Emma Goldman (* 27. Juni 1869 in Kaunas, Litauen; gest. 14. Mai 1940 (Toronto, Kanada) war eine US-amerikanische Anarchistin und Friedensaktivistin, die auch unter dem Namen "Rote Emma" bekannt war.
Als Kind konservativ denkender jüdischer Eltern verlebt Goldman die ersten Jahre ihrer Kindheit in der deutsch-russischen Provinz, Kurland, wo ihr Vater als Regierungsangestellter arbeitet. Als Siebenjährige kommt sie zu ihrer Großmutter in Königsberg, wo sie die folgenden sechs Jahre lebt. Ihre Eltern sollten schon bald nach Emmas Umzug nach Königsberg nachkommen. Emma besucht die Schule und erhält zusätzlich privaten Unterricht, was damals in der Erziehung der Mittelstandskinder nicht außergewöhnlich ist. 1882, Emma ist gerade erst dreizehn, ziehen die Eltern nach Petersburg um. Das Erlernen der russischen Sprache bringt Emma schnell in Kontakt mit aufmüpfigen Schülern und revolutionären Studenten. Sie liest die Werke von Nekrassov und Tschernischewski und wird aufgrund der Lektüre allmählich zur bedingungslosen Verfechterin der menschlichen Emanzipation von allen der Humanität entgegenstehenden Kräften. Damit ist allerdings den Eltern unmissverständlich der Krieg erklärt: Sie können nicht einsehen, was an den „utopischen Phantasmen" ihrer Tochter Interessantes sein sollte. Unabhängig von den Eltern wird Emma erst, als sie in einer Petersburger Fabrik arbeitet: Mit siebzehn kann sie ihr Leben selber bestreiten. Mit ihrer Schwester Helene reist sie nach dem »großen, freien Land ab, der ruhmreichen Republik". (Havel, in Goldman 1969, S. 9) Goldman desillusioniert, kurz nach der Ankunft: "Anstelle eines Zars gab es Scharen von ihnen und die Kosaken waren ersetzt worden durch den Polizisten mit dem Prügel:" (ebd., S. 10) Im Kleiderherstellungsbetrieb Garson Co. erhält die Immigrantin Arbeit. Sie begegnet einem jungen, russisch sprechenden Mann. Die aufkeimende Freundschaft vertieft sich und schließlich heiratet sie ihn. Kurze Zeit später wird die Trennung der Eheleute bereits unvermeidlich, worauf Goldman nach New Haven im Staat Connecticut zieht. wo sie wieder in einer Fabrik zu arbeiten beginnt. Goldman, die vor dem Haymarket-Massaker nur beiläufig die anarchistischen und sozialistischen Ideen rezipiert hat, wird spätestens (wie Voltairine de Cleyre, vgl. Goldman 1932) mit dem Justizmord von Chicago (1887) - so die Interpretation Havels - Anarchistin: Sie interessiert sich für die anarchistische und sozialistische Literatur - liest Josiah Warren, Stephen Pearl Andrews, Lysander Spooner, Ralph W. Emerson, Henry David Thoreau und Walt Whitman -, nimmt Teil, wenn die sich auflehnenden Arbeiter zusammentreffen und lernt gleichgesinnte Werktätige kennen. Die Lektüre von Johann Mosts „Freiheit" macht sie dann zur bewussten Anarchistin.
Infolge der anstrengenden Fabrikarbeit krank geworden, kehrt sie nach Rochester (N. Y.) zurück, wo sie bis 1889 bleibt, dann zieht sie in die Stadt New York. Bald zeigt sich Goldmans Talent, vor Menschen zu sprechen und es folgt ihre erste Propagandareise, die sie bis nach Cleveland führt. Damit beginnt die bewegteste Epoche ihres Lebens. Sie nimmt im selben Jahr noch an einigen Aktionen teil (z.B. am Cloakmaker's strike) und wird 1890 an den Anarchistenkongreß in New York delegiert. Mit Alexander Berkman tritt sie der „Autonomy-Gruppe" bei. Berkman wird nach einem missglückten Attentat auf einen Industriellen Henry C. Frick zu 22 Jahren Haft verurteilt. Nach einem körperlichen Zusammenbruch infolge der ausgestandenen Anstrengung wird Goldman in das große Wohngebäude, die „Bohemian Republic" überführt. Nach einem Ruheaufenthalt bei ihren Eltern in Rochester ist Goldman wiederhergestellt. Als sie kurz danach nach Philadelphia reisen will, verhängt der New Yorker Bürgermeister Byrnes einen Haftbefehl gegen sie und läßt sie ins Gefängnis bringen. 1893 wird sie wegen Anstiftung zum Aufstand aufgrund einer einzigen Zeugenaussage als erste Frau in den USA „, für politische Vergehen" verurteilt. In Blackwell's Island verbringt sie eine einjährige Haftstrafe.
