Interview: reso.media


anarchismus.de Kollektiv
Interview

1. Was ist reso.media?

reso.media ist eine kleine nichtkommerzielle antikapitalistische Agentur. Wir machen Bildungs- und Kulturarbeit. Dafür publizieren wir anarchistische Broschüren im Print- und Onlineformat und zeigen im Rahmen unserer anarchistischen Filmreihe im Solizentrum in Lübeck Filme zum Thema Anarchosyndikalismus, kommunistischer Anarchismus sowie weiterer antiautoritärer, linksradikaler Strömungen. Auf unserer Webseite verlinken wir zudem zu Texten, die wir für wichtig halten und haben eine umfangreiche Liste von Links von anderen Gruppen, Organisationen und Projekten.

2. Seit wann gibt es euer Medienprojekt und wo verortet ihr euch innerhalb der anarchistischen Bewegung?

Unser Projekt gibt es seit ca. 2 Jahren. Unser Selbstverständnis als Flyer und unsere ersten 3 Broschüren haben wir im Frühjahr 2022 drucken lassen und diese auf der anarchistischen Buchmesse in Mannheim angeboten. Die Themen unserer bisher veröffentlichten Broschüren sind: der revolutionäre Syndikalismus der Industrial Workers of the World (I.W.W.), die Pflegekrise aus anarchosyndikalistischer Sicht sowie die subversive Parlamentarismuskritik von Johannes Agnoli. Gedruckt wurden diese von dem anarchistischen Druck-Kollektiv „ACS Copy“ aus Bonn – wir wollen damit Projekte unterstützen, die unsere Überzeugungen teilen und gute Arbeitsbedingungen schaffen. reso.media versteht sich als Teil der anarchosyndikalistischen und der anarchokommunistischen Bewegung. Diese wollen wir mit unserer Arbeit unterstützen.

3. Welche Projekte setzt ihr grade um und wie ist der Stand von diesen?

Zurzeit arbeiten wir an drei weiteren Broschüren, welche wir im Spätsommer publizieren werden. Wir haben dafür Spenden gesammelt und können den Druck dank dieser finanzieren. Unser Dank geht an die Menschen, die über unser Crowdfunding gespendet haben sowie an die FAU Hamburg und das Cafe Libertad-Kollektiv für ihre Spenden. Wir haben uns sehr darüber gefreut und sind sehr motiviert.
In unserer anarchistischen Filmreihe haben wir bisher sechs Filme im Solizentrum in Lübeck gezeigt, der nächste Filmabend wird Mitte Juni stattfinden, dann zeigen wir die Dokumentation „Lucio – Anarchist und Maurer“.
Die Titel unserer bisher gezeigten Filme lauten: „El Entusiasmo“ (eine Doku über die anarchistische CNT nach dem Tod Francos); „Vivir la utopia“ (eine Doku über den spanischen Anarchismus und die soziale Revolution von 1936); „Economia Collectiva“ (eine Doku über die weitreichenden Kollektivierungen der Ökonomie durch die anarchistische CNT-Gewerkschaft); „Memoria Viva“ (über die hundertjährige Geschichte der anarchistischen CNT-Gewerkschaft); „Kein Gott, Kein Herr“ (eine Doku über die globale Geschichte des Anarchismus bis 1945) und „Die lange Hoffnung – Erinnerung an ein anderes Spanien“ (eine Doku mit Augustin Souchy und Clara Thalmann über die soziale Revolution 1936 und die Aktivitäten der CNT).
Bei unseren Filmveranstaltungen gibt es immer einen großen anarchistischen Infotisch und Möglichkeiten zum Austausch. Wir möchten noch viele weitere Dokus im Rahmen unserer Filmreihe zeigen. Unsere Filmabende finden alle 6-8 Wochen satt.
Desweiteren sind wir am Aufbau der anarchosyndikalistischen Freie Arbeiter:innen Union Lübeck (FAU) beteiligt. reso.media leistet darüber hinaus Öffentlichkeitsarbeit in Form von Flyern, Plakaten etc. für weitere politische Zusammenhänge. Ende Juni organisieren wir ein Solikonzert für reso.media mit drei Punkbands im Solizentrum.

4. Wie würdet ihr den Stand des Anarchismus im deutschsprachigen Raum und noch einmal imspeziellen bei euch im Norden einschätzen?

Vor allem die FAU wächst bundesweit und in der Schweiz kontinuierlich, was uns mit Hoffnung erfüllt. Im Norden sind wir an einer anarchistischen Vernetzung beteiligt und stellen Interesse an unserer politischen Arbeit fest. Wir wünschen uns natürlich, dass die anarchistische Bewegung im Norden wächst.

5. Welchen Einfluss haben die großen Fragen unserer Zeit auf euch und euer Projekt, Stichwort Krieg, Inflation, Klimawandel?

Uns ist es wichtig, den Zusammenhang von Klimakatastrophe und kapitalistischer Produktionsweise zu verdeutlichen und Greenwashing zurück zu drängen. Es kann keinen grünen Kapitalismus geben. Wir wollen zu diesem Thema in Lübeck eine Veranstaltung organisieren, zudem möchten wir eine Broschüre erarbeiten, in welcher die Frage konkretisiert wird, wie die anarchosyndikalistische Bewegung mit der Klimagerechtigkeitsbewegung zusammen wirken kann.

