Erfahrungsbericht Anarchistische Buchmesse Amsterdam 2022


anarchismus.de Kollektiv
Bericht

Amsterdam, Niederlande

Am 29.10 und 30.10.2022 fand zum 6ten mal die anarchistische Buchmesse in Amsterdam statt. Ort der Messe war das „Plantage Doklaan“ auch als „Dokhuis“ bekannt. Ehemals eine Kirche, dann eine Druckwerkstatt und dann eine Schule wurde das Haus 1998 von eine Gruppe von 10 Leuten besetzt. Im Jahr 2000 wurde das Gebäude dann gekauft, renoviert und wird seit dem von einem Kollektiv verwaltet. Die Werkstätten und Veranstaltungsräume befinden sich größtenteils im Erdgeschoss, in den oberen Stockwerken finden sich Wohnungen. Hinzu kommt ein eigenes Café, eine Galerie und Ateliers für Künstler:innen. Die Messe fand an den zwei Tagen von jeweils 11Uhr morgens bis 22Uhr abends auf 3 Etagen statt. Es waren insgesamt 54 Stände zu sehen an denen ca. 65 verschiedene Gruppen und Kollektive beteiligt waren. Neben den Ständen gab es an beiden Tagen insgesamt 23 verschiedene Workshops und Vorträge die besucht werden konnten. Am Samstag waren schätzungsweise bis zu 1000 Besucher:innen vor Ort, die Küche für alle gab abends über 400 Portionen Essen aus und trotzdem haben nicht alle die wollten etwas bekommen. Am Sonntag beruhigte es sich dann etwas, dennoch auch hier über den Tag verteilt bis zu 500 Besucher:innen. An beiden Abenden gab es noch eine Lotterie mit tollen Preisen und Samstags noch eine Aftershow Party mit Konzert in einer anderen Location.

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Samstag um 11Uhr öffneten sich dann die Türen und die Besucher:innen strömten zuhauf in die Messe. Am Eingang gab es einen immer bunt besetzten Info Tisch mit gut gelaunten Menschen an dem es Programmhefte auf niederländisch und Englisch gab, es gab Süßigkeiten, Desinfektionsmittel für die Hände und Masken umsonst so wie Ohrstöpsel. Von dort aus ging es entweder direkt ins Untergeschoss zu Ständen oder durch das Café vorbei an Kaffee und Tee in den großen Saal (Dokzaal). Im Saal selbst waren die meisten Stände aufgebaut die man in einem Rundgang zu beiden Seiten dann beschauen konnte. Links und rechts im Saal gehen Treppen hoch wo ebenfalls Stände aufgebaut waren. Ich war erstmal völlig überwältigt von der Zahl der Stände, der Vielfalt der angebotenen Bücher und der schieren Anzahl an Menschen im Saal. Von Anfang an war eine unglaublich gute Stimmung bei den Besucher:innen zu bemerken. Man könnte fast sagen, dass alle etwas gehyped wirkten, es wurde viel gelacht und umarmt, rege geredet, diskutiert und ausgetauscht. Auch wenn zuletzt die Bestimmungen bezüglich der Corona Pandemie in den Niederlanden wesentlich lockerer gehandhabt wurden als in Deutschland konnte man sehen, dass die letzten zwei Jahre mit ihren Einschränkungen nicht spurlos an den Menschen vorbei gegangen sind, um so größer war die Freude sich endlich wieder begegnen zu können und Freund:innen die man lange nicht gesehen hatte in den Arm zu nehmen und wie man auf niederländisch sagt; gesellig zu sein. Die Vorträge und Workshops starteten um 12Uhr in drei verschiedenen Räumen und wurden allesamt bis Sonntag gut besucht. Lediglich zwei fielen aufgrund von Krankheit aus.