Fünfundzwanzigjährig kehrt sie 1893 nach New York zurück, wo sie Voltairine de Cleyre, Miss Van Etton und Dyer D. Lum kennenlernt. Weil 1894 der Kampf der französischen Anarchisten einen seiner Höhepunkte erreicht hatte, reist Goldman - die sich in Charles Fouriers Schriften eingelesen hat - 1895 nach dem Kontinent, um dort die politische Situation aus erster Hand kennenzulernen. Nach einer Vortragsreise durch England und Schottland tritt sie ins Wiener Allgemeine Krankenhaus ein, wo sie sich zur Krankenschwester und Hebamme ausbilden lässt. Über Zürich und Paris fahrend, erreicht sie 1896 wieder New York. Louise Michel trifft Goldman auf der Rückfahrt nach Amerika in Paris. Auf ihren Vortragsreisen quer durch die USA leidet sie unter behördlichen Schikanen: Sie gewärtigt Verhaftung und Verfolgung, Denunziation und Verleumdung. Als Schlusspunkt einer weiteren Reise nach England und Schottland nimmt sie am Ersten Internationalen Anarchistenkongress in Paris teil. Im November 1900 kehrt sie aus Europa in die USA zurück, wo sie als Krankenschwester und Propagandistin arbeitet. Nach Francisco Ferrers Tod 1909, der sie tief trifft, wird sie Mitinitiantin der „Francisco Ferrer Association" (vgl. Avrich 1980, S. 36) und am Jahrestag von Ferrers Hinrichtung (13. Oktober 1910) organisiert sie eine Massendemonstration. Sie hilft weiter bei der Organisation von Peter Kropotkins zweiter USA-Reise mit. Nach dem Mord am amerikanischen Präsident McKinley in Buffalo setzt ein Kesseltreiben gegen die bekannte Anarchistin ein. Ohne Grund wird sie mit anderen Libertären in Chicago inhaftiert und mehrere Wochen lang verhört. Von 1901 bis 1903 lebt sie anonym als „Miss Smith" wohl erstmals in ihrem Leben ein ruhiges Dasein und geht ihrem Beruf nach. Mit Max Baginski und anderen gibt sie ab 1906 „Mother Earth", ein Monatsmagazin, heraus, das libertäre Gedanken in Alltag und Literatur verbreiten will.
1907 arbeitet Goldman als Delegierte am Zweiten Anarchistenkongress in Amsterdam mit. Sie unterstützt dort die Bildung der „Anarchistischen Internationale". Vor und während des ersten Weltkrieges kämpft die rastlose Anarchistin gegen das Engagement der USA in Europa. 1916 werden sie und der aus dem Gefängnis entlassene A. Berkman wegen antimilitaristischer Umtriebe verhaftet, 1919, nach zwei Jahren Gefängnis auf eigenen Wunsch und zusammen mit Hunderten Militanter unterschiedlichster Prägung nach Russland deportiert. Schon am Ende des Jahres 1920 sind die Hoffnungen der amerikanischen Libertären zerschlagen, von der erlittenen Enttäuschung berichten drei ihrer Bücher. Goldman und A. Berkman entschließen sich, auszureisen. Nach einem kurzen Zwischenhalt in Stockholm bleiben sie in Berlin. In Frankreich sollten die beiden den Rest ihres Lebens verbringen. In ihren Briefen zeigen sie ein nie erlahmendes Interesse an den „Modern Schools", 1923 besucht Goldman A. S. Neill's Schule in Hellerau und 1931 die Pryns Hopkins' Schule in Paris. Nach A. Berkmans Freitod (1936) hat Goldman noch vier Jahre zu leben. Zwischen 1936 und 1939 stellt sie ihre Kraft den Anarchisten im Spanischen Bürgerkrieg zur Verfügung, deren Niederlage ihr einen schweren Schlag versetzt. Im Mai 1940, einen Monat vor ihrem einundsiebzigsten Geburtstag, erleidet sie einen Kollaps und stirbt in Toronto - auf einer Vortragsreise.