Wir verurteilen den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ganz klar und deutlich und unterstützen die Forderung, dass sich das russische Militär aus der Ukraine zurückzieht. reso.media versteht sich als antimilitaristisch, und zwar in einem anarchistischen Sinne. Wir wollen mit unserer Bildungsarbeit auch vermitteln, dass es eine grundlegende feministische Kritik an Krieg und Militär als Ausdruck der kapitalistischen-patriarchalen Konkurrenzgesellschaft gibt, Krieg und Militär zur Verrohung führen und durch Befehl und Gehorsam strukturiert sind. Auch die anarchistischen Milizen im spanischen Bürgerkrieg waren antimilitaristisch, leider haben die Stalinist:innen in Spanien damals eine hierarchische Zwangsmilitarisierung durchsetzen können und auch die Erfolge der Kollektivierungen durch die Anarchosyndikalist:innen bekämpft.
Es gibt antimilitaristische Alternativen zu Kriegsführung und Militarismus. Wir wünschen uns eine antimilitaristische Bewegung, die Deserteur:innen und Geflüchtete auf allen Seiten unterstützt. Das russische Militär hat Probleme mit Sabotage gegen militärische Infrastruktur und russischen Soldat:innen, die sich weigern, zu kämpfen. Leider zwingt auch der ukrainische Staat vor allem junge Männer, im Verteidigungskrieg kämpfen zu müssen. Kriegsdienstverweigerung ist aber ein Menschenrecht.
Wir treten für offene Grenzen, Bewegungsfreiheit und Bleiberecht für Alle ein, und zwar weltweit, niemand darf gezwungen werden, in einem Kriegsgebiet bleiben zu müssen. Die momentane Diskussion um die EU-Aussengrenzen und die Festung Europa finden wir unerträglich. Wir weisen darauf hin, dass zum Beispiel während des Vietnam-Krieges bis zu 500.000 US-Soldaten trotz grosser Risiken und Gefahren desertiert sind, dadurch konnte im Zusammenwirken mit einer Antikriegsbewegung der Vietnam-Krieg beendet werden. Als klassenbewusste Anarchosyndikalist:innen und kommunistische Anarchist:innen stellen wir uns nicht auf die Seite von Staaten und ihrem Militär. Während die Oligarch:innen von Russland und der Ukraine mit ihren Privatjets das Land verlassen können, müssen die Menschen der lohnabhängigen Klasse in Kriegen aufeinander schiessen. Arbeiter:innen sollten nicht auf Arbeiter:innen schiessen, für uns gilt das antimilitaristische Motto von Rudolf Rocker: „Die Waffen nieder, die Hämmer nieder!“ Ausserdem gibt es weitere, brutale Kriege in der Welt, gegen die wir uns positionieren – erinnert sei an den Angriffskrieg des NATO-Staates Türkei auf kurdische Gebiete, oft mit deutschen Waffen geführt. Gleichzeitig finden wir es unerträglich, dass es in der Anti-Kriegs- und der Friedensbewegung in Teilen eine Offenheit und teilweise Zusammenarbeit gegenüber und mit rechten und verschwörungsideologischen Strömungen gibt – wie beim diesjährigen Berliner Ostermarsch der Berliner Friedenskoordination zu sehen war. Eine antimilitaristische Bewegung muss ganz klar antifaschistisch und gegen jeden Nationalismus und gegen jeden Patriotismus sein - und gegen jede Form von Rechtsoffenheit und Querfront vorgehen. Rechtsoffenheit oder Querfront führen immer dazu, dass sich rechtsradikale und faschistische Bewegungen und Strukturen entfalten können.Unser Ziel ist eine entmilitarisierte Gesellschaft ohne Herrschaft von Menschen über Menschen, in der es keine Rüstungsproduktion oder Militär mehr gibt. Wir sind nicht nur gegen Waffenlieferungen, sondern gegen die Waffenproduktion an sich. Es gäbe jederzeit die Möglichkeit, die Rüstungsindustrie in die Produktion ziviler Gebrauchsgüter umzustellen, dieses müsste unserer Meinung nach auch eine langfristige Zielsetzung der anarchosyndikalistischen und der anarchokommunistischen Bewegung sein.
Wir erinnern an die Rüstungskonversionspläne bei Lucas Aerospace (Lucas Plan)

Wir wünschen uns also einen Anarchismus, der, weil antistaatlich, konsequent antimilitaristisch ist.

Zur Inflationsdebatte fällt uns ein guter Slogan der zweiten Ausgabe der Krisen-Aktionszeitung der anarchistischen Theoriezeitung „Tsveyfl“ ein: „Die Preise steigen nicht, sie werden erhöht“. Statt Kosten auf die lohnabhängige Klasse durch Preiserhöhungen abzuwälzen, müsste es unserer Meinung nach darum gehen, an die Profite der Kapitaleigner:innen zu gehen. Dieses taucht im bürgerlichen Diskurs dazu überhaupt nicht auf. Die Profite bleiben unangetastet und gesichert, durch eine emanzipatorische Überwindung des Kapitalismus an sich würde so eine Erscheinung wie Inflation – und nebenbei natürlich alle weiteren unerträglichen „Gesetzmäßigkeiten“ des Kapitalismus ebenso – verschwinden.

6. Wie kann man bei euch mitmachen?

Wir wollen weiter Broschüren publizieren, und freuen uns, wenn Menschen, die unsere Ansichten teilen, Textideen haben und uns Textvorschläge schicken. Vielleicht machen wir dann ja daraus eine Broschüre? Unsere Kontaktemailadresse steht auf www.reso.media. Auf unserer Webseite stehen auch immer die Ankündigungen unserer geplanten Filmveranstaltungen, wir freuen uns natürlich, wenn Ihr auf diese hinweist.

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