Es gab Workshops zu kritischer Männlichkeit, Wege wie im Konsens Entscheidungen getroffen werden können, der Vrije Bond (Freie Bund, anarchistische Gruppe in den Niederlanden) stellte sich vor, es gab einen Vortrag über die Geschichte des Anarchismus in den Niederlanden so wie Tricks und Tipps was zu tun ist wenn man verhaftet wird. Und das war nur ein Ausschnitt vom Samstag. So toll und verschieden die Themen auch waren, so waren die Vortragenden meist immer weiße Männer, eine Sache bei der in Zukunft noch nachgebessert werden kann. Am Sonntag gab es dann Themen wie „political Crowdfunding“, eine spannende Sache, denn in den Niederlanden gibt es verschiedene Fonds die mit größeren finanziellen Mitteln die vor allem anarchistische Bewegung im Vorhinein von Aktionen unterstützen. In Deutschland werden solche Mittel ja meist mit Hilfe von Soli-Partys und Anfragen an die Astas der Universitäten gestemmt. Weiter ging es u.a mit Workshops zum Thema Gefangenensupport, einem Squatting Bootcamp (Squatting ist in den Niederlanden ein wieder größer werdendes Ding), einem Vortrag über die Situation in Rojava/ Nord-Kurdistan und über die stärker werdende Krise in den Gebieten der Zapatistas in Chiapas/ Mexico. So weit so gut, so gewöhnlich. Ich persönlich hätte mir ein, zwei Workshops zum Thema anarchistische Organisierung und Perspektiven einer (europäischen) anarchistischen Bewegung gewünscht, also allgemein einen aktiveren Austausch über den Stand der Bewegung und dessen verschiedene Ansätze im Hier und Jetzt. Vielleicht muss ich das nächstes Jahr einfach selber machen, D.I.Y eben.

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Kommen wir zurück zu den Ständen. Ich habe jedenfalls am Samstag nicht geschafft mir die Stände in Ruhe anzuschauen, zu viele Leute mit denen Gespräche geführt werden wollten. Das habe ich dann aber Sonntag nachgeholt. Hier war dann auch zu sehen, dass diese Messe nicht nur eine niederländische war. So waren Gruppen aus Slovenien, Schweden, Belgien, Österreich und Deutschland vertreten. Es gab einen Stand von einer Gruppe queerer People of Color die Kinderbücher im Gepäck hatten die nicht nur wunderschön gestaltet waren sondern auch klassische Rollenbilder und Machtstrukturen aufbrachen. Leider noch nicht auf Deutsch erhältlich aber die Nachfrage war, zu Recht, riesig, ist es doch immer noch nicht so leicht wirklich coole Bücher für Kinder zu finden. Doch wie die Menschen von diesem Kollektiv mir erzählten, sind sie dabei Verlage zu finden die ihre Bücher in weitere Sprachen übersetzen. Ansonsten waren an den meisten Ständen Bücher auf niederländisch, Englisch und Deutsch zu finden, die Klassiker waren wie immer vertreten doch auch neueres war durchaus zu finden.

Zwischen all den Büchern gab es aber auch ein paar Gruppen die über ihre Kampagnen informierten, besonders zum Thema Wohnen da die Mietpreise auch in den Niederlanden mittlerweile absurd hoch geworden sind. Auch ein Grund warum die Hausbesetzer:innen einen aktuellen Aufwind erleben, zwei Tage vor Beginn der Messe gab es eine Hausbesetzung in Amsterdam die bis zum Ende der Messe nach wie vor bestand hatte. Neben zwei Initiativen die für Ökologische Projekte warben, gab es noch einen Stand an dem über die aktuelle Situation in der Region Kashmir zwischen Indien, China und Pakistan berichtet wurde. Eine Sache die mir bisher nur mal ganz kurz über den Weg gelaufen war und dringend mehr Aufmerksamkeit benötigt da dort massive Menschenrechtsverletzungen von Seiten des indischen Staates gegen die Menschen in Kashmir begangen werden. Es ist die am stärksten militarisierte Zone der Welt, aktuell sind dort bis zu einer Millionen indische Soldaten stationiert. Doch es regt sich auch Widerstand von Graswurzel Gruppen vor Ort die sich gegen die militärischen und Repressiven Maßnahmen der Indischen Regierung stellen. Im Anschluss dieses Textes findet ihr Links – Spread the word! Was mir persönlich fehlte waren Comics und Graphic Novels, davon war leider nicht sehr viel vertreten, ist das doch ein mittlerweile sehr ernstzunehmendes Format geworden auch politische Inhalte zu transportieren. Und auch fehlte mir ein bisschen die Kunst, also Stände die Prints, Plakate und Handwerk verkaufen waren nur vereinzelt zu finden. Ja ich weiß, es ist ja auch ne Buchmesse, trotzdem finde ich das es dazu gehört sich nicht nur theoretisch sondern auch visuell auszudrücken aber was nicht ist kann ja noch werden.