Die von ihr als ungerecht und ausbeuterisch eingestufte amerikanische Gesellschaft zu Beginn des Jahrhunderts sowie die konkreten Anlässe, wo Anarchisten gewalttätige Beteiligung an Attentaten vorgeworfen werden, lassen Goldman zur Anarchistin werden. Rege Kontakte zu Anarchisten aller Couleur und Nationalität und eine ausgedehnte Lektüre der libertären Klassiker sowie die Zahlreichen Vortragsreisen in den USA - und in Europa - zeigen ihr den Weg in eine neue Gesellschaft. Goldmans Werke dokumentieren die weite Palette ihrer Aktivität. Gerade in „Mother Earth" schreibt sie zu weitverzweigten Themen - vor allem auch zu pädagogischen Fragen. Hier beschäftigt sie sich mit Ideen zur Mädchenbildung. Unterdessen weiß man, dass ihre Art, pädagogisch zu denken, eng verbunden ist mit ihrer politischen Argumentation. Deswegen sind direkte Hinweise auf Konzepte, Inhalte und Methoden der Mädchenbildung bei ihr eher selten zu finden; die politisch getönten Äußerungen herrschen deutlich vor. Energisch zeigt sich die amerikanische Anarchistin allerdings als vehemente Gegnerin der Schule; angriffig fordert sie, den in Kriegszeiten dominierend gewichteten Unterricht in Staatsbürgerkunde und nationaler Geschichte abzuschaffen; polemisch wettert sie gegen die ungenügende schulische Ausbildung der arbeitenden Klasse und entschieden stellt sie sich gegen den Religionsunterricht. Dass sie - pädagogisch gesehen - spätestens von da an nicht mehr übersehen werden darf, zeigt des bekannten Pädagogen John Deweys Interpretation: Er befürchtet, Goldmans Reputation als „gefährliche Frau in der Erziehung" sei medial aufgebauscht und polizeilich unterstützt. Dewey: „Sie ist eine romantisch-idealistische Person mit einer attraktiven Persönlichkeit." (zit. v. Avrich 1980, S. 38)
Kurz vor der Jahrhundertwende wird Goldman P. Kropotkins Definition des Anarchismus, die eine eminent pädagogische Komponente aufweist, akzeptieren. Anarchismus, so der Russe, ziele auf eine möglichst vollständige Entwicklung des Individuums ab, verbunden mit der höchstmöglichen Entwicklung der freiwillig eingegangenen Assoziationen in all ihren Aspekten, in allen möglichen Arten und für alle vorstellbaren Ziele. Goldman, dies eine andere Facette, setzt sich weniger für Kontrazeptiva als für die „gewollte Mutterschaft" der Frau ein und fordert größere Freiheit für die Frauen - auch aber nicht nur in diesem persönlichen Bereich. Die Grundsätze ihres politischen Kampfes geben dabei die Basis ihrer pädagogischen Überzeugungen ab: Opposition gegen jede zentrale Autorität und alle großen Organisationen, gegen Zensur, staatliche Willkür und parlamentarische Abläufe. Als Mittel, die politischen Ziele zu erreichen, stehen Agitation und Erziehung; als Strategie, die libertären Erziehungsziele zu verwirklichen, gilt damals unter anderem die Gründung von anarchistischen Schulen.
Die Befreiung der Frau muss laut Goldman notwendigerweise schon im Mädchenalter einsetzen. Die Existenz freier Frauen ist für sie essentiell für den Aufbau einer neuen Gesellschaft. Freie Frauen wissen um das Recht über ihren eigenen Körper, sagt Goldman. Freiheit für die Frauen bedeutet aber nichts anderes als die Zerstörung derjenigen Institutionen, die die Freiheit der Frauenbeengen: Heirat und Mutterschaft.
Wie im Fall Voltairine de Cleyres verleihen das Denken und Handeln Goldmans dem Anarchismus einen feministischen Zug und gleichzeitig erfährt die Emanzipationsbewegung der Frauen eine gewisse Korrektur aus anarchistischer Sicht.
Aus: „Emma Goldman – Aufsätze 1“ Syndikat A Medienvertrieb (S. 3 – 7) (Rechtschreibung wurde angepasst)
Literatur zum Weiterlesen:
- Autobiografie: Emma Goldman - Gelebtes Leben (ISBN: 9783894018108)
- Emma Goldman - Aufsätze 1 (Syndikat A Medienvertrieb)
- Emma Goldman - Aufsätze 2 (Syndikat A Medienvertrieb)
- Emma Goldman - Aufsätze 3 (Syndikat A Medienvertrieb)
- Emma Goldman (1978): Anarchismus, seine wirkliche Bedeutung. (=Anarchism and other essays) Aus dem Englischen von Sabine Wolski und Ulrich Schwalbe Berlin. Libertad-Verlag; Anarchistischer Bund. (Anarchistische Texte, 11)
- Emma Goldman (1977): Das Tragische an der Emanzipation der Frau. Übersetzt von Margot Dehne und Reinhard Lauterbach