wächst die Basis beispielsweise auch in Hannover oder Dresden an. In einem halben Dutzend Städten hat die FAU bereits eigene Ladenlokale. Das sind klare Fortschritte. In vielen Städten führt die FAU Arbeitskämpfe und ist als Gewerkschaftsinitiative wahrnehmbar. Auf der anderen Seite stellte sie ihre traditionelle Zeitung „Direkte Aktion“ als Printorgan ein, und die Ersatz-Onlinepräsenz wird wenig gespeist.
Es hängt am meisten davon ab, ob und wie die FAU ihre neuen Mitglieder in den nächsten Jahren integriert, schult und langfristig für den Anarcho-Syndikalismus gewinnen kann. Es braucht umfassende Bildungsangebote, nicht nur in Arbeitsrecht, sondern auch in syndikalistischer/anarchistischer Theorie und Geschichte sowie in der ganzen kulturellen Bandbreite, die der Anarcho-Syndikalismus bietet. Es besteht immer die Gefahr, dass ein zu starkes Anwachsen zu inhaltlichen Verwässerungen führt, und die Organisation schließlich von stärkeren politischen (meist marxistischen) Kräften absorbiert wird, die inhaltlich klarer und politisch skrupelloser sind. Solche Tendenzen gibt es aktuell auch in der FAU. Jede wachsende Organisation verlangt in ihren Funktionsbereichen nach Effizienz. Das birgt Gefahren von Zentralisierungen und Bürokratisierungen, an deren Ende sich eine bezahlte Funktionärskaste etablieren könnte. Pragmatismus und Anbiederungen statt eigene strategische Zielvorstellungen wären dann angesagt. Dem kann durch gezielte Kaderschulungen und durch Funktionsträger entgegen gewirkt werden, die den föderalistischen und klassenkämpferischen Geist nebst demjenigen der „Gegenseitigen Hilfe“ hoch halten. Nur dann lassen sich auch Kompromisse eingehen, weil das inhaltliche Fundament insgesamt stimmig und gefestigt ist. Auf der Basis einer solchen Kultur können offene Diskussionsprozesse stattfinden, die der FAU auf ihren Weg zwischen Prinzipientreue und pragmatischen Entscheidungen Stabilität verleiht.
Die FAU hat die Möglichkeit anzuwachsen, aber sie wird, wenn dies zu schnell geschieht, zum Herzschrittmacher für DGB-Gewerkschaften degradiert werden, ähnlich wie die Jugendmannschaft eines Profifußballvereins. Die FAU braucht deshalb stets ein eigenständiges Profil und ebensolche Inhalte wie auch Zielvorstellungen. Sie sollte ihre Mitglieder auch langfristig halten können. Sonst freut sich der DGB, mit dessen Zentralgewerkschaften übrigens heute schon nicht wenige FAU-Mitglieder kungeln. Dem sollte die FAU einen klaren Riegel vorschieben.
Auch international ist der Anarcho-Syndikalismus marginalisiert. Am wenigsten durch faschistische Kräfte, sondern vielmehr durch Integrationsangebote durch Staat und Sozialdemokratie. Diesen verdanken beispielsweise die SAC in Schweden und die CGT in Spanien ihr Überleben als politisch wahrnehmbare Organisationen. Wer sich diesen Mechanismen verweigert und strikt an anarcho-syndikalistischen Prinzipien festhält, dem droht, in Betrieb und Gesellschaft an den Rand gedrängt zu werden. Es ist bezeichnend, wenn die hiesige FAU mit ihren knapp über 1.000 Mitgliedern zu den zahlenmäßig stärksten Sektionen der Welt gehört. Wie läßt sich diese Zwickmühle aufbrechen?
Der Anarcho-Syndikalismus muß sich neu finden, ohne alte Fehler zu wiederholen. Das internationale Geflecht muß organisch wachsen, erst die Basis, dann die (internationale) Organisation.
Der Sozialismus bleibt nämlich letztenendes eine Kulturfrage, oder wie Rudolf Rocker es außerdem ausdrückte:
„Man kann Tote nicht lebendig machen, indem man sie organisiert.“
Marcel vom Institut für Syndikalismusforschung in Potsdam 2018
Im Wesentlichen blieb alles gleich, bzw. veränderte sich nicht aufgrund der Corona-Situation. Als hinderlich nehmen wir das Ausbleiben von öffentlichen Veranstaltungen insbesondere von Buchmessen wahr. Dort entstehen und werden die besten Kontakte gepflegt. Dennoch konnten wir ersatzweise auf Onlineveranstaltungen sprechen. Persönlich hatten wir bislang Glück, dass unsere (ökonomische) Lage stabil blieb, ohne Jobverluste oder „Long-Covid“-Erscheinungen.
Martin vom Institut für Syndikalismusforschung in Jena 2018
Wir brauchen immer Hilfe unter dem Motto „Aus der Bewegung für die Bewegung“. Wir arbeiten alle unbezahlt mit Hingabe für die gute Sache. Am meisten freuen wir uns über folgende Hilfen:
Übersetzungen ins Englische, gerne auch in andere Fremdsprachen
Rezensionen unserer Produkte
Eine Betreuung unserer Internetseite www.syndikalismusforschung.info
Angebote für Büchertische und Veranstaltungen
Einladungen für interne Schulungen und für Forschungsprojekte
Einsendungen von Texten für unser Jahrbuch oder für die „Edition Syfo“
Aber wir geben auch gerne Hilfe, sprecht uns an, wir freuen uns,
Euer Institut für Syndikalismusforschung, Bremen
Unsere Webseite:
http://www.syndikalismusforschung.info/
Unser aktueller Blog:
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Kontakt:
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