Am Rande sei noch zu erwähnen, dass es auch einen Stand Christlicher Anarchist:innen gab so wie zwei, drei kleine Gruppen die dem Anti-Zivilisatorischen zuzuordnen sind. Besonders letztere wurden von vielen Besucher:innen eher ablehnend betrachtet und ich selbst hatte auch ein paar Diskussionen mit und über diese Leute. Vor allem die Frage der Teilhabe dieser Leute an der Messe wurde immer wieder in Frage gestellt. Ohne hier weiter ins Detail gehen zu wollen, müssen wir uns als Anarchist:innen mit unseren verschiedenen Strömungen durchaus die Frage stellen welche Tendenzen innerhalb unserer Ideen bestärkt werden sollten und welche nicht.

Allgemein kann ich sagen, dass die meisten Gruppen die auf der Messe vertreten waren alle in irgendeiner Weise organisiert sind. Sei es in Form vom klassischen Infoladen Kollektiv, einer Kommune oder Hausprojekt mit ökologischen Anspruch, Gewerkschaft, Nachbarschaftsinitiative, Kampagne gegen zu hohe Mieten oder auch klandestine Gruppen die ihr Wissen zum Thema Hausbesetzung und Schlösser knacken weitergeben. Uns alle eint der Gedanke einer besseren Welt in der viele Welten Platz haben (um an dieser Stelle die Zapatistas zu zitieren) und das Wissen, dass wir dafür kämpfen müssen. Etwas was ich so sehr mag an denen die sich für anarchistische Ideen begeistern ist, dass Sie emotionale, empathische Wesen sind, dass wir Freud und Leid, Träume und Wut miteinander teilen können und dass uns das nur stärker macht. Die Anarchistische Buchmesse Amsterdam hat eines gezeigt. Anarchismus is still a thing! Die Messe war noch nie so groß und gut besucht und ist neben der Londoner Messe die größte in Europa. Die Ideen von einem solidarischen, herrschaftsfreien Leben blühen stark und schlagen wieder stärkere Wurzeln die sich langsam aber sicher miteinander vernetzen und so werden wir alle gemeinsam den kommenden Stürmen standhalten können.

Die Menschen die die Messe organisiert haben, haben einen verdammt guten Job gemacht, viele Stunden Arbeit investiert und waren bis zum Schluss mit Herz dabei. Manches kann noch weiter ausgebaut werden, verbessert werden und ich bin mir sicher, nächstes Jahr wird super! Danke an dieser Stelle für das tolle Wochenende an alle die es Möglich gemacht haben!

Bis nächstes Jahr

Yara für anarchismus.de

Links:

Dokhuis - https://plantagedok.nl/

Buchmesse - https://anarchistbookfairamsterdam.blackblogs.org/en/

Vrije Bond - https://www.vrijebond.org/english/about/

Stand with Kashmir – instagram, twitter, YouTube: @standwithkashmir www.standwithkashmir.org/

Acerbic Collective Slovenien - https://acerbic.avtonomija.org/en/own-production/

Jalla Jalla, Autonomes Zentrum Ljubiljana - https://www.facebook.com/jallajalla.akcmetelkova

„Nattsvart Verkstad“ Kollektiv Stockholm - https://nattsvartverkstad.noblogs.org/

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